Читать книгу Geschichte der Schweiz - Thomas Maissen - Страница 39
Krieg zwischen Schweizern und Schwaben
ОглавлениеDie Eidgenossen hatten bewiesen, dass sie südlich des Rheins eigenständig als Ordnungsgewalt wirken und, wenn auch zögerlich, auch jenseits des jeweils eigenen Territoriums herrschaftliche Strukturen aufbauen konnten. Das erklärt, weshalb sie am vergleichbaren Vorhaben nicht interessiert waren, das am Reichstag zu Worms 1495 angegangen wurde. Die Schweizer Reichsstände waren dort gar nicht zugegen. Der Reichstag bot der europäischen Mittelmacht, die Karl den Kühnen besiegt hatte, kein angemessenes Gefäss mehr: Die Orte hätten sich auf der schwäbischen Bank der einflussarmen Reichsstädte zurechtfinden müssen. Am Reichstag hatten die Fürsten das Sagen; insbesondere die geistlichen Kurfürsten waren es, welche die Reichsreform voranbrachten. Das Reichskammergericht in Frankfurt (und ab 1527 in Speyer) wurde geschaffen, ein Reichsregiment von Kaiser und Fürsten geplant, die Bildung von Reichskreisen (unter anderem die benachbarten in Schwaben, Österreich und am Oberrhein) angegangen. Sie sollten Urteile des Kammergerichts umsetzen und die Landesverteidigung garantieren, beides wenn nötig mit Waffengewalt. Diese Zentralisierungsmassnahmen bezweckten, den «ewigen Landfrieden» (der tatsächlich bis 1806 Bestand haben sollte) sicherzustellen und das adlige Instrument der Fehde auszumerzen. In der Eidgenossenschaft war beides kein Problem mehr, für das man «nüwerungen» auf sich genommen hätte, insbesondere nicht den Gemeinen Pfennig als Kopf-, Vermögens- und Einkommenssteuer für das Reich. Wie andere periphere Reichsgebiete von Böhmen über Savoyen hin zu den Niederlanden versagten sich die Eidgenossen diesen Reformen. Die Massnahmen gegen das Fehdewesen hätten auch eine Handhabe geliefert gegen die schweizerischen Kriegerhaufen, die das Umland mit ihren Beutezügen und Erpressungen heimsuchten. Während die Reichsstände als treibende Kraft eine «gestaltete Verdichtung» (Peter Moraw) der Reichsstrukturen betrieben, wollten die Eidgenossen gleichsam im «unverdichteten» Reich verbleiben – nicht aber dieses verlassen.
Eher zufällig zur gleichen Zeit brach der Schwaben- oder Schweizerkrieg aus, wie er nach dem jeweiligen Feind benannt wurde. Im Umfeld der Eidgenossen trat mit dem Gotteshausbund nun ein neuer Akteur auf. Das Gotteshaus war das Bistum Chur, dessen Bischof in die landständische Struktur des Bundes eingebunden war, der ausser der Stadt Chur etliche Talschaften umfasste, die vom Domleschg über den Albula und das Engadin in die Seitentäler Bergell, Puschlav und Münstertal reichten. Allianzen mit den Gotteshausleuten hatte im Laufe des 15. Jahrhunderts auch der Obere oder Graue Bund geschlossen, in dem sich seit 1395 der Abt von Disentis, Adlige und Gemeinden des Vorder- und Hinterrheintals zusammenfanden. Um Fehden zu vermeiden und damit den Übergang über die verschiedenen Alpenpässe vom Panixer bis zum San Bernardino für Händler zu sichern, schloss der Graue Bund schon früh verschiedene Bündnisse, insbesondere mit Glarus. 1471 kam es ausserdem zu einer Allianz mit dem dritten und jüngsten der rätischen Bünde, dem 1436 – nach dem Tod des Feudalherrn Friedrich VII. von Toggenburg – gegründeten Zehngerichtebund, der von Davos über das Prättigau bis nach Maienfeld reichte. Hier erlangte in den 1470er-Jahren Herzog Sigmund von Tirol das Blutgericht, das ein lokaler Landvogt von der Burg Castels aus wahrnahm. Zugleich bildete der Zehngerichtebund mit dem Grauen und dem Gotteshausbund aber einen selbstständigen Teil des übergreifenden Zusammenschlusses als «Drei Bünde». Sie verpflichteten sich zu Hilfeleistungen und Schiedsgerichten und vereinten regelmässig die Gesandten der rund 50 Talschaften zu Bundstagen, nicht zuletzt im Hinblick auf eine eigene Aussenpolitik. Angesichts der habsburgischen Präsenz in der Region lag es nahe, dass der Graue Bund und der Gotteshausbund 1497/98 eine Allianz mit den Eidgenossen (ohne Bern) eingingen. Kurz darauf eskalierte ein Streit um Vogteirechte im Münstertal zwischen dem Gotteshausbund und dem habsburgischen Landesherrn von Tirol. Dies war nun aber nicht mehr der 1490 verstorbene Sigmund, sondern Maximilian, der Erbe des Burgunderreichs und seit 1493 König im Reich. Die epochalen Kriege von Habsburg gegen Valois wurden seit 1494 in Italien geführt, wohin der französische König vorgestossen war. Entsprechend wichtig waren für Maximilian die Bündner Passwege nach Italien. Anders als sein Vater, Kaiser Friedrich III., pflegte er zu den Eidgenossen zumeist guten Kontakt. Doch im Konflikt mit dem Gotteshausbund rief er den schwäbischen Bund zu Hilfe, der 1488 gleichsam als Nachfolgeorganisation des Sankt Jörgenschildes gegründet worden war. Diesem gehörte Maximilian selbst an, ausserdem der Herzog von Württemberg, hohe und niedrige Adlige, Prälaten und 20 schwäbische Reichsstädte. Diese Zusammensetzung zeigt, dass sich nun zwei widersprüchliche Bündnis- und damit Ordnungsmodelle in der Region Alpenrhein-Bodensee-Hochrhein gegenüberstanden: das adlig-hierarchische, das tendenziell Urteile von akademisch ausgebildeten Juristen am Reichskammergericht umsetzte, und das kommunale von gleichrangigen Orten, die Konflikte durch Schiedsgerichte von Laien oder durch Waffengewalt aushandelten. Dazu kam die militärische und wirtschaftliche Konkurrenz zwischen schwäbischen Landsknechten und schweizerischen Reisläufern, die sich mit dem Ruf «Hie Lanz! – Hie Schwytz!» entgegentraten.
Gleichsam im Mittelpunkt der Auseinandersetzung lag das linksrheinische Konstanz, der alte Vorort des Herzogtums Schwaben. 1498 war die Reichsstadt, nicht zum ersten Mal, Stätte einer ausserordentlichen Tagsatzung der Eidgenossen gewesen. Andererseits hatte zu Fasnacht 1495 ein Freischarenzug von 1000 Innerschweizern durch eine angedrohte Brandschatzung 4000 Gulden erpresst. Konstanz, die Stadt ebenso wie der Bischof, sahen sich also im Dilemma zwischen einerseits dem adligen Schutz, dem die schwäbischen Reichsstädte vertrauten, und andererseits den gleichsam mafiösen Schutzgeldforderungen der Kriegerhaufen aus den an sich geografisch und politisch nahestehenden eidgenössischen Orten. Nach anhaltenden Versuchen, neutral zu bleiben, schloss sich Konstanz schliesslich dem Schwäbischen Bund an. Was folgte, könnte als – entsprechend grausamer – «Bürgerkrieg im Bistum Konstanz» bezeichnet werden.
Beide Kriegsparteien verwüsteten in kleineren Schlachten, vor allem aber blutigen Plünderungszügen 1499 die Gebiete entlang der Rheingrenze, ehe die Bündner an der Calven, am Ausgang des Münstertals, im Mai ebenso obsiegten wie zwei Monate später bei Dornach die Solothurner und eidgenössische Hilfstruppen. Es hatte nichts gefruchtet, dass König Maximilian Ende April nach anfänglichen Vermittlungsversuchen auch persönlich in die Kämpfe eingriff und die Reichsacht gegen die Eidgenossen verhängte. Am 22. September 1499 wurde der Friede von Basel geschlossen, in dem bei territorialem Status quo die Landgerichtsbarkeit im Thurgau von Konstanz an die Eidgenossen fiel: Ihre Gemeine Herrschaft führte nun uneingeschränkt bis vor die Mauern der linksrheinischen Reichsstadt. So wurden konkurrierende Rechtsansprüche entflechtet und klar entlang von territorialen Grenzen getrennt – eine Grenze zu Konstanz und zu Schwaben, wohlverstanden, und nicht zu «Deutschland». Die Eidgenossen legten grossen Wert darauf, dass sie den Krieg nicht gegen König und Reich geführt hatten, die im Friedensvertrag gerade deshalb nicht erwähnt wurden. Gegen Maximilian ging es nur «von wegen sine Maiestät Graffschafft Tirol», und als seine Hauptgegner wurden der Bischof von Chur und der Gotteshausbund benannt. Gleichwohl galt der Basler Friede von 1499 der nationalen Geschichtsschreibung seit dem späten 19. Jahrhundert anachronistisch als Beginn der «faktischen Unabhängigkeit» vom Reich, wobei man eigentlich an das Deutsche Reich von 1871 dachte. 1499 suchte dagegen niemand «Unabhängigkeit», im Gegenteil: Sie hätte die zehn «des heilgen Römschen richs besunders gefryete Staend» ihrer Herrschaftslegitimation beraubt, die alternativlos in den königlichen Privilegien begründet lag.