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Die Versuchungen im Süden

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Der Friede von Basel führte nicht nur mittelbar zur Erweiterung der Eidgenossenschaft, sondern zu weiteren «ennetbirgischen» Verwicklungen. Vermittelt hatte ihn nämlich Maximilians Schwiegervater, der mailändische Herzog Ludovico Sforza. Er wollte möglichst schnell Söldner anwerben, die ihm gegen den französischen König Ludwig XII. beistehen sollten. Die 1494 begonnenen italienischen Kriege waren gleichsam das Laboratorium der europäischen Staatenwelt, die jetzt überhaupt erst Gestalt annahm: mit wechselnden Allianzen, der Tendenz zum Gleichgewicht der Mächte, einer Diplomatie mit residierenden Botschaftern. Auch die Schweizer zog es auf diesen Kampfplatz, zuerst als Reisläufer vor allem im französischen Heer. Die Verpflichtung aus diesen Soldverträgen kollidierte nicht nur mit Sforzas Versuch, mit Schweizer Söldnern das Herzogtum Mailand zurückzuerlangen, das Ludwig XII. seinerseits mit der Hilfe von Reisläufern besetzt hatte. In den allgemeinen Wirren hatten zudem die Waldstätte ihrerseits Truppen gegen Süden geschickt: 1500 eroberten sie Bellinzona, dessen Kastelle den Zugang zu Gotthard und San Bernardino kontrollierten. Mit Blenio und Riviera wurde es ihre Gemeine Herrschaft. Zu diesem uneinheitlichen oder vielmehr eigennützigen Vorgehen der eidgenössischen Orte passte es, dass Sforzas eigene Reisläufer ihn im «Verrat von Novara» den Franzosen auslieferten, in deren Reihen ebenfalls viele Schweizer standen.

Das nun französische Mailand trat 1503 Bellinzona endgültig ab und regelte in einem Vertrag wirtschaftliche, verkehrstechnische und rechtliche Fragen mit den Eidgenossen. Dennoch verschlechterten sich die Beziehungen zu Ludwig XII. Stattdessen gingen die Orte 1510 eine Allianz mit dem Kriegerpapst Julius II. ein, der 1506 die Schweizergarde geschaffen hatte und nun die Franzosen aus Italien vertreiben wollte. Sein Mittelsmann war Matthäus Schiner, als Fürstbischof von Sitten auch Landesherr im Wallis, der für seine diplomatischen Verdienste wenig später den Kardinalshut erhielt. Im Pavierzug von 1512 und mit dem blutigen Sieg in der Schlacht bei Novara ein Jahr später verdrängten die Eidgenossen Frankreich vorübergehend aus Oberitalien und erwarben sich für ihre militärischen Leistungen die mit Furcht durchmischte Bewunderung vieler Beobachter, so von Niccolò Machiavelli. Für kurze Zeit spielten die Schweizer tatsächlich Grossmacht und setzten ihren Schützling Massimiliano Sforza, den Sohn Ludovico Sforzas, als Herzog von Mailand ein. Dafür trat er ihnen Lugano und Locarno mit Seitentälern ab, den alliierten Wallisern das Eschental (Val d’Ossola) und den Bündnern das Veltlin, Bormio und Chiavenna, die Stadt am Ausgang der Bündnerpässe.

Um solche agrarischen Alpentäler als Gemeine Herrschaft zu verwalten und auszupressen, reichten die aufwendigen Entscheidungsmechanismen dieser Bünde. Mit einer vielgestaltigen Städtelandschaft wie der Lombardei und einem wirtschaftlichen und religiösen Zentrum wie Mailand mit seinen 100 000 Einwohnern waren sie jedoch überfordert. Erst recht fatal musste sich das Fehlen einer Zentralgewalt und klarer Hierarchien im militärischen Bereich auswirken, als der eben gekrönte Nachfolger Ludwigs XII., Franz I., sofort wieder die Alpen überschritt und die Eidgenossen sich unvermittelt auch diplomatisch isoliert wiederfanden. Die Truppen der westlichen Orte um Bern zogen sich zurück, als die Franzosen bereit waren, ihnen die Lombardei abzukaufen. Die Innerschweizer waren damit nicht einverstanden und provozierten unter Kardinal Schiners Oberbefehl am 13./14. September 1515 die Schlacht bei Marignano. Die vernichtende Niederlage zeigte, dass die Gevierthaufen nicht mehr zeitgemäss waren. Die Zukunft gehörte dem Zusammenspiel der Infanterie mit einer beweglichen Artillerie, die bei Marignano die Schweizer Gewalthaufen durchlöcherte, und mit Kavalleristen, die aus sicherer Distanz Radschlosspistolen abfeuern konnten. Die neuen Feuerwaffen überforderten die finanziellen und organisatorischen Ressourcen der einzelörtischen Aufgebote.

Die Eidgenossen schlossen Ende 1516 einen Ewigen Frieden mit Frankreich, der tatsächlich von epochaler Dauer sein sollte. Um sie als Verbündete zu gewinnen, gewährte Franz I. ihnen eine hohe Kriegsentschädigung; auch dass sie ihre Eroberungen bis auf das Eschental behalten konnten, war für Besiegte aussergewöhnlich. 1521 wurden die Ennetbirgischen Vogteien Lugano, Mendrisio, Locarno und Valle Maggia als Gemeine Herrschaft der zwölf Orte (ohne Appenzell) eingerichtet. Ins selbe Jahr fiel ein erneuerter Bündnisvertrag mit Franz I., der auch die Anwerbung von bis zu 16 000 Schweizer Söldnern vorsah. Das folgenreiche Bündnis nützte insofern besonders Frankreich, als es sich an seiner Ostflanke durch Truppen geschützt wusste, für die es im Normalfall keine Kosten tragen musste. Aus der Schweiz drohten zudem keine echte, vor allem dauerhafte militärische Gefahr mehr und – nach Marignano, Reformation und Eroberung der Waadt – nicht einmal ernsthafte territoriale Ambitionen. Ausserdem durften die Franzosen bei vielen Eidgenossen auf tief verwurzelte Vorbehalte gegen den gemeinsamen Feind Habsburg zählen. Die Perspektive des schweizerischen Juniorpartners war nunmehr eher ökonomisch: «Liberté et franchise du Commerce», also freier Handel und handelspolitische Privilegien im Herzogtum Mailand und in der Messestadt Lyon. Zum Sitz des 1522 erstmals eingesetzten französischen Gesandten bei der Eidgenossenschaft wurde Solothurn, dem die Residenz des «Ambassadors» höfischen Glanz vermittelte.

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