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Kriegstüchtigkeit und Beutegier

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Wie konnten die schweizerischen Milizsoldaten die ritterlichen burgundischen Berufskrieger besiegen, ja europaweit für einige Jahrzehnte in den Ruf der Unbesiegbarkeit gelangen? Die Voraussetzungen waren nicht ideal: Die einzelnen Orte führten ihre Truppen mit oft unterschiedlichen strategischen Zielen in den Kampf. Die Disziplin dieser nichtadligen Soldaten war ungleich kleiner als ihre Brutalität, Zerstörungswut und Beutegier, was auch daran lag, dass sie gleichsam auf eigene Rechnung kämpften und von den Obrigkeiten nur bedingt logistische Unterstützung erwarten konnten. Das Mannschaftsrecht verpflichtete die Haushalte nicht nur dazu, Krieger zu stellen, sondern sie auch auszurüsten und zu verköstigen. Gemeinden oder Zünfte kontrollierten die Zahl der Wehrpflichtigen und deren Ausrüstung, wenn auch oft eher nachlässig. Mit dem Aufkommen der Feuerwaffen entstanden seit dem späten 14. Jahrhundert eigene Zeughäuser. Hakenbüchsen waren oft zu teuer für einzelne Bürger, und eine Aufbewahrung in anderen Gebäuden, etwa im Rathaus, war wegen der explosiven Munition zu gefährlich. Auch erbeutete Fahnen und Waffen fanden den Weg ins Zeughaus.

Die Büchsenschützen wurden im 15. Jahrhundert zwar wichtiger als die Bogen- und Armbrustschützen. Dennoch waren diese Gruppen, die zumeist vor der eigentlichen Schlacht zum Einsatz kamen, für die schweizerische Kriegsführung nicht zentral. Die Eidgenossen kämpften als dichte Schlachthaufen, Gevierte mit manchmal mehreren Tausend Mann. An deren Rand hielten gerüstete Kämpfer mit fünf Meter langen Spiessen die feindlichen Reiter auf Distanz und schützten so beim Aufprall der Heere die Soldaten im Inneren des Harsts. Diese waren nur mit Helmen und leichtem Harnisch vor Beschuss geschützt und mit Halbarten und anderen Nahkampfwaffen (Schweizerdegen, Schwert, Dolch) bewaffnet. Sie konnten keilartig in die Breschen der feindlichen (Ritter-)Phalanx einbrechen und dank ihrer Geschlossenheit und zugleich Beweglichkeit die Gegner im Zweikampf niederringen. Euphorisiert, auch durch Wein, begleiteten die Eidgenossen ihre Angriffe mit ohrenbetäubendem Brüllen und Lärmen. Entscheidend waren oft die Geländeverhältnisse und das Überraschungsmoment, das von einer Vorhut ausgehen konnte, die als «verlorener Haufen» die Schlacht vom Zaun brach. Die Hauptleute kontrollierten ihre kampflustigen Truppen nur beschränkt, am wenigsten die «frijheiten» oder «frijharsten», welche auch reguläre Auszüge in der Hoffnung auf Beute begleiten konnten. Der Übergang von unterbeschäftigten, gewaltbereiten Jungmannschaften zu Berufskriegern und Söldnern war insofern bei Soldaten und erfolgreichen Hauptleuten fliessend.

Auch deshalb begannen mit den Burgunderkriegen die Klagen von Autoren wie dem älteren Diebold Schilling, dass die Siege «boess und verfluechte roupguot» in die Schweiz brachten und die jungen Eidgenossen in den Kriegsdienst (ver-)führten. Am deutlichsten sichtbar wurde dies im «Saubannerzug» von 1477. Als «Gesellschaft vom torechten Leben» bezeichneten die Zeitgenossen die 1700 jungen Innerschweizer, die in der Fasnachtszeit 1477 mit einem Banner loszogen, das eine Wildsau und einen Kolben als Zeichen der rebellischen Unzufriedenheit zeigte. Sie hatten den Eindruck, in den Burgunderkriegen bei der Beuteteilung übervorteilt worden zu sein, und wollten in Genf noch ausstehende Gelder eintreiben. Die Rhonestadt war ein europäisches Finanzzentrum gewesen, solange italienische Bankiers und Geldwechsler wie die Medici die dortigen Messen besuchten. Dank Privilegien des französischen Königs verdrängte aber Lyon seit den 1460er-Jahren Genf schnell, das in den Burgunderkriegen erst noch auf die falsche, savoyische Karte setzte. Nun konnten die Stadtorte den Saubannerzug nur mit grosser Mühe von einem Handstreich abhalten, der die Eidgenossenschaft als Ordnungsmacht zu diskreditieren drohte. Genf zahlte Schutzgeld und ging erstmals ein unbefristetes Burgrecht mit Bern und Freiburg ein, um sich so vor weiteren Freischarenzügen zu schützen. Gleichzeitig schlossen sich Zürich, Bern und Luzern durch ewige Burgrechte ohne Vorbehalt der alten Bünde enger zusammen und nahmen darin auch Freiburg und Solothurn auf.

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