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Kleinasiatische Sonnengöttinnen
ОглавлениеSonnengöttin von Arinna, meine Herrin, aller Länder Königin! Im Hatti-Lande gabst du dir den Namen Sonnengöttin von Arinna, in dem Lande aber, das du zu dem der Zeder machtest, gabst du dir den Namen Hepat!
Die hethitische Königin Puduhepa, um 1250 v. Chr.
Hierzu müssen wir uns etwas näher mit der kleinasiatischen Erdgöttin beschäftigen, die seit dem Neolithikum in Anatolien nachweisbar ist. Die ältesten Funde (Catal-Hüyük und Hacilar) stammen aus dem 7. Jahrtausend v. Z. und zeigen eine Göttin, die thronend, säugend, gebärend oder in sexueller Vereinigung mit einer männlichen Gottheit dargestellt ist. Ob wir diese Kulturen wirklich als „matriarchal“ oder „matrizentrisch“ bezeichnen können, mag zweifelhaft erscheinen, doch können wir sicherlich davon ausgehen, dass die Frauen in diesen frühen Gesellschaften eine relativ starke Stellung hatte und dass die Göttin in dieser Phase als die eine allumfassende Macht gesehen wurde, die Himmel und Erde, Ober- und Unterwelt umfasste, Leben gab und Leben nahm.
Diese machtvolle Erdgöttin, die zugleich auch „Herrin des Himmels“ (sumerisch: GAŠAN-AN-NA) ist, spaltet sich in verschiedene Hypostasen auf, die verschiedene Funktionen erfüllen. Aus dem „negativen Elementcharakter der Erde“9 (wie Haas sich ausdrückt) gehen ambivalente Todes- und Unterweltsgöttinnen wie Ereškigal, Allatum, Allani und Lelwani hervor. Während Allani durchaus jung und verführerisch sein kann, sind die greisenhaften Schicksalsgöttinnen, die bei den Hethitern dann Istušaya-Papaya heißen, unberechenbar und gefährlich. Auch die Großmuttergöttinnen Hannahanna und Am(m)am(m)a, die mit Schicksal und Geburt zu tun haben, sind bedrohlich. Sie werden in hethitischen Texten als DINGIR.MAH.mes („mächtige Göttinnen“) bezeichnet und sitzen wie die Nornen und Parzen am Ufer des Schwarzen Meeres, wo sie mit ihren Spinnröcken und Spindeln die Lebensjahre des Königs spinnen.10
Ab dem 4. Jahrtausend gelingt es den Männern, die Frauen immer stärker von sich abhängig zu machen, und parallel dazu die ersten großen Staaten aufzubauen. Neben die großen Göttinnen treten zunehmend männliche Sturm- und Himmelsgötter, die sich mit der Göttin in der „heiligen Hochzeit“ verbinden, und als deren menschliche Ebenbilder sich die Herrscher der neuen Großreiche sehen. Das Symboltier der Göttin ist der Löwe (Kybele, Ischtar, Atargatis, Hepat), das des Gottes ist der Stier. In einem langwierigen Prozess, der sich vom 4. bis zum 1. Jahrtausend v. Z. hinzieht, bildet sich dann die eigentliche patriarchale Gesellschaft heraus:
Obwohl die Herausbildung der archaischen Staaten (...) deutliche Veränderungen in den Machtbeziehungen zwischen Männern und zwischen Männern und Frauen mit sich brachte, gab es keinen Hinweis auf einen „Umsturz“. Die Periode der „Durchsetzung des Patriarchats“ war nicht „ein Ereignis“, sondern ein Prozess, der sich in einem Zeitraum von etwa 2500 Jahren, ungefähr von 3100 bis 600 v. Chr. vollzogen hat.11
Das zentrale Ritual in dieser Zeit ist die „heilige Hochzeit“. Sie beruht auf dem Glauben, dass die Fruchtbarkeit von Land, Vieh und Mensch abhängig sei von der Zelebrierung der sexuellen Kraft der Fruchtbarkeitsgöttin. Dabei vereinte sich die Göttin (z. B. Inanna in Uruk) mit dem Hohepriester, der den Gott repräsentierte, oder mit dem König. Die jährliche Wiederholung dieser mythischen Vereinigung war eine öffentliche Zeremonie, die für das Wohl der Gemeinschaft von größter Bedeutung war. In einigen Ritualen gingen der Hochzeit der Tod und die Auferstehung des Gottes (Dumuzi, Adonis, Attis) voraus:
Die Entthronung der mächtigen Göttinnen und ihre Ablösung durch einen dominanten männlichen Gott vollzieht sich in den meisten Gesellschaften des Vorderen Orients nach dem Errichten eines starken und imperialistischen Königtums. Zunehmend wird die Funktion der Kontrolle der Fruchtbarkeit, die zuvor ganz den Göttinnen oblag, dargestellt durch die symbolische oder tatsächliche Vermählung des männlichen Gottes oder Gottkönigs mit der Göttin oder ihrer Priesterin. Schließlich werden Sexualität und Fruchtbarkeit voneinander getrennt und durch das Erscheinen von entsprechenden Göttinnen für jede dieser Funktionen symbolisiert, wobei die Muttergöttin zur Gemahlin/Gefährtin des obersten männlichen Gottes wird.12
Als die indogermanischen Luwier, Palaer und Hethiter ab 2000 v. Z. nach Kleinasien einwanderten, fanden sie die einheimische bronzezeitliche Kultur der Hattier vor, die bereits eine recht hohe Kulturstufe erreicht hatte und eine Große Göttin unter verschiedenen Namen verehrte. Die Hethiter hingegen verehrten vor allem den Himmels- und Lichtgott Sius (von idg. *Dieus), der mit dem griechischen Zeus verwandt ist. Dieser Wettergott, der hurritisch Tessub (Teššob, „hoch, herrlich“) bzw. hethitisch Tarhunt hieß, sah sich nun mit der machtvollen hattischen Erd-, Unterwelts- und Sonnengöttin konfrontiert, die Namen wie Estan, Wurunsemu, Šawoška oder Hepat trug:
Ihr hattischer Name Wurunsemu enthält das hattische Wort /wur/ „Erde“; hurritisch heißt sie Allani, gebildet aus allai „Herrin“. In ihrer Eigenschaft als Unterweltsgöttin führt sie den noch ungedeuteten Namen Lelwani oder die sumerische Bezeichnung Ereškigal „Herrin der großen Erde“. Als Mutter- und Schicksalsgöttin heißt sie auch Hannahanna, eine Reduplikation von hann- „Großmutter“. Inara ist ihr hattischer Name, wenn man die Schutzgöttin des Hatti-Landes meint. Zumeist aber verehrt man sie unter dem Namen „Sonnengöttin von Arinna“. Arinna ist wie Nerik, Zippalanda oder Kastama eine alte hattische Kultstadt. In Beschwörungsritualen, aber auch gelegentlich sonst, ruft man sie als Sonnengöttin der Erde an. Sicher bezieht sich dieser Aspekt einer Sonnengöttin der Erde auf die Vorstellung der des Nachts in der Unterwelt weilenden Sonne, die des Morgens als „Sonnengottheit des Wassers“ von der Unterwelt, die tief unterhalb des Meeres gedacht ist, aus den Wassern emporsteigt. Nun ist die Sonne in der hattischen Religion nicht wie bei den Hethitern oder Babyloniern männlich, sondern weiblich. In einem althethitischen Text ist sie noch mit dem Attribut „Tochter“ versehen: „Und die Frau Erde und die Tochter Sonne“.13
Als Sonnengöttin trug sie den Namen Estan (später Arinna und Hepat) und war die Herrin des Landes, das sie dem König in ihrer Funktion als „Throngöttin“ übertrug. Die Legitimität des Königs hing von dieser Bestätigung ab. Nicht zufällig versuchten später illegitime Könige, die die Macht an sich gerissen hatten, die matrilineare Sukzession abzuschaffen. Die Stellung der Königin, die gleichzeitig Hohepriesterin war, blieb bis weit ins 2. Jahrtausend hinein sehr stark. Die späteren Könige übernahmen dann sogar den Titel „meine Sonnengottheit“ für sich selbst.14
In Kilikien entsteht um 1500 v. Z. das hurritische Königreich Kizzuwatna, das „Land der Zauberpriesterinnen“15, das seine Unabhängigkeit von den Hethitern lange behaupten kann. In ihm wird eine Göttertrias verehrt, die aus dem Gott Tessub, der Göttin Hepat und ihrem Sohn Sarruma besteht (ähnlich der Dreiheit Osiris, Isis, Horus). Hepat, die zunächst vor allem in Nordsyrien und Südanatolien verehrt wird, ist auch mit den Namensformen DHA-A-BA-DU (Ebla), hba-eni („Mutter Heba“, Lykien) und Hipta (orphisch als Mutter des Dionysos) bezeugt.16 Kizzuwatna ist ein „Sammelbecken religiöser und magischer Überlieferungen, die manchmal bis in die hellenistische Epoche weitergereicht worden sind“17. Die Macht der Frauen ist bis 1200 v. Chr., als das Hethiterreich im Ansturm der Seevölker zusammenbricht, in ganz Kleinasien politisch und religiös noch sehr stark. Immer wieder klagen hethitische Könige darüber, dass ihre Frauen oder weiblichen Verwandten mithilfe von „Zauberweibern“ und schwarzer Magie gegen sie intrigieren. So beschuldigt König Mursili II. (1345 - 1315) die alte Königin, sie habe seine Frau von der Hexe Mezulla töten lassen und trachte auch ihm selbst und seinen Kindern nach dem Leben. Offensichtlich handelt es sich dabei um einen Machtkampf zwischen dem König, der das Prinzip der männlichen Erbfolge durchsetzten will, und der Königin-Hohepriesterin, die ihre alte Macht verteidigt:
Hier zeigt sich noch deutlich die Macht der alten Königin, die ja höchste priesterliche Würden bekleidete und sich oftmals in innenpolitischer Opposition zum König befand. Dass sich hier einst vorhandene, schon von Hattusili I. unterdrückte politische Rechte Geltung zu verschaffen suchten, steht wohl außer Frage.18
Die hethitische Geschichte liefert also ein besonders gutes Beispiel für den Übergang von einem matrilinearen Königtum mit entsprechender Thronfolge zum patrilinearen Königtum, und wie sich dieser Vorgang in der Mythologie widerspiegelt. Gerda Lerner resümiert:
Die frühe Herrschaftsform bei den Hatti stützte sich auf ein System, demzufolge das Recht der Nachfolge bei der tawananna lag, der Schwester des Fürsten. Das Königshaus der Hatti praktizierte die Geschwisterehe, ähnlich den Regelungen im ägyptischen Königshaus. Ein männlicher Herrscher heiratete seine Schwester, die als tawananna eine Priesterin mit beträchtlicher wirtschaftlicher und politischer Macht war und zum Beispiel das Recht hatte, von den Städten Steuern einzunehmen. Ihr Sohn erbte das Recht auf Thronfolge – nicht weil sein Vater König war, sondern weil das Recht auf die Thronfolge über die tawananna weitergegeben wurde. Das Amt war erblich, so dass die Tochter der tawananna, die ihr Amt erbte, eine ebenso wichtige Machtposition erhielt wie ihr Bruder. Als später die Geschwisterehe verboten wurde, blieb die tawananna in ihrem Amt als Priesterin und behielt die Macht zur Regelung der Nachfolge.19
Dieses System wurde zuerst von König Hattuschili I. in der Mitte des 2. Jahrtausends v. Z. in Frage gestellt, als er seinen Enkel zum Erben ernannte, was diesen in Konflikt mit seiner Tante brachte. Außerdem schaffte er das Amt der tawananna ab, ernannte sich selbst zum Oberpriester und begann, nach eigenem Gutdünken königliche Prinzessinnen als Priesterinnen der Göttin einzusetzen – ganz nach dem Vorbild von Sumer, in dem ähnliches schon viel früher geschehen war. Hattuschilis Dekret konnte die matrilineare Sukzession jedoch nur vorübergehend unterbrechen. Auch der Versuch von Hattuschilis Schwiegersohn Telipinu, um 1500 v. Z. die männliche Thronfolge erneut durchzusetzen, verlief im Sande. Die matrilineare Tradition bewies ihre Stärke noch gut hundert Jahre später, als König Tuthalija mit seiner Schwester in Streit geriet, da er sie beschuldigte, ihm mit Hexerei nach dem Leben zu trachten. Der Familienstreit wurde durch einen Kompromiss beendet, in dem man sich darauf einigte, dass der Sohn des Königs den Thron bestieg, die Tochter des Königs aber wieder tawananna wurde und das Amt der Priesterin des Sonnengottes (!) übernahm. Das war das letzte Mal in der Geschichte der Hethiter, dass ein Geschwisterpaar sich die weltliche und geistliche Macht teilte. Erst Schuppiluliuma I., der Gründer des „Neuen Reichs“, konnte die patrilineare Erbfolge endgültig durchsetzen, indem er das Amt der tawananna per Dekret seiner Frau übertrug.20 Doch noch König Hattuschili III. hielt es um 1250 v. Z. für angebracht, seine Frau Puduhepa zur Mitregentin zu ernennen und seine Usurpation des Thrones durch die Gunst der Göttin Ischtar zu rechtfertigen.
Dieser politischen Veränderung entsprechen Veränderungen im Götterhimmel. Die hattischen Ureinwohner Kleinasiens hatten eine Sonnengöttin Eschtan und einen Sturmgott Taru verehrt. Die hethitischen Einwanderer hingegen verehrten an der Spitze ihres Pantheons einen Sonnengott (Sius, Sawel) und einen Sturm- und Wettergott (dieus, dyew). Die Hethiter verbanden beides miteinander, machten aus der Sonnengöttin einen männlichen Sonnengott namens Ischtanu, der fortan als „Vater“ und „König“ verehrt wurde. Neben ihm wird die Sonnengöttin Arinna als „Königin“ verehrt, die die Tradition der alten Erd- und Sonnengöttin Eschtan fortsetzt. Noch später wird die Göttin Arinna zu Hepat, die dem Sturmgott Tessub (Teššub), der den Sonnengott Tiwat (luwisch) oder Tiyat (palaisch) entthront hat, als Gemahlin beigegeben wird. Der Würzburger Altorientalist Daniel Schwemer fasst das Ergebnis dieses Prozesses wie folgt zusammen:
Die in der zentralanatolischen Stadt Arinna verehrte Sonnengöttin stand neben ihrem Gemahl, dem Wettergott, an der Spitze des hethitischen Reichspantheons. Ihr hethitischer Name war Istanu; dieser wiederum geht auf den Namen der hattischen Sonnengöttin Estanu zurück. Die Göttin gehörte also bereits zum Pantheon der vor den Hethitern in Zentralanatolien siedelnden Hattier. Die Hethiter unterschieden zwei Sonnengottgestalten: Istanu, die Sonnengöttin der Erde (bzw. Unterwelt), als Nachtgestalt des Gestirns, und den männlichen Sonnengott des Himmels als seine Taggestalt. Im Zuge der Aufnahme hurritisch geprägter nordsyrisch-südanatolischer Vorstellungen in die hethitische Theologie wurde die Sonnengöttin mit der nordsyrischen Hepat identifiziert. Diese steht (...) in der Hauptszene des Felsreliefs von Yazilikaya ihrem Gemahl, dem Wettergott, gegenüber. 21
Halten wir fest, dass es neben einem männlichen Sonnengott im kleinasiatischen Bereich eine „Sonnengöttin der Erde“ Istanu-Hepat gibt, die stark nächtlich-erdhafte Züge trägt und ursprünglich einen männlichen Sonnengott als Partner hat. Volkert Haas fasst zusammen: „In der von den Hethitern übernommenen, autochthonen hattischen Vorstellung ist die Sonne sowohl eine Göttin des Himmels als auch der Unterwelt (…) Die Sonnengöttin der Erde ist die Nachtsonne und unter diesem Aspekt die Herrin der Unterwelt.“22 Dieser chthonische Aspekt der Göttin verkörpert sich in hethitischer Zeit insbesondere in der hattischen Unterweltsgöttin Lelwani, die an der Spitze der im hešta-Haus verehrten unterweltlichen Göttergruppe steht. Typisch für ihren Kult ist u. a. die Verwendung von schwarzen Libationsgefäßen und die Opferung schwarzer Schafe, die anscheinend nicht erstochen, sondern mit einem speziellen Stein erschlagen wurden.23 Ihre Riten erinnern außerdem frappant an die Rituale, mit denen später bei den Griechen Hekate beschworen wird:
Will man sie in ihrem Aspekt als Unterweltsgöttin beschwören, so begibt man sich zu Höhlen oder man gräbt eine Grube, bringt blutige Opfer dar und spricht die Beschwörungen:
[Frühmorgens] begibt sich der Beschwörungspriester nach Nera-Lala und bringt dort dem Wettergott von Nerik ein Schaf als Blutopfer dar. Drei Schafe bringt er der Ereškigal – der Wurunsemu – und den uralten Göttern als Blutopfer dar. Man schlachtet die Schafe in eine Höhle hinab... Und der Beschwörungspriester ruft dreimal in die Höhle hinunter: ‚Herbei, herbei, Dämon der Erde, Dämon der Erde!’ Und dort spricht er fernerhin eine Beschwörung.
Sie öffnet den Unterweltsgöttern das „Tor der Unterwelt“, auf dass sie hervorkommen und das „Böse an Füßen und Händen fesseln“ und es „hinab in die Unterwelt schaffen“. Die Unterweltsgötter nehmen als Figürchen geformt an den Beschwörungshandlungen teil. Die Ritualhandlungen z.B. gegen Behexung werden als prozessuales Geschehen betrachtet: Kläger ist der Behexte, Beklagter der Hexer, Richter aber sind die Unterweltsgötter.24
Das Opfertier dient dabei als Substitut für den Behexten, wobei kein Zweifel besteht, dass in besonders schweren Fällen auch Menschen geopfert wurden, um die erzürnten Götter zu besänftigen.25 In den magischen Ritualen, in denen die Sonnengöttin häufiger erscheint als in anderen Ritualtexten, erscheint sie vor allem „in der Phase, in der es zunächst um die Beseitigung des Bösen, des Übels geht (bevor das Gute/Heile wieder aufgebaut wird)“26.
Wir werden später noch griechische Texte kennen lernen, in denen Hekate in einer Höhle lokalisiert wird, oder in denen das Ausheben einer Grube geschildert wird, in der ihr dann schwarze Schafe geopfert werden. Dass Opfertiere für die Manen und Götter der Unterwelt schwarz sein müssen, erwähnt bereits Homer (Ilias III, 104 - 105; Odyssee X und XI; vgl. auch Arnobius, Adv. Nat. VI, 20); und die vermittelnde Stellung der Hekate wird uns noch in den spätantiken Zaubertexten begegnen.
In diesem kleinasiatischen Umfeld, zwischen Syrien und Phrygien, müssen wir den Ursprung der Göttin Hekate suchen. Meiner Ansicht nach erklären sich viele rätselhafte Züge der Hekate, ihre Unheimlichkeit, ihre Rolle als Hexengöttin, ihre unabhängige Stellung im griechischen Pantheon aus ihrer ursprünglichen Rolle als machtvolle kleinasiatische Sonnen- und Erdgöttin. Hekate verkörpert einen Rest spezifisch weiblicher Macht und Magie, der sich die ganze Antike hindurch behaupten konnte.
Beziehungen zwischen Griechenland und Kleinasien bestanden bereits in mykenischer Zeit, wovon sich noch Spuren in den griechischen Sagen finden, nicht zuletzt in der Sage vom trojanischen Krieg. Dass sich hethitische und mykenische Kultur in der Bronzezeit an der Westküste Asiens überschnitten und durchdrangen, lassen die archäologischen Funde (z. B. in der Umgebung von Ephesos) erkennen. An die Griechen vermittelt wurde Hekate jedoch von dem rätselhaften Volk der Karer.