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9. Die Kleine hat sich aber tapfer gehalten

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„Ich glaube ich höre sie.“

„Das wird aber auch höchste Zeit“, beruhigte sich die Alte Dame.

Da stürmte auch schon meine Kleine herein und fiel mir um den Hals. „Das war der schönste Tag in meinen Leben, Papa. Die haben ganz, ganz viele Pferde und wir sind den ganzen Tag geritten.“

„Das stimmt“, hörte ich eine klagende Stimme auf dem Flur.

„Bedanke dich nicht bei mir.“

Sie stand auf und jetzt konnte ich erst ihre Reitausstattung sehen: Reithelm, Sicherheitsweste, Reitweste, Reithose, Reitstiefel, alles in eleganten braun und beige Tönen gehalten.

„Na, wie sehe ich aus?“

„Wahnsinn, Kind“, und meine Magengrube zog sich zusammen. >Wer soll das bezahlen, wer hat soviel Geld?<

Sie ging zur Alten Dame, umarmte sie ganz zart, dabei flüsterte sie: „Vielen, vielen, vielen Dank!“

Die Tür wurde aufgestoßen und Karl schob Frau Dr.Dr.Dr. in ihrem Designerschreibtischstuhl herein.

„Mein Kind, ist alles in Ordnung?“, grinste die Alte Dame.

„Du weißt doch sowieso schon Bescheid, es ist nichts in Ordnung“, stöhnte Frau Dr.Dr.Dr. und warf ihrer Mutter einen bösen Blick zu, „aber danke der Nachfragte, ich bin nicht vom Pferd gefallen. Die Freude habe ich dir nicht gemacht.“

„Berichten Sie, Karl bitte den kompletten Tag in allen Einzelheiten.“

Der Bass brummte los: „Um halb elf waren wir auf dem Gestüt. Dann wurde die Kleine zuerst einmal eingekleidet. Frau Dr. war etwas unentschlossen und hat eigentlich alles gekauft, was der Kleinen passte.“

„So kenne ich meine Tochter. Herr Müller, räumen Sie schon mal einen Kellerraum aus. Gut gemacht Kind.“

„Bäh…“, streckte Frau Dr.Dr.Dr. ihrer Mutter die Zunge heraus.

„Ich hab überhaupt keinen Keller“, sagte ich verwundert.

„Dann hoffe ich, wenigstens eine Garage.“

„Ja, die haben wir.“

„Dann hat Frau Dr. der Kleinen eine Einweisung ins Reiten gegeben.“

„Sie hat ihr eine Einweisung?“, lächelte die Alte Dame höhnisch.

„Ja, so sah es auf jeden Fall aus.“

„Du böse…“, brummte Frau Dr.Dr.Dr.

„Weiter, Karl!“, konnte es die Alte Dame nicht abwarten.

„Die ersten Pferde, die Frau Dr. ihr zeigte, wollte die Kleine nicht reiten. Sie wäre doch kein Baby mehr und sie hätten doch hier so schöne Pferde und für ein Pony wäre sie zu alt, hat sie gesagt. Frau Dr., entschuldigen Sie. Ihre Tochter wurde ein wenig ungeduldig und sagte: Such dir doch einen Gaul selber aus. Die Kleine fragte nach den Pferden von Frau Dr., sie hätte doch acht Stück davon. Frau Dr. meinte, das wären keine Pferde für Anfänger. Die Kleine bestand aber darauf sie sich wenigstens einmal anzusehen. Das konnte Frau Dr. nicht ablehnen und wir wechselten den Stall. Der Reitmeister sattelte gerade Nathan, um mit ihm auszureiten. Er erklärte der Kleinen, was die Aufgaben seines Berufes sind, und sie war ganz begeistert, hat ihm viele Fragen gestellt und die letzte war, ob sie Nathan reiten dürfte.

Frau Dr. lehnte ab, das Pferd wäre zu wertvoll.

Der Reitmeister sagte, sie solle doch mal zeigen, wie sie aufsteigt, da saß sie auch schon oben und hielt die Zügel in einer Hand. Das scheint was Besonderes zu sein. Er sagte etwas wie: Die sitzt aber nicht zum ersten Mal auf einem Pferd.

Frau Dr. wollte, dass die Kleine wieder abstieg, und der Reitmeister passte die Steigbügel an. Schauen wir mal, wie die Kleine sich anstellt, sagte er und forderte die Kleine auf, das Pferd zu bewegen. Ich hab von Reiten keine Ahnung und von Pferden schon gar nicht. Dem Pferd schien irgendetwas nicht richtig bekommen zu sein, bei einem Menschen hätte ich gesagt: Der ist total betrunken. Es ging nach vorne, dann seitwärts, drehte, nach vorne, dreht sich einmal komplett um sich selbst, dann wieder rückwärts und so weiter. Die Kleine hat sich aber tapfer gehalten, ist ganz ruhig sitzen geblieben und nicht runter gefallen. Frau Dr. hat nichts mehr gesagt, was eigentlich seltener vorkommt, Entschuldigung, Frau Dr., ich muss wahrheitsgetreu berichten, eigentlich nie. Der Trainer sagte nur: Kind bleib sitzen, wir gehen in die Halle, ich lasse noch zwei Pferde satteln. Welches wollen Sie Frau Dr.? Na ja und dann sind die halt den ganzen Tag geritten. Selbst beim Essen haben die nur vom Reiten gesprochen: Über Zügelhaltung, Schwerpunkverlagerung bei… ich weiß nicht mehr. Ich habe halt keine Ahnung vom Reiten. Ich wollte auch was zum Westernreiten beitragen und hab was über Revolver erzählt aber dafür hat sich niemand interessiert“, war er sichtlich enttäuscht. „Nach dem Essen wurde in der Halle, auf der Bahn und draußen im Wald geritten. Alle möglichen Pferde: Dressur- und Rennpferde und von keinem ist die Kleine heruntergefallen. Nach vier oder fünf Stunden wollte Frau Dr. nicht mehr. Ich habe ihr vom Pferd geholfen. Wenn es nach der Kleinen gegangen wäre, säße sie jetzt noch auf einem Pferd.“

„Danke für den ausführlichen Bericht, Karl, und dir danke ich auch Liebes, dass du die Kleine so tatkräftig unterstützt hast. Ich bin sicher, sie hat alle deine Unterweisungen befolgt. Sie ist ein gut erzogenes Kind.“

„Der Teufel soll dich holen“, murmelte Frau Dr.Dr.Dr.

„Befindest du dich in einer temporären Psychose oder Depression und …?“

„Nein, hab ich nicht, ich bin nur total am Arsch. Die Kleine reitet wie dein bester Freund, der Teufel, und ohne jegliche Ermüdungserscheinungen, und du altes bösartiges Weib hast dieses alles gewusst und sauber eingefädelt. Du wusstest genau, was mich erwarten würde.“

Die Alte Dame fing an zu lachen oder zu röcheln und hustete. Ich hatte die Befürchtung, sie würde aus dem Stuhl fallen.

„Ich entschuldige mich für die Entgleisungen meiner Tochter. Du halluzinierst, wahrscheinlich ausgelöst von einem Stress- bzw. Erschöpfungssyndrom begleitet von Dehydration. Sollen wir dir einen Arzt holen, mein Kind?“ diagnostizierte sie wissenschaftlich und hielt ihre gesunde Hand auf dem Bauch.

„Wie du weißt habe ich einen Doktortitel in Humanmedizin und der Psychologie. Ich brauche keinen Arzt, ich brauche einen neuen Arsch, Oberschenkel, ein paar Bandscheiben und morgen werden noch einige Teile dazu kommen. Bruxa.“

„Wer so viel redet, dem kann es nicht so schlecht gehen. Herr Müller, Sie werden es nicht glauben, aber selbst im hohen Alter, wenn du komplett abgewrackt bist, gibt es Momente, in denen es sich lohnt zu leben“, lachte sie nun selbstzufrieden, klar und deutlich.

Nachdem sie sich wieder gefangen hatte, fragte sie mit schelmischen Unterton die Kleine: „Und wie bist du mit meiner Tochter ausgekommen?“

„Gut, ich hab ihr gesagt, wenn sie sich mit mir unterhalten will, muss sie langsam reden und nicht so viel reden und keine Fremdwörter brauchen, ich bin nämlich dumm“, sagte sie seelenruhig. „Das ist aber nicht schlimm, dafür bekomme ich nämlich weniger Kopfschmerzen“, hängte sie an.

„Wieso das denn?“

>Es stimmt! Frau Dr.Dr.Dr. hört sich jetzt recht normal an, und die Sätze sind von einer beachtlichen Kürze.<

„Ist doch ganz einfach, Meine Schwester zum Beispiel: Wenn die mal nicht lernt, fummelt die solange am Computer, bis da ganz bunte Bilder entstehen und sagt zu mir, schau mal was für interessante Frakalle, alles Mathematik. Manchmal denke ich, die ist blöder als ich. Seine Zeit mit so einem Scheiß, Entschuldigung, zu verschwenden, davon bekommt man Rückenschmerzen, Kopfschmerzen und einen dicken Popo. Die macht sich Gedanken, ob auf anderen Planeten Leben ist und sagt dann, wenn es so wäre, kämen die aber nicht, weil das zu weit ist. Warum soll ich dann wissen wollen, ob es Leben auf anderen Planeten gibt. Oder die interessiert sich für Politik, obwohl jeder weiß, dass die nur lügen, das weiß doch jeder, sogar wir Dummen. Ich will gar nicht schlau sein, das ist nämlich gefährlich.“

„Wieso denn das?“ fragte die Alte Dame und war fasziniert.

„Das ist doch ganz einfach, wer baut denn Atombomben und so was alles, bestimmt nicht wir Dummen.“

„Wo sie Recht hat, hat sie Recht“, sagte die Alte Dame mit Hochachtung.

„Die ist nicht dumm!“, mischte sich Frau Dr.Dr.Dr. stöhnend ein. „Die hat eine kognitive Intelligenz, welche einzigartig ist, jegliche Reverenz sprengt und gefördert gehört. Meine Trainerin im Westernreiten und der Reitmeister waren außer sich, so ein Talent hätten sie noch nie gesehen, und das Kind hat überhaupt keine Angst. Sie hat Sliding Stops hingelegt. Dafür müsste ich Jahre trainieren und sie macht das nach einer kurzen Einweisung, einfach nur atemberaubend und das mit Gigolo.“

„Es soll doch unreitbar sein und ein Fehleinkauf nebenbei nach deiner Aussage mein Kind. Vielleicht braucht er nur den richtigen Reiter.“

„Den reite ich am liebsten, der geht am schnellsten durch die Kurven, den muss man laufen lassen, und vorsichtig führen, weil er schnell reagiert.“

„Ha, die Kleine hat was von mir“, brach es aus der Alten Dame heraus.

Ich zuckte zusammen und war von der enormen Euphorie doch sehr verwundert. Dass noch soviel Leben in der Alten Dame steckte, hätte ich nicht gedacht.

„Oh, Kurven waren auch meine Leidenschaft“, entschuldigte sie sich, sichtlich von sich selbst überrascht.

„Mutter, du bist doch überhaupt nicht geritten.“

„Aber Autorennen bin ich gefahren und Rennstrecken haben die Eigenschaft, dass man über kurz oder lang dort ankommt, wo man losgefahren ist und dazu benötigt es Kurven. Also die Kleine kann toll bremsen und liebt Kurven. Begeisterst du dich auch für Autos?“

„Nein, damit kann ich überhaupt nichts anfangen.“

„Schade, da unten in der Tiefgarage müssen noch um die hundertfünfzig Sportwagen und Rennautos stehen. Wie schade. Aber gut, Reiten ist auch was Tolles“, sagte sie sichtlich enttäuscht.

„Seit wann bist du denn dieser Meinung, Mutter? Reiten war für dich doch immer das Schlimmste auf Erden.“

„Nicht das Reiten, nur wenn du reitest!“

„Danke schön für dein mütterliches Einfühlungsvermögen.“

„Du hast eben andere Talente, du kannst gut am Schreibtisch sitzen und lernen.“

„Das kann meine Schwester auch gut.“

„Ich werde es euch allen zeigen. Ich fange wieder richtig an. Ich hab mit der Trainerin schon weitere Stunden für uns beide vereinbart.“

„Für euch beide?“

„Natürlich für uns. Ich hab der Kleinen das ganze Programm gekauft. Sie bekommt eine komplette Ausrüstung. Gigolo bekommt neue Sliding-Eisen, die besser zu ihrem Reitstil passen. Maßangefertigte Sättel hab ich auch für sie in Auftrag gegeben, nächste Woche wird sie vermessen und ich verspreche dir, das wird teuer, bäh…“, streckte sie die Zunge heraus.

Mir und meiner Tochter verschlug es die Sprache, wir hätten nicht gedacht, dass Frau Dr.Dr.Dr. sich so gehen lassen würde. Nur die Alte Dame blieb gelassen: „Entschuldigen Sie meine Tochter für den Verlust ihrer Contenance. Es sei dir verziehen mein Kind, da du in deinem Spezialgebiet wieder mal geglänzt hast. Sind Sie damit einverstanden, Herr Müller?“

Ich wollte gerade etwas sagen, da kam mir die geschundene Frau Dr.Dr.Dr zuvor, die mir nun leid tat: „Du kannst mich mal!“ Sie quälte sich aus ihrem Designerstück, das sie zurückließ. Den Raum verließ sie mit einem Schritt, als wäre sie von der West- zur Ostküste geritten und wieder zurück ohne abzusteigen. Mich und Karl beachtete sie dabei überhaupt nicht, ließ uns alle grußlos zurück und sagte nur: „Kleines, es bleibt dabei wie vereinbart, nächste Woche hol ich dich ab, wenn ich wiederhergestellt bin.“

Als sie verschwunden war und wir uns etwas erholt hatten, ergriff die Alte Dame erneut das Wort: „Nochmals bitte Entschuldigung wegen meiner Tochter, aber Frauen in dem Alter sind etwas schwierig. Besonders wenn Sie keine Kinder haben. Sie verstehen, die biologische Uhr.“

Ich nickte, obwohl ich eigentlich widersprechen wollte, und das nicht aus Sympathie, denn Frau Dr.Dr.Dr. hat mich bis jetzt immer wie einen Putzlappen behandelt, aber in Hinblick auf meinen Stundenlohn, ließ ich davon ab. Ich wies darauf hin: „Wir können uns das mit dem Reiten finanziell nicht leisten.“

„Papperlapapp, Talent muss gefördert werden. Sehen Sie sich als eingeladen an. Außerdem muss ich dann weniger Geld für das Training der Pferde aufwenden. Ich müsste Ihrer Tochter danken.“

Die Argumentierung war einleuchtend, obwohl ich überhaupt nicht verstand, warum sich jemand Pferde anschafft und dann Leute bezahlt damit die darauf reiten. „Danke schön. Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll. Ich glaube, Sie werden meine Kleine sehr glücklich machen.“

„Das wird mich sehr glücklich machen“, sagte die Alte Dame mit einem Lächeln auf dem Gesicht und schaute zur Kleinen hinüber.

„Dich mein Kind brauche ich wohl nicht zu fragen, ob du nun öfters reiten möchtest.“

„Ich würde gerne reiten und das sind ganz tolle Pferde, Papa. Die machen genau das, was man will und Elisabeth ist eine ganz Nette. Und ich werde mich auch benehmen, versprochen.“

„Na gut, wir können es mal einen Monat versuchen und dann sehen wir weiter.“

„Wo ist Rex eigentlich?“ machte sich die Alte Dame Sorgen.

„Der liegt noch im Auto, er hat sich mächtig übernommen, wollte mit der Kleinen mithalten, jetzt bereut er es genauso wie Ihre Tochter.“

„Karl, Sie hätten besser auf ihn aufpassen sollen. Ihm wird doch nichts passieren.“

„Sie wissen ganz genau, Rex lässt sich nichts sagen, er macht das, was er will oder das, was Sie wollen. Das stimmt nicht ganz, auf die Kleine hört er auch. Frau Dr. und ich haben ihm bestimmt zehnmal gesagt, er soll mit dem Herumtoben aufhören. Aber sie kennen ihn ja. Die Kleine sagte nur, du hörst jetzt auf, oder ich nehme dich nicht mehr mit. Da hat er sich ins Auto gelegt. Ich denke, er hat nur einen fürchterlichen Muskelkater und die Knochen werden dem alten Knaben wehtun.“

„Karl, dann holen Sie ihn bitte hoch und bringen ihn auf sein Zimmer. Ich kümmere mich selbst drum. Bewegen Sie sich!“, forderte sie ihn streng und unmissverständlich auf.

Karl verschwand sofort ohne ein Wort des Abschieds.

„Kleines, ich muss jetzt zu Rex. Ich finde es ganz toll, dass du dich mit ihm so gut verstehst, aber ich muss mich jetzt um ihn kümmern. Tust du mir einen Gefallen?“, fragte sie die Keine liebevoll.

„Aber sicher doch“, sagte sie freudestrahlend.

„Da unten an der Seite vom Schreibtisch steht ein Paket, hättest du die Liebenswürdigkeit das deiner Schwester mitzunehmen. Du würdest mir und ich glaube auch ihr eine Freude bereiten.“

„Aber sicher, wenn ich etwas für Sie tun kann, dann sagen Sie das ruhig. Aber lesen kann ich nicht sehr gut.“ Als sie das Paket in Händen hielt, sagte sie nur: „Hoffentlich sind da keine Pralinen drin, sonst wird die noch dicker.“

„Da brauchst du dir keine Sorgen zu machen um deine Schwester, der Inhalt ist sehr kalorienarm.“

Eine Schwester schob die Alte Dame hinaus und als wir in die Tiefgarage kamen, wurde Rex von Karl und seinem Sohn auf einen großen Handwagen gehievt. Wir erkundigten uns noch nach seinem Befinden. Er schien nur völlig erschöpft zu sein, sonst schien alles in Ordnung.

Der Vorleser der Alten Dame

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