Читать книгу Fünf Millionen Lösegeld - Thomas Kredelbach - Страница 10
Dienstag, 21.25 Uhr
ОглавлениеDer Polizist führte Lenz und Neuhaus in den hinteren Bereich des Lokals, wo sich die Angestellten versammelt hatten. In einer Ecke stand ein Fernseher. Ohne Ton lief die Übertragung des Halbfinalspiels in der Champions League. Neuhaus starrte auf das Bild. Noch fünf Minuten bis zur Halbzeit, und Madrid führte mit drei zu null. Wahrscheinlich war das der Grund dafür, weshalb die überwiegend italienischen Angestellten nicht besonders glücklich aussahen. Noch zwei Tore, und Mailand würde trotz des guten Hinspielergebnisses ausscheiden.
»Siehst du das«, lächelte Neuhaus seinen Partner an. »Madrid packt das.«
Lenz nickte. »Sieht aus, als hättest du den richtigen Riecher gehabt.«
Der Uniformierte zeigte auf den Jungen, der mit seinem Vater an einem Ecktisch saß. »Das ist er. Sein Name ist Kim Gronau. Der Vater ist eine Nervensäge. Er quatscht dauernd dazwischen.«
Lenz und Neuhaus setzten sich zu dem Jungen und seinem Vater an den Tisch.
»Hallo Kim«, sagte Lenz. »Mein Name ist Joachim Lenz. Mein Kollege heißt Uwe Neuhaus. Wir sind Kommissare bei der Polizei und würden dir gerne ein paar Fragen stellen.«
»Seid ihr echte Kommissare?«, fragte der Junge.
»Waschechte«, entgegnete Lenz.
»Habt ihr Pistolen?«
»Ja, haben wir. Das gehört zu unserer Dienstausstattung.«
»Die Frauen hatten auch Pistolen. Eine von ihnen hat sogar geschossen.«
»Genau darüber möchten wir mit dir reden«, sagte Neuhaus. »Wir würden gerne von dir erfahren, was du gesehen hast.«
»Er hat das gesehen, was alle gesehen haben«, mischte sich der Vater ein. »Mein Name ist Joachim Gronau. Mann, das war ja vielleicht eine Sache. Wir wollten nur in Ruhe etwas essen. Seit der Scheidung sehen Kim und ich uns nicht mehr besonders oft. Alice, meine Exfrau, legt mir ständig Steine in den Weg. Wie ich bereits sagte, wollten wir beide etwas essen. Ich …«
Neuhaus winkte den Uniformierten herbei, der in der Nähe stehen geblieben war. »Nehmen Sie bitte Herrn Gronau mit in die Küche. Er hat eine wichtige Aussage zu machen.«
»Alles klar«, sagte der Uniformierte und führte den erstaunten Mann vom Tisch fort.
Neuhaus nickte dem Jungen zu. Der Kleine hatte rotblondes, kurz geschnittenes Haar und trug Jeans und ein blaues T-Shirt mit einem Löwen vorne drauf.
»Wie alt bist du, Kim?«
»Elf. Im nächsten Monat werde ich zwölf.«
»Dann bist du ja schon ein großer Junge. Nun erzähl uns doch mal, was du heute Abend gesehen hast.«
»Das war echt krass. Erst fuhr draußen auf der Straße der Lieferwagen vor. Er war weiß und hatte ein paar Beulen. Ich wette, der hat ein paar gute Crashs hinter sich. Dann stiegen drei Frauen aus und kamen ins Restaurant.«
»Konntest du den vierten Komplizen erkennen, der im Wagen sitzen geblieben war?«
»Nein, das ging nicht, die Scheiben waren getönt.«
Neuhaus und Lenz tauschten einen schnellen Blick aus. PECH GEHABT, wollten sie sagen.
»Was passierte, als die drei Frauen das Lokal betraten?«, fragte Lenz.
»Die sind direkt in die Mitte des Lokals gestürmt«, antwortete der Junge. »Eine hat sich vor den Mann gestellt, der entführt wurde. Die anderen beiden standen ein Stück entfernt. Die sahen echt komisch aus.«
»Inwiefern?«
Der Junge lächelte. »Naja, weil Pippi Langstrumpf doch normalerweise rote Haare hat. Die Frau mit der Pippi-Langstrumpf-Maske war aber blond. Lustig fand ich auch, dass Miss Piggy so dünn wie eine Bohnenstange war. Die hätte doch eigentlich dick sein müssen, oder nicht?«
»Eigentlich schon«, bestätigte Lenz. »Was hatte Miss Piggy denn für eine Haarfarbe?«
»Die war auch blond. Die Biene Maja hatte dunkle Haare. Außerdem war sie ziemlich dick. Eigentlich hätten Miss Piggy und die Biene Maja ihre Masken tauschen sollen. Dann hätte es besser gepasst.«
Lenz machte sich eifrig Notizen. »War Pippi Langstrumpf denn dick oder dünn?«
»Die war dünn. Und ziemlich groß. Sie war fast so groß wie der Mann, der entführt wurde.«
»Und wie groß war der?«
»Ziemlich groß. Bestimmt einen Kopf größer als mein Vater.«
Neuhaus schätzte die Größe von Kims Vater auf circa einen Meter siebzig. Demnach musste Pippi Langstrumpf mindestens einen Meter achtzig groß sein.
»O Mamma mia!«, riefen einige der Kellner plötzlich.
Neuhaus blickte zum Fernseher hinüber. In der Nachspielzeit der ersten Halbzeit hatte Real Madrid das vierte Tor geschossen. Jetzt herrschte absoluter Gleichstand.
Neuhaus warf Lenz einen triumphierenden Blick zu und lächelte. Dann wandte er sich wieder dem Jungen zu.
»Wie groß waren Miss Piggy und Biene Maja?«
»Die waren beide etwa so groß wie die Kellnerin da drüben.«
Der Junge zeigte auf eine hübsche, dunkelhaarige Kellnerin, die um die eins sechzig maß.
»Was hatten die Frauen für Kleidung an?«, fragte Lenz.
»Die war bei allen gleich. Alle hatten so einen blauen Overall an, wie ihn mein Vater trägt, wenn er in seiner Werkstatt arbeitet.«
»Dein Vater arbeitet in einer Werkstatt?«
»Ihm gehört eine Autowerkstatt. Er kümmert sich aber fast nur noch um den Bürokram. Die Arbeit machen andere für ihn.«
Neuhaus grinste. »Das ist bei uns genauso. Die Bosse sitzen im Büro, während wir arbeiten. Ist dir denn sonst noch etwas an den Frauen aufgefallen?«
Der Junge nickte stolz. »Die Biene Maja war total cool. Sie wollte, dass Pippi Langstrumpf dem Mann ins Bein schießt, weil der zuerst nicht mitgehen wollte. Ich hab ihr gesagt, dass das keine gute Idee ist, weil der Mann mit einem verletzten Bein nicht mehr hätte gehen können. Maja meinte dann, dass Pippi dem Mann in den Arm schießen soll. Und dann hat Maja vor ihm in den Boden geschossen. Daraufhin ist der Mann mitgegangen.«
»Und wie hat die blonde Frau reagiert, die mit dem Mann am Tisch saß?«
»Die war völlig fertig. Vorher ist sie mir auf den Geist gegangen, weil sie immer Schimpfworte durch das Lokal geschrien hat. Aber nachher hat sie mir fast ein wenig leidgetan. Sie hatte ziemliche Angst.«
Neuhaus nickte. »Ist dir sonst noch etwas aufgefallen?«
Der Junge überlegte. Schließlich schüttelte er den Kopf.
»Nein, das ist alles.«
»Du bist ein toller Beobachter«, lobte Lenz. »Wenn du erwachsen bist, solltest du unbedingt bei uns arbeiten.«
»Aber nur, wenn die Bezahlung stimmt.«
»Dann such dir lieber eine andere Arbeit«, lächelte Lenz und strich dem Jungen über den Kopf. Er mochte den Kleinen. Seine eigene Ehe war kinderlos geblieben. Wahrscheinlich war das einer der Gründe, warum Renate sich so zum Negativen verändert hatte.
Die Polizisten bedankten sich bei dem Jungen und ließen den Vater zurückholen. Neuhaus warf einen sehnsüchtigen Blick in Richtung Fernseher. Zur Halbzeit stand es vier zu null für Madrid. Er lächelte. Im Augenblick standen die Chancen gut.