Читать книгу Räucherstoffe und Räucherrituale - Thomas Kinkele - Страница 6
Woher kommt das Räuchern?
ОглавлениеDie Verwendung aromatischer Pflanzenstoffe hat unterschiedlichste Formen und Gebräuche entstehen lassen. Ein Tag ohne Duft, so sagt man, galt für die alten Ägypter als ein verlorener Tag. Am Morgen räucherte man Olibanum, zu Mittag die Myrrhe und abends ein Kyphi genanntes, sorgfältig zubereitetes Räucherwerk. Kyphi, so sagt man, sei das Räucherwerk zur Entspannung gewesen und die lauen Abende einer altertümlichen ägyptischen Stadt seien von süßen, aromatischsinnlichen Duftschwaden erfüllt gewesen, die sich aus Tausenden von Heimstätten in unterschiedlichsten Nuancierungen zu einer Symphonie der Düfte verbanden. Kyphi, so berichtet der römische Geschichtsschreiber Plutarch (100 n. Chr.), wurde zur Nacht geräuchert. Es vermochte die Menschen in den Schlaf zu wiegen, Träume hervorzurufen und die Sorgen des Tages zu vertreiben. Ruhe und Frieden sollten dem geschenkt werden, der es einatmet – eine wunderbare Vorstellung. Auch wenn Sie eine gute heutige Kyphi-Komposition riechen, die sich nach der uns fragmentarisch erhaltenen Überlieferung aus mehr als zwölf aromatischen Komponenten zusammensetzt, haben Sie vielleicht die Möglichkeit, dieser Erfahrung selbst ein wenig nachzuspüren. Die süß-würzig-aromatischen Schwaden dieses Duftes machen dem Ausdruck „Nahrung der Götter“ alle Ehre.
Die babylonische Kultur vor ca. 3.500 Jahren kannte bereits eine breite Palette von Duftstoffen. Zedernholz wird im Gilgamesch-Epos verherrlicht, Olibanum, Myrrhe, Galbanum, Kalmuswurzel, Myrte, Labdanum, Zypresse und Styrax wurden von den Philosophen der Antike wegen ihres Duftes gepriesen. Von Mesopotamien über Indien bis nach China und Japan zieht sich eine historische Räucherspur. In den religiösen Überlieferungen finden wir immer wieder den Gebrauch verschiedener Räuchersubstanzen, wie beispielsweise in der Bibel, wo das Hohelied des Alten Testaments auch die Kraft des Duftes in seiner Wirkung auf Liebe und Freude an sinnlicher Lust besingt. Die arabische Traumwelt aus Tausendundeiner Nacht sowie die indische Vielfalt an magischen Wundergeschichten und spirituellen Mysterien werden immer wieder mit Duftphänomenen verbunden, wobei mit aromatischen Rauchschwaden Herz und Geist in die Welt der inneren Wirklichkeit getragen werden.
Aus der japanischen Empfindung für das Detail wurde eine Räucherkultur von hoher Ästhetik geboren, die im spirituellen ebenso wie im profanen Leben eine besondere Rolle spielt. Respekt für das Leben und Freude am SEIN finden ihren Ausdruck in einer Tradition, wo kostbarste aromatische Hölzer wie Adlerholz (Jinkoh) und Sandelholz, in winzigen Portionen mit präzisionsgefertigten Utensilien verräuchert, die Sinne beglücken, die Phantasie anregen und damit zu der hohen Kunst des Koh-do führen. Das ist eine Duft-Zeremonie, die in der Gemeinschaft mit ausgesuchten Menschen stattfindet und Achtsamkeit sowie Inspiration stärken soll.
Die amerikanisch-indianische Räuchertradition sieht in den „Pflanzen der Kraft“ wie Weißer Salbei, Präriebeifuß, Wacholder und Zeder eine kosmische Präsenz, die den Menschen wieder in Kontakt mit der ganzen Natur und mit dem Großen Geist zu bringen vermag.
Es lässt sich also ein eindrucksvolles Panorama erkennen, das uns als westlich geprägten Kulturmenschen die Wiederentdeckung dieses faszinierendem Mediums nahe legt. Allerdings gibt es hier auch Schattenseiten.
So treffen wir nicht allzu selten auf starke Ablehnung von allem, was unter dem Sammelbegriff „Weihrauch“ zusammengefasst wird. Die Reaktionen sind dann instinktiv und bisweilen sehr heftig und gehen bis zu spontaner Übelkeit und Aggression. In diesen Zusammenhang spielt fast immer die Kirche hinein.
Der katholisch-liturgische Gebrauch von reichlich Weihrauch (in der Regel sind es Rezepturen aus Olibanum, Myrrhe, Tolubalsam, Benzoe, Mastix, Labdanum und Drachenblut) hat hier meistens in der Kindheit ganze Arbeit geleistet. Es sind intensive Dufteindrücke, die übermäßig auf die kindliche Psyche eingewirkt haben. Die Bedrohung durch Sünde, Zwang und den strafenden Gott bei Übertretung der Gesetze hat den Räucherduft unterschwellig dermaßen mit Angstgefühlen und Enge verkettet, dass er im späteren Leben eine so heftige instinktive Abwehrreaktion auslösen kann. Das gilt für viele emotionale Reaktionsmuster, die durch einen Dufteindruck angesprochen werden können. Die Konditionierungen durch schmerzhafte Erfahrung werden in diesen Reaktionen offenbar. Der Duft steht für eine Bedrohung oder Belastung. Er repräsentiert Inhalte, die mit unangenehmen, schmerzverbundenen Erfahrungen korrespondieren. Die gute Nachricht ist, dass wir diese Muster auflösen können.
Es ist interessant, wie absolut das Urteil über eine bestimmte Wahrnehmung in aller Regel ausfällt. „Das riecht nicht gut“, sagt der Mensch und meint, damit eine objektive Aussage gemacht zu haben, wobei es aber sehr auffällig ist, wenn der nächste bei dem gleichen Duft dann Laute der Begeisterung ausstößt und damit das erste Urteil ad absurdum zu führen scheint. Die uneingeschränkte Polarität von gut und schlecht ist übrigens auch das Territorium, in dem die exoterischen Religionen angesiedelt sind. Sie geben dem Menschen Richtlinien vor, was gut oder böse bzw. schlecht zu nennen ist. Wohlgerüche entsprechen dem Göttlichen und der Gestank dem Teuflischen. Das lässt die absolute Bewertung der persönlichen Empfindung in einem besonderen Licht erscheinen – vor allem dann, wenn es sich, wie im Falle von Weihrauch, in das Gegenteil verkehrt.
Wahrscheinlich tragen wir alle eine motivierende Ur-Erfahrung in unserem instinktiven Zentrum. Diese reicht entwicklungsgeschichtlich bis in die paläolithische Zeit zurück und wird besonders interessant von Christian Rätsch als persönliche rituelle Erfahrung in „Der Atem des Drachen“* beschrieben. Unsere Vorfahren suchten zu Ritualzwecken Höhlen auf und mit dem Feuer in der Mitte des Kreises wurde das Ritual ausgeführt. Während der Feuer-Zeremonie sprach man über Gottheiten und es wurden mythologische Geschichten erzählt, während die Zweige aromatischer Pflanzen im Feuer verbrannten und die Menschen mit ihrem Duft in Erfahrungen von Transzendenz hineintrugen. Diese Erfahrungen von der Einheit des Seins führten in tiefe Verbindung mit allem, was ist. Das ist wohl der Ursprung einer wahrhaftig heiligen Empfindung. Zustände zu erleben, die über das physische Dasein in Zeit und Raum hinausführten, hinterließ tiefe Eindrücke in der menschlichen Psyche. Die Erfahrungen verschmolzen mit dem Duft. So sind Traditionen der mythologischen Zuordnung von Gottheiten zu bestimmten Pflanzen entstanden und bis heute sind Feuer und Rauch tief im menschlichen Urinstinkt verwurzelt. Wir finden an dieser Stelle Zugang zu einer großen Wahrheit.