Читать книгу Handbuch Ethik für Pädagogen - Thomas Kesselring - Страница 53
4.6.1. Mobbing
ОглавлениеVon Mobbing spricht man, wenn eine Gruppe über einen längeren Zeitraum eine Einzelperson demütigend behandelt, sie wiederholt und systematisch verhöhnt, auslacht, schikaniert oder wie Luft behandelt. Das englische Verb „to mob“ heißt eigentlich „anpöbeln“. Sachgemäßer wäre die Übersetzung „quälen“ oder „plagen“.
Mobbing kann sich verheerend auf das Selbstwertgefühl des Opfers auswirken. Je länger der Mobbingprozess andauert, desto tiefer die seelische Verletzung. Für die Aufrechterhaltung seines Selbstbewusstseins müsste ein Mobbing-Opfer eine Vertrauensperson haben, doch häufig schweigt es aus Scham und lädiertem Selbstwertgefühl über seine Erfahrungen oder zieht sich sogar ganz aus seinen Sozialkontakten zurück, was die Erosion des Selbstwertgefühls weiter verstärkt. Laut informellen Schätzungen sind fünfzehn Prozent der Suizide eine direkte oder indirekte Folge von Mobbing.
Mobbing kommt unter Kindern ebenso vor wie unter Erwachsenen. Zwischen vielen Mobbingepisoden zeigen sich deutliche Parallelen (Olweus 1996; Alsaker 2003):
Die gemobbte Person wirkt ungeschickt; sie fällt mit ihrem Verhalten, ihrer Kleidung, ihrer Sprache aus dem Rahmen.
Die Mitglieder einer Gruppe folgen dem Herdentrieb und tun, was die anderen tun, ohne sich über das Ergebnis und die Folgen den Kopf zu zerbrechen.
Unbeteiligte halten sich aus dem Geschehen heraus, statt dem Opfer Hilfe zu leisten.
Die Motive für Mobbing sind nicht einheitlich: Manchmal geht es darum, das Opfer aus der Gruppe auszuschließen oder vom Arbeitsplatz zu vertreiben; es wird solange gequält, bis es „freiwillig“ das Feld räumt. Manchmal geht es dem Haupttäter darum, sich gewisse Güter (vom Opfer erpresstes Geld oder Ansehen in der Gruppe) zu beschaffen.
Die Entspannung einer Mobbingsituation bringt nicht nur dem Opfer, sondern auch den „neutralen“ Zuschauern Erleichterung und eine Erhöhung des Selbstwertgefühls.
Ausschlaggebend für die weite Verbreitung von Mobbing ist der Umstand, dass die Täter gerne darüber hinwegsehen, wie sich ihre Praktiken aus der Sicht des Opfers darstellen. Dazu müssten sie sich in seine Lage hineindenken und mit ihm mitfühlen. Zu Mitgefühl sind Kinder zwar schon von 2 bis 3 Jahren und zur intellektuellen Perspektivenübernahme von 8 bis 9 Jahren an in der Lage, aber das heißt nicht, dass sie diese Fähigkeiten in einschlägigen Situationen automatisch aktivierten. Oft bedürfen Kinder und Jugendliche (ja selbst Erwachsene) dazu eines geeigneten Anstoßes.
Einen solchen Anstoß könnte in der Schule die Besprechung eines passenden literarischen Stücks, beispielsweise Max Frischs „Andorra“, bieten. Parallel dazu müsste die soziale Dynamik in der Klasse vorsichtig exploriert werden. Voraussetzung hierfür ist natürlich, dass die Lehrkraft über die Mobbingsituation und die sich in der Klasse abspielende soziale Dynamik ausreichend im Bilde ist.
Mit dem Phänomen des Mobbings verwandt sind Praktiken der Diskriminierung ganzer Bevölkerungsgruppen. Solche Praktiken können unterschiedlich krasse Formen annehmen: von der Vorenthaltung bestimmter Grundrechte über die Ghettoisierung und Vertreibung bis hin zur physischen Eliminierung…