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11. Kommen Sie, ich zeig Ihnen was

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Montagmorgen

Als sich die Aufzugstür öffnete, wurde ich von einer der Schwestern erwartet. Sie bat mich zu Rexs Ruhezimmer zu gehen, wo die Alte Dame warten würde und wünschte, ich sollte dort vorlesen, Rex würde es noch nicht besser gehen.

„Muss ich mir Sorgen machen?“, fragte ich besorgt.

Sie zuckte nur mit den Schultern und ging.

>Quasselstrippen sind die Schwestern nicht unbedingt<, fiel mir zu ihrem sonderbaren Verhalten ein.

Als ich in sein Zimmer kam, war der Rollstuhl vor dem Kopfende in Richtung Tür platziert. Sie bemerkte mich nicht. Sie flüsterte zu Rex. „Du lässt mich hier nicht alleine, alter Junge, verstanden!“

Ich klopfte an die Türzarge, um mich bemerkbar zu machen und sagte vorsichtig: „Guten Morgen.“

Schlagartig wechselte die Stimmung der Alten Dame in Heiterkeit über: „Kommen Sie herein, Guten Morgen, Rex ist immer noch K.O., daher dachte ich, Sie lesen hier.“

„Kein Problem.“ Ich setzte mich auf den Armlehnenstuhl, den jemand vom Lesezimmer nach hier gebracht hatte, und einen Beistelltisch mit der gewohnten Auswahl an Getränken und Leckereien hatte man auch nicht vergessen. Service war in dem Laden großgeschrieben, auch für das arbeitende Personal. Obwohl arbeitete ich überhaupt?

„Womit beginnen Sie denn heute?“

„Zuerst muss ich Ihnen einen herzlichen Dank von meiner Großen bestellen. Das Laptop, was Sie ihr geschenkt haben, gefällt ihr sehr, es muss was ganz Besonderes sein, sagt sie.“

„Ach was, Herr Müller, so was bekommen wir immer als Probeexemplar zugeschickt, die Firmen stellen sich damit vor“, winkte sie ab, aber ich wusste, sie flunkerte, so gut kannte ich sie schon und von Rex kam ein Schnaufen.

„Wir hatten nichts abgesprochen und da dachte ich, weil Rex „Tschick“ so gut gefallen hat und es dem armen Kerl so schlecht geht, lese ich: Der Hundertjährige der aus dem Fenster stieg…“

„Davon habe ich schon gehört“, unterbrach sie mich, „es handelt sich um einen Mann, der kurz vor seiner Geburtstagsfeier zum Hundertsten aus dem Altenheim flieht und dann eine Vielzahl von Abenteuern besteht, und gleichzeitig wird sein Lebenslauf geschildert. Sehr skurrile Geschichte, nicht wahr?“

„Genauso ist es, ein absoluter Bestseller.“

„Dann lesen Sie. Rex wird es mögen und ich auch. Es wird ihn ablenken und ich muss mich noch, auch im Namen von Rex, bei Ihnen für den gestrigen Besuch bedanken. Meine Tochter berichtete mir, Sie hätten Rex vorgelesen. Das hat ihn sehr gefreut, besonders in seiner misslichen Lage. Sie werden dafür natürlich entlohnt.“

„Nein, das werde ich nicht, das war ein rein freundschaftlicher Besuch. Rex hatte auch noch etwas gut bei mir. Die Bemerkung mit der Hautcreme war nicht sehr nett von mir und Ihnen habe ich sowieso zu danken, meine Kleine ist ganz aus dem Häuschen, sie sitzt zu Hause und kann es überhaupt nicht abwarten, wenn Ihre Tochter sie heute Nachmittag abholt.“

„Warum ist die Kleine denn Zuhause? Hat sie keine Schule?“

„Lehrerausflug.“

„Ach ja, die Ausflüge“, raunzte sie abwertend. „Dann kann sie auch was Vernünftiges machen, oder Herr Müller?“

„Sicher…, was meinen Sie denn?“

„Schickt mir meine Tochter rein!“, wurde sie streng. „Und nicht erst morgen.“

„Sie können schon mal anfangen zu lesen, Herr Müller, meine Tochter wird gleich kommen, wenn… Ach was… lassen wir das.“

Ich nahm das Buch, schlug es auf und hinter mir hörte ich keuchend: „Ist was mit Rex?“

„Nein“, erwiderte ihre Mutter kurz und knapp, „Herr Müller sagte mir… im Übrigen, du hast dich in Herrn Müller getäuscht, Liebes, den Sonntag möchte er nicht bei seiner Entlohnung wiederfinden“, belehrte sie unangenehm freundlich.

„Eh…ja, ist gut, werde ich erledigen“, bestätigte sie und hörte sich an wie eine neu eingestellte Sekretärin, die bereits um ihren Job fürchtet.

„Kind, die Kleine hat heute Morgen Zeit, das trifft sich ausgezeichnet und kommt dir bestimmt auch gelegen, du willst es uns allen ja noch mal zeigen und ein Meister ist noch nie vom Himmel gefallen. Also hol die Kleine ab und dann zum Gestüt“, lautete der interne Auftrag, der abzuarbeiten war.

„Aber…“

„Nichts aber, mach dich auf den Weg.“

„Und Rex?“

„Jetzt reicht es, das hättest du dir am Samstag überlegen können, da hast du dich nicht um ihn gekümmert, hättest du dich…, wäre er jetzt nicht in so einem desolaten Zustand“, regte sie sich künstlich auf.

„Aber…“

„Kind, du wirst nicht jünger, treib Sport, denk an deine Cellulite“

„He…, ich hab…“

„Noch nicht, weil du meine Gene hast, mein Bindehautgewebe, aber irgendwann versagen auch meine Gene, also treib Sport, die Kleine wartet schon“, log sie.

„Na, wenn Sie wartet“, gab sie auf. „Ich reite aber nicht. Ich hab noch Muskelkater ohne Ende und kann nur gehen, weil ich Medikamentiert bin.“

„Wie du willst. Wir müssen uns um Rex kümmern, den du so zugerichtet hast. Lesen Sie, Herr Müller!“

„Boohr eh…, du…, das ist ungerecht…“, regte sie sich fürchterlich auf. „Schönen Tag noch, Herr Müller, mit dieser alten, bösen Hexe. Ich werde mir einen schönen Tag machen mit Ihrer Tochter“, und verschwunden war sie.

„Und so was hat Psychologie studiert und hat sogar einen Doktor darin“, strudelte sie lächelnd vor sich hin und räusperte sich. Bei allen Beschwerden, die Rex womöglich hatte, konnte er es nicht vermeiden, mit der Schwanzspitze zu wackeln, als Frau Dr.Dr.Dr. zusammengefaltet wurde.

Ich las eineinhalb Stunden, als die Alte Dame mich unterbrach: „Ich glaube, der alte Junge ist eingeschlafen. Wir sollten ihn in Ruhe lassen. Wenn Sie möchten, zeige ich Ihnen meine Schätze und ein wenig von der Wohnung. Heute Nachmittag können Sie uns weiter vorlesen.“

Darauf hatte ich gewartet, schon am ersten Tag, nur war ich von der Fremdenführerin etwas enttäuscht, die roch bei weitem nicht so gut, aber man kann nicht alles haben. Ich schob sie zurück zum Aufzug, wir standen nun in einem Viertelkreis, der einen Radius von etwa sechs Metern hatte. Im Zentrum war der Aufzug und auf der Außenbahn des Radius waren im gleichmäßigen Abstand, wenn mein Mathewissen mich nicht täuschte, jede dreißig Grad, eine Tür eingebaut. Ich musste immer die rechte nehmen, vom Aufzug ausgesehen, dort begann ein endlos langer Flur. Zum Lesezimmer hin nahm ich die zweite Tür links und dann wiederum die dritte rechts. Rex Zimmer war einfacher zu finden, vom Aufzug rechts, erste Tür links und dann nochmals links, die Türen war immer offen.

„Wir müssen uns links halten, Herr Müller.“ Und die Tür verschwand seitlich in der Wand und uns eröffnete sich ein neuer Viertelkreis, wiederum mit drei Türen auf der Außenbahn und einem Aufzug in der Mitte und wiederum eine Tür auf dem gegenüberliegenden Schenkel, das schien System zu haben, und die Alte Dame bestätigte dieses auch: „Wenn Sie durch diese Tür gehen, kommen Sie in den Bereich, den meine Tochter bewohnt, dort können Sie nochmals weitergehen und finden das Gleiche vor wie hier und beim nächsten Mal wären Sie wieder am Ausgangspunkt, wo wir starteten.“

„Sie bewohnen eine komplette Etage, das sind ja…“

„Ja wie viel sind es denn?“, ließ sie mich hängen und sie genoss es, wie ich mich beim Rechnen quälte.

„Ungefähr zehntausend Quadratmeter.“

„Es sind weniger, dieses Stockwerk dient als Technikgeschoss, ein Großteil der Gebäudetechnik ist hier untergebracht, im vierten Quadranten. Wir müssen geradeaus.“

Hypnotisiert von der Tatsache, dass ihr Appartement „nur“ acht- vielleicht auch nur siebentausend Quadratmeter groß ist und das bei einem Kaltmietpreis, der bei der Lage durchaus bei zwanzig Euro liegen kann, schob ich sie nach vorne. Diese Größenordnungen von Zahlen schalten mein Gehirn auf Notmodus um, was wohl in der Urzeit dazu diente, in Gefahren zu handeln ohne zu denken, weil dafür keine Zeit blieb.

„Stopp“, schrie sie auf, „die Tür ist aus Stahl, die durchbrechen wir nicht.“

„Oh“, sagte ich aus meiner Hypnose erwachend, „tut mir leid.“

„Ist auch alles neu für Sie, kann ich verstehen“ entgegnete sie gnädig, was sonst eigentlich nicht ihre Art war. „Versuchen Sie doch mal die Tür zu öffnen.“

Ich erinnerte mich an die Worte von Dirty Harry: „Du hast eine sehr hohe Berechtigungsstufe, du wirst fast überall reinkommen.“

Und vor jeder dieser Türen stand einer dieser Scanner. Ich legte die Hand auf die Scheibe und schaute durchs Sichtfeld und im Anschluss piepste es.

„Funktioniert ja“, hörte ich die Alte Dame, „Sie können mich jetzt hereinschieben oder erwarten Sie, es würde noch ein Film gezeigt?“, wurde sie ironisch, was ihr wesentlich besser stand.

Beim Aufsehen blendete mich ein Licht, welches durch die offene Tür fiel. Ich schob die Alte Dame hinein und war von diesem lichtdurchflutetem Raum, was heißt Raum, eher Halle, beeindruckt. Schon wieder mal, seit einer Woche kam ich aus dem Staunen nicht mehr raus. Ohne den ganzen Krempel, der hier alles verstellte, und ohne die halbhohen Zwischenwände hätte man hier ein Jugendfußballturnier abhalten können.

„Eine Ihrer Freiheiten?“

„Auf den Mund gefallen sind Sie nicht“, lächelte sie.

„Ob die echt sind, brauche ich nicht zu fragen.“

„Das wäre beleidigend“, formulierte sie hochadelswürdig.

Wir gingen durch die Reihen: Miro, Dali, Klimt, Tuner, ein düsterer Rembrand…

Dann kam eine Serie Picassos, dazu sagte sie nur: „Habe ich vor dreißig Jahren von einer Freundin aus der Schweiz übernommen, ihr Vater war Kunsthändler.“

„Andy Warhol haben Sie auch?“

„Ein damaliger Freund bat mich, ein paar Stücke zu erwerben, er hätte auch schon viel gekauft, aber das wäre ihm doch sehr peinlich, alle kämen nur glotzen und Schampus saufen, aber niemand würde kaufen. Ich kann mich heute noch ärgern, dass wir nicht alles gekauft haben, sondern nur einen Lieferwagen voll, wir hätten sonst eine dreistellige Millionensumme verdient.“

„Einen Pollock haben Sie nicht, die sollen ja besonders günstig sein?“ spottete ich.

>Mit dem Verkauf der Bilder, an denen wir vorbei gekommen waren, hätte sie eine Hungersnot in einem afrikanischen Staat verhindern können.<

„Doch davon hab ich sogar zwei, die sind aber nicht hier, ich mag dieses Krickelkrackel nicht.“

>Zwei! Der afrikanische Kontinent wäre gerettet.<

„Zweihundert Millionen.“

„Beide zusammen. Sie sind aber gut informiert.“

„Ich lese nicht nur vor, sondern auch für mich. Mein Arzt hat in seinem Wartezimmer solche Spezial-Magazine ausliegen, und da ich kein Privatpatient bin, habe ich immer genügend Zeit, mich zu informieren.“

„Da muss ich meine Meinung bezüglich der Situation zwischen Kassen- und Privatpatienten nochmals überdenken. Früher dachte ich, es wäre nach dem Grundgesetz konform, dass Privatpatienten besser gestellt sind als Kassenabhängige. Aber nach Ihren Ausführungen stimmt das überhaupt nicht. Durch das Bildungsangebot in den Wartezimmern der Ärzte sind Privatpatienten mit ihren kürzeren Wartezeiten deutlich im Nachteil, dabei ist die Gleichheit der Menschen im Grundgesetz verankert oder?“, polemisierte sie.

„Alles eine Sache des Standpunkts“, sagte ich nur und war von ihrer intellektuellen Frische begeistert.

„Riiichtiiig, und der Argumentation.“

„Sie sind bestimmt…“

„Nein“

„Ja sicher, Sie haben keinen Pass.“

„Riiichtiiig!“

„Aber…“

„Barzahlung… und wenn, mögen die Herren in Weiß am liebsten Koffergeld. Ist meistens aber nicht nötig.“

„Ach…wieso? Wenn ich…“

„Mir gehören auch Krankenhäuser“, fuhr sie dazwischen.

„Wie dämlich von mir.“

Und dann kamen wir in einen Bereich, der sehr großzügig gestaltet war. Die Bilder, zwei Meter im Quadrat, hingen jeweils an Zwischenwänden, die sich gegenüberstanden, in der Mitte eine rückenlose, weiße Lackbank.

„Setzen Sie sich doch, Herr Müller, das sind meine Lieblingsstücke.“

„Ach was?“ sagte ich erstaunt.

„Gefallen sie Ihnen nicht?“

„Das kann ich nicht sagen. Zu diesem modernen Zeug finde ich keinen Zugang“, versuchte ich neutral zu bleiben und hoffte, es würde sich fachmännisch anhören.

„Ich auch nicht. Die Bilder heißen Horizonte. Der Künstler hat die Erdkugel im Abstand von jeweils zehn Grad unterteilt, und den dortigen Horizont, also sechsunddreißig Bilder gemalt…“

>Schon wieder rechnen, Leute ich bin zum Lesen hier…<

„und diese jeweils zu vier Stück zusammengefasst und ich hab die vier Himmelsrichtungen…“

„Zu einem Quadrichon zusammengefasst. Die Himmelsrichtungen sind bestimmt am wertvollsten!“

„Woher wissen Sie?“, war sie sehr erstaunt.

„Was?“

„Na, beides! Ihnen hätte ihnen zugestanden zu wissen was ein Triptychon ist aber ein…“

„Ich sagte bereits, reines Wartezimmerwissen. Und mit dem Wert, das war nicht schwer zu erraten, Sie kaufen keine B-Ware, aber Horizonte stelle ich mir irgendwie anders vor.“

„Es handelt sich auch nur um einen Ausschnitt von einem Zentimeter Breite.“

„Ach so, ja dann, das wusste ich nicht, dann wird es verständlicher.“

Sie lachte.

„Und was sind die wert, wenn ich fragen darf?“

„Vielleicht eine Million.“

„Mal vier“, wollte ich mit meinen Mathematikkenntnissen glänzen, „vier Millionen.“

„Nein, alle vier zusammen.“

„Das ist ja geradezu günstig, und so etwas hängen Sie sich an die Wand, Discounter-Kunst. Bei der nächsten Lohnerhöhung könnte ich auch in Versuchung kommen“, gingen mir die Pferde durch.

„Na, na, Herr Müller, wenn der Künstler vor Ihnen stünde, wären Sie bestimmt respektvoller.“

„Der lebt noch?“, wurde ich unsicher.

„Und wie. Nachwuchskünstler, einer der erfolgreichsten, wenn nicht der erfolgreichste. Leidet zurzeit an einer furchtbaren Schaffenskrise“, sagte sie sehr sorgenvoll.

„Ach so, diese Holzbalken hier, die hat aber Michel von Lönneberga geschnitzt, als Jugendlicher.“

„Nein, die sind auch von ihm, „Geister der Ewigkeit“, Fünfundzwanzigtausend Euro das Stück, nur das Holz, sechstausend Jahre alt.“

„Deswegen Ewigkeit“, wurde ich nachdenklich. Aber ich konnte es mir nicht verkneifen: „Dann lohnt es sich nicht mehr, es zu verbrennen, der Brennwert lässt mit den Jahren nämlich nach, habe ich irgendwo gelesen.“

„Sie waren schon wieder beim Arzt. Ich werde es mir merken. Sollten wir in die missliche Lage kommen, unsere bescheidene Hütte hier mit Holz zu heizen, werde ich zuerst meinen Sekretär aus dem sechzehnten Jahrhundert zersägen lassen.“

„Ach was, der ist…“

„Weit über vierhundert Jahre alt.“

„Ach, und ich stelle so einfach meine Cola drauf ab“, dabei fiel mir die Deckungssumme meiner Haftpflichtversicherung ein.

„Ja.“

„Da sollte ich vielleicht vorsichtiger sein?“ wurde mir mulmig.

„Das sollten Sie. Gehen wir ins nächste Zimmer.“

Dort hingen auch großformatige Bilder und die Alte Dame erklärte mir, diese Bilder würden mit riesigen Spachteln hergestellt, die Farben würden dann je nach Viskosität miteinander reagieren und diese Farbenwelt zum Vorschein bringen. Ich fragte die Alte Dame, wie diese Preise auf dem Kunstmarkt zu begründen seien, und sie erklärte das relativ simpel und einleuchtend.

„Nach dem zweiten Weltkrieg schossen die Metropolen aus dem Boden und sie wollten sich immer übertreffen, wer hat das höchste Gebäude, das beste kulturelle Angebot, wozu Theater, Opern und auch Museen gehören. Nur die Künstler sind tot. Schauspieler wachsen nach und dürfen die Stücke der großen verstorbenen Literaten wiederaufführen. Bilder sind Einzelstücke. Kommt ein Künstler im Still eines van Gogh daher, ist er nur ein billiger Kopierer, Blender, auch wenn er vielleicht besser malt. Es muss immer was Neues erfunden werden, immer eine neue Stilrichtung. Das ist aber auch nur begrenzt möglich. Selbst das Anschrauben einer Badewanne unter der Decke ist schon ausgereizt. Die neuen Museen, die arabischen Länder bauen zurzeit viele, brauchen aber Kunstwerke und jeder möchte als einen seiner Höhepunkte einen Picasso, Miro, Bacon, de Kooning oder wie sie halt heißen, haben, was zu einer Verknappung auf dem Markt sorgt. Die Museen sind aber schon längst abgehängt und können mit Konzernen und Superreichen nicht mehr mithalten. Die teuersten Bilder haben über einhundert Millionen gebracht. Was meinen Sie was meine Krickelkrackel Bilder heute Wert sind, damals wurde ich ausgelacht. Beide würden heute dreistellige Millionen Beträge ersteigern. Diese Bilder werden von einem Klientel gekauft, welches die Bilder in Tresoren verschwinden lässt, ähnlich wir hier. Das beschleunigt die Verknappung der Werke auf dem Kunstmarkt und lässt die Preise, für die auf dem Markt verbleibenden, in exorbitante Höhen schnellen, die jeden Rationalismus sprengen. Und der Wert wird nur durch die Hoffnung gestützt, dass sich morgen noch Leute für diese Schinken interessieren oder zumindest so tun als ob, aber was viel wichtiger ist, die weiterhin versuchen sie zu erwerben. Wenn diese Nachfrage wegfällt, können sie in ihren Picasso Fisch einwickeln, obwohl, den werden sie dann nicht mehr essen können. Aber was reg ich mich auf, ich habe Milliarden damit verdient, mit dem Geltungswahn, der Habgier, der Eitelkeit der Menschen.“

„Aus Geltungsdrang oder schlichtweg gesagt aus Angeberei steigen die Preise?“

„Nicht nur, aber auch, je teurer, desto besser, umso mehr können sie damit angeben.“

„Also wenn ein Picasso 10€ kosten würde…?“

„Würde ihn sich keiner aufhängen oder in Tresoren verschwinden lassen.“

„Kunst ist also ein Statussymbol und eine Ersatzwährung gleichzeitig, mit der man angeben kann.“

„So ist es. Sehr gut“, lobte sie mich. „Stellen Sie sich vor, Sie bekommen hochgestellten Besuch, den Sie beeindrucken wollen, wie würde das denn aussehen, wenn sie über Ihrem Kaminsims, natürlich hinter Glas, 20 Millionen Dollar in bar ausstellen würden. Jeder würde Sie für einen angeberischen Idioten halten. Bei einem Gemälde sieht das schon ganz anders aus. Keinem gefällt es aber sie werden als Intellektueller mit Kunstverstand geschätzt. Jeder respektiert, bewundert, beneidet Sie, und ist unter den Gästen jemand, der noch ein wenig Restverstand hat, wird er Ihnen Respekt zollen, für die Investition mit Zukunftsperspektive, bei gleichzeitigem Absichern Ihres Vermögens durch Sachgüter,“ dozierte sie wieder mal.

„Mit wirtschaftlichen Dingen kenne ich mich leider nicht aus. Wenn ich zu Geld komme, investiere ich in Sachgüter die längst überfällig sind und angeschafft werden müssen…“

„Das sind Verbrauchsgüter“, unterbrach sie.

„Mit Absichern von Vermögen durch Sachgüter, kann ich ehrlich gesagt nichts anfangen“, antwortete ich und konnte mich daran erinnern: >Bei meiner mündlichen Abiturprüfung in Wirtschaftslehre, antwortete ich auch am häufigsten: Kann ich ehrlich gesagt nichts mit anfangen.<

„Das ist nicht so schlimm, nächste Woche besucht mich mein Drittältester, der kann ihnen das viel besser erklären als ich, der arbeitet bei einer Bank.“

„Eine Beratung über Kapitalaufbau ist bei mir verlorene Zeit, den Zahn können Sie Ihrem Sohn direkt ziehen, bei mir sind keine Bonis zu holen. Bei Vermögensberatern löse ich soviel Mitleid aus, die erscheinen jeweils nur einmal.“

Sie lächelte, was in Lachen überging, sie bekam sich überhaupt nicht mehr ein. Sollte ich etwas komisches gesagt haben?

„Sie könnten doch auch mal hier vorlesen?“, verabschiedete sie sich vom Thema.

„Sicher, sehr gutes Licht hier, aber darf Rex hier rein?“

„Sie stellen Fragen, auf welcher Höhe hängen denn die Bilder?“

„Ich dachte, die wären auf Ihren Rollstuhl…“

„Ach was, er liebt die Modernen, die Abstrakten zu denen wir keinen Zugang haben.“

>Keine doofe Bemerkung über Hunde, wenn ihre Besitzer anwesend sind. Zwanzig Euro pro Stunde heißt die Zauberformel.<

„Wenn dem so ist, sollten wir uns unbedingt hier treffen.“ Ich hatte es verstanden, gib ihr, was sie hören möchte.

„Herr Müller, heute Nachmittag mit dem Vorlesen, da gibt es ein Problem…“

Der Vorleser der Alten Dame

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