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8. Heute zahlen wir nicht

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Als Frau Dr.Dr.Dr. verschwunden war, fragte ich die Alte Dame: „Warum mag Rex denn keine Pferde?“

„Ich sagte doch, Rex mag keine Reiter“, kam es unverständlich, aber gütig zurück. „Er findet dass viele Besitzer schlecht mit ihren Tieren umgehen und das mag er halt nicht. Besonders mag er nicht, wenn Pferde zum Springen eingesetzt werden, dazu sind sie nicht geeignet, Pferde sind Fluchttiere, Angsthasen, sie würden nur in extremen Situationen über Hindernisse springen. Auch die orthopädischen Belastungen in der Military, was heute Vielseitigkeitsreiten heißt, um den Namen gesellschaftsfähig zu halten und um den Ursprung zu verheimlichen, ist für ein Pferd ungeeignet, vom Leistungsspringreiten mal ganz abgesehen. Rex ist der Meinung, die Menschen können sich quälen soviel sie wollen. Von ihm aus könnten sie einen Eimer Medikamente am Tag schlucken, um höher oder weiter zu springen oder schneller zu laufen. Aber die Tiere sollten sie doch bitte aus ihrem sogenannten sportlichen Ehrgeiz heraushalten. Gegen vernünftige Tierhaltung hat Rex nichts.“

„Ach, so denkt Rex?“

>Im Erstberuf Wachhund und Bodyguard, im Zweitberuf Philosoph und Tierschützer, was für ein Aufgabenspektrum. Reichsein scheint wirklich von erheblichen Nebenwirkungen begleitet zu werden.<

„Aber sicher, schade, dass er nicht hier ist, sonst könnten wir ihn fragen.“

„Daher darf auch Rex nur selten mit zum Gut?“

„Nein, was für ein Unsinn, aus dem Grund, gibt es auf dem Gestüt keine Spring- und Military Pferde, so weit käme es noch. Rex liebt im übrigen Pferde, als er jünger war und wir noch zum Gestüt fuhren, trieb er sich immer auf der Koppel der Einjährigen herum und lief mit ihnen um die Wette. Das hätten sie sehen sollen. Diese Kraft, diese Ausdauer. Und zum Schluss imitierte er immer ihren Trab und lief zwischen ihnen, als würde er dazugehören. Er liebt Tiere über alles, daher ist er auch Vegetarier, glaube ich.“

„Wie bitte, dieses riesige Muskelpaket, jetzt vermenschliche ich ihn auch schon, frisst kein Fleisch? Das kann ich nicht glauben, er stammt doch vom Wolf ab.“

„Sind Sie froh, dass er nicht hier ist, das hätte er Ihnen übel genommen.“

„Dass er vom Wolf abstammt?“

„Ach was, das weiß er auch.“

Ich schaute ungläubig.

„Das mit dem Vermenschlichen, er hat gar nicht gerne, wenn er mit Menschen verglichen wird, dann ist er sehr gekränkt. Er zählt sich immer noch zu den Tieren, die nicht so ein Unheil über die Erde bringen wie wir.“

„Und weil er so ein netter Kerl ist, frisst er kein Fleisch, um andere Tiere zu schonen.“ Einen lächerlichen Unterton konnte ich nicht vermeiden. Sie nahm mir diesen aber nicht übel.

„Genau, Sie haben verstanden. Seine Vorfahren haben das beschlossen.“

„Wau“, fiel mir dazu nur ein. >Die Frau wirkte doch so klar, kein Anzeichen von Alterswahnsinn. Halt bloß die Schnauze<, ermahnte ich mich streng. >die Entlohnung ist exorbitant. Wenn sie dir erzählt, Rex würde seiner Freundin Liebesbriefe schreiben, sagst du nur, früher fröntest du auch dieser Umgarnung, deiner einzigen großen Liebe, leidenschaftlich und es wäre immer gut angekommen.<

„Soll ich mit dem Lesen beginnen?“ fragte ich schnell, um auf ein Thema zu kommen, wo die Wahrscheinlichkeit geringer war, etwas Falsches zu sagen.

„Wir lesen doch nicht, wenn die Kinder aus dem Haus sind.“

„Was machen wir denn dann?“

„Was macht man schon, wenn die Kinder aus dem Haus sind? Man lässt die Sau raus.“

Mir wurde ziemlich unwohl und ich musste an Yusufs Hetzerei denken. „Von Gartenarbeit habe ich keine Ahnung“, sagte ich schnell.

Sie lachte beherzt. „Ich möchte etwas ganz Verruchtes machen…“, sie machte eine Pause, ich wurde unsicherer, was sie mir ansah und sie schmunzelnd genoss. „Wir machen eine kleine Rundfahrt, ich möchte nochmals ein paar Sehenswürdigkeiten der Stadt besuchen.“

„Das ist eine gute Idee, wie machen wir es mit Ihrem Rollstuhl?“, fragte ich erleichtert.

„Den nehmen wir mit, ohne geht’s nicht, machen Sie sich keine Sorgen.“

Eine Schwester kam herein, ohne Anweisung ging sie zum Rollstuhl und schob die Alte Dame Richtung Aufzug, und ich trottete hinterher. Vor dem Aufzug befahl sie: „Jetzt übernimmt Herr Müller, du kannst gehen.“

Als die Tür aufging und ich sie hinein schob, war ich erstaunt, wie einfach sich das Gefährt bewegen ließ. Unten angekommen zog ich sie hinaus, was auch kinderleicht war, und drehte sie. Bruce erwartete uns schon, zuerst dachte ich, es wäre mein Wagen, aber meiner hatte keine Auffahrtrampe.

„Hallo Benjamin“, sagte die Alte Dame.

„Hallo“, erwiderte Bruce schüchtern.

>Trööööörrrrrööööhhhh<, fiel mir ein, aber der Geistesblitz hat bestimmt schon anderen geschadet, daher hielt ich die Klappe.

„Schieben Sie sie ruhig rein, der Rest geht automatisch.“

Ich schob die Alte Dame die Rampe hinauf, was wiederum sehr leicht zu bewerkstelligen war. Die hintere Bank war durch zwei Sitze links und rechts ersetzt, ich schob sie dazwischen, bis es stoppte und ich merkte, wie seitlich von mir etwas aus dem Boden fuhr, der Rollstuhl war arretiert.

>Wie praktisch<, dachte ich, >was man für Geld nicht alles kaufen kann.<

„Muss ich Sie noch anschnallen?“ fragte ich sie.

„Nein“, antwortete meine Chefin, „ich bin schon unter der Decke verzurrt worden, ohne Rollstuhl flieg ich nirgendwo hin.“

„Aha“, es wunderte mich, wie organisiert hier alles war, alles funktioniert auf Anhieb. Wenn wir früher einen Ausflug machten, ich darf mich überhaupt nicht daran erinnern: Die eine hatte ihr Black Beauty Stofftier vergessen, die andere ihr Dinolexikon oder ihren Sternenatlas und die dritte ihre Handtasche. Dieses wundersame Ding, welches jedes Gesetz der Physik ignoriert. In die Dinger kannst du immer weiter hereinschmeißen, die werden nie voll. Bei einer Wanderung darfst du das Teil mit den Worten: „Kannst du mal kurz halten?“ schleppen. Ist im Grunde auch kein Problem, bis du merkst, ein kompletter Werkzeugkasten wird transportiert.

Bruce erklärte mir noch die Funktion der Knöpfe, eigentlich waren es nur zwei. Er drückte den Pfeil nach oben, der Wagen erhob sich aus der Federung, die Rampe wurde eingefahren und die Stoßstange klappte hoch.

„Die Funktion des Knopfes mit Pfeil nach unten ist wohl selbsterklärend und die für die Arretierung auch“, stellte ich fachmännisch fest, was Bruce nicht sonderlich imponierte. Daraufhin schloss er die Wagentüren, und es waren große blaue Aufkleber mit Rollstuhlpiktogrammen zu sehen und er sagte kurz: „Es handelt sich um das gleiche Fahrzeug wie Ihres, es lässt sich genauso fahren.“

„Das ist sehr schön.“

„Mein Vater meinte auch, das wäre besser.“

„Der ist extra für diese Fahrt gekauft worden?“

„Natürlich, ohne Rex geht die Alte Dame normal nirgendwo hin und der passt genauso wenig in dieses Auto wie mein Vater. Und mit dem großen Bus wollte mein Vater Sie nicht fahren lassen.“

„Ich bedanke mich für Ihre Aufrichtigkeit.“

„Danke“, druckste er herum: „Ich wollte nur sagen, Ihre Tochter ist eine ganz nette.“

„Das ist sehr richtig. Sie haben Geschmack. Danke. Aber wissen Sie auch, dass Rex ein sehr guter Freund von mir ist?“

„Ja, das sagte mein Vater schon.“

„Gut, dann verstehen wir uns?“

„Sicher, da kann man nichts machen.“

Ich setzte mich ins Auto und dachte: >Mit Rex könnte selbst ich die Welt beherrschen.<

Im Inneren sah der Wagen genauso aus wie meiner, bis auf den blauen Aufkleber auf der Windschutzscheibe.

„Nun legen Sie mal los, bei Ihrem Stundenlohn kann ich mir kein Trödeln erlauben“, beklagte sich die Alte Dame mit freundlicher Stimme.

„Wohin wünscht die Dame chauffiert zu werden?“

„Wohin würden Sie mich denn fahren, wenn Sie Reiseführer wären?“

„Zum bekanntesten Tor der Welt, obwohl es überhaupt kein Tor hat.“

„Riiichtiiig, dann fahren Sie dem Navi nach, es müsste programmiert sein.“

„Ach, das finde ich auch so, ist doch nicht weit.“

„Nun überschätzen Sie sich mal nicht, Sie haben zerbrechliche, wertvolle Fracht an Bord, immer schön langsam.“

Sie genoss es, als wir die Tiefgarage verließen. Sie strahlte, wie meine Kleine beim Reiten.

„Soll ich einen Parkplatz suchen?“

„Nein, ich möchte nicht anhalten, fahren Sie bitte nur ganz langsam… Es hat sich vieles verändert.“

„Wann waren Sie denn das letzte Mal hier?“

„Im April neununddreißig.“

„Oh, das sind ja…“

„Fünfundsiebzig Jahre“, kam sie mir zuvor.

„Ein Menschenleben her.“

„Das ist richtig“, wurde sie melancholisch. „Dahinten haben wir auf einer aufgebauten Tribüne gesessen, über fünf Stunden lang.“

„Was war das für eine Veranstaltung? Die Love-Parade war es wohl nicht“, witzelte ich.

„Mit Liebe hat das wenig zu tun. Viereinhalb Stunden zogen die verschiedensten Bataillone vorbei. Fliegerstaffeln dröhnten im Tiefflug, Panzerstaffeln brachten den Boden zum Beben, Hunderte von Motorrädern mit Seitenwagen fuhren gestaffelt in Reih und Glied vorbei, riesige Geschütze wurden von LKWs gezogen. Die gesamte Kriegsmaschinerie wurde vorgeführt. Wir saßen ihm genau gegenüber. Er stand dort“, zeigte Sie mit dem gesunden Arm zitternd.

Ich wagte es nicht, den Namen auszusprechen und brachte nur hervor: „April neununddreißig, eine Militärparade, zu seinem Geburtstag?“

„Ja, genau zu seinem fünfzigsten. Da ist die heutige Schulbildung doch nicht hoffnungslos verloren.“

„Da hatten Sie aber gute Plätze, da waren doch bestimmt Tausende.“

„Menschen so weit das Auge sehen konnte, und wir hatten die besten Plätze, mein erster Mann war einer von ihnen. Auch ich war eine glühende Anhängerin, bis der angekündigte Wahnsinn in die Tat umgesetzt wurde.“

Nachzufragen traute ich mich nicht, die Luft im Wagen hatte etwas Explosionsartiges, deshalb schwieg ich.

„Alle sind an ihm vorbeigelaufen“, fuhr sie fort, „alle bewaffnet, aber keiner hat geschossen, was für eine Tragödie…Fahren Sie bitte, ich möchte hier weg. Fahren Sie!“, wurde sie hektisch.

Das Navi leitete uns direkt bis zu einem freien Parkplatz vor dem Fernsehturm. >Geil diese Dinger<, dachte ich. Mit einem Knopfdruck befreite ich die Alte Dame und schob sie Richtung Turm. Alles lief glatt, jeder war freundlich und wir hatten sogar Glück, als wir am Aufzug ankamen, war die Tür schon offen, als hätte man uns erwartet. Oben begrüßte uns ein Kellner, frage uns, ob wir essen möchten und geleitet uns zu einem freien Tisch. Auch hier hatten wir wieder Glück, wir saßen direkt am Fenster. Die Aussicht war sagenhaft. Wir hatten Wetter, wie von der Karte bestellt.

Wir aßen. Ich leistete mir ein Holzfällersteak mit Bratkartoffeln und Zwiebeln. Die Alte Dame wollte nur eine Gulaschsuppe, die sie erstaunlich gut essen konnte mit ihrem gesunden Arm, kann man nicht sagen, halbwegs, funktionierenden Arm ist richtiger. Ihr Teller wurde auf ein Tablett gestellt, was seitlich aus dem Rollstuhl herausziehbar war. Als Nachtisch bestellten wir Vanille-Eis mit Erdbeeren.

„Hat es Ihnen geschmeckt?“ fragte der Kellner außergewöhnlich zuvorkommend.

„Es war ausgezeichnet“, sagte die Alte Dame, „wie zuhause.“

„Ich hoffe, das war ein Kompliment?“, witzelte er.

„Aber gewiss doch, bestellen Sie dem Küchenchef einen schönen Gruß von mir.“

„Werde ich ihm ausrichten. Kann ich Ihnen noch etwas bringen?“, fragte der Kellner übertrieben höflich.

Die Alte Dame schaute mich fragend an und sagte mit zynischem Unterton: „Bringen Sie uns bitte die Rechnung!“

„A…gewiss doch.“

Es dauerte eine Zeit lang.

Der Kellner kam zurück und legte mir die Rechnung vor und ich erschrak etwas, als ich die Summe sah.

>Nach Abzugs der Rechnung von meiner Besoldung, war meine Verdienst doch nicht übertrieben.<

„Wieso haben Sie mir nicht die Rechnung gegeben?“

„Ich dachte, der Herr würde… Er will mir die Rechnung abnehmen.“

„Lassen Sie, Sie wussten, dass ich kein Geld bei mir habe.“

„Richtig…, ich vermutete es“, verbesserte er sich.

„Nein, Sie wussten es.“

„Sie haben kein Täschchen dabei…“, versuchte er sich raus zu winden.

Ich holte das Kuvert heraus…

„Lassen Sie Herr Müller, heute zahlen wir nicht… Richtig“, schaute sie den Kellner an.

„Richtig…“, antwortet er geschlagen, dabei bildeten sich Schweißperlen auf seiner Stirn.

„Wau, gehört Ihnen das Türmchen auch?“, fragte ich und wollte witzig sein. „Dann können wir hier öfters essen.“

Der Kellner oder Ober, worin immer der Unterschied bestehen mag, fand dieses aber überhaupt nicht lustig.

„Nein, nicht dass ich wüsste“, antwortete sie lächelnd den Kellner ansehend, dem mittlerweile der Schweiß auf der Stirn stand.

„Als Sie mich bedienten, fiel mir auf, Sie sind Rechtshänder. Könnten Sie für mich bitte die Linke Seite Ihres Sakkos öffnen.“

„Aber?“

„Ich bin die Chefin.“

„Ja, aber…?“

„Nichts aber! Ich bin die Chefin und ich befehle, öffnen Sie Ihr Sakko.“

Vor und hinter uns wurde es unruhig. Langsam öffnete der Kellner sein Jackett.

„Danke schön. Herr Müller, wie viele Kellner kennen Sie, die eine Waffe im Dienst tragen?“

„Er ist kein Kellner? Er ist von Ihrem Sicherheitsdienst?“

„Genau und die Herrschaften hinter und vor uns auch. Die neben uns mit Sicherheit auch und ich denke, die davor und dahinter gehören auch zur Mannschaft. Stimmt es?“, fragte sie den Kellner milde.

Der nickte.

„Und wer noch?“

„Puh…, ich…“

„Sie dürfen. Herrn Müller, vertraue ich genauso wie Dirty Harry und meinem Leibarzt.“

„Wirklich? Ich bin nur ein kleiner…“

„Ja, wirklich reden Sie!“

„Alle hier im Raum sind von uns. Wir haben das ganze Restaurant gemietet.“

„Geht doch, und das Eis haben Sie mitgebracht.“

„Nein, die bekommen das Eis von einer Eisdiele, ist selbstgemacht, der Besitzer hat Ihre Portionen gestern Nacht unter Aufsicht hergestellt.“

„Und wenn ich jetzt was anderes bestellt hätte?“, fragte ich naiv.

„Natürlich alle vierundzwanzig Sorten, versteht sich“, antwortete er stolz. „Das Essen wurde unter Aufsicht gekocht, die Zutaten haben wir mitgebracht, vielleicht auch den Koch, geh ich von aus, aber dafür bin ich nicht zuständig“, entschuldigte er sich.

„Was für ein Aufwand!“, sagte ich staunend.

„Kann ich davon ausgehen, dass unter dem Tisch ein Mikrofon ist?“

„Bestimmt, in den Blumen ist mit Sicherheit auch eins.“

>Ich träume, aufwachen<, forderte ich mich auf.

„Dann möchte ich, dass alle jetzt genau zuhören. Wenn ich mit Herrn Müller unten in den Wagen einsteige, sind die Mikros und das GPS-Verfolgungssystem ausgeschaltet, und wir werden dann fortfahren, ohne dass uns jemand folgt. Heute Abend, ab Einfahrt in die Tiefgarage, gilt wieder herkömmliche Prozedur. Noch eins, sollte einer auf die Idee kommen, meinen Befehl zu missachten, ist er draußen, das gilt für alle. Ich betone nochmals für alle.“

„Oder haben Sie etwas einzuwenden, Herr Müller?“

„Was soll ich denn dagegen haben?“

„Wenn die Möglichkeit besteht, dass jemand versucht Sie heute zu erschießen, sollte ich den Befehl vielleicht rückgängig machen.“

„Da kann ich Sie beruhigen, ich habe nie die Vermutung, einer wollte mir ans Leben. Warum auch? Ich bin nur ein armes Würstchen“, jedoch bekam ich ein mulmiges Gefühl und mein verzehrtes Holzfällersteak drehte sich im Magen um.

„Dann legen wir mal los. In welch glücklicher Lage Sie sich doch befinden“, fügte sie leise hinzu, was mich nicht beruhigte.

Ich setzte mich nach vorne.

„Sie bestimmen wohin wir fahren. Ich lasse mich von Ihnen entführen.“

„Ooook…, haben Sie bestimmte Vorlieben?“

„Nun hören Sie mal, ich bin sechsundneunzig, da kann ich nicht wählerisch sein.“

„Nein, ich meine…“, lächelte ich und im Rückspiegel sah ich, sie lächelte auch, „ich meine, was könnte ich Ihnen bieten? Sie können sich doch alles kaufen.“

„Oh, da vertun Sie sich aber gewaltig.“

„Was können Sie sich denn nicht kaufen?“

„Wovon Sie jede Menge haben?“

„Was habe ich, was Sie nicht haben? Keine Ahnung.“

„Das haben Sie doch eben mitbekommen. Freiheit! Ich habe viele Freiheiten, aber Sie haben wirkliche Freiheit.“

„Das stimmt, wer sein Essen selbst mit ins Restaurant bringt und noch fünfzig getarnte Wachleute, der ist mit Sicherheit nicht frei. Das muss furchtbar sein!“

„Mal nicht übertreiben. Es hat auch Vorteile. Es ist immer jemand da, der die Koffer trägt.“

„Das ist auch wieder wahr. Ich weiß aber, was wir jetzt machen. Sie haben doch heute frei genommen von ihrem Bonzenleben?“

„Hab ich!“, sagte sie gespannt.

„Ihr Sicherheitschef würde einen Herzschlag bekommen und kündigen.“

„Das würde er sowieso, wenn er nicht wüsste, dass sich das Problem bald auf biologische Art und Weise löst. Das hofft er aber schon seit zehn Jahren“, fügte sie an. „Wohin geht’s denn?“, fragte sie neugierig wie ein Kind.

„Dann raten Sie mal!“

„Ach, Herr Müller, dafür bin ich doch zu alt.“

„Sind Sie nicht. Sie sind Chefin eines Imperiums.“

„Hum, da kann ich nicht widersprechen. Was würde Karl absolut verbieten? Ein Alptraum sind tiefe Gewässer.“

„Eine Bootstour machen wir nicht.“

„Öffentliche Plätze mit vielen Personen.“

„Bingo“

„Wir gehen in einen Park?“

„Riiichtiiig, in welchen?“

„Blumen?“

„Nein“

„Tiere?“

„Ja, und heute sogar mit Besuchern.“

„Da hätte ich auch früher drauf kommen können, nach unserem gestrigen Gespräch“, ermahnte sie sich. „In den Zoo, ganz toll, Herr Müller, sehr gute Idee, darauf freue ich mich. Das ist doch ganz in der Nähe, noch nicht einmal zehn Kilometer, lassen Sie die paar PS mal aus dem Sack.“

Ich fuhr los und konnte im Rückspiegel beobachten, wie die Alte Dame nach rechts und links schaute, mit einer unglaublichen Intensität, als käme sie vom Lande und würde zum ersten Mal in eine Großstadt kommen, so wie die Bauern vor hunderten von Jahren, als sie in die damaligen Großstädte wanderten und vor den riesigen Kathedralen erstarrten. „Es hat sich viel verändert, Herr Müller.“

„Ja, vor allen Dingen seit dem großen Umzug.“

„Seit dem Krieg“, flüsterte sie leise und ich sah wie zwei Tränen ihre Wangen hinunter liefen. Sie biss sich auf den Daumen.

Um etwas zu sagen und sie abzulenken, fragte ich: „Und halten sich Ihre Jungs an Ihre Anweisung?“

„Wir werden nicht mehr verfolgt.“

„Woraus schließen Sie das?“

„Die Autos vor und hinter uns sind zu klein, die haben wir nicht im Fuhrpark.“

„Aber meiner ist doch auch nicht viel kleiner.“

„Der wurde auch extra für Sie angeschafft. Wenn sie mich noch immer um die Ecke bringen wollen, dann bekommen sie in den nächsten Stunden die Gelegenheit, auf die sie seit Jahrzehnten warten, und die sie nicht mehr bekommen werden“, wurde sie nachdenklich und sah traurig aus und mir wurde wieder mulmig und mein Magen, der sich zwischenzeitlich beruhigt hatte, meldete sich wieder.

Nach weiteren zehn Minuten, die wir sprachlos verbrachten, erreichten wir den Zoo und ich begann einen Parkplatz zu suchen.

„Was machen Sie da?“, ermahnte mich die Alte Dame. „Warum parken Sie da nicht?“

„Das ist ein Behindertenparkplatz!“

„Ach?“, kam es verächtlich, „und da sollten wir nicht parken dürfen?“

„Ich dachte nur, wenn Sie keinen Pass haben, dann werden Sie auch keinen Behindertenausweis haben.“

„Sehen Sie den Aufkleber auf dem Wagen?“

„Mea Culpa“, sagte ich und fuhr einmal um die parkenden Autos und hielt in Nähe des Eingangs.

Beim Herunterlassen mit dem Rollstuhllift, sagte sie mir: „Wenn man schon Gebrechlichkeiten hat, sollte man zu mindestens jeden Vorteil daraus nutzen.“

„Ich nehme Sie jetzt immer zum Einkaufen mit“, murmelte ich schnippisch.

„Ich hab die Rente durch, ich könnte jeden Donnerstagnachmittag“, returnierte sie geschickt.

„Und ich dachte immer, das wäre die Bevölkerungsschicht mit der wenigsten Zeit, so wie sie sich aufführen.“

„Das will ich mal überhört haben“, lächelte sie, „und ich warne Sie eindringlichst, schreiben Sie das nicht in Ihrem Buch, wenn Sie denn eins schreiben. Dieses ist die Käuferschicht, die Sie nicht vergraulen sollten, sie sind zu dumm, um Ihr Buch aus dem Internet zu stehlen und haben genügend Zeit, es zu lesen und Geld, um es zu kaufen.“

„Ich werde es mir merken“, dabei schob ich sie Richtung Kassenhäuschen.

Plötzlich sagte sie: „Ich habe überhaupt kein Geld dabei.“

„Das macht nichts, ich hab einen neuen, guten Job und meine Chefin entlohnt mich sehr fürstlich, da kann ich es mir dieses Wochenende leisten, mein Mädchen auszuführen.“

„Oh, wie liebenswert, da kommt der Charmeur wieder zum Vorschein, wer Sie erzogen hat, muss ein Genie auf seinem Gebiet gewesen sein und einen Nobelpreis bekommen.“

„Ich erwähnte es schon, sie ist nur sechs Jahre zur Schule gegangen.“

„Ich erwähnte es auch schon, Schulbildung wird stark überschätzt.“

„Das stimmt, sie hatte das Herz am richtigen Fleck. Immer gut gelaunt, nie nachtragend, hatte viel Zeit für jeden und war unwahrscheinlich großzügig. Sie erzählte von einem Mann, der während der Kriegsjahre immer am selben Tag, zur selben Zeit, die Uhr hätte nach ihm gestellt werden können, an ihre Tür kam, um nach Essen für seine Familie zu betteln. Obwohl sie auch nicht viel hatte, gab sie ihm immer zwei Butterbrote. Später hat sie die Doppelten schon zum Frühstück geschmiert, so sehr war Verlass auf ihn. Jahre später hat er sie besucht, um ihr nochmals zu danken, sie hätte sehr dazu beigetragen, ihr Leid erträglicher zu machen, er wäre jetzt zu Geld gekommen, Beamter wäre er und würde ihr gerne einen Wunsch erfüllen. Meine Großmutter hat ihm geantwortet, sie hätten mit ihrem kleinen landwirtschaftlichen Betrieb und dem Handwerk ihres Mannes ausreichend zu leben, aber sie hätte trotzdem einen Wunsch, er solle seine Kinder in Demut erziehen, sorgen, dass sie nicht arrogant und überheblich würden. Das wären die besten Voraussetzungen für Frieden, und wenn er etwas tun möchte, dann würde er bestimmt Menschen finden, die es nötiger hätten als sie. Jedes Jahr bekam sie nun eine Unicef- Weihnachtskarte von ihm, bis zu ihrem Tod, und er war auch bei ihrer Beerdigung.“

„Sie hatten Glück, einen solchen Menschen um sich zu haben.“

„In der Beziehung habe ich immer Glück gehabt.“

Ich ging die Eintrittskarten kaufen und nach einer längeren Diskussion, kam ich zurück: „Ich hab Sie als schwerbehindert durchbekommen und mich für ihre Begleitperson ausgegeben.“

„Das sind Sie ja auch.“

„Sie haben aber keinen Schwerbehindertenausweis…“

„Ja, wenn ich nicht Schwerbehindert bin, wer dann?…“

Ich kam noch auf den Gedanken >Ob sie auch Pflegegeld bekommt? Aber ohne Pass ist das wohl wirklich nicht möglich und bei dem Einkommen auch nicht nötig, obwohl, landläufig bekannt ist, diejenigen die es am wenigsten nötig haben, nehmen alles mit.<

„Das hat sich die Frau an der Kasse wohl auch gedacht, und mir geglaubt, dass wir ihren Ausweis vergessen haben und daher mussten wir nur zehn Euro bezahlen.“

„Da haben wir aber Glück gehabt, normalerweise muss man in diesen Land, selbst wenn einem Arme und Beine fehlen, das mit einem Attest belegen.“

„Die Frau ist keine Beamtin.“

„Ja, das stimmt. Das Geld bekommen Sie zurück, darauf bestehe ich.“

„Und ich bestehe darauf, dass ich Sie einlade, keine Widerworte!“

„Dann muss Ihre neue Chefin aber wirklich großzügig sein. Dann lassen wir es mal krachen.“

„Und los geht’s“, ich schob die Alte Dame am Kassenhäuschen vorbei. „Wohin möchten Sie zuerst?“

„Das ist mir egal, nur müssen wir zu den Löwen, Tigern und Gorillas und was möchten Sie sehen?“

„Ich interessiere mich sehr für Vögel, besonders Geier und Adler, die großen Segler. Wenn ich wiedergeboren würde und als Tier zurückkäme, würde ich mir den Andenkondor aussuchen.“

„Um ihren Kopf in die Eingeweide toter Tiere zu stecken?“

„Nein, um in fünf bis sechstausend Meter stundenlang über die Erde zu gleiten und dabei jede Kleinigkeit erkennen zu können. Kondore sind bestimmt auch schwindelfrei.“

„Als perfekter Spanner möchten Sie zurückkommen… kein ungewöhnlicher Männerwunsch.“

Wir lachten beide.

„Und Sie, als was würden Sie gerne zurückkommen?“

Sie wollte gerade etwas sagen, da kam ich ihr zuvor. „Als einer ihrer „Jünger“ bestimmt.“

„Da haben Sie Recht, da würde es sich bestimmt lohnen, noch etwas auf die Ewigkeit zu warten.“

„Die Löwen sind direkt hier vorne rechts“, sagte ich, als eine junge Dame aus dem Nichts auftauchte und die Alte Dame erschrak sehr. „Wer ist das?“, fragte sie geradezu ängstlich.

„Sie ist Fotografin und sie möchte Fotos von uns machen, wenn wir dann heimgehen, können wir die Fotos für einen erheblichen Obolus erwerben.“

Ich schob den Rollstuhl weiter, als ein Ruck die Fahrt beendete und ich fast vornüber fiel. Die Alte Dame hatte die Bremse gezogen. „Ich bitte darum. Machen Sie schöne Fotos von mir und meinem Enkel, ich werde sie alle nehmen, wäre es möglich, dass wir die Löwen im Hintergrund haben.“

„Sicherlich, das kann ich machen, ich begleite Sie ein Stück.“

„Ich kenne Sie doch“, sagte die Fotografin sehr erfreut.

„Das kann ich mir nicht vorstellen“, antwortete die Alte Dame sehr distanziert.

„Doch sicher. Vorigen Sommer, da hatte, mein Haar noch eine andere Farbe, mein Freund wollte nicht, dass ich sie anders färbe, aber seit drei Monaten ist der Freund Geschichte. Sie haben…“

„Sind Sie denn auf der Suche?“

„Wonach?“

„Nach einem Mann?“

„Immer, gute Männer sind ja sehr schwer zu finden, ähnlich wie saubere Damentoiletten“, meinte sie und fand sich dabei unwahrscheinlich komisch.

„Kind, Sie stehen gerade vor einer“, meinte die Alte Dame im Gegenzug sehr ernst. Ich wurde bestimmt knallrot und verstummte.

„Vor… Echt“, wurde sie euphorisch und gleichzeitig verlegen, „Sie wollen mich auf den Arm nehmen?“

„Junge Frau, es gibt nur zwei Sachen, die man im Leben ernst nehmen soll, die Auswahl des Mannes und die Auswahl des Wohnorts. Erstes ist wichtig für das Privatvergnügen und zweites für den Steuersatz. Bei ersterem habe ich stets versagt, genauer gesagt vier Mal, beim zweiten nie. Sie müssen mich aber nicht bedauern, ich hatte immer äußerst sympathische Gärtner. Ich hatte aber auch nie das Glück, einem Herrn wie diesem hier zu begegnen.“

„Das haben Sie aber nett gesagt. Wer seine Oma samstags durch den Zoo schiebt, kann kein schlechter Mensch sein oder er will ans…“, verstummte sie und ihr Grinsen wurde noch breiter.

Wir waren nun am Löwenkäfig angekommen.

„Wenn wir uns Ihrer Metapher bedienen, würde ich sagen, die Toilette ist nicht neu, aber runderneuert und wartet darauf, benutzt zu werden.“, wurde die Alte Dame weltmännisch.

Ein Grinsen konnte ich mir nicht verkneifen, die beiden Frauen blieben dagegen vollkommen ernst.

„Wo ist denn Ihr Hund? Wenn ich fragen darf.“

„Auf unserem Gestüt.“

„Ach so, der ist… Quatsch, das ist doch ein Hund“, flüsterte sie verwirrt. „Die sagen hier, sie hätten das neue Dschungelhaus spendiert und dafür dürfte Ihr Hund hier Gassi gehen. Stimmt das? Wenn das zu Indiskret ist, brauchen Sie nicht zu antworten, ich will keinen Ärger, ich brauch den Job hier.“

„Das mit dem Gassi gehen ist sicherlich falsch, Rex hat eine eigene Toilette daheim, die er ausschließlich benutzt, er pinkelt nicht einfach so durch die Gegend wie Homo sapiens, zu mindestens wie die männlichen Angehörigen der Spezies, obwohl hinter Bierzelten auch schon weibliche der Gattung mit gleichem Verhalten beobachtet wurden. Zu dem Neubau habe ich einen Obolus beigetragen, dieses ist richtig, die Höhe wird aber sicherlich überschätzt. Daher war auch mein Chauffeur Harry hier, um nach dem Rechten zu sehen, nach den Baufortschritten. Sie verstehen?“

„Richtig, Rex hieß er und Harry so ein Riese und der Hund passte richtig zu ihm. Und der Direktor hat die beiden auch mal begleitet, aber nicht lange, Ihr Hund wollte das nicht, da hab ich ganz viele Fotos gemacht. Der hat ihn bis zu seinem Büro gejagt. Der Direktor war aber nicht sauer, er hat gesagt, ich soll Harry und Rex alle Wünsche erfüllen, wenn möglich, alle. War aber nichts Besonderes dabei“, sagt sie ein wenig enttäuscht. „Haben Sie die Fotos bekommen?“

„Ja, Danke. Wir haben sie alle in Rexs Zimmer aufgehängt.“

„Das waren aber viele.“

„Rex ist ein großer Hund, da braucht er auch ein großes Zimmer.“

„Das ist richtig. Soll ich jetzt von Ihnen und Ihrem Enkel ein paar Fotos machen.“

„Ich bitte darum!“

Wir wurden von der Fotografin in Szene gesetzt, und der Löwe im Hintergrund spielte auch mit, wohl in der Hoffnung ein neues Löwenhaus zu bekommen.

Beim Fotografieren kam mir der Gedanke: >Sind wir wirklich allein? Ist die Fotografin, wirklich Fotografin? Ist der Löwe, denn wirklich Löwe? Auf was für Ideen man kommt? Leide ich unter Paranoia? Ist das alles hier noch Real?<

Die Dame machte jede Menge Fotos von uns.

„Die Fotos lasse ich von meinen Chauffeur abholen.“

„Das wäre gut. Die brauchen Sie bestimmt auch nicht zu bezahlen. Ich frage den Direktor.“

„Das wäre zu liebenswürdig“, schnurrte die Alte Dame schmierig.

„Für eine Sponsorin ihres Kalibers… Hat Ihr Enkel auch mal einen freien Tag, wir könnten doch…“

„Zurzeit ist er unabkömmlich. Sie verstehen, ich bin schon sehr alt und meine Zeit ist begrenzt, ich muss ihn in die Geschäfte einführen, er ist schließlich Alleinerbe.“

„Oh, ich versteh.“

„Vielen Dank, wir müssen jetzt weiter.“

„Wenn Sie möchten, kann ich Sie begleiten und…“

„Nein danke, ich brauche jetzt ein wenig Ruhe, das Reden strengt mich an.“

„Ich könnte die Fotos auch persönlich vorbei bringen.“

„Nicht nötig, mein Kind, Karl wird sie holen.“

„Fahr mein Bester“, sagte sie zu mir.

Ich schob an.

„Wie erreiche ich denn Ihren Enkel?“

„Er wird Sie erreichen.“

„Aber…“

„Wir sind Supersponsoren, wir bekommen Ihre Adresse.“

„Ja, bestimmt“, kam es leise und resigniert zurück, sie wusste, sie hatte es total versaut.

Wir kamen am Nachttierhaus vorbei, wo wir nicht reingingen, und ich fragte die Alte Dame: „Warum soll ich mich mit dieser Frau nicht treffen?“

„Sie sucht einen gutaussehenden, muskulösen, reichen Draufgänger, der ihr zu Füssen liegt. Nun überlegen Sie. Warum sollte ein solcher Mann an so einer Frau Interesse haben, wenn es ihn denn wirklich geben sollte. Sie ist über dreißig, ihre besten Jahre hat sie längst überschritten, finanziell stark begrenzt, der Job, den sie ausübt, ist auch nicht vielversprechend und Intelligent ist sie nun wirklich nicht, sonst hätte sie sich anders angestellt, aber darauf können die Männer meistens verzichten.

Sie wird höchstens einen gutaussehenden Idioten bekommen, oder einen muskulösen Idioten, oder ein reichen Idioten, oder ein draufgängerischen. Sie ist einfach nicht in der Lage ein gesundes Mittelmaß zu finden.“

„Woher maßen Sie sich an, so über die Frau zu urteilen, Sie haben sie doch nur kurz kennengelernt.“

„Sie ist auf Karl angesprungen: Muskeln, gutaussehend. Als ich von Ihnen schwärmte, interessierte sie es anfänglich nicht. Dass sie drei Hinweise brauchte, um zu verstehen, dass ich reich bin, und Sie mein Erbe bekommen, zeugt wirklich nicht von Intelligenz. Als sie danach verzweifelt versuchte, mit ihnen auszugehen, zeigte sie, dass sie nur hinter dem Geld her ist.“

„Sie urteilen schnell und zielgerichtet.“

„Vertun Sie sich da mal nicht. Rex hätte dafür nur eine Zehntelsekunde gebraucht und wäre dabei nur an ihr vorbeigelaufen. Im Übrigen war ich dreimal verheiratet, da hat man Erfahrungswerte und ich versichere ihnen, es waren alles Idioten, mehr oder weniger, jedoch hatten sie so viel Intelligenz, um ihren wirklichen Intellekt eine Zeitlang verbergen zu können. Aber sie waren alle einigermaßen zu ertragen, sie waren wenigstens alle sehr, sehr reich.“

„Und wer oder was bin ich? Als Mann, meine ich.“

„Sie sind ein Mann fürs Leben, den diese Frau nicht verdient hat, die Dame würde eine klinisch saubere Toilette noch nicht einmal erkennen, wenn sie mit ihrem Hintern darauf sitzt.“

Wir kamen zu den Tigern. Eine fünfköpfige Familie stand abseits von uns. Im Buggy schlief ein nicht zwei Jahre altes Kind und ein etwa dreijähriges bettelte im monotonen Rhythmus: „Ich will ein Eis.“ Nach jedem dritten Mal wiederholte die Mutter: „Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

„Herr Müller, schauen Sie sich die Tiger genau an, versuchen Sie mal herauszufinden, was sie mit Rex gemeinsam haben.“

>Bin ich froh dass meine bald erwachsen sind. Dann beginnt wieder die Freiheit, hoffentlich.<, dachte ich so vor mich hin.

Es hörte sich fast an wie Musik:

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

>Welcher Musikrichtung wäre dieser Sound wohl zuzuordnen?<, fragte ich mich.

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Ich will ein Eis.“

„Wenn du jetzt nicht ruhig bist, gehen wir nachhause.“

„Könnt Ihr das nicht vernünftig ausdiskutieren?“, mischte sich der Vater ein.

„Herr Müller, sind Sie noch da? Muss ich mir Sorgen machen?“

„Vier Beine.“

„Die hat ein Esel auch.“

„Ja sicher, also ich weiß nicht. Rex sieht muskulöser aus, also weniger Körperfett oder weniger Fell.“

„Das stimmt, aber das ist ein Unterschied.“

Ich überlegte.

„Du sollst mich vor den Kindern nicht in Sachen Erziehung tadeln, das ist kontraproduktiv“, beschwerte sich die Mutter.

„Ich will dich nicht tadeln, aber dieses Hin und Her bringt doch nichts. Mit Erziehung hat das nichts zu tun.“

„Du tadelst mich schon wieder!“

„Tu ich nicht!“

„Tust du wohl!“

„Tu ich nicht!“

„Tust du wohl!“

„Tu ich nicht!“

„Tust du wohl!“, wird sie laut.

>Die B-Seite der Schallplatte wird gespielt. Wie schön. Obwohl werden Schallplatten noch neu veröffentlicht<, dachte ich schadenfroh.

„Herr Müller, auf welchem Planeten sind wir?“

„Entschuldigung, was mir von Anfang an Rex besonders auffiel außer seinem riesigen Kopf waren seine beharrten riesigen Pfoten.“

„Das ist es. Die Pfoten sind riesig, er fährt die Krallen aus wie eine Raubkatze, zwar nicht in dem Maße, dadurch kann er aber geräuschlos laufen, er ist vom Hetzer, wie der Wolf einer ist, zum Anschleicher mutiert, wie ein Löwe oder Tiger, was für den Zweck als Wachhund wesentlich vorteilhafter ist.“

„Sehr interessant“, tat ich interessiert, aber in Wirklichkeit lauschte ich den Eltern.

„Tu ich nicht!“

„Tust du wohl!“

„Tu ich nicht!“

„Wir sind beide Pädagogen, wir sollten doch in der Lage sein, eine gegenseitig respektvolle Diskussion zu führen.“

„Komm mir jetzt nicht so, nur weil du in Pädagogik besser warst…“

„Herr Müller“, wird sie laut.

„Ja, was ist?“

„Tun Sie mir einen Gefallen?“

„Sicherlich.“

„Schieben Sie mich bitte fort oder schmeißen mich in das Tigergehege, das hält kein Mensch aus.“

Als wir an der Familie vorbeigingen, sagte die Alte Dame ziemlich laut: „Lehrers Kinder, Pastors Vieh gedeihen selten oder nie.“

Die zwei schauten sich beide verdutzt um, und es war zum ersten Mal ruhig. Endlich!

Wir gingen zu den Teichen hinunter, wo ich die Toilette aufsuchte. Erst als ich wieder raus kam, wurde mir klar, ich hatte sie alleingelassen. Als ich sie darauf ansprach, sagte sie nur sehr ruhig: „Herr Müller, wenn wirklich jemand versuchen sollte…, was ich nicht hoffen möchte und auf Grund meines Alters auch keinen Sinn mehr macht, versprechen Sie mir nur eins, Sie spielen nicht den Helden, Sie drehen sich herum und gehen. Helden haben eine furchtbare gemeinsame Eigenschaft, sie werden nicht sehr alt. Also versprechen Sie mir das?“

„Ich werde es versuchen!“

„Nein, das werden sie nicht versuchen, Sie werden es tun, Sie werden noch gebraucht, Sie sind nur ein Vorleser, seien Sie froh drum.“

„Okay, ich verspreche es Ihnen.“

„So, wo geht es denn nun lang?“

„Jetzt kommen die Bongos und Okapis, danach die Nashörner.“

„Bongos kenne ich nur als Musikinstrument.“

„Okapis gehören zur Art der Giraffen und Bongos sind braune relativ schwere Antilopen, die im Gegensatz zu ihren Artgenossen nicht in der Steppe leben, sondern in dichten Wäldern.“

„Sie wissen ja Sachen!“

„Früher hatten wir eine Jahreskarte und wir waren fast jedes Wochenende hier, von den Beschreibungen der Tiere ist einiges hängengeblieben. Außerdem hatte ich mit der Großen einen Wettbewerb, wer zuerst alle Tiere im Zoo kannte.“

„Sie haben hoffnungslos verloren.“

„Das ist das richtige Wort, wirklich absolut hoffnungslos. Sie liest den Namen einmal und den dazugehörigen Text und behält davon schätzungsweise achtzig Prozent. Beim zweiten Mal sind es dann sechsundneunzig und so geht es weiter, da hast du einfach keine Chance. Sie wissen überhaupt nicht wie viele Tiere die hier haben, die großen gehen ja noch, aber die kleinen Insekten, Amphibien, Fische und was es da alles gibt.“

Nach einer weiteren halben Stunde machten wir Rast. Sie genoss es, Cola zu trinken und Eis zu essen, was ich ihr fütterte. Nachher am großen Kinderspielplatz aß sie noch ein Eis: „Wenn meine Tochter das sehen könnte, würde uns beide ein Vortrag über weißes Gift bevorstehen. Herr Müller, ich danke ihnen für diesen schönen Tag und das Wetter hat auch noch mitgespielt, eine der wenigen Dinge wo ich keinen Einfluss drauf habe“, wurde sie nachdenklich, „Sie bescherten mir einen der schönsten Tage in den letzten zwanzig Jahren, dafür möchte ich mich wirklich bedanken.“

„Nichts zu danken“, antwortete ich gnädig und löffelte dabei mein Eis. „Bei soviel Reichtum, lassen sie den Karren beim nächsten Mal aber bitte ordentlich schmieren.“

„Das brauche ich überhaupt nicht, ich muss nur die elektronische Schiebehilfe wieder einschalten.“

„Ach, Sie lassen mich die ganze Zeit ackern.“

„Ich bezahle Sie doch dafür und da wollte ich etwas Strom sparen und Sie können etwas sportliche Betätigung vertragen, außerdem, wer so schlecht über Rentner spricht, hat es nicht besser verdient.“

Wir blieben noch über zwei Stunden, witzelten viel, erzählten uns die eine oder andere Geschichte, lieferten uns Wortgefechte, es war eine Freude, ein sehr schöner Tag, den ich nie vergessen werde.

Der Vorleser der Alten Dame

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