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Vor den Fenstern des Mannschaftszimmers fielen dicke Schneeflocken auf den gefrorenen Boden herab. Der kleine, elektrische Heizkörper, einer wie ihn Roland noch nie zuvor gesehen hatte, war bis zum Anschlag aufgedreht, jedoch reichte dies beim besten Willen nicht aus, um den großen Raum auf eine angenehme Temperatur zu bringen. Dick eingehüllt verbrachten Roland, Andi und ein paar andere junge Männer diesen ersten Adventsonntag hinter den grauen Kasernenmauern.

Andi saß mit drei weiteren Kameraden am Tisch und spielte Karten. Er hatte große Freude dabei, sein Talent zur Schau zu stellen und so gewann er Runde um Runde, was bei dem einen oder anderen Mitspieler leichten Unmut auslöste. Um den vorweihnachtlichen Frieden nicht zu gefährden und die Stimmung hoch zu halten, erzählte Kainz ein paar Witze, bei denen er auch so manchen Vorgesetzten zum Protagonisten erhob.

Roland saß einstweilen auf seinem Bett und starrte auf das weiße Blatt Papier, das vor ihm lag. Eben hatte er den Brief an seine Eltern zu Ende geschrieben und in ein Kuvert gesteckt, doch nun fehlten ihm bereits die Worte, die er an seine Lilli richten wollte. Wie sollte er ihr erklären, wie es ihm ging, ohne ihr unnötig Angst zu machen? Sollte er sie um ihretwillen anlügen? Zeitlebens war er stets ehrlich zu ihr gewesen. Zögerlich begann er nach langem Überlegen schließlich zu schreiben:


»Meine liebe Lilli,

der Winter hat hier in Frankfurt Einzug gehalten und vor allem in der Nacht ist es unangenehm kalt. Ich fühle mich, als hätte ich schon ewig keine Wärme mehr empfunden. Die Ausbildung ist hart, doch ich habe mich an den Alltag nun bereits gewöhnt und mache mich gut. Es verbleiben noch zwei Wochen, danach hoffe ich, dich endlich gesund wieder zu sehen. Bis heute hat uns niemand mitgeteilt, was mit uns geschehen wird, sobald unsere Ausbildung zu Ende ist.

Wir bekommen hier nicht viel davon mit, was draußen passiert, doch habe ich gehört, dass der Vormarsch an der Ostfront ins Stocken geraten ist. Auch wenn die Nachrichten die Kämpfe an den Fronten schönreden, hört man von manchen Vorgesetzten hier doch eine ganz andere, wenn auch unterschwellig vermittelte Sicht der Dinge.

Ich habe bereits meinen Eltern geschrieben, sie sollen sich keine Sorgen machen, dasselbe bitte ich dich. Besonders vor dem Einschlafen denke ich oft an dein wundervolles Lächeln. Du fehlst mir sehr und es schmerzt täglich mehr, so weit von dir getrennt zu sein.

In Liebe

Roland«


Zusammen mit dem Brief an seine Eltern warf er den Umschlag in die Postbox. Um auf andere Gedanken zu kommen, gab er den Aufforderungen seiner Kameraden nach und schloss sich dem heiteren Kartenspiel an.

Die Stunden vergingen und es wurde allmählich Abend. Irgendwann ermüdete das immer gleiche Spiel die Kameraden und sie wandten sich anderen Tätigkeiten zu. Während Kainz unter einem Berg von Felddecken auf seinem Bett kauerte und in Gedanken versunken irgendwelche Notizen in sein kleines Büchlein machte, zog Andi einen dicken Mantel über und schnürte seine schweren Stiefel zu.

»Wo gehst du hin?«, fragte ihn Roland überrascht.

»Nach draußen, um noch etwas frische Luft zu schnappen und mir ein wenig die Beine zu vertreten.«

»Warte«, rief ihm Roland kurzentschlossen nach, »ich komme mit.«

Der trockene Schnee am Boden gab bei jedem Schritt ein dumpfes Knirschen von sich. Die Wolken hatten sich verzogen und der Mond leuchtete hell über dem Horizont, den ein Meer aus Sternen schmückte.

Die beiden verließen das Kasernengelände und wanderten an einem naheliegenden Waldstück entlang. Als die Lichter der Umgebung langsam verschwanden, offenbarten sich die endlosen Weiten der unzähligen Sterne am Himmelszelt noch viel deutlicher. Es war ringsum still geworden. An einem umgestürzten Baumstamm machten sie Halt und setzten sich darauf. Lange sprachen sie kein Wort und harrten bloß der Dinge. Andi starrte verträumt in den Nachthimmel hinauf.

»Was bedrückt dich?«, fragte ihn Roland, als er in Andis grübelnde Augen blickte.

»Ich denke an Mutter. Oft, wenn ich nachts draußen bin, bewundere ich den Sternenhimmel und sehe ihr vertrautes Gesicht vor mir. Irgendwo da oben ist sie jetzt und blickt auf mich herab. Sie beschützt mich und passt auf mich auf. Es mag vielleicht etwas kindisch klingen, aber es ist ein schöner Gedanke.

Als sie damals gestorben ist, habe ich das alles noch nicht so verstanden. Ich habe nicht realisiert, was mit ihr passiert ist. Sie war plötzlich einfach weg. Vater hat damals zu mir gesagt, Mama wäre jetzt ein Stern, ganz hoch oben am Himmel. Auch wenn ich diesen Stern nicht immer sehen kann, so weiß ich doch immer, dass er da ist.«

Roland gefiel dieser Gedanke. Stets bewunderte er die Art, wie Andi mit allen Bürden, die ihm das Leben anlastete, umging. Seine Mutter war gestorben, als er noch ein kleines Kind war. Roland konnte sich noch gut an die Beerdigung erinnern. Obwohl er damals sehr klein war, rührte es ihn zu Tränen, wie er Andi und seinen Vater am Grab stehen sah. Sie war eine so herzliche und gute Frau gewesen. Roland war von ihrer immerzu freundlichen Art und der gutmütigen Hilfsbereitschaft, mit der sie den Menschen begegnete, stets beeindruckt gewesen. Niemand hatte damit gerechnet, dass sie so früh aus dem Leben gehen musste.

So saßen sie noch lange an diesem Abend draußen und redeten über die Vergangenheit und über das, was nun kommen sollte.

Krieg und Freundschaft

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