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Der Tempel in Lagina

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Das berühmteste Heiligtum der Hekate war Lagina in der Nähe von Stratonikeia.42 Dass der Tempel berühmt war und bei einem alljährlichen Fest viele Menschen anzog, berichtet der Geograph Strabon in seiner Erdbeschreibung (XIV, 2,25); in der Nähe befand sich der bereits erwähnte Tempel des Zeus Chrysaoreus. Lagina gehörte ab 189 v. Z. zum Herrschaftsgebiet von Rhodos, das mit Rom verbündet war; der Tempel wurde 40 v. Z. Von den Parthern geplündert und 27 v. Z. von Augustus renoviert. Der Tempel genoss Asylie, der entsprechende Senatsbeschluss aus dem Jahre 81 v. Z. wurde laut Tacitus (Annalen 3,62) von Cäsar und Augustus bestätigt.

Das heutige Turgut (früher Leyne) liegt 15 Kilometer nordwestlich von Yatağan in der türkischen Provinz Muğla. 8 Kilometer vor Turgut befindet sich ein riesiges Kohlekraftwerk, in dem die Kohlevorkommen, die in der Umgebung von Stratonikeia im Tagebau gewonnen werden, verheizt werden. Die heilige Straße nach Lagina wird heute nördlich des Stadttors von Stratonikeia durch Aufschüttungen versperrt, die durch den Kohleabbau verursacht wurden.

Das Tempelareal wurde erstmals 1891 - 93 ausgegraben, die derzeitigen Grabungen werden von Ahmet A. Tirpan geleitet. Das Gelände steigt nach Westen hin an, nach Osten hat man einen schönen Blick auf die Berge am Horizont. Das Heiligtum der Göttin bestand aus einem von dorischen Säulenhallen umgebenen Temenos mit einem um 27 v. Z. errichteten Propylon, welches ein Portal aus drei Monolithblöcken besitzt. An der Südseite des Bezirkes befinden sich Sitzstufen für Zuschauer der jährlichen Festspiele für die Göttin; in jüngster Zeit (2008) hat man auch im Nordwesten des Tempels Sitzstufen freigelegt. Der Tempel, ein Preudodipteros mit 8 x 11 korinthischen Säulen, stammt aus der 2. Hälfte des 2. Jhrs. v. Z. Er misst 21,50 auf 28,02 Meter. Die Cella des Tempels ist relativ klein, die Vorhalle (Pronaos) besitzt 2 eingestellte Säulen ionischer Ordnung. Der Tempel besitzt keinen Opistodomos (Raum hinter der Cella). Der Fries des Tempels mit Szenen der Hekate befindet sich heute im archäologischen Museum in Istanbul.

Der Fries zeigt die Göttin als Zentralgestalt eines kleinasiatischen Pantheons sowie als Geburtshelferin des Zeus. Der Westfries zeigt den Gigantenkampf und imitiert in vielen Einzelheiten den im 2. Jahrhundert v. Z. geschaffenen Pergamonaltar. Hekate ist hier eingestaltig als starre, stehende Gestalt dargestellt, wie sonst auch in der kleinasiatischen Tradition, und bildet den Mittelpunkt des Geschehens. Sie hält die Arme weit von sich gestreckt und hält eine Fackel in der rechten Hand. Im Zentrum des Nordfrieses reichen eine Amazone und ein Krieger sich die Hand zum Vertrag. Hekate, die eine Fackel und eine Schale in den Händen hält, macht eine Libation (Trankopfer) und verleiht dem Bündnis ihren Segen. Der Ostfries zeigt den Mythos der Zeusgeburt, wobei Hekate dem jungen Gott das Leben rettet, indem sie die Rolle der Rhea übernimmt und Zeus‘ Vater Kronos den Stein überreicht, den er anstelle seines Sohnes verschlingt. Hekate erscheint hier also in der Funktion der Kourotróphos, der Kinderschützerin. Der Südfries zeigt das karische Götterpaar Zeus und Hera mit vier Knaben; neben der sitzenden Hera steht Hekate, zu deren Füßen ein Hase kauert (!); zwischen dem thronenden Zeus und Hera steht Hermes, der einen Knaben am Kopf berührt. Hekate berüht das Kleinkind in Heras Armen am Kopf; diese Geste steht in auffälliger Entsprechung zur Segensgeste des Hermes. Beide Gottheiten sind hier wohl als kourotrophoi, Schützer des Nachwuchses, dargestellt. Rechts sind noch zwei karische Ortsnymphen und andere Götter erkennbar. Diese merkwürdige Zusammenstellung beruht sicherlich auf einer regionalen Überlieferung43. In Stratonikeia befand sich eine weitere Darstellung der stehenden Hekate, die ebenfalls in ziemlich starrer Haltung dargestellt war44.

Höhepunkt des Hekate-Kultes in Lagina war die jährliche Schlüsselprozession (kleidòs pompé), bei der ein Schlüssel und ein der Göttin geweihtes Gewand umhergetragen wurden. Der Schlüssel wurde meistens von Frauen getragen, es sind aber in den Inschriften auch einige Männer als Träger überliefert. Das Symbol des Schlüssels scheint jedoch stets mit der Vorstellung von Schicksal und Gerechtigkeit verbunden gewesen zu sein, denn kein Geringerer als Parmenides spricht von der „Schlüsselhalterin Gerechtigkeit“ (klêidoûchos Díkê), die mit der Ananke, der Notwendigkeit, identisch ist; diese bewacht das Tor, „wo sich die Pfade des Tages und der Nacht scheiden“, also den Ort, wo die Sonne untergeht.45 In der babylonisch-assyrischen Kultur wird jedoch des Öfteren davon gesprochen, dass ein Gott „das Schloss des reinen Himmels öffnet“46, wie es von Ischtar und Šamaš überliefert ist, im Falle von Hekate öffnet der Schlüssel aber sicher vor allem den Weg zur Unterwelt. Außerdem sind durch Inschriften regelmäßige Gastmähler und Geldausteilungen belegt, weißgekleidete Knaben zogen täglich zum Tempel und sangen zu Ehren der Göttin feierliche Hymnen47. „Welchen Platz die Mysterien einnahmen und worin sie bestanden, ist völlig unbekannt. Über die wahre Natur der Göttin gibt das Fest keinen Aufschluss; sie war sicher eine Karierin wie Zeus Panamaros und seine Gemahlin.“48 Eine Verbindung zu den kretischen Kureten und den Korybanten des Dionysos-Kultes stellt Strabon her, der davon berichtet, dass „einige die Kureten für Diener der Hekate und für dieselben mit den Korybanten“ halten (XIV, 3,20).

In Lagina fand man 198 Inschriften, die die Bedeutung des Kultortes bezeugen. Eine Inschrift stammt von einem Eunuchen, der Priester des Tempels war (Lagina 188/IStraton 544). Dass die Hekate-Priester aber keineswegs alle Eunuchen waren, wird z. B. durch die Inschrift Nr. 193 belegt, in der ein ungenannter Priester bezeugt, dass seine Frau und seine Tochter ebenfalls priesterliche Funktionen wahrnahmen. Die in ionischem Dialekt abgefasste, altertümelnde Inschrift ist schwer zu übersetzen, sie lautet:

Alles, was Kraft für die Armut beständig erlangte, sei dein Opfer, Göttin, du Erhabne. Auch meine Gattin habe ich zu deiner Priesterin gemacht, aus Asien, das eine reizende Art hat, Moschion, dazu noch Klodiane, ein reizendes Mädchen, das die Schlüssel mit ihren zarten Händen berührt, zur Schlüsselhüterin. Wieviel ich beim Mahl und Gelage geopfert, weiß zahlreich mein Zuhause zu bezeugen. Alles habe ich geopfert, wie es ärmliche Kraft mir gegeben, ja für dich und um dich, Dämon (oder: Göttin) fernzuhalten.49

Die Hekate-Priesterschaft war im Übrigen „die höchste Ehre, die den Mitgliedern des Priesteradels zuletzt nach der des Zeus Panamaros und des Zeus Chrysaor gewöhnlich nur einmal verliehen wurde“50 .

Ein weiteres Hekataion befand sich in Ephesus hinter dem Artemis-Tempel; dort befand sich laut Strabon (XIV, 1,23) eine Hekate-Statue des Thrason, von welcher der ältere Plinius behauptet, die Marmorstatue der Göttin habe einen so blendenden Schein von sich gegeben, dass die Fremdenführer die Besucher aufforderten, die Augen zu schützen (in cuius contemplatione admonent aeditui parcere oculis, tanta marmoris radiatio est, Nat. Hist. XXXVI, 32).

Das älteste archäologische Zeugnis der Hekate-Verehrung ist ein archaischer Rundaltar, der im Heiligtum des Apollon Delphinios zu Milet stand. Aus der Inschrift auf dem Stein geht nur hervor, dass drei Prytanen während ihrer Amtszeit den Altar stifteten, so dass „Hekate eine gewiss nicht unbedeutende Rolle im offiziellen Kult Milets gespielt haben dürfte“51. Die meisten Fundstücke lassen erkennen, dass Hekate (zusammen mit dem ithyphallischen Hermes oder Hermes Enodios, „Hermes Wegschützer“) im Kultus die Funktion einer Türhüterin und Entsühnerin zukam. So wird im Kultgesetz des Molpos, das um 100 v. Chr. aufgezeichnet wurde, festgelegt, dass bei der großen Prozession nach Didyma zwei gylloi (wahrscheinlich Steinwürfel) mitgeführt werden sollen, von denen der erste, bekränzt und mit ungemischtem Wein besprengt, παρ’ Έκάτην τήν πρόσθεν πυλέων, par’ Hekatên tên prosthen pyléôn, bei der Hekate vor den Toren, niedergelegt werden sollte.52 Dieser Brauch bedeutete wohl eine Entsühnung der Schwelle, die Unheil abwehren sollte, möglicherweise ist das Besprengen mit Wein Ersatz für ein Blutopfer in früherer Zeit. Ein ausdrücklicher Bezug zur Unterwelt ist nicht direkt zu erkennen, aber durchaus wahrscheinlich, da Hekate später ausschließlich mit chthonischen Göttinnen verschmolz: „Es ist unbedingt davon auszugehen, dass bereits die kleinasiatische Hekate in irgendeiner Weise unterweltliche Züge trug.“53

Eine Inschrift auf einer Asklepios-Säule aus Hassanlar (in Lydien) erwähnt Hekate und Men, den kleinasiatischen Mondgott, und weist darauf hin, dass Hekate auch eine Heilgöttin gewesen sein muss: Als Erfinderin der Gifte kann Hekate mit ihnen auch heilen statt schaden (auf die Dosis kommt es an). Dass Aristaios, der Vater des legendären Götterarztes Paion (Ilias 5, 401 u. 900), in einem Scholion zu Apollonios von Rhodos (3, 467) auch zum Vater der Hekate gemacht wird, bestätigt dies. Auf dem berühmten Pergamon-Fries kämpft Hekate an der Seite der olympischen Götter gegen die Titanen.

In Thrakien assimilierte Hekate jedenfalls Züge der Jagdgöttin Bendis, während sie in Thessalien mit der Wegegöttin Enodia und der wilden Brimo („die Wutschnaubende“) von Pherai verschmolz. Enodia wird auf Münzen aus Pherai als fackeltragende Reiterin dargestellt, die zur Nachtzeit erscheint und einen Bezug zur Unterwelt hat, da auch das Pferd als Todestier galt und Tote in Thessalien als Reiter dargestellt wurden (s. LIMC II, 1, 687 ff.). Anführerin der „wilden Jagd“ bleibt Hekate dann auch in der Folgezeit. In dieser Hinsicht ähnelt sie der deutschen Holle bzw. Percht.

In Antiochien soll Kaiser Diokletian (284 - 305) neben einem Apollo-Tempel einen unterirdischen Tempel der Hekate gebaut haben, der 365 Stufen hatte, wie der byzantinische Historiker Johannes Malalas berichtet (XII,38).54 Sollten die 365 Stufen darauf hindeuten, dass Hekate auch Herrin der Zeit ist? Jedenfalls wird sie in den spätantiken Zaubertexten auch als akroubórê bezeichnet, d.h. als die, die ihre Schwanzspitze frisst, was auf das in sich selbst zurücklaufende Jahr bezogen ist.55

Der Name der Göttin ist bis heute rätselhaft und allem Anschein nach nichtgriechischen Ursprungs, so dass die etymologischen Erklärungen der Alten wohl kaum seine ursprüngliche Bedeutung treffen. Auffällig ist hierbei, dass ihr Name als weibliches Gegenstück zu dem Apollo-Namen „Hekatos“ gedeutet werden kann, was „Strahlender“ oder „Fernwirkender“ (´εκάς = fern) heißen soll, wie schon der italienische Humanist Lilius Gyraldus 1548 mutmaßt: Hecate primum sic nuncupata, quod ´εκάς hekas – id est longe – radios iaciat.56 Einer anderen Erklärung zufolge leitet sich beides aus „wekat“ (indogermanisch. *Veknt-) „wollend“ (griech. ´εκών), ab. Ein Holz, an das Verbrecher zur Auspeitschung gebunden wurden, hieß nach Hesychios ebenfalls „΄εκάτη“. Am wahrscheinlichsten ist, Hekate als die „Strahlende, Fernwirkende“ zu übersetzen – was wieder an einen Ursprung als Sonnengöttin denken lässt. Die Vorstellung einer in die Ferne reichenden Wirkung begünstigte sicherlich die Gleichsetzung mit der Pfeile verschießenden Jägerin Artemis-Diana, mit der Hekate in der Spätantike oft verschmilzt. Die „Pfeile“, die die Götter verschießen, sind jedoch nicht nur Lichtstrahlen, sondern können auch Krankheiten und Schmerzen sein, wie man im ersten Gesang der „Ilias“ und bei den Tragikern sehen kann.57 In Ägypten wurde Hekate mit dem ägyptischen Begriff „heku“ in Verbindung gebracht, der soviel wie „Magie“ oder „magische Kraft“ bedeutet – nicht ganz unpassend, wie man zugeben muss (es gab sogar einen Frosch-Gott Hekt – bei den Griechen hat Hekate, soweit ich sehe, aber nie etwas mit Fröschen zu tun). Walkers Theorie, Hekate habe ihren Ursprung „in der ägyptischen Göttin der Geburtshelferinnen Heqit, Heket oder Hekat, die sich wiederum aus der heq oder Stammesmutter des vordynastischen Ägyptens entwickelte“58, entbehrt allerdings jeder Grundlage.

Bedenkenswerter sind die Überlegungen, die Alfred Laumonier anstellt. Als ursprüngliche karische Namensform der Hekate rekonstruiert er *Akta, was als Namensbestandteil auch in Aktaion, Aktis und Hektor enthalten sein soll. Hektor sei eigentlich Hekator, und auch Frauennamen wie Hekabe, Hekamede, Hekaerge wiesen einen Bezug zu unserer Göttin auf. Da der phrygische Name „Hek(a)tor“ einer Notiz bei Hesychius zufolge wörtlich „der Weise“ bedeutet habe, hält es Laumonier für möglich, dass auch Hekate wörtlich „die Weise“ sei – eine durchaus ansprechende These.

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