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Vor- und Nachteile des Solddiensts

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Die Erfahrungen der Mailänder mit schweizerischen Kriegern reichten damals schon weit zurück, wohl ins 13. Jahrhundert. In den wohlhabenden italienischen Städten und ihren Herrschaften pflegte man die Kriege durch Mietsoldaten zu führen, oft Ausländer, zum Beispiel aus England. Zum Teil als Ersatz für diese nahmen die Visconti seit 1370 Schweizer Reisläufer in Dienst. 1424 erging erstmals eine offizielle Anfrage wegen Söldnern an die Tagsatzung, diesmal aus Florenz. Die spätere völkerrechtliche Unterscheidung erfasst genau die Problematik, die sich bereits damals stellte: Einzelne «Reisläufer» oder ganze Kompanien traten ohne Einwilligung der Obrigkeit in fremde Dienste; «Söldner» taten dies dagegen im Rahmen von Verträgen, wie sie ab 1453 vor allem mit Frankreich geschlossen wurden. Ein einheimischer, privater Militärunternehmer erhielt die Bewilligung des Ortes, auf eigenes finanzielles Risiko eine Kompanie von 150 bis 300 Mann zu werben, auszurüsten und als Hauptmann zu führen. Die sogenannten Kapitulationen hatten für die Orte den Vorteil, dass sie ein Verhalten, das sie ohnehin kaum verbieten konnten, wenigstens reglementierten und dabei in Verhandlungen mit äusseren Mächten auch noch etwas herausholten: Salzlieferungen, Freizügigkeit für Kaufleute, Abbau von Zöllen. Ausserdem flossen so Zahlungen nicht nur an die Soldunternehmer, sondern auch in den Staatssäckel, wo sie bis zu 40 Prozent der Einnahmen ausmachen konnten. Den Städten gelang es damit, ihre für den Territoriumserwerb eingegangenen Schulden abzutragen; die Länderorte bezahlten die benötigten Lebensmitteleinfuhren.

Die «Auswanderung auf Zeit» erfolgte anfangs eher aus Abenteuerlust als aus Not. Das änderte sich in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, als einerseits die Bevölkerungszahl sich vom Einbruch durch die Pest wieder erholte und Land wie Arbeit in einer extensiven Viehwirtschaft knapp wurden, andererseits der Alte Zürichkrieg Fernhandel und Gewerbe nachhaltig geschwächt hatte. Vor allem junge, unverheiratete Männer wanderten aus: Söhne ohne Erbe, Knechte und Taglöhner. Für die 40 Jahre von den Burgunderkriegen bis Marignano kommen manche Schätzungen auf insgesamt über 100 000 Söldner, von denen die Hälfte nicht mehr zurückfand – eine beträchtliche Zahl im Verhältnis zu den um 1500 etwa 600 000 bis 800 000 Einwohnern des Landes. Vor allem die Landbevölkerung, die durch die vielen Kriegsdienste lange Abwesenheiten und viele Verluste erdulden musste, zweifelte zusehends, ob sie dafür angemessen entschädigt wurde. Wiederholt, vor allem in der Schlussphase der Mailänderkriege, regte sich Widerstand gegen die vielen opferreichen Truppenaufgebote. Gemeinhin wurden die fremden Dienste als Quelle von Korruption und Dekadenz angesehen, häufig durch die Assoziation mit Prostitution. In literarischen und bildlichen Darstellungen entstand daraus die Gegenüberstellung des alten, tugendhaften und des jungen, im Ausland verdorbenen Eidgenossen.

Der schlechte Ruf, in den die Solddienste schon bei den Zeitgenossen gerieten, ging vor allem auf die Pensionen zurück, welche Fürsten seit den Burgunderkriegen in grossem Massstab und regelmässig zu bezahlen begannen: nicht nur offiziell den Orten selbst, sondern auch heimlich mächtigen Politikern. Durch «Praktizieren», das heisst die Bestechung von Räten oder Landsgemeinden, sollten die genehmen Personen in Ämter gewählt und die gewünschten Entscheidungen gefällt werden, nicht zuletzt der Abschluss von Kapitulationen; aber auch das Wegschauen bei unbewilligten Werbungen. Schon früh versuchte man, allerdings erfolglos, das Pensionenwesen zu kontrollieren. Alle Orte unterschrieben 1503 den Pensionenbrief, der die fremden Dienste auch deshalb der obrigkeitlichen Zustimmung unterstellte, weil das ausufernde Pensionen- und Söldnerwesen in vieler Herren Ländern den Zusammenhalt der Eidgenossenschaft gefährdete. Doch der Pensionenbrief blieb wirkungslos. Allzu viele Geschlechter verdankten ihren politischen Einfluss fremden Zahlungen, mit denen sie ein Klientelnetz unterhalten konnten.

Zu diesen Pensionenherren und Kriegsunternehmern zählte Hans Waldmann in Zürich. Er, ein zugezogener Schneider und Gerber, war nicht der Einzige, der dank militärischem Ruhm (und einer guten Heirat) rasch aufstieg: zum Geldverleiher und Soldunternehmer, sogar zum Bürgermeister. Die eidgenössischen Führungsgruppen wurden bis ins frühe 16. Jahrhundert in Kriegen und fremden Diensten regelmässig dezimiert, womit Zuwanderer vor allem von der Landschaft Aufstiegschancen hatten. Bürgermeister Waldmann stützte sich auf die Zunftmeister und bekämpfte die Patrizier, um die Stellung des städtischen Rats zu stärken. Mit demselben Ziel wurde das bäuerliche Textilgewerbe eingeschränkt und damit das Monopol der städtischen Zünfte unterstützt. Zu offener Empörung führte schliesslich der Befehl, die grossen Hunde der Bauern zu töten, weil sie den Wildbestand schädigten. Solche Massnahmen, mit denen die Obrigkeit das Territorium verstärkt kontrollieren wollte, verstiessen gegen das, was die Landleute als ihr «altes recht und frijhheiten» ansahen. Waldmann wurde gestürzt und hingerichtet.

Nicht nur Bauern, auch verburgrechtete Adlige, bevogtete Klöster und die Einwohner von Kleinstädten spürten den hoheitlichen Zugriff vor allem bei vermehrten Steuern und Kriegsdiensten. Besonders gut sichtbar wurde diese Spannung in der Auseinandersetzung des Berner Rats mit den zumeist kleinadligen Gerichtsherren oder Twingherren um Adrian von Bubenberg, die auf der Landschaft herkömmlich für die lokale Gerichtsbarkeit zuständig waren. «Twing und Bann» meinte Gebieten und Verbieten, nicht zuletzt auch Strafen mit Geldbussen. Für den Berner Twingherrenstreit (1470/71) gab ein Luxusgesetz den Anlass, welches das Tragen von höfisch-modischen Schnabelschuhen verbot. Eigentlich wollte der Rat aber die Kompetenzen der Gerichtsherren beschneiden, indem er Gerichtsfälle oder zumindest Berufungsentscheidungen an sich zog. Kurzfristig scheiterte das Unterfangen, als Peter Kistler zurücktreten musste, mit dem in Bern erstmals ein Nichtadliger Schultheiss geworden war. Doch die langfristige Tendenz ging in der ganzen Schweiz zu einer stärkeren rechtlichen Vereinheitlichung und zur Unterordnung der Landsässigen – Ritteradel ebenso wie Dorfaristokraten – unter die städtische Regierung von Zünftlern oder einem neuen Patriziat.

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