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Die regionalen Eliten und der Konkurrent Habsburg
ОглавлениеNicht nur im Alpenraum waren Verwaltungsämter, etwa Vogteien für geistliche und weltliche Herren, traditionellerweise Aufgabe und Machtbasis des regionalen (Klein-)Adels. Genau die Verfügungsgewalt über solche Vogteirechte, also die Wahrung der öffentlichen Ordnung im Namen (und formal im Auftrag) des Reiches, war auch für die Habsburger der Schlüssel, wenn sie ihre Macht zwischen Rhein und Alpen weiter ausdehnen wollten. In den Jahrzehnten um 1300 half ihnen die Macht- und Ehrenstellung als deutsche Könige dabei. Diese Ansätze zu einer habsburgischen Landesherrschaft, wie sie in Österreich tatsächlich entstehen sollte, gefährdeten die Autonomie der regionalen Eliten. Dagegen wehrten sich in der Innerschweiz die wenigen kleinadligen nobiles zusammen mit Grossbauern. Sie glaubten sich dazu durch Urkunden legitimiert, die sogenannten Königsbriefe, die ihnen die Reichsfreiheit zusicherten. Der früheste noch erhaltene Königsbrief stammte von Friedrich II. aus dem Jahr 1240 und belohnte die Schwyzer wohl für ihre Kriegsdienste in Italien: Der Kaiser nahm sie unter seinen unmittelbaren Schutz. Die Urner bekamen noch früher – 1231 – eine allerdings nur als späte Kopie erhaltene Beurkundung ihrer Reichsfreiheit. Auffallend häufig wurden solche Privilegien erst im frühen 14. Jahrhundert erlassen. Damit begünstigte im Jahr 1309 König Heinrich VII. weniger die Einwohner von Uri, Schwyz und Unterwalden selbst als ihre Führungsgruppen oder gar einen einzelnen Adligen, nämlich Werner von Homberg. Ihn setzte der König jedenfalls gleichzeitig als Vogt für die nun in einer Reichsvogtei zusammengefassten und erstmals so benannten «Waldstette» ein, und von ihm erhoffte sich Heinrich VII. möglicherweise Söldner für den Italienzug. Er stammte, wie später sein Enkel Karl IV., aus dem Geschlecht der Luxemburger, von dem die Orte fortan ebenso Privilegien erwarten durften wie von seinem Nachfolger Ludwig dem Bayern. In der Regel stärkten diese Kaiser damit die Gegenspieler ihrer habsburgischen Konkurrenten. So beeinflusste nach dem frühen Tod Heinrichs VII. in Italien der Thronfolgestreit zwischen dem Wittelsbacher Ludwig dem Bayern und dem Habsburger Friedrich dem Schönen die Innerschweizer Situation. Die Waldstätte unterstützten im Unterschied zu den meisten anderen süddeutschen Gebieten den Bayern, der sie wohl zum Dank dafür privilegierte. Seine Königsbriefe (1315/16, ganz unbestritten 1327/28) waren insofern neuartig, als sie sich an die drei Orte zusammen wandten. Was vorher eine Reichsvogtei unter einem königlichen Amtmann gewesen war, wurde nun «zum verfassungsmässig fester gefügten, von aussen als selbstständiger Verhandlungspartner akzeptierten Dreiländergebilde», zu einer «Reichsvogtei ohne Reichsvogt» (Roger Sablonier).
Es war also kein Kampf gegen den «bösen Adel», der von innen heraus verfassungsmässige Gemeinsamkeiten der drei Alpentalschaften geschaffen hätte, sondern die obrigkeitliche Zusammenfassung als Reichsvogtei. Die Konfliktlinie schied um 1300 nicht freiheitsdurstige Kommunen und tyrannische, adlige Vögte, wie sie die Befreiungssagen später erdichten sollten. Die ländlichen Potentaten in der Innerschweiz und in ihrem Vorraum fühlten sich bedroht, auch wenn die Habsburger kaum ernsthaft nach Süden drängten. Sie besassen in der Innerschweiz wenig Grundeigentum und Gefolgsleute, bloss einige Vogteirechte über grosse Klöster wie Einsiedeln, dessen Besitzungen aber vorwiegend im Mittelland lagen. Ein verhaltenes Interesse am Innerschweizer Raum zeigte sich höchstens darin, dass die Habsburger 1291 von der verschuldeten elsässischen Abtei Murbach die Stadtherrschaft über Luzern erwarben. Auch Sursee, Sempach und weitere mittelländische Kommunen bildeten sich unter habsburgischer Herrschaft, die ihre wirtschaftliche Entwicklung mit Privilegien förderte. Diese Städte konnten als Basis für eine Landesherrschaft im Mittelland dienen, zusammen mit den habsburgischen Stammlanden beim Zusammenfluss von Reuss und Aare sowie den Besitzungen zwischen Bodensee, Walensee und Hallwilersee, die Rudolf von Habsburg 1273 von den Kyburgern geerbt hatte.