Читать книгу Der Vorleser der Alten Dame - Thomas Müller J.J. - Страница 4

1. Eine von diesen Hollywoodfilmsekretärinnen

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Um 9:30 Uhr verließ ich das Haus und fragte mich: „Ob ich rechts oder links herum gehen soll?“ „Egal“, sagte ich zu mir selbst und ging links. „Was wäre das für ein Glück, wenn ich den Job bekommen würde“, baute ich mich auf. Ersten war es nur einen Katzensprung von Zuhause entfernt. Zweitens wurde er mit 12,50 Euro die Stunde sehr gut bezahlt und somit würde ich fast das Doppelte verdienen, wie in meinen letzten Jobs, wobei noch nicht einmal meine Bandscheiben beansprucht würden. Inständig hoffte ich, dass kein Haken mit der Arbeit verbunden war, zum Beispiel obszöne Nebentätigkeiten, wie nackt vorlesen oder Schlimmeres. Aber drittens und das war das Wichtigste, es fiel genau in mein Aufgabengebiet, wenn ich etwas besonders gut kann und das ist nicht viel, eigentlich fällt mir nichts ein, was ich nur annähernd so gut kann wie Vorlesen.

Ich lese unwahrscheinlich gerne und viel, was für einen, der einmal Germanist werden wollte, sich auch geziemt. Leider schreibe ich im Gegensatz zum Lesen nur beschränkt gerne, ehrlich gesagt, ich hasse es, was für ein Germanistikstudium nicht unbedingt die besten Voraussetzungen sind. Das hat man dann davon, wenn man Abitur hat. Ein Lehre will man nicht anfangen, da die anderen sagen: „Warum hast du dir die Scheiße dann überhaupt angetan?“. Ein Schulfreund aus Kinderzeit hat es mit Hauptschulabschluss zum Dachdeckermeister gebracht und baute einen eigenen kleinen Betrieb auf. Früher habe ich den ausgelacht: „Ist der blöd, den ganzen Tag Maloche und Finger schmutzig machen bei der Arbeit, das wird mir nicht passieren.“ Heute bin ich auf dem Boden der Tatsachen gelandet. Die Mädchen von meinen Schulfreund haben eigene Pferde, als im Sommer meine Kleine ein paar Reitstunden nehmen wollte, hat die Große das von ihrem Geld bezahlt, welches sie im Ferienjob als Programmiererin verdiente.

Es ist schon absolut niederschmetternd und beschämend, wenn man seine eigene Tochter anpumpen muss, um der anderen nur ein bisschen Luxus leisten zu können.

Für ein ordentliches naturwissenschaftliches Studium hatte ich kein Talent, daher kam für mich ein Ingenieur-Studium nie in Frage. Jura und BWL lagen mir persönlich nicht, ich bin nicht der Typ, der sich durchsetzen kann. Da bleibt halt nicht mehr viel übrig, was man machen kann: Also studierte ich Lehramt. Die Naturwissenschaften fielen aus oben genannten Gründen weg, so blieb nur Kunst, Sport, Religion Geschichte, Erdkunde und Germanistik. Die ersten Drei kamen allein schon aus mangelndem Talent nicht in Frage, daher habe ich die beiden letzteren Fächer genommen. Wobei ich davon überzeugt bin, dass jede drittklassige Reisekauffrau mehr Ahnung von Erdkunde hat als ich.

Die Siedlungshäuser, an denen ich vorbei ging, wurden von einer Sozialwohnungsbaugesellschaft erstellt oder einer Wohnungsbaugesellschaft, die Sozialwohnungen baut oder baute. Damals mussten wir bestimmte Voraussetzungen erfüllen, um eine dieser Wohnungen zu bekommen. Wir waren durch eine Zeitungsannonce darauf aufmerksam geworden, und die Miete für das Haus war nur unwesentlich teurer als die unserer Studentenwohnung, was uns sehr wunderte. Lange überlegt haben wir daher nicht und uns direkt beworben. Wir mussten durch ein Auswahlverfahren, da die Wohnungen aufgrund des Mietzinses und der Lage sehr begehrt waren. Ich meine mich zu Erinnern, dass sich für die 24 Häuser mehr als viertausend Bewerber meldeten.

Der Wahnsinn ist, in all den Jahren, seit wir hier wohnen, haben wir noch keine Mieterhöhung bekommen. Wir müssten eigentlich schon längst das Doppelte zahlen und bei dem Mitspiegel hier in der Stadt das Vierfache. Mindestens! Wahrscheinlich ein Computerfehler. Na ja, man kann ja auch mal Glück haben.

Die Häuser sind wie üblich bei diesen Siedlungen alle gleich gestaltet. Es handelt sich um Quader die an einer Seite Hauswand an Hauswand und an der anderen Garage an Garage gebaut sind. In der Mitte steht ein Technikgebäude, mit einem Gasblockheizkraftwerk, welches uns mit Fernwärme versorgt und Strom. Meine Große sagt, dass wäre unwahrscheinlich fortschrittlich für die Zeit gewesen, was ich nicht beurteilen kann, ich hab von Technik keinen Schimmer. Auch sind die Häuser mit Dreifachverglasung, Wärmedämmverbundsystem und Zwangsbelüftung ausgestattet und unser Flachdach ist begrünt, was ich am besten finde.

Ich war auf der Rundbogenbrücke, die das kleine Tal überspannt. Ich fand die Aussicht von hier noch schöner, als von unserem Garten, von hier lagen die Baumkronen direkt auf Augenhöhe und waren zum Greifen nahe. Inmitten des Tals fließt ein größerer Bach, der es in zwei gleichgroße Hälften schneidet. Rechts und links von ihm stehen die tollsten Bäume. Ich hörte ihn wieder, nicht das erste Mal in diesem Jahr, gesehen hatte ich ihn aber noch nicht, da ich keine Zeit hatte, nach ihm Ausschau zu halten, ich musste zu viel arbeiten und sehr viel Zeit damit verbringen, Arbeit zu suchen. Der Hausrotschwanz war der erste Rückkehrer hier im Tal. Vögel liebe ich, überhaupt mag ich Tiere, bis zu einer gewissen Größe. Mein Urgroßvater lehrte mich vieles, er war im hohen Alter noch sehr fit, und wir spazierten oft stundenlang in den Wäldern und Tälern meiner Heimat. Vögel hatten es uns angetan. Zwei Jahre lang hatten wir auch eine Jahreskarte für ein Wildgehege, was bekannt war für seine Weißkopfadlerzucht. Dort gab es Lannerfalken, Wüstenbussarde, Uhus, Mönchsgeier, Schwarzmilane, Rotmilane, Steinadler und noch viele mehr. Ich kannte sie alle und der Verrückteste war der Andenkondor, man glaubt es kaum, aber der ist zu faul, um zu Fliegen. Alles hatte man mit ihm versucht, um ihn dafür zu begeistern. Einmal wurde er sogar aus einem Fesselballon in die Freiheit entlassen, aber er schwebte nur zu Boden, nichts weiter. Als Junge dachte ich, der hat bestimmt Höhenangst wie ich auch, das war auch der einzige Grund, warum ich kein Vogel sein wollte.

Am Ende der Straße bog ich wieder links ab in Richtung Bunker, dabei kam ich an dem Kiosk an der Ecke vorbei. Yusuf bediente die Schlipsträger, die ordentlich in Reihe und Glied standen, um ihre Wirtschaftszeitungen, nicht selten auch Revolverblättchen, Zigaretten, Getränke oder Flachmänner zu kaufen. Er sieht mich nicht, daher versuche ich gar nicht zu grüßen.

Vor dem Haupteingang stand ich nun, zu dem eine sehr breite, ausladende Granittreppe hinaufführte. Wie die Dame am Telefon mittelte: Sollte ich nicht die Treppe hinaufgehen, sondern mich links von ihr halten, Richtung Tiefgarage. Ah ja, da war auch schon das Schild am Betonpfeiler, mit dem Pfeil Richtung Tiefgarage: Frau Dr.Dr.Dr…, hier war ich richtig. Ich versuchte mir vorzustellen, was man alles lernen muss, um drei Doktortitel zu bekommen und folgte dem Pfeil. Es ging abwärts und anders als in Parkhäusern üblich, gab es hier keine Schranken, sondern Tore, die aus massiven, verzinkten Eisenstäben bestanden. Unten angekommen fuhr das rechte Tor zur Seite, ich dachte: >Du wirst schon erwartet< und ging auf die Straße, als es schrill hupte. Ein Reflex lies mich zur Seite springen und an mir vorbei fuhr eine große Limousine. Die Front war schon vorbei, daher konnte ich den Typ nicht erkennen, aber dafür die Handbewegung des Fahrers deutlicher. Die hinteren Scheiben waren stark verdunkelt, sodass man nicht hinein schauen konnte.

Zu mir selbst sagte ich: >Kurz bevor du vielleicht den besten Job deines Lebens bekommst, lässt du dich noch über den Haufen fahren, du Idiot.<

Schlau wie ich war, sprang ich schnell dem Wagen hinterher, bevor sich das Tor schloss. Was ich zu spät bemerkte, war, das Tor wurde bereits wieder geschlossen und traf mich an der Schulter. Der Schlag war nicht sehr heftig, jedoch verlor ich meine Umhängetasche, und der Inhalt verteilte sich unregelmäßig in der Garageneinfahrt. >Du Trottel!<, fluchte ich und begann sogleich, mein Zeug einzusammeln. Nachdem ich zuletzt meinen geliebten silbernen Kugelschreiber aufhob, den ich vor langer Zeit einem der verhasstesten Lehrer unserer Schule mopste, drehte ich mich um und schaute in zwei braune Augen und einem strahlendem Lächeln.

„Ruhig Kara! Sitz!“, schrie jemand scharf. Der Schäferhund wich zurück und setzte sich neben einem der in dunkelblau uniformierten Herren.

„Wohl lebensmüde“, schnaufte der Herr, der sein Pistolenhalfter geöffnet hatte und dessen Hand an der Waffe lag.

„Ich hab hier einen Termin“, stotterte ich und wagte es nicht aufzustehen.

„Hier wohl kaum!“, kam es direkt laut zurück.

„Nein, nicht bei Ihnen, bei Frau Dr.Dr.Dr., vielmehr bei Ihrer Mutter. Bin ich hier nicht richtig? Da oben steht ein Schild und die Dame am Telefon sagte mir, ich könnte durch die Tiefgarage kommen.“ Jetzt wurde mir klar, einen Haken hatte das Gehalt schon.

Die beiden sahen sich an, als wären Außerirdische gelandet und der Hundeführer sagte: „Aber doch nicht zu Fuß!“ Die beiden sahen sich nochmals an und schütteln verständnislos den Kopf.

„Ich hab aber kein Auto, ich bewerbe mich hier auf eine Zeitungsannonce als Vorleser“

„Als was!“, kam es ungläubig zurück.

„Als Vorleser“, sagte ich schnell. „Darf ich aufstehen? Meine Knie!“

„Was ist das denn für ein Beruf?“, fragte er belustigt. „Ich funke mal Karl an“, teilte er seinem Kollegen mit, der immer noch die Hand an der Waffe hatte.

Der sagte zu mir: „Sie können aufstehen, halten Sie aber bitte ihre Hände weit vom Körper und lassen Sie die Tasche liegen.“ Ich gehorchte und merkte schmerzhaft, meine Knie waren bereits eingerastet.

„Karl, melde dich, hier ist die Wache am Haupteingang!“

Nach etwa zehn Sekunden hörte ich eine zerknirschte Stimme sagen: „Was wollt Ihr denn?“

„Wir haben hier Besuch für euch, einen Vorleser wie er behauptet.“

„Einen was?“

„Einen Vorleser.“

„Was ist das denn?“

„Ein Beruf!“

„Ach was?“, kam es verständnislos zurück. „Ich ruf oben mal an. Ihr könnt Ihn schon mal filzen. Ich melde mich wieder.“

„Mitkommen!“, sagte der Hundeführer mit einer Stimme, die mir klarmachte, ich hatte keine Wahl.

Ich wollte gerade die Tasche aufheben, da sagte der andere: „Liegen lassen! Die nehme ich.“

Der Hundeführer ging vor, ich folgte ihm wie John Wayne, der Schritt war enger, dafür die Armhaltung breiter. Als ich mich dem anderen näherte, wich er aus, ohne die Hand von der Waffe zu nehmen. Ich ging an ihm vorbei, immer dem Hundeführer folgend, bis zu einem Aufsichtsraum, der ganz in Glas gehalten war. Er öffnete die Tür, hielt sie mir auf und sagte: „Gehen Sie bitte bis zum Ende des Raums, dort bleiben Sie ruhig stehen.“

Ich gehorchte, was sollte ich auch schon anderes tun. Die Hündin wurde bis auf etwa drei Meter vor mir geführt, und sein Herrchen sagte „Sitz Kara!“. Der Hündin gehorchte genauso gut, wie ich es tat. Die Tasche wurde dem Hundeführer übergeben, der diese auf einen Tisch ausschüttete und anfing den Inhalt zu prüfen. Der Andere stellte sich mit direkter Sicht zu mir, und er hatte noch immer die Hand an der Automatik. Nach einer Weile kam aus dem Funkgerät: „Hallo, Hauptwache!“

„Hallo, Karl!“, sagte der Hundeführer.

„Wie heißt denn euer Vorleser?“, kam es verächtlich.

Er nahm meinen Personalausweis, den er vorhin aus meinen Portemonnaie genommen hatte und sagte: „Thomas Müller.“

„Ja, der wird erwartet“, wurde mit einer Seelenruhe geantwortet.

Die Wachmänner wurden sichtlich entspannter, und ich wurde noch entspannter, als ich sah, wie die Hand die Waffe los ließ.

Leicht genervt fragte der Hundeführer: „Müssen wir den noch weiter filzen?“

„Ja, bitte, dann brauch ich das nicht mehr zu machen“, kam sanftmütig zurück.

„Kara, in deine Ecke!“, befahl der Wachmann, und der Hund verschwand. Gleichzeitig nahm er einen Handmetalldetektor aus einer Schublade und fragte seinen Kollegen: „Funktioniert der noch?“

„Keine Ahnung, ich musste den noch nie benutzen.“

Er schaltete das Ding ein und führte es über die Waffe des Kollegen, worauf es mächtig piepste.

„Ziehen Sie bitte die Jacke und den Gürtel aus und machen sie einen Adler, Sie kennen das ja vom Flughafen. Wir sind dann auch gleich fertig“, wurde er freundlich.

Wenn ich jetzt gesagt hätte: „Ich bin aber noch nie geflogen“, das wäre bestimmt verdächtig gewesen, daher sagte ich brav: „Okay!“

Er führte den Metalldetektor an meinem Körper vorbei, und an meinen Füssen fing es an zu piepsen. „Was haben wir denn hier?“

Schlagartig fiel mir wieder mein Mittelknochenbruch des rechten Fußes ein. „Da sind noch zwei Schrauben drin.“

„Im Schuh?“, fragt er ungläubig.

„Nein im Fuß!“

„Ach so!“, antwortete er mit großem Verständnis und Anerkennung: „Kampfsport?“

„Nein, Tanzschule mit meinen Töchtern“

Die beiden lachten sich schlapp. Als der Hundeführer wieder reden konnte, fragte er den Kollegen: „Müssen wir den Fuß noch überprüfen?“

„Lass mal gut sein, er ist doch angemeldet, und Karl ist auch noch da“, kam es gelassen.

„Und Rex“, sagte der Hundeführer.

„Und Rex“, wurde der andere geheimnisvoll. „Bitte, packen Sie Ihr Zeug zusammen, dann bringe ich Sie rüber, sonst verlaufen Sie sich und werden doch noch irrtümlich erschossen.“

Dafür war ich dankbar.

Auf dem Weg erzählte mir der Pistolero, der jetzt sehr freundlich wirkte, wie leichtsinnig ich doch gewesen war. Im letzten Jahr, hätte eine Frau, einen medienbekannten Anwalt mit der Waffe bedroht. Es wäre aber weiter nichts passiert, ein gezielter Fangschuss hätte die Dame niedergestreckt. Die Frau müsste jetzt mit einer Gehhilfe laufen, aber was könne er schon dafür, wenn Ehepaare ihre Streitigkeiten in die Tiefgarage verlegten.“

Wir blieben vor einer Stahltür stehen, über der eine Kamera hing.

„Karl, mach auf, wir sind es!“

„Ich sehe es“, kam es zurück.

Die schwere Stahltür, die mindesten 20cm stark war, öffnete sich langsam und vor mir stand die Erwachsenausführung von Dolph Lundgren.

„Danke“, sagte Karl zu dem Pistolero

„Gern geschehen.“

„Kommen Sie rein!“, bat Karl mich „Leiden Sie unter Klaustrophobie? Bevor die nächste Tür sich öffnet, müssen wir diese schließen“

„Nein“, sagte ich verwirrt, „ich denke nicht.“

Er steckte einen Schlüssel in ein Schloss und die Tür ging zu. „Wir haben nur sehr selten Besuch“, bemerkte er sachlich, „der zu Fuß kommt, die aller meisten kommen mit dem Auto und die müssen durch die Autoschleuse“

„Natürlich“, sagte ich abgeklärt, obwohl mir überhaupt nichts klar war. Die Sicherheitsvorkehrungen schienen mir grenzenlos überzogen oder würde ich vielleicht einer inkognito lebenden Königin vorlesen. Noch bevor ich meine Gedanken vertiefen konnte, öffnete sich die gegenüberliegende Tür, aus der, der Riese mit den Worten hinausging: „Wir müssen jetzt noch ein Stück gehen, da der Aufzug in der Nähe der Autoschleuse liegt.“

„Natürlich“, sagte ich wieder abgeklärt, obwohl noch immer überhaupt nichts klar war. Ich folge ihm wie ein Hund seinem Herrchen. Überall wo ich hinschaute standen Autos die zugedeckt waren. Meine Neugier konnte ich nicht zurückhalten. „Warum sind die Autos zugedeckt?“, fragte ich mutig.

„Damit sie nicht schmutzig werden“, retournierte er schlagfertig.

>Blöde Frage, blöde Antwort<, dachte ich.

„Wir sind da.“ sagte Karl und steckte einen Schlüssel wiederum in ein Schloss und eine Aufzugtür öffnete sich. „Bitte, der Aufzug fährt Sie automatisch bis nach oben, Sie müssen nichts tun.“

Ich trat ein, und die Tür schloss sich einen Augenblick später. Unmittelbar danach setzte sich der Aufzug auch schon in Bewegung. Oben angekommen passierte etwas Ungewöhnliches, von oben wurde für mindestens dreißig Sekunden stark Luft eingeblasen, was mich beunruhigte. Bevor sich meine Sorgen verselbständigten, beruhigte mich eine Stimme aus dem Lautsprecher, die der am Telefon ähnlich klang. „Ich komme Sie abholen.“

Nach weiteren zwei Minuten, meine Sorgen bekamen wieder neue Nahrung, öffnete sich die Tür und eine von diesen amerikanischen Hollywoodfilmsekretärinnen, unter tausenden gecastet, sah mir direkt in die Augen. Ihr Hosenanzug in dunkelgrauer Melange-Optik, war genau so perfekt wie ihre Bluse, ihr Schmuck, ihre schulterlang, kastanienbraunem Haare und ihre High Heels, ihr Make-up, wobei man auf die Idee kommen könnte sie würde keins tragen. Sie sah aus als hätte ein mehrköpfiges Stylistenteam sie hergerichtet und ich trage ein kariertes Hemd, verwaschene Jeans, eine in die Jahre gekommene Lederjacke und ausgetretene braune Schnürschuhe.

Ihr Alter war sehr schwer zu schätzen, vielleicht vierzig, oder fünfundvierzig oder fünfunddreißig oder jünger …ich weiß nicht, die schwarze Hornbrille unterstrich nochmals ihre Klasse.

„Wir haben miteinander telefoniert, treten Sie nur ein“, sagte sie mit kühler, strenger Stimme, „meine Mutter erwartet sie bereits.“

Forsch und hoch motiviert, ging ich an Frau Dr.Dr.Dr. vorbei, fest entschlossen den Job zu bekommen. Allein dieser Duft den sie verbreitete war es wert. Mir blieb aber keine Wahl ich brauchte den Job, denn wie schon erwähnt, waren wir wieder mal pleite, was heißt wieder, eigentlich waren wir fortwährend pleite, quasi chronisch erkrankt an der Pleiteritis. Aber so schlimm wie jetzt war es noch nie, es drohte, dass wir unser kleines Häuschen nicht mehr halten konnten. Daher hatte ich mir vorgenommen auf alle Bedingungen einzugehen, ohne Rücksicht auf Verluste, die Kleinanzeige las sich doch gut:

„Ältere Dame sucht für halbe Tage Vorleser. Voraussetzung: Erfahrener Umgang mit Literatur, akzentfreie Aussprache. Bezahlung wird Sie zufriedenstellen.“

„Kommen Sie herein, Herr Müller, ich beiße nicht“, sagte die ältere Dame, wobei älter hier geschmeichelt war, sie war bestimmt über neunzig und hatte schneeweißes, dünnes Haar, welches zu einem Dutt zusammengesteckt war. Zusammengekauert saß sie in einem Rollstuhl, der, so schien es, komplett aus Holz war.

„Setzen Sie sich dort Herr Müller“, sagte Frau Dr.Dr.Dr. mit erhobener Stimme und zeigte nach links. Da stand ein Armlehnen Stuhl in Teak, mit weißem Sitzkissen, der überhaupt nicht zum barocken Sekretär passte. Ich nahm den Stuhl, richtete ihn zu ihrer Mutter aus und setzte mich.

„Lass uns allein, mein Kind“, betonte die alte Dame, „und mach die Tür bitte zu.“

„Aber Mutter…“

„… Kind, er soll mir vorlesen und nicht dir.“ unterbrach die alte Dame energisch. „Kümmere dich um deinen Urlaub.“

Frau Dr.Dr.Dr. setzte mit tiefen Atemzug an: „Ich hab eine Konferenz in Davos und ich mache…“

„Ja, ja, mein Kind… ich wünsch dir eine schöne Zeit“, unterbrach die alte Dame erneut. Nach kurzer Pause „Erhole dich gut.“

Mit einem Knall fiel die Tür ins Schloss.

„Zicke“, kommentierte die Alte, „sie ist sauer.“

„Warum, weil ich…“

„Nein, Sie haben nichts damit zu tun, weil ich noch lebe“, sagte sie selbstbewusst. „Alle warten nur darauf, dass die Alte abkratzt, wir sind längst überfällig“, und sah an mir vorbei.

Ich schaute über meine linke Schulter und erschrak. Vor dem riesigen offenen Kamin lag ein ebenso großes Kalb auf der Seite und streckte alle Viere von sich.

„Erschrecken Sie nicht, der tut nichts“, wollte sie mich beruhigen, denn sie wusste welche Wirkung ihr Hund auf Menschen hatte, wenn sie ihn zum ersten Mal sahen.

„Der will nur spielen,“ sagte ich schnell, „das sagen sie alle.“

„Sie sind schlagfertig, das gefällt mir“, lobte sie mich jetzt.

Erst jetzt wurden mir die Dimensionen des Tieres richtig bewusst. Die alte Dame dagegen erschien sehr zierlich und zerbrechlich. In ihrem dunklen Kleid mit blauer Strickjacke und Strumpfhose wirkte sie wie aus einer vergangenen Epoche.

„Das ist doch kein…?“, fragte ich zögerlich.

„Doch, das ist ein Hund, was sollte es sonst sein?“, antwortete sie voller Stolz. „Früher hatte ich zwölf davon. Meine Leibwache. Aber jetzt bin ich alt und krank und der Sensenmann klopft bereits an die Tür, was gibt es da noch zu beschützen. Rex ist der letzte von ihnen“, und sie schaute Richtung des Hundes. „Alle waren mir treu ergeben, alle haben mir grenzenlos gedient und so perfekt sie auch waren, so überragt Rex sie doch noch, was kaum vorstellbar ist.“

Jetzt bemerkte ich erst, dass sie mit ihrem antiquierten Rollstuhl mitten im Zimmer stand, wie abgestellt.

Ich schaute auf ihre alten faltigen Hände, deren Haut pergamentartig erschien. Die rechte Hand lag in ihrem Schoß und sie rieb mit dem Fingernagel des Zeigefingers den Daumenballen. Die linke Hand ruhte auf dem Holzknauf der linken Armlehne.

„Aber der ist nicht echt“, versuchte ich ein Gespräch zu beginnen. „Der ist bestimmt ausgestopft.“

„Glauben Sie mir, der ist echt, jedes der 110 Kilogramm ist echt“, antwortete sie versichernd, und in ihrem runzligen Gesicht ließ sich ein kleines Lächeln erkennen.

>Jetzt hab ich sie, die vier Semester Germanistik, von denen ich die Hälfte nicht anwesend war, waren doch nicht ganz umsonst. Jetzt heißt es am Ball bleiben<, dachte ich und ich schoss schnell nach: „Ein so großes Tier frisst aber bestimmt viel und dann gleich zwölf Stück davon.“

„Ja, da haben Sie recht“, das Lächeln wurde breiter und sie schaute zum Kamin, „und was die erst für große Haufen machen, ich kann Ihnen sagen, das glauben Sie nicht, das können…“ als sie weiter reden wollte kam ein quietschendes Jaulen aus der Ecke.

Sie schaute mich mit glänzenden Augen an und fuhr fort „… und wenn die erst mal ein Lüftchen lassen, wie das ri….“

Es gab ein kräftiges: „Wuuf“, der riesige Schädel des Hundes flog hoch und es sah aus, als ob sich die Gesichtshaut ablöste und davon flog, aber sie schwappte zurück und der Kopf senkte sich wieder. Er wirkte als hätte er sich nie bewegt.

„Sehen Sie, er lebt…“

„Beeindruckend,…gewaltig“, stammelte ich mir zusammen. Um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ich Angst hatte, fügte ich noch locker hinzu: „Bei soviel Futter hätte es aber noch für eine gute Faltencreme reichen müssen.“

Das Lächeln der alten Dame verschwand schlagartig, und sie wurde ernst: „Wir wollen es nicht übertreiben! Ich rate Ihnen, halten Sie sich gut mit Rex.“

„Sie haben recht“, gab ich kleinlaut zu und dachte: >Jetzt hast du es versaut. Witze über das Aussehen eines Hundes zu machen, ist wohl wirklich das Dämlichste, was man im Beisein seines Besitzers machen kann. Das war es wohl… Sie wird sich wohl für einen anderen entscheiden.<

„Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ versuchte sie die Situation zu retten und fügt hinzu: „Ursprung meiner Babys ist der Mastino Napoletano. Ich hab sie über sechzig Jahre lang gezüchtet und züchten lassen. Zu den besten Zeiten hatten wir über dreihundert. Fünfzehn Mitarbeiter kümmerten sich um sie und die besten zwölf waren meine Leibwächter. Die Tierpfleger nannten sie daher auch die Zwölf Jünger. Alles Prachtkerle einer schöner als der andere. Gott hab sie selig.“ Sie schaute zur Decke.

„Dreihundert, das ist unglaublich. Ich hab keine besonders große Ahnung von Hunden, aber diese Napoletans sind das nicht römischen Kampfhunde?“, versuchte ich mit meinem Kreuzworträtselhalbwissen Punkte aufzuholen.

„Das was von Ihnen übrig blieb. Ihre Vorgänger, die Molosser, waren römische Kampfhunde. Die Italiener haben die Rasse verkommen lassen, wie alles andere auch. Alles Dilettanten und Idioten. Im Britischen Museum steht eine Skulptur eines Kampfhundes, wovon ausgegangen wird, dass es sich um einen der berüchtigten Molosser handelt. Wie alles und jedes wurden auch diese edlen Tiere von den Menschen missbraucht, solange drangsaliert und gequält, bis sie den abartigen Phantasien der Menschen genügten und sich in Bestien verwandelten.“

„Dann verstehe ich nicht, warum Sie sich mit diesen Bestien umge…“, und bevor sie mich unterbrach, war mir schon klar: >Schon wieder ins Fettnäpfchen getreten.<

„Bestien…“, kommt es laut aus dem Rollstuhl, „passen Sie auf, was Sie sagen zu meinen Bab…“ sie stoppte schlagartig.

Links hinter mir spürte ich etwas. Ich hatte aber nichts gehört. >Er konnte nicht da sein<, sagte ich zu mir, aber links von mir spürte ich einen Luftzug.

>Dass mit der Faltencreme hättest du dir auch sparen können<, dachte ich noch. Ich hatte es immer für Unsinn gehalten, dass Sekunden zu Minuten und Stunden werden können, aber in diesem Augenblick wurde ich eines Besseren belehrt. Meinen ganzen Mut nahm ich zusammen und drehte mich langsam zur Seite um. Aber er war da! Scheiße! Er schaute auf mich herab und machte keine Bewegung, er wirkte wie versteinert. Ich schluckte und er sah mir zu, wie sich mein panisches Gesicht, in seine großen braunen Augen beobachte. Mich überkam eine Körperstarre. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Ich war wie schockgefrostet.

„Rex, erschrecke unseren Freund nicht so“, befahl die alte Dame mit ruhiger Stimme.

Er drehte ab und wackelte tolpatschig zum Kamin zurück, legte sich schwerfällig wieder vor den Kamin, den Kopf rollte er auf den Boden und er sah aus, als hätte man ihn nach erfolgreicher Jagt dort abgelegt. Fehlte nur noch der Bruch im Maul. Für ihn war die Sache erledigt.

„Entschuldigen Sie vielmals, aber wie können Sie meine Babys als Bes… ich kann es nicht aussprechen… bezeichnen“, sagte sie ganz verlegen.

„Aber es sind doch Kampfhunde“, stammelte ich langsam auftauend: „Er hätte mich umbringen können.“

„Sie übertreiben maßlos, wenn er Sie hätte umbringen wollen, würde er jetzt mit Ihrem Kopf Fußball spielen und Ihr Blut würde das wunderschöne Eichenparkett versauen. Sie hätten sich auch ein bisschen zurücknehmen können. Ich meine mit der Faltencreme, das war unnötig.“

„Der Kritik hab ich mich schon gestellt, und in allen anderen Punkten gebe ich Ihnen auch recht, ich bin schuldig“, stimmte ich zu.

Meine Körperhaltung hatte sich im Übrigen seit der intensiven Begegnung noch nicht verändert. Eine Berührung und ich wäre in Millionen von kleinsten Teilchen zersprungen.

„Sie tun ihm unrecht. Es handelt sich hierbei um die edelsten Geschöpfe, welche die Erde je betreten haben. Wenn Sie ihn nicht aufgeregt hätten, müsste mein Kleiner“, sie sah zum Hund, „sich jetzt nicht ausruhen…“

>Edelsten Geschöpfe die je die Erde betreten haben, typisch Hundebesitzer, eine von der total durchgeknallten Sorte.<

„Kleiner… der ist doch min….“

„Nun unterbrechen sie mich doch….“

Rex schnellte hoch.

Ich war direkt ruhig und eines schwor ich mir, wenn ich die nächsten zehn Sekunden überleben sollte, würde ich in Zukunft die alte Dame immer ausreden lassen.

„Rex“, sagte sie gelassen.

Der Hund brach zusammen, als hätte jemand den Stecker gezogen und sein massiger Körper erzeugte ein dumpfes Geräusch.

„Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie nicht mehr unterbrechen werde“, gelobte ich.

„Das ist gut“, wurde sie gönnerhaft, „denn wir sind nicht mehr die Jüngsten, und Rex könnte einen Herzinfarkt bekommen, wenn Sie ihn weiter so provozieren.“

Ich mahnte mich, keinen Einspruch zu erheben, und sagte zu mir selbst: >In Zukunft werde ich nicht mehr provozieren.<

Jetzt merkte ich erst, dass mir ein Tropfen Schweiß über die Schläfe lief. Ich schien langsam aufzutauen.

Sie redete auch schon weiter: „Junger Mann, wenn ich eine Pause mache, heißt das noch lange nicht, dass ich alles gesagt habe, ich bin alt, wir sind sehr alt“, sie schaute auf den Hund, „gehen Sie etwas rücksichtsvoller mit uns Alten um. Im hohen Alter braucht man etwas länger, um seine Gedanken zu ordnen.“

Eigentlich wollte ich nur raus, das war mir alles zu bizarr. Ich kam mir vor, wie bei der Familie Frankenstein Zuhause, aber ich traute mich nicht, sonst steckte vielleicht wieder einer den Stecker von diesem Ungeheuer ein.

„Also, wo war ich stehen geblieben?“, betonte sie selbstsicher.

Ich überlegte: >Wenn ich jetzt etwas sagen würde, wäre das eine Unterbrechung oder nicht?< Ich zählte bis drei. Es blieb ruhig. Ich schaute auf das Kalb und sagte langsam: „Als Stichwort fällt mir noch Malosser und edelste Tiere der Erde ein.“ Ich ging in Schutzhaltung, aber der Hund wackelte nur mit dem Ohr.

„Molosser“, verbesserte sie mich. „Edelste Geschöpfe, die jemals die Erde gesehen…“, räusperte sie sich.

Der Hund wackelte wieder zweimal mit dem Ohr. Ich zählte eins, zwei, drei. Ich wollte fragen: „Warum?“, aber ich traute mich nicht.

„Also“, fing sie nochmals an, „es begann damit, dass mir ein verrücktes, von sich total überzeugtes Staatsoberhaupt zum Dank für besonders gute geschäftliche Beziehungen bei einem Bankett zwei kleine Welpen, mit den Worten überreichte: „Für eine so zarte und hübsche Frau möchte ich Ihnen das zarteste und hübscheste überreichen, was unser Land zu bieten hat.“ Ich schloss die kleinen in mein Herz und das sprach sich wohl schnell herum. Innerhalb von kürzester Zeit erhielt ich von den einfallsreichen Speichelleckern auch Hundewelpen zugeschickt. Keiner der geistig Degenerierten kam auf die Idee: Was die Frau mit all den Hunden machen soll? So hatte ich nach zwei Jahren vierunddreißig Hunde, und meine zwei kleinen Süßen, die ich zuerst bekommen hatte, wogen schon über siebzig Kilo. Jeder hatte sich vorgenommen, natürlich seine Vorgänger zu übertreffen, also wurden die Hunde immer größer. Um der Sache ein Ende zu bereiten, luden wir grundsätzlich keine Staatsoberhäupter mehr ein und auch das andere Gesindel blieb vor der Tür.“

Ich wollte gerade denken: >Da bindet die Alte mir aber einen ganz schönen Bären auf<, da wackelte der Hund zweimal mit dem Ohr.

„Das war der Anfang meiner Hundezucht. Wir bekamen dann Personal für die Hunde und schnell stellte sich heraus, dass wir kaum noch Sicherheitspersonal brauchten. Auch die lästigen Besuche wurden schlagartig weniger. Ein sehr angenehmer Nebeneffekt, wenn man siebzig Kampfhunde im Garten hat, …also auf dem Gelände, …ich meine Anwesen.“

>Ein, zwei,…<

Es ging weiter mit: „Außerdem entwickelten die Hunde eine besondere Eigenschaft, sie konnten schlechte Charaktereigenschaften des Menschen selektieren.“

>Ein, zwei, drei……<, „Wie bitte?“

Der Hund blies Luft durch seine Schwabbelbacke, was sich anhörte, als ob man sich auf ein Furzkissen setzte und ich verstand die Warnung und hielt meine Schnauze.

„Sie hören schon richtig, die Hunde konnten zwischen gutem und schlechtem Charakter unterscheiden. Unser Tierarzt begründete das wie folgt: Wenn wir Menschen lügen, arrogant oder schlimmeres sind, produziert unser Körper bestimmte Pheromone und das Klangbild der Stimme verändert sich. Die Hunde mit ihrem extremen Geruchs- und Hörsinn können, bei gegebener Intelligenz, die einzelnen Charaktereigenschaften unterscheiden.“

Ich dachte: >Wenn das Kalb nun wieder zweimal mit den Ohren wackelt, glaubst du den Unsinn.< Sie können sich bestimmt denken was passierte. Seither glaube ich daran.

Um von den Hunden abzulenken fragte ich: „Wenn die Wahl auf mich fällt, was möchten Sie denn vorgelesen bekommen?“

„Was schlagen Sie denn vor?“, antwortete sie kurz und knapp.

„Goethe? Schiller?“, der Hund fing an zu jaulen.

„So alt bin ich ja nun doch nicht“, protestierte sie heftig. „Meine Tochter liest mir das schon immer vor.“

„Einen Krimi oder Thriller oder was Gruseliges wie Stephen King“, der Hund wackelte mit dem Schwanz.

„Nein, nein, das ist nichts, davon träumt Rex nur schlecht“, sagte sie streng, „er darf so etwas auch nicht im Fernsehen schauen.“

Ich schaute zum Hund, der leise winselte.

„Wer ist denn Ihr Lieblingsschriftsteller?“, fragte sie neugierig.

„Das ist schwierig, da gibt es einige, am meisten beeindruckt hat mich Dürrenmatt. Im achten Schuljahr mussten wir „Der Besuch der alten Dame“ lesen. Im Abitur habe ich „Die Physiker“ gehabt und später las ich alles, was ich von ihm in die Hände bekam.“

„Gut, damit kann ich leben und vergessen Sie nicht in Güllen die Notbremse zu ziehen“, entschied sie ohne zu zögern, „Und wann könnten Sie anfangen?“

„Wenn Sie möchten, gleich“, sagte ich schnell, um meinen Mitbewerbern zuvorzukommen.

„Nicht so schnell, wir sollten zuerst einmal das Finanzielle klären… Wie hoch wäre denn Ihre Gage?“

Jetzt wurde ich nachdenklich: >Wenn ich zu teuer bin, bekomme ich den Job nicht aber ich brauch das Geld.< Das ist immer die unangenehmste Frage, die man mir stellen kann. Ich ließ mein Vorhaben fallen 15 Euro zu fragen und sagte: „Ihre Tochter sprach von 12,50 Euro die Stunde.“

„Hat sie gesagt“, wurde sie nachdenklich und ich sah meinen Stundenlohn dahinschwinden. „Hat meine Tochter Ihnen auch gesagt, dass Sie meinem Hund vorlesen?“

„Nein“, sagte ich verwirrt und schaute zum Hund, der mit dem Schwanz wedelte. „Sie hat nur von Ihnen gesprochen.“

„Ach so. Aber Rex bleibt immer bei mir, Tag und Nacht, wir sind unzertrennlich. Grundsätzlich ist es für Sie gleichgültig, ob Sie einem oder zehn Personen vorlesen. Jedoch möchte ich fair sein und Ihnen für den Hund fünf Euro pro Stunde extra zahlen, wenn Sie einverstanden sind.“

„Oh, ich denke, das ist fair, damit kann ich gut leben“, der Hund wedelte wieder mit dem Schwanz, und dabei wurde er mir viel sympathischer. „Soll ich Ihnen etwas vorlesen, zur Probe habe ich etwas mitgebracht.“ Ich nahm meine Tasche.

„Nein, nein, vielen Dank“, wehrte sie mit einer Handbewegung ab, „Heute bin ich darauf nicht eingestellt. Ich habe noch zu arbeiten. Aber wir haben noch einige Formalitäten zu regeln: Ziehen Sie bitte die mittlere Schublade des Sekretärs zurück, dort liegen Handys, eines hat einen blauen Streifen und zwei andere haben rosafarbige, davon nehmen Sie bitte eins an sich.“

Artig hörte ich und befolgte ihre Anweisungen mit großem Glücksgefühl: Ich hatte den Job! Ich nahm das Gerät mit dem rosa Aufkleber in dem Punkte eingestanzt waren und fragte: „Was soll ich damit machen?“

„Sie nehmen es an sich!“, antwortete sie etwas verwundert, „damit können Sie mich jederzeit erreichen, für meine wichtigsten Mitarbeiter bin ich immer erreichbar, ich hoffe, Sie auch für mich.“

Vor Verwunderung brachte ich nur hervor: „Ja,…klar!…“

„Geben Sie mir bitte das blaue Telefon“, sagte sie kurz.

„Ach…ja…“, sagte ich noch immer verwundert.

Als ich ihr das Telefon in die rechte Hand legte, die noch immer im Schoss lag, legte sie ihre linke Hand auf meinen Handrücken und sagte ganz sinnlich: „Sie haben zarte Hände.“

Ich wurde verlegen und wusste nicht, was ich sagen sollte: „Ja, da haben Sie recht…eines Vorlesers würdig.“

Sie lachte und ich sah Ihre vergilbten Zähne, denen auch jedes Lebensjahr anzusehen war. Sie nahm das Telefon mit der linken und drücke den einzigen Knopf, den das Walkie-Talkie ähnliche Gerät hatte.

„Ich hörte, Sie haben kein Auto“, stellte sie nüchtern fest.

„Ja, das ist richtig.“

In dem Moment meldete sich jemand am anderen Ende und den verwunderten, tiefen Bass konnte ich direkt erkennen.

Streng und tonlos gab sie die Anweisung: „Herr Müller gehört jetzt zur Mannschaft, geben Sie ihm einen Klasse C und behandeln Sie ihn anständig. Sagen Sie das auch bitte den zwei Galgenvögeln von vorne, sonst werde ich ungemütlich.“

Kleinlaut kam es zurück „Wie Sie wünschen, werde ich sofort veranlassen.“

Sie griff nun unter die linke Armlehne, wo sich wohl ein Schalter befand, denn kurz darauf kam eine ältere Dame herein gefolgt von Frau. Dr.Dr.Dr.

Ohne abzuwarten unterrichtete sie die beiden: „Der Herr wird jetzt öfter kommen, stellt euch darauf bitte ein. Schiebe mich bitte zur Arbeit, wir haben genug gefaulenzt und du Kind kannst beruhigt in Urlaub fahren.“

„Ich fahre zu einem Korn…“

„Ja, ja…bring Herrn Müller bitte zum Aufzug“, unterbrach sie harsch.

Rex stand auf, die ältere Dame schob den Rollstuhl aus dem Zimmer und das Kalb folgte den beiden ohne mich eines Blickes zu würdigen. „Schönen Tag noch“, rief die alte Dame mir freundlich zu. Ich erwiderte, aber da war sie schon um die Ecke.

„Dann will ich Sie mal begleiten“, begann Frau Dr.Dr.Dr.

Ich bedankte mich. Sie ging vor und ich folgte, jetzt legte sie los. Wie jemand in kurzer Zeit soviel reden kann, ist mir unerklärlich und dabei noch soviel Fremdwörter einbindet ohne nachzudenken. Oder kann sie so schnell denken? Ist auch gleichgültig. An das Gefasel kann ich mich sowieso nicht mehr erinnern, aber an den Duft. Roch die Frau gut! Eigentlich müsste das verboten werden, und es grenzte an sexuelle Belästigung. Ich wäre ihr kilometerweit gefolgt und die Strecke vom Lesezimmer bis zum Aufzug war eindeutig zu kurz. Ich hoffte noch auf einen Rundgang, da holte sie mich brutal in die Wirklichkeit zurück: „Ich fasse nochmals zusammen: Wenn in der Zeit, in der ich weg bin, meiner Mutter etwas passiert, wird Rex dafür sorgen, dass Sie keine Kopfschmerzen mehr bekommen. Haben Sie das verstanden?“, fragte sie devot.

„Jaaa“, säuselte ich beseelt von ihrem betäubenden Geruch.

Sie riss die Augen auf und ging einen Schritt zurück.

>Wenn Kiffen so schön ist, fange ich morgen damit an.<, dachte ich und ging in den Aufzug. >Wenn die nur nicht soviel quatschen würde.<

Die Tür ging hinter mir zu, und ich fing an den Kopf leicht hin und her zu bewegen, gefolgt von meinen Schultern, dann meine Hüften, ich tanzte. Wenn ich gewusst hätte, dass der Aufzug, wie fasst alles mit Kameras überwacht wurde, hätte ich mir die Vorstellung gespart. Im Kopf resümierte ich: >Die Schulter und das Knie fast verletzt, vom zwei Hunden beinahe gefressen, bald erschossen worden, einen bestens bezahlten Traumjob erhalten, als Vorleser der Alten Dame, den ultimativen Geruch einer Frau genossen und jetzt bekomme ich noch einen Mercedes gestellt, was will man mehr in neunzig Minuten erleben.<

Als ich mich umdrehte, war die Tür schon geöffnet und der große Bruder von Dolph Lundgren schaute mich verdutzt an: „Job wohl bekommen?“

„Jawohl“, sagte ich aufgedreht und stolz.

Er reichte mir die Hand mit den Worten: „Willkommen im Club, ich bin der Karl, aber alle hier nennen mich Harry, eigentlich Dirty Harry, ich sag es nur, damit Sie sich nicht wundern“.

„Wegen Client Eastwood?“

„Ne, wegen dem hier.“ Er hob die linke Jackettseite hoch und zeigte auf einen riesigen Revolver: „Ein Smith & Wesson Modell 29 mit Kaliber 44. Den gleichen hatte Dirty Harry auch,“ belehrte er mich.

„Wau, das ist aber ein Gerät.“

„Das können Sie annehmen,“ sagte er ganz stolz, „mit der Spezialmunition können Sie durch einen Motorblock schießen ohne Probleme“

„Wahnsinn!“, sagte ich erstaunt aus Höflichkeit.

„Das können sie annehmen, ich hab schon ihren Wagen geholt, hier steht er“. und gibt mir die Schlüssel.

Vor mir stand aber kein Mercedes, sondern ein Nachfolgemodell eines R4 Kastenwagen, wie ich ihn zu Studentenzeiten fuhr, wohl nagelneu. „Ich dachte, ich bekomme eine C Klasse?“, sagte ich verstört.

Dirty Harry lacht: „Sie bekommen einen Klasse C. Wir haben drei Autoklassen, eigentlich vier,“ verbessert er sich. „A Premium sind Maybach und Rolls-Royce, Bugatti, Hammer Sonderanfertigung usw., A sind: gehoben Porsche, usw., B: Normale Auto bis 80.000 und C der Rest bis 25.000 Euro.“

>Na, und ich bekomme den für 8.900 Euro.<

„Wenn Sie möchten, kann ich oben nachfragen, wenn Sie einen Mercedes wünschen?“

„Ach, nein lassen Sie nur, der Wagen passt zu uns und braucht auch nicht soviel Benzin.“

„Hätte ich fast vergessen, Papiere und Benzinkarte liegen im Handschuhfach. Sie müssen an das Tor nur langsam ran fahren, unsere Auto haben ein eigenes Erkennungssystem, Sie brauchen nichts zu machen. Ich wünsche gute Fahrt“, verabschiedete sich Dirty Harry. „Ich muss zu den Überwachungskameras, bis morgen.“

Ich setzte mich in den Wagen, hielt kurz inne und versuchte es nochmals mit der Traumaufwachtechnik, aber nichts geschah. Den Schlüssel stecke ich ins Schloss, der Wagen sprang an, die Tore öffneten sich wie vorausgesagt von Geisterhand und die beiden Wachmänner standen Spalier und grüßten freundlich.

Lange Zeit hatte ich gedacht, mein damaliges Glücksgefühl, wäre dem Erhalt meines neuen Jobs, der gut bezahlt wurde geschuldet. Die Geldsorgen, die zu dem Zeitpunkt sehr akut waren, würden sich erheblich verringern. Das war es aber nicht alleine. Es war das Verhalten der Wachleute: Als ich kam, war ich ein Niemand. Als ich ging, war ich auch nur ein Mann mit Job und viertklassigem Firmenwagen aber der nun ein jemand war.

Die Schlange vor dem Kiosk war zu meiner Verwunderung nicht kleiner, sondern größer geworden. >Yusuf muss wohl wieder Mal alleine sein<, dachte ich, >und was werden die Mädchen wohl sagen?<

Der Vorleser der Alten Dame

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