Читать книгу Geschichte der Schweiz - Thomas Maissen - Страница 23
Pfahlburger und Ausburger
ОглавлениеDiese Abkommen trugen dazu bei, dass Habsburg in der zweiten Jahrhunderthälfte mit einigem Erfolg eine umfassende Territorialherrschaft im östlichen Alpenraum anstrebte und die Grafschaft Tirol sowie die Landgrafschaft Montfort-Feldkirch erwarb, später auch Sargans. Mit der Teilung des Hausbesitzes im Jahr 1373 fielen diese Gebiete an Herzog Leopold III., der mit den Vorlanden auch für die schweizerischen Gebiete zuständig war. Nachdem sich das stark adlig geprägte Freiburg im Breisgau 1368 Habsburg unterstellt hatte, richtete Leopold den Blick weiter auf Basel, das sich als vorderösterreichische Residenz anbot. Dort verlor der Fürstbischof schnell an Einfluss, denn in seinem wirtschaftlich wenig ergiebigen Herrschaftsgebiet, das im Jura bis zum Bielersee reichte, sah er sich drei Arten von Konkurrenten ausgesetzt: Habsburg und der regionale Adel; die südlichen Kommunen wie Bern, Biel und Solothurn; und die aufstrebenden Städte im eigenen Territorium, namentlich Basel, dessen Bürger dem verschuldeten Fürstbischof stadtherrliche Rechte und dann auch ländliche Besitzungen – das Oberbaselbiet – durch Pfand oder Kauf abnahmen.
Der Bischof war nicht der einzige, der sich im Gebiet der späteren Schweiz mit den zwei möglichen Modellen herrschaftlicher Durchdringung konfrontiert sah: landesfürstliche oder städtische Territorienbildung. Die Habsburger, zumeist unterstützt vom verbleibenden Adel, versuchten vom Land her, die Städte als Verwaltungszentren in ihren Herrschaftsbereich einzubauen. Die Städte gingen den umgekehrten Weg und banden die Landbewohner in ihre Kommune ein. Neben Pfand oder Kauf war dabei für die Städte im Mittelland vor allem das Burgrecht wichtig. Einerseits betraf dies die «Pfahlburger» (falsche Bürger, cives falsi), vormals hörige Bauern, die nach dem Prinzip «Stadtluft macht frei» aufgenommen und emanzipiert wurden. Andererseits handelte es sich um Ausbürger oder Ausburger (cives non residentes), die in der Regel ausserhalb der Stadt wohnten. Das waren freie, herrschaftsfähige Menschen, zumeist Adlige, aber auch Kollektive: Klöster, Dorfgemeinden, andere Städte. Mit diesen wurde ein Burgrecht geschlossen, wonach die sogenannt «Verburgrechteten» den Bürgereid leisteten und damit an den Privilegien der Stadt teilhatten: Marktzugang, militärischer Schutz, gerichtliche Autonomie. Für den geschwächten Adel war das Burgrecht ein Mittel, seinen Status zu verteidigen, indem er sich mit den wirtschaftlich erfolgreicheren Bürgern verbündete. Bauern konnten als Pfahlburger gerade umgekehrt die grundherrlichen – also adligen – Forderungen nach Abgaben loswerden. Für die Stadt lohnte sich das Burgrecht wiederum, indem sie dank dem Adel und seinen Hörigen auf Krieger und Nahrungsmittel Zugriff hatte, im Gebiet der Verburgrechteten als Schiedsrichter auftreten und gewisse Steuern erheben konnte: neben dem Einkaufsgeld für das Bürgerrecht vor allem das «Udel», eine Kaution und damit ein Ersatz für Hausbesitz innerhalb der Stadt.
Durch solche Praktiken griffen die Städte über ihre Mauern hinaus und begannen ein durch städtische Freiräume geprägtes Netzwerk von Burgrechten aufzubauen, das die adlige Basis – Grundherrschaft und Vogteirechte – der fürstlichen Territorialherrschaft in Frage stellte. Das erklärt, weshalb die Kurfürsten in der Goldenen Bulle von 1356 das Pfahlburgerwesen verbieten liessen. Das liess sich aber kaum durchsetzen, schon gar nicht in der Eidgenossenschaft. Hier betrieb sogar die noch habsburgische Landstadt Luzern eine Ausbürgerpolitik, die allerdings weniger auf den Adel als auf ländliche Kommunen ausgerichtet war, so auf das Entlebuch und die nahe gelegene Kleinstadt Sempach. Die Sempacher lagen mit ihren österreichischen Pfandherren im Streit um Steuern und Autonomierechte. Rückhalt fanden sie in Luzern, dessen (wirtschafts-)politische Spielräume durch die habsburgische Herrschaftsintensivierung ebenfalls eingeengt wurden. Obwohl sie selbstverständlich in Sempach selbst wohnhaft blieben, wurden die Sempacher Anfang 1386 «ingesessene Burger» von Luzern. Ähnlich nahm Luzern landsässige österreichische Eigenleute, also unfreie Bauern, in mehreren Masseneinbürgerungen auf, zuletzt 1385/86. Gleichzeitig eroberte Luzern die habsburgischen Besitzungen Rothenburg und Wolhusen und vertrieb die Vögte.