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Die Religion der Steinzeit

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Die Forschungsergebnisse von Marija Gimbutas haben unseren Blick auf die Tatsache gelenkt, dass die Wurzeln aller heutigen Religionen, aller Götter und Riten, in der Steinzeit liegen. Denn in dieser Zeit begann der Mensch erstmals, Tote zu bestatten, Rituale durchzuführen und Magie zu üben. Eine Rekonstruktion des steinzeitlichen Weltbildes ist daher anthropologisch, religionsgeschichtlich und psychologisch von hohem Interesse.

Eine behutsame Rekonstruktion der steinzeitlichen Glaubenswelt unternimmt Ina Mahlstedt in ihrem Buch „Die religiöse Welt der Jungsteinzeit“ (2004 bei der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft erschienen); ihre Erkenntnisse sollen im Folgenden zusammengefasst werden.

Der Mensch der Alt- und Mittelsteinzeit war Jäger und Sammler, erst in der Jungsteinzeit erfolgt der Übergang vom Nomadenleben zur Sesshaftigkeit und zum Ackerbau. In Verbindung mit der Agrikultur wird die Beobachtung der Gestirne und die Bestimmung des Jahreszeitenzyklus immer wichtiger, was dazu führt, dass die ursprüngliche Verehrung von Ahnengeistern und Tiergeistern durch einen ausgeprägten Sonnen- und Gestirnkult ergänzt wird (Stonehenge, Planeten identifiziert mit Göttern).

Erde und Himmel bilden eine Polarität, wobei die Erde als weiblich, der Himmel als männlich gesehen wird. Die Erde ist ambivalent, einerseits die große Mutter, andererseits die große Verschlingerin:

Denn im zyklischen Vegetationskreislauf steht ihrem Leben gebenden Aspekt gleichwertig eine zum Tode führende Kraft gegenüber. Als Magna Mater war sie Mutter des Lebens und des Todes. Andere weibliche Gottheiten, wie sie heute noch in Indien als Anba, Durga, Kali oder Shakti verehrt werden, wurden als Personifikation der Ur-Energie verstanden, die das Leben rhythmisch entstehen und vergehen lässt. (Mahlstedt, S. 56).

Der Himmel verkörpert hingegen Ordnung und Zeugungskraft, sein Regen wird daher als Samen verstanden, der die Erdmutter schwängert und befruchtet. Der tägliche Sonnenuntergang sowie die kürzere Sonnenscheindauer im Winter werden als zyklischer Tod des Sonnengottes, als Unterweltsfahrt oder als Wechsel von Sommer- und Wintergott verstanden. Symboltier des männlichen Himmelsgottes ist hauptsächlich der Stier, seine Paarung mit der Erdgöttin wird alljährlich vom König, Stammesfürst, Clanchef und der Hohepriesterin (oder Königin) stellvertretend vollzogen; die Legitimität des männlichen Anführers bedarf anfangs der Bestätigung durch die Göttin und ihre Priesterinnen.

So bewegt sich das Leben in einem ewigen Kreislauf von Leben und Sterben; das Leben läuft auf den Tod zu, während sich im Tod schon wieder kommendes Leben ankündigt. Für den Menschen der Jungsteinzeit

war der Tod das Geheimnisvollste, weil nur er das Leben wiederkehren lassen konnte… Der Tod ist im Neolithikum die geheimnisvollste und mächtigste Kraft des Daseins. Er ist der geheimnisvollste Magier, da er den Tod in Leben zu verwandeln vermag. Es ist dieser Gedanke – nämlich die existentielle Bedeutung des Todes für die Erhaltung und Weitergabe des Lebens – der den Archäologen und Religionswissenschaftlern bislang entgangen ist… man hat sich nicht vorstellen können, dass man den Tod als schöpferische Kraft erfuhr. (62 - 63)

Ausdruck solcher Vorstellungen sind die zahlreichen Mythen, in denen die Entstehung der Welt aus der Tötung und Zerstückelung eines Ur-Wesens erklärt wird oder das Opfer eines jungen Lieblings der Göttin notwendig ist, um die Fruchtbarkeit der Erde zu sichern. So wird der Himmel etwa als steinerne Kuppel gedacht, die von einem Helden mit einem Hammer, einer Axt oder einem Vajra (Indra in Indien) zerschlagen wird. Der Stein erscheint geradezu als Manifestation von Schöpferkraft, was sich in zahllosen Steinkulten ausdrück, die auf der ganzen Erde verbreitet sind. Die Geburt des Mithras aus einem Stein ist ein später Widerhall solcher Vorstellungen.

Voraussetzung für neues Leben ist der Tod eines (anfänglich sicherlich freiwilligen) Opfers: die Zerteilung von Kornpuppen, deren Stücke über die Felder verstreut werden, sind ein schwacher Rest solcher ursprünglichen Menschenopfer. Der Mythos von Osiris und Seth spiegelt keinen Mord wieder, sondern ein Kultopfer, das Fruchtbarkeit erzeugt (aus Osiris’ Leib wachsen Pflanzen) – woraus übrigens auch folgt, dass Gott Seth in diesem Mythos nicht einfach nur der „Böse“ sein kann. „Die Zerstückelung eines Urzeitwesens und das daraus Hervorgehen von Kulturpflanzen und Tier ist ein weltweites Mythologem.“ (S. 72). Der Opfertod wird als Hochzeit mit dem Gott oder der Göttin gefeiert, das Opfer wird selbst vergöttlicht und als Bote zu den Göttern geschickt. Teilweise scheinen die Opfer auch lebendig begraben worden zu sein, was man noch aus einer Koranstelle herauslesen kann (Sure 81,7 - 10), die einen vorislamischen Brauch verurteilt.

Das Jenseits ist für den Menschen der Jungsteinzeit kein Ort des Schreckens und auch kein statischer „Himmel“, sondern ein Ort der Wandlung und Entstehung: „Die neolithische Jenseitswelt hatte überhaupt nichts Furchtbares. Es war eine geheimnisvolle, kraftvolle Landschaft, eine entlegene Gegend, in der Einsamkeit, Leere und Kargheit sichtbar wurden. In den Mythen ist sie oft durch Tore, Türen oder Mauern von der Lebenswelt der Menschen getrennt.“15 Beispiele sind die Insel Tirnanog oder das Gebirgsland Maschu im Gilgamesch-Epos. Dieses Jenseits konnte in schamanischen Jenseitsreisen rituell besucht werden, Kultorte und Gräber waren Zugangspforten zur Unterwelt (so noch bei Vergil im sechsten Gesang der Äneis).

Dieses Weltbild kreist um die Gestalt der Göttin, die als Erdgöttin die beiden scheinbar widersprüchlichen Aspekte von Fruchtbarkeit und Vernichtung verkörpert. Nun gibt es in der Steinzeit, wie wir aus den Grabungsfunden wissen, zwei Arten von Göttinnen: zum einen ausgesproche üppige, ausladende Göttinnen, die auf Sitzen thronen und von Löwen begleitet sind, zum anderen dürre, starre Gestalten, die aufrecht stehend die Arme vor der Brust verschränken. Gimbutas deutete letztere als Verkörperung des Mangels und der Angst vor Dürre, Tod usw. Mahlstedt widerspricht und deutet diese „starren Nackten“ als Ausdruck für die Kraft des schöpferischen Todes“16 , die vielmehr die Fähigkeit zur Regeneration verkörpern. Die beiden Göttinnen-Typen würden also die beiden Aspekte der Erd-Göttin verkörpern: in zyklischem Wechsel Mutter und Mörderin zu sein.

Hekate

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