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Zenden und Landsgemeinden

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Mit der räumlichen Nähe nahmen auch die Reibungsflächen zwischen den Orten zu, zumal wenn ihre Interessen jenseits der eigenen Grenzen aufeinanderstiessen, wie das, zeitgleich mit der Eroberung des Aargaus, im Walliser Raron-Handel der Fall war. Bern unterstützte den Freiherren von Raron, der die Landeshoheit des Fürstbischofs von Sitten in eine erbliche seiner Familie umwandeln wollte. Luzern, Uri und Unterwalden standen dagegen den Oberwalliser Gemeinden bei. Diese sieben weitgehend autonomen Zenden (Talschaften) mit einem jeweils jährlich gewählten Meier oder Kastlan (Vogt) an der Spitze verteidigten 1420 erfolgreich die Mitspracherechte des Landrats, gleichsam die Walliser Form einer regelmässigen Tagsatzung. Anders als in der Eidgenossenschaft hatte der Landrat aber einerseits im Fürstbischof einen monarchischen Gegenpart und wählte andererseits selbst auch alle zwei Jahre einen Exekutivbeamten, den Landeshauptmann. Mit ihm und der Mitsprache bei Ämtervergaben und politischen Entscheidungen hielten die Zenden nicht nur den Fürstbischof in Schach, sondern bildeten auch einen dichteren politischen Verband als die Eidgenossenschaft.

Wie in Appenzell und Zug zeigte sich im Wallis, dass bei den innereidgenössischen Spannungen neben geografischen Einflusszonen auch politische Ordnungsmodelle umstritten waren. Den stark durch Patrizier geprägten Städten standen in Uri, Schwyz, Unterwalden, Glarus und Appenzell, auch im Amt Zug sowie in Graubünden und im Wallis ländliche Kommunen gegenüber, deren Bürger ab ihrem 14. oder 16. Altersjahr an der Landsgemeinde vergleichsweise demokratische Mitsprache ausübten, auch wenn sie in Clans mit familiären oder wirtschaftlichen Abhängigkeiten eingebunden blieben und die Vorstellung individueller Bürgerrechte fehlte. Die Landsgemeinden waren ursprünglich Gerichtstage, an denen aber seit dem 14. Jahrhundert anstelle eines obrigkeitlichen Vogts die Vertreter der Täler unter einem Landammann zu Gericht sassen. Das konnte später an eigene Zivil- und Strafgerichte delegiert werden, doch übte etwa im Kanton Nidwalden die Landsgemeinde bis 1850 die hohe Gerichtsbarkeit aus: Die Bürger entschieden also gemeinsam über schwere Verbrechen, gegebenenfalls verhängten sie auch die Todesstrafe. Bei fehlender Gewaltentrennung kamen der Landsgemeinde auch alle anderen politischen Kompetenzen zu: wichtige Wahlen (Landesämter, oberste Gerichte, Gesandte, zahlreiche Beamte), der Erlass neuer Gesetze, die Genehmigung von Entscheiden der eidgenössischen Tagsatzungen. Dazu kamen zahlreiche Verwaltungsgeschäfte: Aussenbeziehungen, Reisläuferei, Steuern und Finanzen, Landrechtserteilungen, die Nutzung der Allmend.

Die Landsgemeinden wurden mit strengem Zeremoniell vollzogen und brachten zum Ausdruck, wem in den Landorten «der höchste Gewalt» zukam: den waffenfähigen, vollberechtigten Landleuten. Diese folgten aber in der Regel den zeitlich und ökonomisch abkömmlichen Häuptern aus den einflussreichen und verdienten Geschlechtern. Doch anders als ein Stadtpatrizier und erst recht ein Fürst wussten die Potentaten nicht nur um die Gefahr, sondern auch um die Legitimität einer Revolte oder eines Strafgerichts (der Bündner «Fähnlilupf», die Walliser «Mazze»), wenn sie den Bogen überspannen sollten: Die Klienten, die von ihren Patronen nicht durch Standesschranken geschieden waren, wollten nicht Steuern bezahlen und feste Entscheidungshierarchien errichten, sondern an Privilegien und Pensionen teilhaben. Insofern ist es kein Zufall, dass «Bauern» – oder vielmehr nichtadlige Landleute – sich sonst nirgends in Europa auf Dauer als Herrschaftsträger etablieren konnten: Wer Entscheidungen immer wieder relativ aufwendig aushandeln musste, konnte nur mühsam staatliche, also auf Gehorsam ausgerichtete Strukturen aufbauen und kaum länger Krieg führen und das Territorium ausweiten.

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