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Was bedeutet der Name Jahô/Jahwe?
ОглавлениеDiese Frage gibt Anlass zu langen und leidenschaftlichen Diskussionen. Vielleicht muss man sie relativieren20. Ist es, um jemanden zu benennen oder anzurufen, wirklich so wichtig, die Bedeutung seines Namens zu kennen? Die Etymologie kann in Vergessenheit geraten, sie kann unklar sein und für die kultische Verehrung, die dieser oder jener Gottheit entgegengebracht wird, keine Rolle spielen. Auch kann man im Nachhinein Etymologien erfinden. In jedem Fall definiert der Name nicht notwendigerweise die „Natur“ einer Gottheit. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist es wichtiger, die Funktionen zu kennen, die die Menschen dieser oder jener Gottheit zuweisen, als die ursprüngliche Bedeutung ihres Namens. Die Bedeutung von Jhwh gibt jedenfalls zu zahlreichen Hypothesen Anlass, und man kann nicht sagen, dass schon eine Lösung gefunden wurde, die alle überzeugt.
Wir haben gerade gesehen, dass der Text von Exodus 3 eine Verbindung zwischen dem göttlichen Namen und der Wurzel h-j-h impliziert. In der Folge dieser Beobachtung gibt es zahlreiche Erklärungsansätze, die von einer Wurzel „sein“ ausgehen.
Tatsächlich findet man in den amoritischen Personennamen, die in Mari belegt sind (einer bedeutenden Stadt des 2. Jt. am Ufer des Euphrat im heutigen Syrien), Namen wie Jaḫwi-ilum („El21 ist, manifestiert sich“); Jaḫwi-Adad („Adad22 manifestiert sich“) etc. Für einige Forscher steht daher die Verbform „Jaḫwi“ am Anfang des Namens Jhwh23. Dass im Fall von Jhwh („Er ist“) der Name der Gottheit fehlt, wäre dann der Beleg dafür, dass die Israeliten von Anfang an eine abstraktere Vorstellung von ihrer Gottheit gehabt hätten als ihre Nachbarn und dass sie ihren Gott angerufen hätten, ohne ihm einen Eigennamen zu geben. Dieser Gedanke ist allerdings sehr theologisch und aus religionsgeschichtlicher Sicht wenig plausibel.
Andere gehen vom Laut „a“ in der Präformativsilbe des Wortes Jahwe aus, der nach den Regeln der hebräischen Grammatik eine kausative Form anzeige24: „der, der sein lässt“, „der, der erschafft“. Dieser Name beschriebe also ursprünglich eine bestimmte Manifestation des Gottes El, dessen vollständiger Name ʾēl jāhweh jiśrāʾēl („El gibt Israel das Leben, El erschafft Israel“) gewesen wäre. Diese Theorie weist gleich zwei Probleme auf: Im Hebräischen gibt es für das Verb „sein“ (h-j-h) keine Kausativform. Und es ist kaum plausibel, dass Jhwh ursprünglich die Bezeichnung für einen Schöpfergott gewesen ist.
Eine andere Lösung geht von der Kurzform Jāh aus. Der skandinavische Wissenschaftler Sigmund Mowinckel war zum Beispiel der Ansicht, die ursprüngliche Form von Jhwh sei „Ja huwa“ („da ist er; er ist es“) gewesen. Jah wäre dann also ursprünglich ein kultischer Ruf gewesen, der sich allmählich zu einem Substantiv entwickelt hätte, das die Gottheit bezeichnete, die man anrief25. Für eine derartige Entstehungsgeschichte eines göttlichen Namens gibt es allerdings keine Parallelen.
Die Hypothese, dass der Name Jhwh aus einer präformativ konjugierten Verbform gebildet wurde, bleibt ziemlich wahrscheinlich. Was die Wurzel angeht, die Jhwh zugrunde liegt, wurden mehrere Vorschläge gemacht. Man hat eine Verbindung zur semitischen Wurzel ḥ-w-j („zerstören“, hebräisch h-w-h) angenommen: „er zerstört“; Jhwh wäre dann ein zerstörerischer Gott. Eine andere Spur kann darin liegen – und wir werden darauf noch zurückkommen –, dass Jhwh aus dem Süden, aus einem edomitischen, also arabischen Umfeld kommt. Vor allem Ernst Axel Knauf26 hat darauf hingewiesen, dass die präislamischen Araber Gottheiten kannten, deren Namen von einem präformativ konjugierten Verb in der dritten Person abgeleitet waren, wie Jaģū („Er hilft“) und Jaʿūq („Er schützt“)27.
Die süd-semitische Wurzel, die man zum Tetragramm in Beziehung setzen könnte, wäre also die semitische Wurzel h-w-j, die drei Bedeutungen hat: „begehren“, „fallen“, „wehen“. Die beiden Bedeutungen „begehren“ und „fallen“ sind auch im biblischen Hebräisch belegt, allein die Bedeutung „wehen“ ist es nicht. Vielleicht handelt es sich dabei um ein bewusstes Vermeiden eben wegen des göttlichen Namens. Wie schon der bedeutende Bibelforscher Julius Wellhausen Ende des 19. Jh. angemerkt hat, passt die Bedeutung „wehen“ sehr gut auf eine Gottheit vom Typ Gewittergott: „Er fährt durch die Lüfte, er weht“28. Diese Erklärung ist vielleicht zum jetzigen Kenntnisstand die befriedigendste, obwohl auch sie nicht ohne Probleme ist29.
Jhwh wäre also der, der weht, der den Wind bringt, ein Gewittergott, der auch kriegerische Züge haben kann; und eine solche Charakterisierung passt ziemlich gut, wie wir sehen werden, zu den ursprünglichen Funktionen Jhwhs.
1 Bevor die Zeichen für die Vokale erfunden wurden, konnte man in einigen Fällen bestimmte Konsonanten einsetzen, um die Aussprache anzuzeigen. Sie werden matres lectionis, „Lesemütter“, genannt.
2 Martin Rösel: Adonaj. Warum Gott „Herr“ genannt wird, Tübingen (Mohr Siebeck) 2000, S. 5–8.
3 Das ë trägt der Tatsache Rechnung, dass dem ersten a von ădōnāj ein Schwa vorangeht, das einen Spiritus anzeigt (phonetisch wie ein spiritus lenis im Griechischen, ein leichter Stimmansatz (Knacklaut) vor dem a; Anm. der Übers.: vgl. dt. Spiegelei, siehe die Tabelle am Anfang dieses Buches). Einige Manuskripte vokalisieren nur den ersten und den letzten Vokal (ë-a), während andere auch das o hinzufügen.
4 Vor allem wegen einiger masoretischer Vokalisierungen des Tetragramms, denen eine Präposition vorangeht, vgl. Martin Rösel: Adonaj. Warum Gott „Herr“ genannt wird, Tübingen (Mohr Siebeck), S. 2–5.
5 Nebenbei bemerkt: Dieser Ort ist für die Mormonen von großer Bedeutung, weil sie glauben, dass sein Name mit Lehi zu tun hat, einem Propheten aus dem Buch Mormon.
6 Johannes Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik I. Johannes Renz: Althebräische Inschriften. Text und Kommentar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 248.
7 Das biblische Hebräisch erlaubt keine klare Unterscheidung zwischen Präsens und Futur.
8 Stromateis V, 6 (um 220 v.u.Z).
9 Epiphanius II Panarion haer, Haereses 34–64, 40, 5,8.
10 Quaestiones in Exodum (XV). Derselbe Theodoret greift die Frage in seinem Werk Haereticarum fabularum compendium (V, 3) wieder auf, wo er schreibt: „Aia bedeutet der, der ist. Dieser Name war bei den Hebräern unaussprechlich … Die Samaritaner lesen es in Unkenntnis der Bedeutung des Wortes Iabai.“ Dieses Zitat zeigt eindeutig, dass der Name Aia sich nicht auf das Tetragramm bezieht, sondern auf den Ausdruck ʾehjeh („ich bin“/„ich werde sein“) aus Ex 3, 14.
11 Amphilochia 162.
12 Comm. in Ps 2, 2 (PG 12, 1104).
13 Josef Tropper: „Der Gottesname *YAHWA“, in: Vetus Testamentum 51 (2001), S. 81–106.
14 Manfred Weippert: Historisches Textbuch zum Alten Testament, Göttingen (Vandenhoeck & Ruprecht) 2010, S. 477, 480–483.
15 Die Aussprache von Iaō („Jahô“) findet sich wahrscheinlich auch auf einer Votivstele aus römischer Zeit (3. Jh.), die Zeus Serapis geweiht ist, einem Gott, der von Ptolemäus I. als Nationalgott Griechenlands und Ägyptens neu erschaffen wurde und der (wohl im Nachhinein) mit Iaö identifiziert wurde (die Stele befindet sich heute im Museum von León in Spanien). Eine Abbildung findet sich unter http://www.ileon.com/cul-tura/057366/una-lapida-votiva-en-honor-a-serapis-pieza-del-mes-de-diciembre-en-el-museo-de-leon (eingesehen 14.01.2018)
16 Dazu ausführlich: David E. Aune: „Iao“, in: Reallexikon für Antike und Christentum Bd. 17, 1996, Kol. 1–12.
17 Zu demselben Schluss kommt auch Martin Rose: Jahwe. Zum Streit um den alttestamentlichen Gottesnamen, Zürich (TVZ) 1978.
18 Eine gute Zusammenfassung der außerbiblischen Belege findet sich bei Johann Renz und Wolfgang Röllig: Handbuch der althebräischen Epigraphik. II/1 Johannes Renz: Die althebräischen Inschriften. Zusammenfassende Erörterungen, Paläographie und Glossar, Darmstadt (WBG) 1995, S. 89–90.
19 Manfred Weippert: „Jahwe“, in: Jahwe und die anderen Götter. Studien zur Religionsgeschichte des antiken Israel in ihrem syrisch-palästinensischen Kontext, Tübingen (Mohr Siebeck) 1997, S. 35–44.
20 Karel van der Toorn: „Yahweh“, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 19992, S. 910–919.
21 In der Götterwelt von Ugarit/Ras Schamra ist El (Ilu) der oberste Gott. Aber ʾilu kann einfach auch nur „Gott“, „Gottheit“ heißen.
22 Gott des Gewitters.
23 Wolfram von Soden: „Jahwe ‚Er ist, Er erweist sich‘“, in: Hans-Peter Müller (Hg.): Bibel und Alter Orient. Altorientalische Beiträge zum Alten Testament von Wolfram von Soden, Berlin (Walter de Gruyter) 1985, S. 78–88; Frank M. Cross: Canaanite Myth and Hebrew Epic, Cambridge (Harvard University Press) 1973, S. 70.
24 William F. Albright: Yahweh and the Gods of Canaan. A Historical Analysis of two Contrasting Faiths, Winona Lake (Eisenbrauns) 1994 [1968], S. 147–149.
25 Sigmund Mowinckel: „The name of the god of Moses“, in: Hebrew Union College Annual 32 (1961), S. 121–133. Diese These ist wieder aufgenommen bei Alvaro López Pego: „Sobre el origen de los teónimos Yah y Yahweh“, in: Estudios biblicos 56 (1998), S. 5–39.
26 Ernst Axel Knauf: „Yahweh“, in: Vetus Testamentum 34 (1984), S. 467–472.
27 Diese beiden Namen sind im Koran und in der Kitäb al-Asnäm (Das Götzenbuch) belegt, in dem Ibn al-Kalbī (737–819) von den arabischen Göttern der vorislamischen Zeit spricht.
28 Julius Wellhausen: Israelitische und Jüdische Geschichte, Berlin (Georg Reimer) 1914, S. 25 Anm. 1.
29 In der alt-semitischen Lebenswelt sind Götternamen, die von einem präformativ konjugierten Verb abgeleitet sind, eher selten.