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2. Du musst töten für mich

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Die Kinder haben sich wahnsinnig gefreut, als ich ihnen von meiner neuen Arbeitsstelle erzählte. Von der Berichterstattung über Rex war meine Kleine ganz begeistert und fragte sofort, wann sie mitgehen könnte. Ich versuchte die Euphorie zu bremsen, indem ich auf die Größe und die damit verbundene Gefährlichkeit des Hundes hinwies, aber meine Kleine, die überhaupt keine Angst vor Tieren hat, die selbst einem Tiger die Zähne putzen würde, sagte nur: „Papa, du hast vor jedem Tier Angst, dass dir über die Knie geht.“

„Quatsch“, protestierte ich heftig.

Die Große stand im Türrahmen angelehnt und betonte: „Ich tue es nicht gerne, aber ich muss ihr recht geben.“

Darauf behauptete ich, dass ich keinerlei Angst vor Schafen und Ziegen habe, und die würden mir unbestritten bis zum Oberschenkel reichen. Zuerst entbrannte eine Diskussion mit meiner Kleinen, wie groß Schafe und Ziegen sind, die ich aber gewann. Aber dann kam meine Große mit alten Klamotten, die schon längst verjährt waren. Bei einem Besuch in einem Freigehege war ich nachweislich vor einem Ziegenbock geflohen, der mir die Futtertüte abnehmen wollte. Was heißt wollte, er hatte sie natürlich bekommen, und die Große hat das auch noch alles gefilmt, da war sie sechs.

Die Beweislage war eindeutig. Sie drohte sogar damit, den Film zu zeigen. Ich bekannte mich schuldig in allen Dingen der Anklage und beschloss die Flucht. Einen guten Grund hatte ich auch, der war zwar sehr unangenehm, aber ich konnte und wollte es nicht weiter aufschieben, zumal ich jetzt einen neuen Job hatte.

„Kinder, ich dreh noch mal eine Runde“, sagte ich erleichtert, mich der Diskussion entziehen zu können.

Die Kleine sagte verwundert: „Das hast du aber lange nicht mehr gemacht.“

Im Flur zog ich die Jacke an. Meine Große kam und rückte mir den Kragen zurecht, wie sie das häufig machte, es war mir immer sehr unangenehm, da sie mich dann immer an ihre Mutter erinnerte. Ich ließ mir dies aber nie anmerken.

Mit wohlwollender, zarter Stimme sagte sie noch: „Es freut mich sehr, dass du einen guten Job gefunden hast.“

Ich ging die gleiche Route wie am Morgen.

„Guten Abend, Yusuf“, sagte ich verlegen.

„Hallo Thomas, wie geht’s? Lange nicht gesehen.“

„Gut und dir?“

„Wie sagt ihr, schlechte Menschen immer geht gut. Mir geht sehr gut.“

„Schön zu hören.“

Yusuf verschwand und holte zwei Büchsen Bier und stellte mir eine hin. „Bitte.“

Ich fasste an meine Gesäßtasche und Yusuf sagte: „Geht auf Haus“. Er machte seine Büchse auf und sagte: „Prost!“.

Ich erwiderte, öffnete meine Büchse und trank ebenfalls.

„Du wirst verwundert sein, aber ich habe Geld“, und legte ihm einen Hundert-Euroschein auf den Tisch.

„Du selbst gemalt“, witzelte Yusuf. Rührte den Schein aber nicht an.

„Nein“, sagte ich verlegen, „ich hab einen neuen Job.“

„Ach wirklich, herzlichen Glückwunsch. Was arbeiten du jetzt?“

„Ich habe eine Stelle als Vorleser.“

„Als was?… Brauchst du nicht machen, kannst du hier arbeiten. Sohn kann nicht mehr, hat Studium fertig. Jetzt auch Schlipsträger, wie du immer sagen, hat für Arbeiten hier keine Zeit mehr.“

„Die Kinder werden schneller größer als man denkt. Als Du hier anfingst konnte er kaum über den Tresen schauen und jetzt ist er Informatiker?“

„Ja, Doktor mit Computer und so. Verdient jetzt viel, viel Geld. Arbeitet bei Firma mit drei Buchstaben, S…P…A, nee, SPD, nee, das Verbrecher, ach weiß nicht, machen auch mit Fußball.“

„Von Fußball hab ich keine Ahnung“, gab ich ehrlich zu.

„Du komische Mann, nix Fußball, nix Frauen, warum du leben?“, fasste er mein Leben kurz und schmerzlos zusammen.

„Für mich gibt es Wichtigeres. Ich lese sehr gerne und jetzt verdiene ich sogar Geld damit. Eine ältere Dame bezahlt mich dafür, dass ich ihr vorlese.“

„Ja, ja“, sagte Yusuf sichtlich belustigt. Mit dem Zeigefinger der linken Hand zog er das untere Augenlid des rechten Auges runter und hetzte: „Machst schnacki, schnacki mit ältere Dame“, und bewegte dabei die Hüften nach vorne und hinten.

„Nix da“, sagte ich verlegen, „die Frau ist über neunzig“

„Waaasss, fast hundert“, schreckte er auf, „da musst du aufpassen, nix kaputt machen.“

„Quatsch“, sagte ich knallrot, „ich lese ihr vor. Literatur, Bücher.“

„Ach was“, sagte er ungläubig. „Wie viel du verdienen?“

„17,50 Euro die Stunde bar auf die Hand.“

„Und dann nix schnacki, schnacki“, er machte wieder diese rhythmische Bewegung, „Du mich verarschen, mehr verdienen als ich.“

„Ha, ha… du hast hier eine Goldgrube. Allein was dein Mercedes-Bus kostet.“

„Bezahlt Steuer. Du haben Recht. Ich verdiene wirklich viel, viel Geld. Verdienen du wirklich 17,50 Euro die Stunde“, hakte er nach.

„Ja, und ein Auto dazu!“

„Auto auch noch und nix schnacki, schnacki, ich kann nicht glauben“, er bewegte die Hüften.

„Das wäre noch ein Job für dich?“

„Schnacki, schnacki machen, ja, aber nix lesen können, nix lernen.“

„Jetzt willst du mich verarschen. Wer kontrolliert dir denn deine Lieferscheine und so weiter?“

„Früher Problem, muss immer Leute suchen und Lieferant oft beschissen mich haben, aber heute nix mehr Problem, Kinder groß. Junge jetzt weg, aber Mädchen Hohe Handelsschule. Auch schlau in Kopf. Nix dumm wie Papa.“

„Aber du kannst doch bestimmt Arabisch“

„Nix schreiben, ich immer aufpassen auf Tiere, Papa Bauer, Brüder können schreiben und Frau auch.“

„Was hat dich eigentlich nach hier verschlagen, wenn ich fragen darf?“

„Was schlagen?“, fragte er irritiert nach.

„Warum bist Du hier?“, verbesserte ich mich und denke: >Das ist ganz schön direkt.<

„Lange Geschichte“, sagte er nachdenklich.

„Ich hab Zeit, du hast noch eine Stunde offen und kein Mensch ist hier. Prost!“

„Prost!“, er trank, „ach, nix gerne reden, scheiß Zeit, nix erinnern gern“, druckste er herum.

„Dann lass mal gut sein“, antwortete ich mit viel Verständnis.

„Du nix verstehen. Irak meine Heimat. Nix liebe Polizei wie hier, Sohn von Bürgermeister will meine Frau, ich sage: „Meine Frau!“, er: „Meine!“, ich: „Meine!“ und immer weiter so, du verstehen?“

„Ja“, und dachte: >So hört sich jetzt bestimmt dein Schulenglisch an.<

„Wurde ganz, ganz schlimm“, jetzt wurde er traurig. „Papa sagt: Du gehen muss, sonst tot und Frau auch! Ich hören auf Papa, nix wie hier. Bis heute, nix kennen Leute, die uns geholfen, Leute die uns getroffen, immer nur sagen: Nix fragen, machen. Und wir machen, Schnauze halten und machen. Viel, viel, viel Glück haben, weg gehen sehr, sehr gefährlich, Yusuf dir sagen kann und heute uns gehen sehr, sehr gut. Gutes Land hier, sehr, sehr gutes Land hier. Politiker bisschen Scheiße, aber klar, ist auch Politiker.“

Seine Traurigkeit legte sich.

„Wenn heute Mann kommt und sagt: Ich dir geholfen damals und er sagt: Ich brauche deine Hilfe! Yusuf sagt: Was du wollen. Wenn sagt er: Du musst töten für mich! Ich sag: Sag Name!“

„Das ist doch nicht dein Ernst“, sagte ich, obwohl ich wusste, dass er keine Sekunde zögern würde.

„Klar, du nix gelebt mit Diktator, ich schon. Du nix wissen, was Leute riskiert für uns. Bei uns Politiker Schweine groß, bei euch Politiker Schweine klein“, sagte er belehrend.

„Du meinst bei euch machen die Politiker große Sauereien und bei uns kleine“, berichtigte ich ihn.

„Ja, gesagt ich hab. Bei euch Politiker kriegt Kredit von Mann reich, dafür Politiker bisschen macht Gesetz für Mann reich. Wenn Presse schreibt, Politiker Job weg. Nix schlimm, Politiker kriegt immer noch Geld von Staat. Hier viel kompliziert.

Bei uns ganz einfach. Viel einfach. Politiker macht sowieso Gesetz für Mann reich. Er selbst auch reich. Mann reich Gesetz egal, er macht sowieso was will, wenn Problem, ruft Diktator an. Du kleiner Mann hast immer Arschkarte. Mann reich geben Politiker immer Geld. Wenn Presse schreibt, Pressemann tot. Aber nix schreiben, weil Zeitung gehören Mann reich oder Politiker. Du verstehen?“

„Du hast recht, im Vergleich zu euch geht es uns mit unseren Politikern noch ganz gut.“ Ich sah den Hundert-Euroschein,

und schob ihn rüber: „Hier, nimm!“

Er sagte bestimmend: „Nix da, Deckel schon bezahlt!“

„Wieso?“, protestierte ich.

„Schlipsträger hat bezahlt aus Bunker“, sagte er kurz.

„Wieso?“, fragte ich nochmals ungläubig.

„Schlipsträger bestellt Essen und Trinken, kommt spät und sagt: Yusuf machen schnell. Ich hol Essen in Restaurant und bring Sachen. Er sagt: Was kostet? Ich sag: Vierhundert Euro. Er sagt: Boah, viel Geld, brauch Rechnung. Ich sag: Nix Rechnung. Er sagt: Rechnung. Immer so weiter, du verstehen. Dann ich sag zu mir: Das zu doof, komm Morgen, ich hab Rechnung. Arsch kommt spät, eine Woche. Ich geben Rechnung. Er sagt: Warum du wollen 750 Euro Ich sag: Du wollen Rechnung, dann 750 Euro. Er sagt: Ich Anwalt. Ich sag: Ich Yusuf, ich Iraker. Nehme Schwert Familie: Du mich Bescheißen, ich bekommen Hand, Tradition in Irak. Er nix mehr Anwalt, hat Geld bei Bank geholt und hat Uhr zurückbekommen und wollte auch keine Rechnung mehr. Ich nix wollen Schweinegeld.“ sagte er voller Stolz. „Ich dafür Deckel in Mülleimer, deiner auch und von andere Schwein arm auch.“

Er schob mir den Hunderter rüber und sagte bestimmend: „Du nehmen, sonst Ehre Yusuf krank.“

„Wenn es ein Anwalt bezahlt hat“, sagte ich verlegen, „Dann will ich mal nicht so sein.“ >Netter Zug von Yusuf, aller Ehren wert<, dachte ich, >aber bin ich schon so am Arsch, dass ich Mitleid von einem irakischen Asylanten bekomme, der kein einziges Verb richtig deklinieren kann?<

Ich nahm den Schein, steckte in weg und sagte: „Prost, Yusuf!“

„Hau weg den Dreck!“, antwortete Yusuf und nahm zwei große Schlücke. Wir unterhielten uns noch eine Weile über dies und das, und ich half ihm, wie früher beim Einräumen, seiner Zeitungsständer. Als er in seinen Bus stieg, sagte er laut und bestimmt: „Wenn du nächstes Mal nix haben Arbeit, du nix warten so lang, du kommen zu mir, klar!“

Ich ging nicht mehr am Bunker vorbei, sondern direkt nach Hause, da es schon spät geworden war, und die Kleine nicht ins Bett ging, wenn ich es ihr nicht sagte. Der Regen wurde stärker, und ich zog die Kapuze über den Kopf.

Der Vorleser der Alten Dame

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