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KAPITEL 2

GOTTES EINLADUNG UND BEFÄHIGUNG ZU VERANTWORTLICHEM HANDELN

Vielleicht kennen Sie einen dieser Werbespots zu Schweizer Produkten, die in den vergangenen Jahren auch in Deutschland fast schon Kultstatus erreicht haben, zum Beispiel für Ricola, ein Schweizer Kräuterbonbon. In den Spots verkünden Menschen aus verschiedenen Erdteilen und Nationalitäten voller Stolz, dieses Bonbon sei eine Errungenschaft ihres Landes. Doch dann taucht aus dem Hintergrund ein kleiner, vorwitziger Schweizer auf und klaut den verdutzten Schummlern die Bonbons aus der Hand. Er schaut in die Kamera und fragt in breitem Schweizer Hochdeutsch: „Wer hat’s erfunden?“ Natürlich wir, die Schweizer!

Bei einer anderen Werbekampagne geht es um das Geheimrezept des Appenzeller Käses. Der deutsche Schauspieler Uwe Ochsenknecht sitzt zwischen zwei traditionell gekleideten Appenzeller Bauern und will ihnen um jeden Preis das Originalrezept entlocken. Dabei verspricht er ihnen das Blaue vom Himmel. Doch die beiden Appenzeller schauen mit unbewegter Miene in die Kamera und verraten kein Wort. Niemals würden sie ihren besten Käse einem Ausländer ausliefern! Ochsenknecht verzweifelt beinahe angesichts der Tatsache, dass er nicht hinter dieses Geheimnis kommt …

Bei Bonbons, Käse und anderen Gütern können wir mit Recht fragen, welches Land und welche Menschen diese Spezialität erfunden und entwickelt haben. Bei der Selbstführung sieht es anders aus. Keine Nation und kein Mensch kann hier Urheberrechte oder Markenschutz geltend machen, denn da ist uns Gott zuvorgekommen. Die Bibel beschreibt seine Einladung dazu an einer Stelle und zu einer Zeit, als noch kein Mensch darüber nachdachte.

Geschaffen für ein verantwortlich gestaltetes Leben

Wenn Sie die ersten Seiten der Bibel aufschlagen und darin zu lesen beginnen, begegnen Sie dort dem Erfinder all dessen, was Sie in sich und um sich herum an Gutem wahrnehmen können. Sie erfahren, wie Gott den Kosmos ordnete und die Welt erschuf. Wie durch ihn Pflanzen, Tiere und Menschen ihr Leben bekamen und die Erde bevölkerten. Dort, in den ersten Sätzen der Bibel über den Menschen, begegnen wir auch dem Thema Selbstführung. Es werden dafür andere Worte verwendet – aber das Anliegen ist deutlich erkennbar. Lassen Sie mich die wichtigsten Hinweise zusammenfassen.

Meine drei Brüder und ich sehen uns ähnlich. Alle haben wir eine Glatze und ein oval geformtes Gesicht. Wenn Sie ein Familienbild von uns sehen würden, auf dem wir zusammen mit unseren Eltern abgebildet sind, dann würden Sie auf Anhieb erkennen, woher das kommt. Wir sind Abbilder unserer Eltern. Man erkennt bei einigen von uns Züge der Mutter. Bei allen aber drückt das Bild des Vaters durch, besonders was das oberste Ende unseres Körpers betrifft – die kunstvoll freigelegte Kopfhaut.

Bei fast allen Menschen kann man äußere Merkmale sowie innere Wesenszüge ihrer Eltern erkennen – vermutlich auch bei Ihnen. Was für Familien zutrifft, gilt nach den Worten der Bibel auch für die Menschheit als Gesamtes: Man findet an uns Spuren unseres Schöpfers. Jeder Mensch verfügt über Wesenszüge und Fähigkeiten, die auch Gott hat. „Lasset uns Menschen machen als unser Bild, uns ähnlich“, beschloss unser dreieiniger Schöpfer, als er sich ans Werk machte und uns Leben einhauchte (1. Mose 1,26a). Wir könnten Dutzende von Merkmalen aufzählen, an denen dies sichtbar wird. Einige dieser Eigenschaften lassen erkennen, dass wir fähig sind, uns selbst zu führen. Wir sind nicht nur fähig dazu, es ist sogar unsere Aufgabe, wie die folgenden Punkte zeigen.

Erstens: Wir können schöpferisch tätig sein

Dass wir unserem Schöpfer ähnlich sind, zeigt sich besonders darin, dass wir ebenfalls schöpferisch und kreativ tätig sein können. „Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte“ (1. Mose 2,15).

Seit einigen Jahren bin ich eine Art „urban gardener“ – ich versuche mitten in der Stadt auf kleinem Raum Gemüse anzubauen: in Töpfen, Schalen, Kübeln, Erdsäcken und auf kleinster Grünfläche. Sobald sich draußen der Frühling ankündigt, juckt es mich in den Fingern. Ich beginne, im Haus Gurken- und Zucchini-Pflanzen zu ziehen. Während ich einen kleinen Samen in den Anzuchttopf stecke, sehe ich bereits die fruchtbehangene, ausgewachsene Pflanze vor mir. Knackige, große, geschmackvolle Gurken, Tomaten, Salate, Erdbeeren usw. Es ist diese Vision, die mich etwas scheinbar Unsinniges tun lässt, nämlich vertrocknete, stecknadelkopfgroße Krümel in ein Häufchen Dreck zu stecken. Schöpferisch tätig sein heißt, sich etwas vorstellen zu können, was noch nicht existiert, und aufgrund dieser Vision gewisse Dinge zu tun, damit eines Tages Wirklichkeit wird, was wir uns vorgestellt haben. Das gilt nicht nur für materielle, sichtbare Dinge, sondern auch für Überzeugungen und Verhaltensweisen – zum Beispiel wie wir Beziehungen gestalten oder unseren Glauben vertiefen wollen.

Doch es steckt noch mehr in dieser faszinierenden Formulierung „bebauen und bewahren“. Sie verrät uns, dass wir zu zweierlei fähig sind: Wir können sowohl Neues hervorbringen („bebauen“, „bilden“) wie auch bereits Vorhandenes pflegen und schützen („bewahren“). Wir können Dinge erfinden und herstellen – und wir können für schon Vorhandenes Sorge tragen. Das betrifft beinahe jeden Gegenstand, den Sie in Ihren Händen halten: Jemand hat ihn hergestellt, Ihre Aufgabe ist es, dafür Sorge zu tragen. Oder Sie haben etwas selbst gemacht – ein Bild, ein Gericht nach eigenem Rezept, ein Kleid, ein Baumhaus. Als „Erfinderin“ oder „Erfinder“ werden Sie wertschätzend damit umgehen – und dankbar sein, wenn auch andere es tun.

Auch hier gilt: Neues hervorbringen und Anvertrautes schützen können wir nicht nur, wenn es um Dinge geht, die wir mit den Augen betrachten und mit den Händen berühren können. Dasselbe ist wahr für unser Denken, Verhalten, Fühlen, Reden, unsere Beziehungen. Wir können Einfluss darauf nehmen, welche Art von Personen wir werden möchten. Wir können zu Neuem aufbrechen und unseren Beitrag dafür leisten, dass es Wirklichkeit wird. Und wir können das uns Anvertraute schützen: gelebte Werte, eine gute Beziehung, Formen des Umgangs, hilfreiche Sichtweisen und Überzeugungen, unseren Glauben. Wir wären niemals fähig, uns selbst gut zu führen, wenn Gott uns nicht mit diesen Fähigkeiten ausgestattet hätte.

Doch Gott hat noch mehr von seiner eigenen Art in uns hineingelegt:

Zweitens: Wir können Einfluss ausüben

Als Gott uns schuf, wollte er weder eine Marionette noch eine Maschine. Er wollte, dass wir entscheiden, handeln und Einfluss nehmen: „Sie sollen herrschen … über die ganze Erde …“ (1. Mose 1,16b.28). Er gab uns Macht. Sie und ich, wir sind ermächtigte Wesen. Das ist sehr riskant, denn wer seine Macht zum Bösen nutzt, für Unterdrückung, Missbrauch und egoistische Ziele, der kann enorm großes Leid anrichten. Doch daran ist nicht die Macht an sich schuld, sondern der Mensch, der sie falsch nutzt. Würde er seinen Einfluss zum Guten einsetzen, wäre sie für alle ein Segen. Denken Sie an Martin Luther, Gandhi, Nelson Mandela oder Mutter Teresa. Macht ist neutral – der Charakter des Menschen, dem die Macht gegeben ist, gibt den Ausschlag dafür, ob sie sich gut oder schlecht auswirkt.

Aufgrund dessen, was die Schöpfungsgeschichte über uns sagt, können wir festhalten: Gott gab jedem von uns ein bestimmtes, individuelles Maß an Macht und Einfluss, um damit gute Ziele fördern zu können. Wären wir dazu nicht fähig, könnten wir uns nicht selbst führen. Wir könnten uns nicht dafür entscheiden, anderen Menschen oder uns selbst Gutes zu tun. Wir könnten nicht wählen zwischen hilfreichen und destruktiven Gedanken oder Worten. Wir könnten nur eines: einem uns eingebauten Computerprogramm folgen und genau das sagen oder tun, was dieses uns bis ins kleinste Detail vorgibt.

Drittens: Wir können Dinge ordnen und ihnen den richtigen Platz geben

Weshalb geben wir Tieren einen Namen? Weshalb rufen Sie nicht einfach „Katze“, wenn Sie Ihren kleinen Mitbewohner begrüßen? Weshalb geben Bauern selbst ihren Kühen einen Namen? (Kühe von Schweizer Bauern tragen zum Beispiel Namen wie Maja, Luise, Monika, Silvia …) Weshalb haben Pferde einen Namen? Sie drehen ja selten den Hals nach uns um, weil wir sie bei diesem Namen rufen. Sie reagieren vielleicht auf unsere Stimme, falls sie ihnen vertraut ist, aber kaum auf Namen wie „Napoleon“ oder „Dschinghis Khan“.

Ein Grund für unser Bedürfnis, es dennoch zu tun, finden wir in 1. Mose 2,19: „Gott brachte die Tiere zum Menschen, um zu sehen, wie er sie nennen würde … und so sollten sie heißen.“ Es ist anzunehmen, dass die ersten Menschen den Tieren keine individuellen, menschlichen Namen gaben. Aber Gott lud sie ein, diese Geschöpfe danach zu benennen, wie sie sie wahrnahmen und was ihnen als Name dafür passend erschien: „Den großen grauen Koloss mit der dicken Haut und dem Schlauch im Gesicht nennen wir Elefant. Das schlüpfrige Wesen im Wasser nennen wir Fisch. Das kleine Insekt, das sich mit Vorliebe in unseren Haaren festbeißt, nennen wir Laus.“

Was bedeutet es, dass Gott uns dazu einlädt, den von ihm geschaffenen Tieren Namen zu geben? Es bedeutet, dass er uns in sein Schaffen einbezieht. Wir deuten und benennen Gottes Werk. Er setzt es uns nicht vor die Nase und sagt: „Mensch, das ist ein Krokodil. Nenne es ja nicht ‚Ziege‘!“ Der Schöpfer macht uns zu Mitschöpfern; in gewisser Weise sogar zu Vollendern seiner Schöpfung. Bibelausleger weisen darauf hin, dass Gott uns Autonomie über Teile der Schöpfung zugesteht.6 „In der Benennung entdeckt, bestimmt und ordnet der Mensch seine Welt“, schreibt der alttestamentliche Theologe Gerhard von Rad.7 Wir dürfen das, was Gott gemacht hat, nach unserem Empfinden ordnen.

Was wir gegenüber Tieren tun können, das ist uns auch in anderen Bereichen des Lebens möglich und erlaubt; ja, sogar geboten: Wir können in unserem Glauben, in unseren Aufgaben, in unseren Beziehungen Dingen und Personen den richtigen Platz geben. Können und sollen Prioritäten setzen und uns für Vorgehensweisen entscheiden. Überall, wo wir das tun, benennen, klären und ordnen wir etwas, was uns wichtig ist. Und genau darum geht es, wenn wir uns selbst führen.

Wir haben gesehen: Das Anliegen, sich selbst zu führen, haben nicht Menschen erfunden. Gott hat uns nicht nur mit der Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln ausgestattet, im Schöpfungsbericht weist er uns diese Aufgabe ausdrücklich zu. Wir sollen und dürfen die uns im Alltag gegebenen Möglichkeiten des Zuordnens und Gestaltens ausschöpfen.

Von der Kunst, sich selbst zu führen

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