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4.6. Diskriminierung
ОглавлениеDiskriminieren heißt erstens, wörtlich, so viel wie unterscheiden. Bestimmte Personen – „Fremde“, Ausländer, Angehörige von Gruppen, die sich in Sprache, Aussehen, kulturellen oder religiösen Praktiken von der herrschenden Mehrheit unterscheiden – werden klassifiziert und kategorisiert. Damit wird zweitens eine Wertung, und zwar meist eine Abwertung verbunden (seltener auch eine Höherwertung, die leicht in eine Romantisierung umkippt). Diskriminierung im Sinne von Abwertung äußert sich drittens häufig darin, dass man der „fremden“ Person die Achtung verweigert, und dies in sämtlichen Dimensionen, die der Begriff der Achtung umfasst (vgl. Kasten 4.7).
Von Diskriminierung spricht man häufig auch dann, wenn nicht ein Einzelner, sondern eine ganze Gruppe die Rechte anderer missachtet. Solche Verhaltensweisen sind für die Betroffenen nicht zuletzt erniedrigend. Welches sind die Gründe kollektiver Diskriminierungspraktiken? Häufig steht am Anfang ein Bedrohungsgefühl: Man fürchtet Knappheit – an Ressourcen, an Arbeitsplätzen, an staatlichen Leistungen – und möchte nicht mit Fremden teilen. Oder man fürchtet um den Erhalt vertrauter Werte. Dieses Bedrohungsgefühl verbindet sich oft mit einer ethnozentrischen Haltung. Man schätzt am meisten, was man kennt – die Lebensart und Bräuche der Gesellschaft, in der man aufgewachsen ist –, und fixiert sich darauf, als wäre es die einzige oder die beste Lebensform.
Tabelle 4.7.: Der Begriff der Diskriminierung weist die gleichen drei Dimensionen auf wie der Begriff der Achtung
(1) Achtung = Anerkennung der anderen Person als Rechtssubjekt – als Person, die einen berechtigten Anspruch auf die Sicherung ihrer Grundrechte hat. (2) Achtung = Anerkennung der anderen Person in ihrer Autonomie – als Person, die einen berechtigten Anspruch auf freie Entscheidung hat. (3) Achtung = Anerkennung der anderen Person in ihrer Leistungsfähigkeit (die die Basis für Würde und Selbstachtung abgibt). | (1) Diskriminierung = Sich weigern, die andere Person als Rechtssubjekt (mit berechtigtem Anspruch auf gleiche Grundrechte) anzuerkennen. (2) Diskriminierung = Sich weigern, die andere Person in ihrer Autonomie (berechtigter Anspruch auf freie Entscheidung) anzuerkennen. (3) Diskriminierung = Sich weigern, die andere Person in ihrer Leistungsfähigkeit (auf der ihre Selbstachtung gründet) anzuerkennen. |
Der ethnozentrischen Abwehr des „Fremden“ liegen manchmal noch weitere Motive zugrunde: Angst vor dem Ungewohnten; geistige Unbeweglichkeit und die Weigerung, sich mit etwas Neuem auseinanderzusetzen; ein unterschwelliges Gefühl von Neid und/oder eigener Minderwertigkeit, die man auf Andere projiziert – ein Motiv, das, wenn es nicht rechtzeitig korrigiert wird, der Entwicklung von Hass Vorschub leistet.
Jede Art der Diskriminierung stellt eine Form von Abwertung und Respektsverweigerung dar. Diese Abwertung manifestiert sich häufig in einer (individuellen oder kollektiven) Sonderbehandlung. Diese ist in den verschiedensten Abstufungen möglich. Das hängt ab von der Intensität und vom zeitlichen Umfang der entsprechenden Handlungen, von der Anzahl Personen bzw. der Größe der Gruppe derer, die sich diskriminierend verhalten, und von der Anzahl der davon negativ betroffenen Personen (Kasten 4.8.).
Kasten 4.8.: Formen der Diskriminierung
- Vermeidung einer Begegnung,
- Unfreundlichkeit, offene Ablehnung,
- physische Aggression,
- Ghettoisierung,
- Exklusion von politischer Mitwirkung,
- Ausschließung von bestimmten Dienstleistungen („Kein Zugang für Juden und Schwarze!“),
- Ausschluss vom Zugang zu Marktchancen (z.B. in Form von Berufsverboten),
- Verweigerung eines Teils der Menschenrechte,
- Vertreibung,
- Weigerung, die Existenzberechtigung der anderen Person oder Gruppe anzuerkennen…
Die extremsten Formen der Diskriminierung – Vertreibung und/oder kollektiver Mord (Genozid) – sind das ganze 20. Jahrhundert über praktiziert worden, in den siebziger bis neunziger Jahren kaum weniger (Balkan, Guatemala, Kambodscha, Kongo, Liberia, Rwanda, Sudan, Tschetschenien…) als vor und während des Zweiten Weltkriegs (Diamond 1994, Kapitel 16, bes. S. 359).