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Partnerschaft oder Unterordnung?

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Solche Verträge, die im eidgenössischen Umfeld oft als Schirmherrschaften geschlossen wurden, entwickelten sich nicht selten von Abmachungen unter rechtlich Gleichgestellten zu einem Mittel, um den schwächeren Partner unterzuordnen. Wie offen die Situation war, zeigt sich bei den habsburgischen Vogteien und Seeanrainern Gersau, Weggis und Vitznau. 1359 bestätigten ihnen die Waldstätte und Luzern die Aufnahme in ihren Bund von 1332. Doch nach 1380 geriet Vitznau widerstandslos und Weggis trotz Gegenwehr unter die Vogteigewalt Luzerns, das so Habsburgs Nachfolge antrat. Gersau hingegen blieb nach dem Loskauf der Vogteirechte selbstständig und bis zum Ende der Alten Eidgenossenschaft ein Zugewandter Ort der Waldstätte, die gegen die Zusage einer Kriegsmannschaft Schutz und Schirm übernahmen. Ähnlich unterstellte sich das Kloster Engelberg der Schirmherrschaft Luzerns und der Waldstätte. Auch die Stadt Zug und das Tal Glarus besannen sich nun auf die älteren, bisher unverbindlichen Bünde. Die Glarner bestätigten ihre Entscheidung 1388 bei Näfels durch einen überraschenden Sieg gegen ihre früheren Habsburger Herren, welche die abtrünnigen Untertanen wieder gefügig machen wollten.

An die Stelle eines Landesfürsten, der mit seinen Vasallen eine grossräumige Kontrolle versprochen hätte, trat eine Vielzahl eher regional orientierter und weitgehend autonomer Städte und Talschaften, die schlecht koordiniert waren und oft miteinander konkurrierten. So näherte sich Zürich schon bald nach dem Sempacherkrieg den Habsburgern an. Die undisziplinierten Innerschweizer Kriegsleute waren nur für die Viehhändler naheliegende Alliierte, nicht aber für Fernkaufleute und Gewerbetreibende, deren wirtschaftliche Interessen im Bereich von Oberrhein und Bodensee lagen, wo viele Reichsstädte und Adlige unter habsburgischem Schutz zusammenlebten. Doch die proeidgenössischen Kräfte in Zürich stürzten die Anhänger Habsburgs und errichteten ein richtiges Zunftregiment mit zwei halbjährlich wechselnden Bürgermeistern. Aussenpolitisch fanden sie eine Mittlerrolle, die den gegensätzlichen Interessen der Bürger entsprach. Im Zwanzigjährigen Frieden von 1394 mit der «eitgenoschaft», was als Kollektivbezeichnung nunmehr auch gegen aussen exklusiv genug war, erkannte Habsburg de facto den Verlust von Luzern, Zug und Glarus an, während Zürich für das Wohlverhalten der Inneren Orte garantierte.

Voraussetzung dafür war der Sempacherbrief von 1393 – das erste gemeinsame Dokument, das die Waldstätte, Luzern, Zürich, Bern, Zug und Glarus «in unser eitgenoschaft» vereinte. Dass auch Solothurn den Sempacherbrief unterschrieb, zeigt allerdings, dass die mit den Waldstätten abgeschlossenen Bündnisse noch nicht als exklusiver Kern einer «achtörtigen Eidgenossenschaft» angesehen wurden. Für die Unterzeichner galten nun einige Regeln, welche die Handschrift der städtischen Kaufleute verrieten und sie für die Habsburger erst zu Friedenspartnern mit ähnlichen Werten machten. Unter Eidgenossen waren Gewalttaten verboten, der Handel wurde geschützt; im Krieg wurden Fahnenflüchtige und vorzeitige Plünderer bestraft, Kirchen, Klöster und Frauen geschont. Dass solche Abmachungen nötig waren, verrät einiges über die Kämpfe und Scharmützel im Umfeld der Schlacht von Sempach.

Die Gegensätze unter den Eidgenossen waren damit nicht behoben, wie der «Zuger Handel» von 1404 zeigte. Gegen die Stadt Zug stützte Schwyz das «Äussere Amt», die ländlichen Gemeinden (Baar, Menzingen und Ägeri), die befürchteten, dass die Stadt sie dank dem königlichen Privileg des Blutgerichts unterwerfen würde. Auf ähnliche Weise eigneten sich nämlich die eidgenössischen Städte allmählich ein untertäniges Territorium an, wogegen die bäuerlichen Kommunen Autonomie oder Gleichrangigkeit mit der Stadt zu bewahren suchten. Insofern trat in Zug ein grundsätzlicher Konflikt zutage, in welchem dem wichtigsten Landort Schwyz nicht zufällig die Reichsstadt Zürich entgegentrat, die mit Luzern, Uri und Unterwalden zugunsten der Stadt Zug eingriff. Die in den Bünden vorgesehene Schlichtung wurde nötig, worauf Bern und Solothurn zusammen mit Glarus als Vermittler wirkten und gegen Schwyz entschieden. Es musste die drei Landgemeinden aus dem Landrecht entlassen, mit dem die Schwyzer ähnlich wie die Städte mit dem Burgrecht versucht hatten, ihre Nachbarn an sich zu binden.

Ein Landrecht schloss Schwyz 1403 auch mit Appenzell, das seit den 1360er-Jahren gegen seinen mit Habsburg verbündeten Landesherrn, den Fürstabt von St.Gallen, um seine hergebrachten Rechte und konkrete Abgaben stritt. Nachdem die Appenzeller in der Schlacht am Stoss 1405 sogar ein österreichisches Heer hatten besiegen können, taten sich ähnlich wie in der Eidgenossenschaft Bauern und Bürger in einem «Bund ob dem See» zusammen. Die Stadt St. Gallen sowie weitere ländliche Kommunen und Städte im Rheintal gesellten sich zu Appenzell, sodass sich eine politische Neuordnung zulasten Österreichs und des Adels anbahnte. Doch 1407 konnte der schwäbische Ritterbund Sankt Jörgenschild die seit Monaten belagerte Stadt Bregenz am Bodensee entsetzen und die Appenzeller wenig später schlagen.

Der Bund ob dem See wurde aufgelöst, aber die Appenzeller konnten ihre Unabhängigkeit vom Fürstabt durch ein Burg- und Landrecht mit allen Eidgenossen (ausser Bern) wahren, das ihnen verbot, eigenmächtig Kriege zu eröffnen. Insofern war dieser Vertrag ebenso ein Zähmungsinstrument wie eine Allianz. Dies bewies erneut, dass die kommunale Selbstorganisation auch als ausgreifende Ordnungsmacht eine Alternative zur fürstlichen Territorialherrschaft darstellte: Die Eidgenossen bestätigten nämlich auch die Herrschaftsrechte des St. Galler Abtes. Ritterbünde wie Sankt Jörgenschild, die auf der Fehdehilfe «wider die Geburen zu Appenzell und ihre Helfer» beruhten, vermochten dagegen keine dauerhaften politischen Strukturen aufzubauen. Gegen diesen Adel richtete sich in den Augen der Zeitgenossen die von Schwyz geführte Bewegung, die in Bauernunruhen etwa in Savoyen oder England zeitgleiche Parallelen kannte und in der die eben noch unbekannten Appenzeller zu ansteckendem Ruhm gelangt waren: «Die puren woltent all gern Appenzeller sin.»

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