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Das Material: die antike Literatur

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Für eine ernsthafte Beschäftigung mit Hekate ist es notwendig, sich zunächst mit den antiken Quellentexten zu beschäftigen. Hierzu stellt uns die Altertumswissenschaft eine Menge an Material zur Verfügung, das durch allerlei Nachschlagewerke hervorragend erschlossen ist (und von der gängigen esoterischen Literatur aber offensichtlich weitgehend ignoriert wird). Günstig ist auch, dass sich in den letzten Jahrzehnten in der Altertumswissenschaft ein verstärktes Interesse für die magischen und irrationalen Aspekte der antiken Religion bemerkbar macht, „auch unter dem Einfluß eines gesamtkulturellen Interesses an Esoterik, das sich am aufklärungsmüden Ende des (20.) Jahrhunderts breitgemacht hat“18 . Karl Preisendanz, der erste Herausgeber der antiken Zauberpapyri, berichtet hingegen davon, wie sein Lehrer Albert Dieterich 1905 in Heidelberg ein Seminar über antike Magie im Vorlesungsverzeichnis noch mit einem harmlosen Titel tarnen musste, um nicht „unseriös“ zu erscheinen. Der starre Gegensatz zwischen dem „wüsten Aberglauben der Zauberpapyri“ (Wilamowitz-Moellendorf) und der „echten“ Religion der olympischen Götter, den J. G. Frazer („The Golden Bough“) Ende des 19. Jahrhunderts zum Dogma erhoben hatte, spielt heute keine Rolle mehr. Inzwischen hat die Altertumswissenschaft selbstkritisch aufgearbeit, wie stark solche Anschauungen vom Fortschrittsglauben des 19. Jahrhunderts (der Magie als unvollkommene Vorstufe von monotheistischer Religion und Wissenschaft sah) und von der christlichen Prägung der Forscher abhingen. Die Debatte über die Funktion und den Stellenwert von Magie, die im 20. Jahrhundert in der Ethnologie geführt wurde (Malinowski, Tylor, Mauss, Evans-Pritchard), brachte auch die Altertumswissenschaftler seit den sechziger Jahren dazu, zunehmend neue Wege zu gehen. Forscher wie E. R. Dodds, Walter Burkert, Volkert Haas, Georg Luck, Fritz Graf und Sarah Johnston haben seit den sechziger Jahren das Feld der antiken Mythologie, Religion und Magie neu vermessen. Da Hekate nun einmal die Göttin der Hexen und Zauberer ist, rückt auch sie zunehmend in den Mittelpunkt des Interesses. Auf der anderen Seite hat die feministische Forschung ein ganz neues Interesse an den Göttinnen erzeugt und einige interessante Erkenntnisse gewonnen, auch wenn Forscherinnen wie Marija Gimbutas oder Gerda Lerner im akademischen Milieu nach wie vor ausgegrenzt werden.

Mein Interesse an dem Thema ist aber kein rein wissenschaftliches. Neben altertumswissenschaftlicher Fachliteratur und antiken Quellen zitiere ich daher auch feministische Literatur „unseriöse“ Autoren aus dem Schattenreich des westlichen Okkultismus (etwa den vielgeschmähten Aleister Crowley), soweit ich das Gefühl habe, dass sie Aspekte beleuchten, die bloße Philologie nicht abdecken kann. Außerdem versucht der zweite Teil dieser Studie, die Gegenwärtigkeit der Göttin aufzuzeigen.

Ich konnte auch nicht davon absehen, dass ich zehn Jahre in einer tibetisch-buddhistischen Tradition verbracht habe und mit dem buddhistischen Tantrismus in Berührung kam, wobei sich mir immer mehr die Frage stellte, ob es das, was im Osten „Tantra“ heißt, nicht auch einmal im Westen gegeben hat und heute wieder geben könnte. Die verborgenen, lange verschüttet gebliebenen Spuren des westlichen Tantrismus ein Stück weit freizulegen und zu der überfälligen Renaissance des Heidentums in Europa meinen bescheidenen Beitrag zu leisten, ist deswegen ebenfalls Ziel dieser Arbeit.

Es steht folglich zu befürchten, dass mein Text heillos zwischen Altertumswissenschaft, Buddhismus und Okkultismus, Tantra, Magie und Altertumswissenschaft oszilliert, und ich selber zwischen allen Stühlen sitze. Aber wer sich im Dämmerlicht des Übergangs auf der Kreuzung zwischen den Wegen herumtreibt, hat vielleicht eine Chance, der Enodia, der Wegegöttin, zu begegnen.

1 Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele, 1932, S. 1316

2 Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher, Bd. 3/II, S. 1317.

3 Herbert J. Rose: Griechische Mythologie. Ein Handbuch. München: C. H. Beck 2003, S. 1 - 12.

4 C. G. Jung: Gesammelte Werke, Band XIII, Olten 1978, S. 20 f.

5 Jung: GW XIII, S. 43.

6 Jung, GW XIII, S. 44.

7 Jung, GW XIII, S. 45.

8 Jung, GW XIII, S. 48.

9 C. G. Jung: Über die Energetik der Seele (1928). In: GW, Bd. 8, S. 60.

10 Jutta Voss: Das Schwarzmond-Tabu. Stuttgart 1990, S. 59

11 Ralph Metzner: Der Brunnen der Erinnerung. Von den mythologischen Wurzeln unserer Kultur. Braunschweig 1994, S. 166 - 168.

12 Eine eindrückliche Vision der Todesgöttin findet sich auch in Regine Leisners Roman „Unter dem Rabenmond“ (2008).

13 Dank an Regine Leisner für die Zusammenstellung der Korrespondenzen. Auch Erich Neumann geht in seinem klassischen Werk „Die große Mutter“ von vier Aspekten der Göttin aus. In der neueren feministisch-esoterischen Literatur ist in letzter Zeit ebenfalls eine gewisse Tendenz spürbar, von vier Gesichtern der Göttin zu sprechen, vgl. etwa Elizabeth Davis/Carol Leonard: Im Kreis des Lebens, Engerda 2005.

14 Marija Gimbutas: Die Sprache der Göttin. 4. Aufl., Frankfurt 1998, S. 198.

15 Mahlstedt, S. 77.

16 Mahlstedt, S. 92.

17 Alfred Laumonier: Les cultes indigènes en Carie. Paris 1958, S. 414 f. Meine Übersetzung.

18 Fritz Graf: Gottesnähe und Schadenszauber. München 1996, S. 15.

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