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»ALARM, ALARM!«

Roland war schlagartig hellwach. Adrenalin durchströmte seinen Körper. Blitzschnell sprang er aus dem Bett und schnappte sich ein paar Sachen zum Anziehen. Intuitiv griff er nach seiner Waffe und stürmte nach draußen. Es herrschte pures Chaos. Soldaten liefen planlos umher, Offiziere brüllten Befehle in die eisige Nacht. Aus der Ferne ertönte gewaltiges Artilleriefeuer.

»Jetzt ist es soweit«, dachte sich Roland, während er Ausschau nach seinen Kameraden hielt. Aus dem Augenwinkel sah er Kainz herbei stürmen, hinter ihm liefen Hartl und Andi quer über den Dorfplatz.

»Dritte Gruppe, hier sammeln!«, rief Oberfeldwebel Schmied in die aufgescheuchte Menge.

»Wir werden angegriffen. Der Iwan ist nur mehr ein paar Kilometer weit entfernt. Packen Sie schnellstmöglich alles zusammen und machen Sie sich kampfbereit!«

Die Männer stürmten los. In Windeseile verstaute Roland seinen Besitz und die Ausrüstung im Rucksack und rüstete sich für den bevorstehenden Kampf. Er atmete einmal tief durch, während er ein volles Magazin an seine Waffe ansteckte, dann hastete er nach draußen. Sobald die zwölf Mann starke Gruppe beisammen war, ging es im Eilschritt in Richtung des angrenzenden Waldes. Noch schwer außer Atem, bezogen die Soldaten zugewiesene Stellungen.

Roland verschanzte sich in seiner Deckung und beobachtete gespannt das Vorfeld. Erst jetzt hatte er etwas Zeit zu realisieren, was in den letzten Minuten geschehen war. Sein Körper funktionierte automatisch und befand sich im Ausnahmezustand. Die bitterkalte Luft schmerzte heftig in den Lungenflügeln. Neben ihm ging ein deutscher Kamerad in Anschlag. Kein Wort wurde gesprochen.

Das Artilleriefeuer war erloschen und beängstigende Stille kehrte ein. Jedes Knistern wurde peinlich genau verfolgt. Rolands Herz raste wie wild.

Stunden vergingen und der Sonnenaufgang stand kurz bevor. Die Körper der Soldaten zitterten aufgrund der brutalen Kälte. Jeder Atemzug schmerzte in der Brust. Das Warten auf das Ungewisse zermürbte den Verstand. Dann, urplötzlich, schlug die erste Granate ein. Mit einem ohrenbetäubenden Knall detonierte sie wenige hundert Meter weit entfernt. Gleich darauf folgten weitere. Trotzdem war weit und breit kein Angreifer zu sehen.

Ein paar Geschosse trafen das Dorf und legten ganze Häuser in Schutt und Asche. Der Anblick war beängstigend. Die ungeheure Wucht der einschlagenden Geschosse ließ Roland erschaudern. Er sah nach rechts und bemerkte, wie auch seinem Kameraden die Panik ins Gesicht geschrieben stand. Die Granaten explodierten mit ohrenbetäubendem Lärm unweit vor ihnen. Roland zitterte im Angesicht des bevorstehenden Gefechts. So war es also, im Krieg zu sein. Das Gefühl hatte nichts Heroisches an sich und schnell wurde ihm klar, dass es von nun an ums nackte Überleben ging. Es gab kein Zurück.

»Jetzt nur nicht die Nerven verlieren«, dachte er sich, während er ein paar Mal ein- und ausatmete. Ein dumpfes Brummen durchzog den steifen Untergrund. Es wurde immer lauter und brachte den Boden immer stärker zum Zittern. Mehr und mehr Panzer tauchten plötzlich an der Geländekante auf. Roland kam mit dem Zählen nicht mehr hinterher. Es mussten fast zwanzig sein. Dazwischen lauerte eine beängstigende Anzahl an Soldaten.

»FEUER!«

Projektile schossen aus den Mündungen der Gewehre und aus allen Stellungen bekämpfte man den näher rückenden Gegner. Panzerabwehrrohre sollten die übermächtigen Stahlkolosse zähmen. Auf dem Schlachtfeld fielen indessen Soldaten wie Schachfiguren um. Über den Köpfen der zum Teil kampfunerprobten Männer prasselte das Sturmfeuer der Russen. Roland machte sich so klein, wie er nur konnte. Er gab ein paar ungezielte Schüsse ab, ehe er sein Gesicht wieder auf den harten Boden drückte. Angst und Panik drohten ihn zu übermannen. Nie zuvor hatte er eine Waffe gegen einen Menschen gerichtet, alles war so anders, als noch während der Ausbildung.

Für einen kurzen Moment schloss er die Augen. Von Ferne her gellten schmerzerfüllte Schreie. Roland war völlig überfordert. Er fühlte sich fremdgesteuert, als stünde er weit neben sich. Hinter ihm schrie der Oberfeldwebel Kommandos an seine Soldaten, während das Abwehrfeuer der deutschen Truppen von allen Seiten auf die Sowjets niederschlug.

Der Gegner hatte die Situation wohl unterschätzt. Brennende Panzer beleuchteten das Gefechtsfeld. Ein Mark und Bein durchdringender Knall vermeldete, dass erneut einer getroffen worden war. Abrupt blieb das Fahrzeug stehen. Feuergefangene Gestalten sprangen voller Panik und erfüllt von Schmerzen aus der Luke und wälzten sich auf dem Boden. Ungedeckt wurden sie von Schüssen durchbohrt. Regungslos, aber immer noch brennend, blieben sie starr liegen. Den jungen Soldaten bot sich ein ungemein grausames Bild.

Nur wenige Minuten, die sich aber wie Stunden anfühlten, dauerte der erbitterte Kampf, ehe sich die Russen wieder zurückzogen. Die landschaftliche Beschaffenheit machte es ihnen unmöglich, mit ihren Panzern noch weiter vorzudringen. So schnell alles begonnen hatte, so rasch kehrte auch wieder beängstigende Stille ein.

»Wir haben es überstanden!«, flüsterte Roland seinem Kameraden erleichtert, aber noch nicht ganz Herr seiner Sinne, zu. Er bekam keine Antwort. Etwas lauter wiederholte er seine Worte. Sein Gegenüber antwortete nicht. Roland packte ihn an der Schulter. Der Deutsche fiel auf die Seite. Roland sah in sein Gesicht und erschrak. Große, starre Augen blickten ihm entgegen. Über die Schläfe strömte Blut. Erst jetzt bemerkte Roland das Einschussloch am Helm. Verstört blickte er ihn an.

»Er ist tot!«, murmelte er zitternd vor sich hin. Roland wollte schreien, aber es drangen keine Laute aus seinem Hals. Ihm wurde übel. Der Schock fuhr ihm ins Gebein und er bekam keine Luft mehr.

»Komm‘ mein Junge!«

Der Oberfeldwebel zerrte an seinem Arm. Roland lag wie erstarrt da und blickte auf seinen gefallenen Kameraden.

»Los, steh‘ auf! Der hat’s hinter sich.«

Der Vorgesetzte riss ihn mit. Nebenbei brach er noch die Soldatenmarke des Gefallenen ab und steckte sie in eine Manteltasche. Er zerrte Roland in eine geschützte Deckung, wo auch schon die anderen warteten. Andi kam auf Roland zu.

»Sie haben ihn erschossen!«, stammelte Roland wieder und wieder vor sich hin.

»Ich weiß, Roland. Komm‘ jetzt, wir müssen weiter!«

Zu elft setzte die Gruppe ihren Marsch durch den dichten Wald fort. Nach dieser blutigen Nacht war auch dem letzten Neuankömmling bewusst geworden, was es bedeutete, in den Krieg zu ziehen.

Krieg und Freundschaft

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