Читать книгу Fünf Millionen Lösegeld - Thomas Kredelbach - Страница 11
Dienstag, 21.35 Uhr
ОглавлениеVerdammter, nichtsnutziger Idiot, dachte Norbert Becker wütend. Nichts als Ärger habe ich mit dir. Und jetzt lässt du dich auch noch entführen.
Mit langsamen Schritten bewegte sich der Pate von Köln auf das Lokal zu, das er vor zwei Jahren übernommen hatte. Dem Vorbesitzer, Luigi di Natale, hatte er einen guten Preis dafür geboten. Bedauerlicherweise hatte der Italiener abgelehnt. Jetzt lag er zwei Meter tief in der Erde begraben, irgendwo im Königsforst.
Wenn Norbert Becker etwas haben wollte, dann bekam er es auch. Nach dieser Maxime tätigte der Pate von Köln seine Geschäfte. Es war seine einzige Maxime.
Otto Paffrath hielt seinem Boss die Tür auf. Becker betrat das Lokal. Er war eine imposante Erscheinung. Fast ein Meter neunzig groß und über hundert Kilo schwer. Dunkles, an der Stirn bereits schütteres Haar, graue Schläfen und dunkle, wachsame Augen. Ein Mensch, der allein schon aufgrund seines Aussehens Respekt einflößte. Achtundfünfzig Jahre alt. Ehemaliger deutscher Meister im Schwergewicht, obgleich das lange her war. Seit drei Jahren verwitwet. Aus der Ehe stammte sein Sohn Frank, sein einziges Kind.
Paffrath folgte seinem Boss. Seit fünfzig Jahren kannten sie sich schon. Im selben Viertel waren sie aufgewachsen. Sie waren Freunde, doch die Rollen in dieser Freundschaft waren klar verteilt. Becker war Befehlsgeber, Paffrath Befehlsempfänger. Gleichzeitig war Paffrath Beckers Ratgeber, der einzige, auf den der Pate hörte.
Er war ein kleiner Mann mit Halbglatze, dunklen Augen und einer markant klingenden hohen Stimme. Studierter Jurist. Der Einzige im Viertel, der eine höhere Schule besucht hatte. Überdurchschnittlich intelligent, doch lange nicht so gerissen wie Becker, der gerade einmal einen Hauptschulabschluss besaß.
Ein pummeliger Italiener kam auf sie zu. Franco Caruso, der Oberkellner. Überschwänglich begrüßte er Becker und sprach ihm sein Mitgefühl aus.
»Was ist passiert?«, fragte Becker mit seiner rauen Stimme, während er sich im Lokal umsah. Bullen, wohin man nur blickte. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er hatte gehofft, dass er die Angelegenheit auf seine Weise regeln konnte. Das war jetzt nur noch bedingt möglich. Hatte man die Bullen erst einmal an der Hacke, schüttelte man sie nicht mehr so leicht ab.
Der Oberkellner lieferte Becker einen umfassenden Bericht.
»Was hältst du von der Sache?«, fragte Becker seinen Berater, nachdem Caruso geendet hatte.
Paffrath runzelte die Stirn. »Klingt nach Profis. Alles gut vorbereitet. Ich frage mich, woher die Entführerinnen wussten, dass Frank hier ist.«
»Das frage ich mich auch. Glaubst du, der Russe steckt dahinter?«
Paffrath überlegte. Becker meinte Oleg Gulakov, einen ehemaligen KGB-Offizier, der vor zehn Jahren als Spätaussiedler mit seiner Familie nach Deutschland gekommen war. Rasch war er zu einer Größe in Kölns Halbwelt aufgestiegen. Inzwischen machte er Becker dessen Position im Rauschgifthandel streitig. Gulakov war ehrgeizig und gefährlich. In letzter Zeit hatte es mehrere kleine Scharmützel gegeben. Drei Tote waren bisher zu beklagen, einer auf Beckers und zwei auf Gulakovs Seite.
»Ja, gut möglich«, sinnierte Paffrath. »Dem White Russian ist alles zuzutrauen.«
White Russian. Den Spitznamen hatte Gulakov in Anlehnung an sein silbergraues, fast weißes Haar verpasst bekommen.
»Wenn er es war, hat er sich damit sein eigenes Grab geschaufelt«, flüsterte Becker. »Dieser Drecksau hacke ich eigenhändig die Glieder ab und stopfe sie ihm in seinen verdammten Arsch.«
»Noch wissen wir nicht, ob er wirklich dahintersteckt. Lass uns die Sache ruhig angehen.«
Becker nickte. Ruhe. Natürlich. Das war das A und O in seiner Branche, der Schlüssel zum Erfolg. Nur so hatte er sich zwanzig Jahre lang an der Spitze halten können.
»Wer hat die Polizei gerufen?«, fragte er den Oberkellner.
»Das war ich«, gab Caruso nervös zu. »Erst wollte ich nur Sie anrufen, doch das Lokal war bis auf den letzten Platz besetzt. Es lief gut, bis zu dem Moment, als …«
Caruso schüttelte den Kopf. Seine Anspannung war in jeder seiner Bewegungen zu erkennen.
»Ich musste die Polizei verständigen. Die Gäste hätten sicher wenig Verständnis gezeigt, wenn ich es nicht getan hätte.«
Becker lächelte. »Du hast dich genau richtig verhalten, Franco. Du musstest die Polizei rufen.«
Caruso atmete erleichtert auf.
Becker wandte sich Paffrath zu. Wieder flüsterte er in sein Ohr.
»Warte ein paar Tage, dann entlässt du den Kerl. Ein paar unserer Leute sollen ihn sich vornehmen. Im Königsforst ist er gut aufgehoben. Da, wo auch der andere Itaker liegt.«
Paffrath nickte. Er wusste, was zu tun war.
»Was ist mit der Frau?«, fragte Becker mit einem Fingerzeig auf Rebecca Lange. »Ob sie in der Sache mit drinsteckt?«
»Das kann ich mir nicht vorstellen«, antwortete Paffrath. »Wir haben sie schon vor Wochen überprüft, als die Geschichte zwischen Frank und ihr ernst wurde. Sie ist sauber. Früher hat sie gemodelt. Inzwischen arbeitet sie als technische Zeichnerin. Sie hat keine nachweisbaren Kontakte zum White Russian oder zu sonst irgendeinem unserer Gegner.«
»Überprüf sie noch einmal. Wir dürfen in dieser Sache niemandem trauen.«
»Willst du mit ihr reden?«
Becker schüttelte den Kopf. »Ich wüsste nicht, wieso. Wenn Frank sie mir hätte vorstellen wollen, hätte er ausreichend Gelegenheit dazu gehabt.«
»Aber du weißt doch, wie er ist.«
»Ja, das weiß ich. Ein Schwachkopf ist er. Ein nichtsnutziger Trottel, der so blöd ist, sich entführen zu lassen. Von drei Tussis! Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen.«
»Du bist doch nur sauer, weil er nicht das getan hat, was du wolltest.«
Becker machte ein zorniges Gesicht. Paffrath wusste, dass er sich auf dünnem Eis bewegte. Das angespannte Verhältnis zwischen Norbert und Frank Becker war seit Langem ein Reizthema. Norbert Becker hatte große Pläne mit seinem Sohn gehabt. Irgendwann, so seine Hoffnung, sollte Frank die Leitung der Familiengeschäfte übernehmen. Frank hatte jedoch eigene Pläne. Er war nicht im Geringsten am Familiengeschäft interessiert. Mehr noch: Er lehnte alles, was sein Vater geschäftlich machte, kategorisch ab. Dabei war nicht jedes von Norbert Beckers Geschäften illegal. Im Gegenteil: Mehr als neunzig Prozent davon verliefen in ganz legalem Rahmen. Nur brachten sie nicht einmal den Bruchteil dessen ein, was die anderen Geschäftszweige abwarfen. Und im Geschäftsleben kam es nun einmal auf den Profit an, nicht auf die Legalität.
»Ich habe auch allen Grund, sauer auf ihn zu sein«, knurrte Becker.
Paffrath seufzte leise. Vermutlich mehr, um seinen Vater zu ärgern, denn aus innerer Überzeugung hatte Frank Becker Betriebswirtschaft studiert. Nach Beendigung seines Studiums hatte er bei einer Unternehmensberatung angeheuert, für die er auch heute noch tätig war.
»Das sehe ich ein wenig anders«, erwiderte Paffrath. »Dein Sohn ist Unternehmensberater. Dazu braucht man eine Menge Grips. Du solltest stolz auf ihn sein.«
Becker winkte mürrisch ab. »Er könnte sein eigenes Unternehmen führen, verdammt noch mal. Stattdessen hilft er anderen Firmen dabei, erfolgreich zu sein. Findest du das etwa in Ordnung?«
»Darum geht es nicht.«
»Um was geht es denn dann?«
»Es geht darum, dass Frank sein eigenes Leben führt. Das solltest du endlich akzeptieren.«
Becker rümpfte die Nase. »Mann, wir führen hier eine Diskussion, als seien wir verheiratet. Das ist doch idiotisch.«
Paffrath konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.
»Wir müssen herausfinden, woher die Entführerinnen wussten, dass Frank heute hier ist«, sagte Becker. »Irgendjemand muss ihnen einen Tipp gegeben haben. Setz den schnellen Eddie und Doppler darauf an.«
Paffrath zog die Augenbrauen hoch. »Bist du dir sicher, dass du Eddie dabeihaben willst?«
»Ja, er ist der Richtige. Wir brauchen jemanden, der im Notfall hart durchgreift.«
»Okay, wie du willst.«
»Sie sollen aber keinen Mist bauen«, fügte Becker hinzu.
Paffrath nickte. Keine unnötigen Leichenberge also.
Becker blickte zur anderen Seite des Speisesaals und verzog augenblicklich das Gesicht. Zwei Männer kamen auf ihn und Paffrath zu. Einer war groß und dürr, hatte schütteres blondes Haar und blaugraue Augen. Der andere war klein und untersetzt, hatte dunkles Haar und braune Augen. Ihre billigen Sportsakkos verrieten sie auf einen Kilometer Entfernung als Polizisten.
»Die haben mir gerade noch gefehlt«, seufzte Becker genervt.