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Vorwort

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Kann man Gott erfinden? Viele Religionswissenschaftler würden dies durchaus bejahen, während zahlreiche Theologen mit dieser Formulierung Probleme hätten. Der Theologe Martin Luther hatte in seinem Großen Katechismus die Frage gestellt: „Was ist ein Gott?“ Seine Antwort war: „Woran du nun dein Herz hängst und verlässest, das ist eigentlich dein Gott“. Man kann diese Definition durchaus so verstehen, dass Luther dem Menschen die Möglichkeit einräumt, sich Götter zu erfinden.

In dem hier vorliegenden Buch „Die Erfindung Gottes“, dessen erste französische Ausgabe 2014 veröffentlicht wurde, geht es darum, die Herkunft und den Weg des biblischen Gottes nachzuvollziehen, der in der Folge zum „einzigen Gott“ wurde. Für die deutsche Übersetzung wurde die 2. Auflage der französischen Ausgabe zu Grunde gelegt, welche in Bezug auf die Bibliographie und zahlreiche Details für eine deutschschprachige Leserschaft überarbeitet wurde.

Im Zusammenhang mit Religionen, seien sie nun poly- oder monotheistisch, von „Erfindung“ zu sprechen, ist nicht selbstverständlich. Obwohl es in vielen Religionen Priester und Theologen gibt, die, indem sie sich auf göttliche Gebote berufen, die offizielle Interpretation ihres Kultes und der mit ihm verbundenen Glaubensüberzeugungen festlegen, kann die Frage nach dem Ursprung der Götter (in den meisten Fällen) nicht mit der Annahme einer Ad-hoc-Erfindung erklärt werden. In Bezug auf Jhwh, den Gott Israels, kann sich der Historiker/die Historikerin auf ägyptische, assyrische, babylonische und andere Quellen stützen sowie auf die biblischen Texte und archäologische und epigraphische Funde. Dieser Methode folgt auch mein Versuch, die Ursprünge des Gottes Jhwh, die Anfänge seiner Verehrung durch „Israel“ und seinen Weg zu dem einen und einzigen Gott nachzuzeichnen. Meine Theorien hinsichtlich einer südlichen, nichtisraelitischen Herkunft des Gottes Jhwh stützen sich auf die Gesamtheit aller heute verfügbaren Quellen. Natürlich bleiben die Ergebnisse hypothetisch und hängen von der jeweiligen Interpretation des archäologischen und literarischen Quellenmaterials ab. Die These, nach der Jhwh ursprünglich ein Wüstengott war und wahrscheinlich auch in einem Gebiet verehrt wurde, das später den Namen Edom erhalten sollte, bevor er in einem langen und komplexen Ablauf zum einen und einzigen Gott wurde, ist natürlich nicht unbestritten und bleibt hypothetisch. Dies ist jedoch das Los aller historischen Rekonstruktionen.

Dieses Buch stellt auch eine historische Untersuchung zur Herkunft des Judentums dar, jener monotheistischen Religion, auf der später das Christentum und auch der Islam gründen sollten. In der gegenwärtigen Situation, in der Obskurantismus und „alternative Fakten“ immer mehr Verbreitung finden, scheint es mir notwendig, daran zu erinnern, dass diese drei Monotheismen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede haben und dass sie ein und dasselbe Fundament teilen. Bei vielen Agnostikern und Atheisten stehen die monotheistischen Religionen in einem schlechten Ruf. Man wirft ihnen vor, Intoleranz, Gewalt und Fanatismus hervorzubringen. Die heutige Situation scheint in der Tat eine solche Einschätzung zu bestätigen. Zahlreiche Konflikte und terroristische Attentate, von denen wir tagtäglich hören, sind ideologisch bzw. religiös motiviert. Im Namen des einen Gottes wird getötet, ausgegrenzt, Hass und Intoleranz gepredigt. Dagegen galt das Aufkommen des Monotheismus viele Jahrhunderte lang als ein intellektueller und philosophischer Fortschritt in der Menschheitsgeschichte: Dank des mosaischen Monotheismus, der am Anfang des Judentums gestanden habe und ohne den weder das Christentum noch der Islam entstanden wären, habe die Menschheit die Vergöttlichung der Natur aufgegeben und sich von der abergläubischen Unterwerfung unter die kosmischen Elemente befreit. Der Monotheismus habe so die Autonomie des Menschen und seine Fähigkeit, die Kräfte der Natur und des Kosmos zu kontrollieren, gefördert. Es ist kein Zufall, dass im ersten Kapitel der Bibel die Idee zum Ausdruck kommt, der Mensch – Mann und Frau – sei als Abbild Gottes geschaffen worden und seine Aufgabe sei es, die Welt und alles, was in ihr ist, zu unterwerfen und zu beherrschen. Sollte der Monotheismus also der erste Schritt zum Ausstieg des Menschen aus dem religiösen Denken sein, wie manche Philosophen behaupten?1 Oder sollte er für die ökologischen Katastrophen verantwortlich sein, die die Menschheit seit Beginn der Industriellen Revolution immer mehr verursacht, und für Religionskriege, die es bis heute immer noch gibt?

Bei meiner Darstellung der Entstehung des Monotheismus habe ich versucht zu zeigen, dass dieser sowohl eine segregationistische als auch eine universalistische Komponente enthält.

In zahlreichen Erzählungen des Pentateuchs erscheint Mose als recht gewalttätig. In der Geschichte vom goldenen Kalb, in Exodus 32, zeigt er sich als Bilderstürmer, er zerstört das Werk seines Bruders Aaron, der den Gott Israels als Stier dargestellt hatte, und kündigt so den bildlosen Kult des wiedererbauten Jerusalemer Tempels in persischer Zeit (im 6. Jh. v.u.Z.) an. In derselben Erzählung lässt Mose auch einen großen Teil des Volkes umbringen, das dieser Jhwh-Statue gehuldigt hatte, und wird so zum klassischen Vertreter einer gewalttägigen und kompromisslosen jahwistischen Religion. In einigen Passagen des Deuteronomiums (zum Beispiel in den Kapiteln 4 und 7) stellt Mose Jhwh als den einzigen Gott dar, der Himmel und Erde erschaffen hat, betont aber auch dessen besonderes Verhältnis zu Israel, das er sich als seinen Privatbesitz „auserwählt“ hat. Aus diesem Grund muss Israel sich von den anderen Völkern abgrenzen. Dieser deuteronomistische Diskurs, der Mose in den Mund gelegt wird, entspricht einem exklusiven Monotheismus.

Neben dieser segregationistischen Konzeption findet man jedoch auch Texte, die eine Haltung religiösen Zusammenlebens widerspiegeln. So war Mose in das Land Midian geflohen, wo er Zippora, die Tochter eines midianitischen Priesters, heiratete. Auch Joseph, der in seinem ägyptischen Exil zum Kanzler des Pharaos wird, heiratet die Tochter eines hohen ägyptischen Priesters und sieht kein Problem darin, theologische Diskussionen mit dem ägyptischen König zu führen, wobei beide dasselbe Wort verwenden, um Gott zu bezeichnen. Die inklusive Tendenz des Monotheismus kommt ebenfalls in der Erzählung von der Berufung des Mose zum Ausdruck, die Teil eines von Priestern verfassten Dokuments ist. Die priesterlichen Autoren entwickeln in dieser Erzählung (im 6. Kapitel des Buches Exodus) die Vorstellung von einer dreistufigen göttlichen Offenbarung: Die gesamte Menschheit kennt Gott unter dem Namen Elohim, einem Namen, der sowohl als Singular als auch als Plural verstanden werden kann; Abraham und seinen Nachkommen, zu denen auch die arabischen Stämme, die Edomiter und andere Völker östlich des Jordan gehören, hat Gott sich unter dem Namen El Schaddai („Gott der Felder“) geoffenbart; und nur Israel allein offenbart er über den Mittler Mose seinen „wahren“ Namen, nämlich Jhwh; einen Namen, der im Judentum sehr schnell tabuisiert wird. Folgt man dieser Argumentation, so verehren alle Völker denselben Gott, auch diejenigen, die ein Pantheon besitzen. Und es gibt folglich überhaupt keinen Grund, sich in seinem Namen zu bekämpfen.

So existieren in der Hebräischen Bibel zwei verschiedene Monotheismen nebeneinander. Auf diese Weise entsteht eine Spannung zwischen Inklusion und Segregation, zwischen Kohabitation und Konfrontation. Aus psychologischer Sicht lässt sich anmerken, dass jede Identität sich zwischen diesen beiden Polen herausbildet. Aber aus politisch-historischer Sicht muss man festhalten, dass monotheistische Religionen häufig die exklusive und oft kriegerische Variante des Monotheismus vertreten. Es ist Zeit, an die pazifistische Variante zu erinnern und diese in der aktuellen Situation, die wieder einmal von einer aggressiven und kriegerischen Rhetorik geprägt ist (sei diese nun religiös oder weltlich), stärker hervorzuheben.

Paris, im Juni 2018

Thomas Römer

1 Ernst Bloch: Atheismus im Christentum. Zur Religion des Exodus und des Reichs, Frankfurt/Main (Suhrkamp) 1968. Marcel Gauchet: The Disenchantment of the World. A Political History of Religion, Princeton (Princeton University Press) 1995. [frz. 1985].

Die Erfindung Gottes

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