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Der Bodenseeraum rückt näher

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Insofern war es kein Zufall, wenn die Zürcher – mit ihren Handelsinteressen im Reich – sich lange geweigert hatten, «den puren zuo willen» zu sein. Mit der erzwungenen Entscheidung von 1450 wurden sie nun aber zu «Sviceri», ja zu «Kuhschweizern», statt in der schwäbischen Reichsstädtelandschaft zu verbleiben. Solche neu vom wichtigsten Landort auf alle Eidgenossen kollektiv übertragenen Namen standen auch am Ursprung des «Plappartkriegs» von 1458. Nachdem ein Konstanzer Bürger eine Berner Münze als «Kuhplappart» bezeichnet hatte, plünderten Innerschweizer Freischaren das Umland und erpressten von der Stadt 3000 Gulden an Brandschatzung. Wo, wie im Spätmittelalter, kein staatliches Gewaltmonopol Rechtsprechung und Rechtsvollzug gewährleistete, dort diente auch bei Nichtadligen eine Ehrverletzung als Rechtfertigung für eigenmächtige Gewalt, gleichsam in Notwehr als Selbsthilfe, um das eigene Recht zu verteidigen. Da das Fehderecht in der Theorie ein Privileg des Adels war, machte umgekehrt die Fehdepraxis eine Streitpartei tendenziell mit diesem gleichrangig. Wer seine Ehre selbst, also mit Waffengewalt, verteidigen konnte, durfte Gewalt ausüben, wurde also nicht nur fehde-, sondern auch herrschafts- und damit ordnungsfähig. Dies gestand man gemeinhin auch Städten zu. Seit den Appenzellerkriegen nahmen aber nun eidgenössische «Bauern» diese Rolle zusehends im Bodenseeraum wahr, einerseits zugunsten ihrer Bürger und Untertanen, gerade der Kaufleute, andererseits für eine wachsende Zahl von schutzbedürftigen Verbündeten. Dazu gehörten auch fürstliche Herren wie der Abt von St. Gallen, den seit 1437 ein Landrecht an Schwyz band und seit 1451 das ewige Burg- und Landrecht an die Schirmorte Zürich, Luzern, Schwyz und Glarus. Überrascht meinte ein St. Galler Dichter über den Fürstabt: «Er ist ain aidgnoss worden, wer hett das kumb [eben noch] erdacht.» Als der Abt 1468 die Grafschaft Toggenburg erwarb, verblieb diese im 1436 geschlossenen Landrecht mit Schwyz und Glarus, die ihre Freiheitsrechte beschützten.

All dies und die ab 1440 belegte Kategorie der «zu uns gewandten» Orte bewiesen, dass die durch den Frieden von 1450 im Inneren gefestigte Eidgenossenschaft in einem erweiterten Raum zur Ordnungsmacht wurde. Ähnlich sah es im Westen aus, wo sich Freiburg aus den habsburgischen Banden löste, an Savoyen überging und 1454 das Burgrecht mit Bern erneuerte. Es folgten eidgenössische Bündnisse mit fünf nördlichen Reichsstädten, die räumlich von den Orten zum Teil deutlich getrennt, ihnen aber über Handelsbeziehungen verbunden waren: 1454 von sechs Orten (ohne Uri und Unterwalden) mit Schaffhausen und St. Gallen, 1459 von Zürich und Schaffhausen mit Stein am Rhein, 1463 von allen Orten mit dem schwäbischen Rottweil und 1466 von Bern und Solothurn mit dem elsässischen Mülhausen. Auch wenn die zugewandten Städte durch diese Verträge nicht in den Kern der Eidgenossenschaft eingeschlossen wurden, den die Eroberer des Aargaus bildeten, so erlangten damit die Interessen der städtischen Kaufleute im erweiterten schweizerischen Bundesnetz doch ein stärkeres Gewicht. Das sollte bis zum Stanser Verkommnis zu wachsenden Spannungen mit den Landorten führen.

Die Zunftstadt Schaffhausen profitierte vor allem von ihrer Lage am Kreuzpunkt des west-östlichen Verkehrs auf dem Rhein und der Strasse von Zürich Richtung Schwaben, an der auch Rottweil lag. Mülhausen war ein wichtiger Handelsplatz für Elsässer Getreidelieferungen. Die Gewerbestadt Freiburg führte überregional Wolltücher und Lederwaren aus. St. Gallen war gar bis ins 18. Jahrhundert ein europäisches Zentrum der Leinwandproduktion. Wie in Freiburg und generell in Gewerbestädten war die Textilverarbeitung zünftisch organisiert und kontrolliert, während der Fernhandel mit den Endprodukten bei eigenen Kompanien lag. Die in St. Gallen und Bern sowie Nürnberg beheimatete Diesbach-Watt-Handelsgesellschaft unterhielt ein von Spanien bis Polen reichendes europäisches Netzwerk, das neben Textilien alle möglichen Waren und Finanzdienstleistungen vermittelte. St. Gallens Annäherung an die Eidgenossenschaft erfolgte allerdings zu einem Zeitpunkt, als die Diesbach-Watt-Gesellschaft in die Krise geriet, wofür sie nicht zuletzt die Kriegsaktionen der Eidgenossen in der Ostschweiz verantwortlich machte. Nicht europäische Kaufmannsinteressen, sondern zünftische Statuswahrung durch regionale Befriedung und möglichen Herrschaftserwerb war also die St. Galler Perspektive, während die Diesbach in das Berner Patriziat einheirateten und so der Übergang von einer Kaufmanns- zu einer Magistratenfamilie gelang.

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