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Einleitung

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In der religiösen Vorstellungswelt der Menschen gilt das Judentum als die älteste monotheistische Religion. Ihr zufolge gibt es nur einen einzigen Gott, der zugleich der Gott des Volkes Israel und der Gott des gesamten Universums ist. Diese Vorstellung von dem einem und einzigen Gott hat sich dann im Christentum und im Islam weiter fortgesetzt und in diesen Religionen unterschiedliche Formen angenommen.

Liest man die jüdischen und christlichen Bibeln1 oder den Koran, hat man zunächst den Eindruck, dass dieser Gott immer schon dagewesen ist, denn er ist der Schöpfer des Himmels und der Erde. Sieht man genauer hin, so stößt man jedoch auf Texte, welche die Existenz anderer Götter einräumen; so zum Beispiel die Geschichte über den Streit zwischen Jiftach, dem militärischen Anführer eines israelitischen Stammes, und Sichon, dem König von östlichen Nachbarn Israels, von dem das Richterbuch erzählt. Um Territorialstreitigkeiten zu klären, greift Jiftach zu einem theologischen Argument: „Besitzt du nicht das, was dein Gott Kamosch dir zum Besitz gibt? Und das, was unser Gott uns zum Besitz gegeben hat, besitzen wir das nicht?“ (Ri 11,24). Hier wird der Gott Jiftachs als Schutzgott eines Stammes oder eines Volkes betrachtet, Kamosch hingegen als der Schutzgott Sichons. Setzt man die Lektüre der Hebräischen Bibel2 fort, so entdeckt man noch andere ungewöhnliche Textstellen. Die Adressaten des Buches Deuteronomium werden zum Beispiel oft ermahnt, keinen anderen Göttern zu folgen, ohne dass deren Existenz, also deren Realität, geleugnet würde. Das heißt, in der Bibel selbst lassen sich Spuren dafür finden, dass es in der Levante, ja auch in Israel selbst, eine Vielzahl von Gottheiten gab und dass der Gott Israels, dessen Name vielleicht Jahwe oder Jahu ausgesprochen wurde (wir kommen auf diese Frage im ersten Kapitel zurück), bei weitem nicht der einzige von den Israeliten verehrte Gott war.

Aber die biblischen Erzählungen halten noch andere Überraschungen bereit. Als Jahwe sich Mose in Ägypten zu erkennen gibt, tritt er als ein unbekannter Gott auf, denn er sagt ihm, er erscheine ihm hier zum ersten Mal unter seinem wahren Namen. Finden wir hier einen Hinweis darauf, dass dieser Gott nicht schon immer der Gott Israels gewesen ist? Warum offenbart er sich ausgerechnet in Ägypten bzw. in der Wüste?

In all diesen Punkten muss das, was in der Bibel steht, durch andere Quellen ergänzt werden: archäologische Ausgrabungen, Inschriften, ikonographische Darstellungen, Dokumente und Annalen aus Ägypten, Assyrien, Babylonien usw. Eine Auswertung dieser gesamten Überlieferungslage gestattet es uns, den Weg eines Gottes nachzuzeichnen, der ganz zu Anfang wahrscheinlich irgendwo im „Süden“ zwischen Ägypten und der Wüste Negev lokalisiert werden muss und zunächst ein Kriegs- und Gewittergott ist, der nach und nach zum Gott Israels und Jerusalems wird, um dann nach einer großen Katastrophe, der Zerstörung Jerusalems und Judas, zum einzigen Gott zu werden. Er ist Schöpfer des Himmels und der Erde, unsichtbarer und transzendenter Gott, der jedoch für sich in Anspruch nimmt, ein ganz besonderes Verhältnis zu seinem Volk zu haben. Wie ist aus einem Gott unter vielen der eine und einzige Gott geworden? Dieses ebenso grundlegende wie Grund legende Rätsel will das vorliegende Werk zu lösen versuchen. Dass der Gott der Bibel nicht schon immer „einzig“ gewesen ist, daran besteht – entgegen dem, was einige Theologen immer noch behaupten – kein Zweifel.

Die Leserinnen und Leser sind eingeladen, unseren Untersuchungen zu folgen, die die Ursprünge und Wandlungen des Gottes Israels bestimmen wollen. Ihre Ergebnisse können selbstverständlich nur hypothetisch sein, denn wir verfügen nur über ein Bündel von Indizien, die sich vor allem in den biblischen Texten selbst finden – was natürlich Fallstricke birgt, denn die biblischen Autoren sind nicht neutral, sondern wollen, dass die Leser ihrer Version der Geschichte und ihrem Bild vom Gott Israels folgen. Die Bibel muss also aus rein historischer Perspektive untersucht werden, ohne a priori, wie jede andere antike Quelle auch. Vor allem müssen die Ergebnisse der Untersuchung der biblischen Texte mit den vorliegenden archäologischen, epigraphischen und ikonographischen Erkenntnissen abgeglichen werden. Nur so kann es gelingen, den Weg von einem Wüstengott, der von einigen Nomaden verehrt wird, zu dem Gott nachzuzeichnen, von dem die Bibel spricht und dessen Name nicht ausgesprochen werden darf.

Diese Studie bricht auch ein gewisses Tabu innerhalb der Bibelwissenschaften. Zumindest in der europäischen Forschung werden seit den 1970er Jahren vor allem die Texte des Pentateuchs – von denen einige bis dahin als sehr alt und in die Anfänge des 1. Jt. v.u.Z. zurückreichend gegolten hatten – für Jahrhunderte jünger gehalten. Aus diesem Grund hat sich ein durchaus gesunder Skeptizismus gegenüber dem historischen Wert dieser Texte entwickelt, die hauptsächlich als spätere theologische Konstrukte angesehen werden. Weil ihre Schlussredaktion oft das Ende des Königreichs Juda, die Zerstörung des Tempels in Jerusalem und das babylonische Exil voraussetzt, hielt man es für illegitim, diese Texte heranzuziehen, um die Ursprünge Israels und seines Gottes nachzuzeichnen. Folgt man dieser Argumentation, so vergisst man allerdings, dass die Erzählungen des Pentateuchs und der anderen Teile der Hebräischen Bibel keine Erfindungen sind, die dem Kopf irgendwelcher Intellektueller an ihren Schreibtischen entstammen: Die biblische Literatur ist eine Traditionsliteratur; diejenigen, die sie aufgeschrieben haben, haben sie überliefert bekommen und hatten natürlich Zeit und Muße, sie umzuformen und zu interpretieren, sie neu zu schreiben, wobei sie die älteren Versionen teilweise drastisch abänderten. Aber in den meisten Fällen fußen diese Texte auf archaischen Kernen, die erst sehr spät niedergeschrieben sein können, aber „Gedächtnisspuren“3 älterer Überlieferungen und Ereignisse bewahren. Dass die Hebräische Bibel keine Autorenliteratur ist, geht schon daraus hervor, dass diese Texte anonym und unsigniert sind. Der Autor tritt hinter den Text, den er übermittelt, zurück.

Anders ausgedrückt: Auch wenn man die biblischen Erzählungen natürlich nicht als objektive Quellen ansehen darf, so bergen sie doch Erinnerungen an Ereignisse, die der Historiker in Teilen auswerten kann, wenn er sie einer kritischen Lektüre unterzieht und von ihrem mythischen und ideologischen Ballast befreit. Daher scheint es mir legitim, an eine Tradition anzuknüpfen, die zu Beginn des 20. Jh. weit verbreitet war, als man sich sehr für die Ursprünge des Gottes Israels interessierte. Dank zahlreicher archäologischer Ausgrabungen, die unsere epigraphischen und ikonographischen Materialien stark vermehrt haben, haben wir heute allerdings bessere Karten, wenn wir die Untersuchung wieder aufnehmen.

Wenn wir von der „Erfindung Gottes“ sprechen, stellen wir uns nicht vor, dass ein paar Beduinen sich eines Tages an einer Oase versammelt haben, um ihren Gott zu erschaffen, oder dass später ein paar Schriftgelehrte die Gottheit Jahwe als Schutzgott Israels aus dem Nichts erfunden haben. Man muss sich diese „Erfindung“ vielmehr als eine schrittweise Konstruktion vorstellen, die aus verborgenen Traditionen entsteht, deren Sedimentlagen die Geschichte so durcheinandergeschoben hat, dass daraus etwas ganz Anderes geworden ist. Und untersucht man, wie sich der Diskurs über diesen Gott entwickelt hat und wie dieser schließlich zu dem einzigen Gott geworden ist, kann man darin eine Art „kollektiver Erfindung“ erkennen, die beständig auf bestimmte historische und soziale Zusammenhänge reagiert hat.

Bevor wir unsere Untersuchung mit dem Mysterium des unaussprechlichen Namens des Gottes Israels beginnen, sollen kurz die Form und der Inhalt der jüdischen Bibel vorgestellt werden.

Die Erfindung Gottes

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