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Das Rätsel des göttlichen Namens
Оглавление„Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.“ Mit dieser wohlbekannten Aussage beginnen die jüdische und die christlichen Bibeln. Im ersten Kapitel der Genesis hat „Gott“ keinen Eigennamen, was ganz normal erscheinen könnte, wenn man die Bibel als ein monotheistisches Buch ansieht. Wenn es nur einen Gott gibt, warum sollte er einen Eigennamen haben?
Doch wenn man genauer hinsieht, taucht ein erstes Fragezeichen auf. Das hebräische Wort, das hier mit „Gott“ übersetzt wird – ʾĕlōhîm – hat eine Pluralendung und kann auch mit „Götter“ übersetzt werden. Ein Gott oder Götter? Dasselbe Wort kann Singular und Plural sein, und nur die Verbformen ermöglichen eine Unterscheidung. Vielleicht ist diese Doppeldeutigkeit auch eine Aufforderung, gerade nicht zu entscheiden. Wollte man suggerieren, dass der einzige Gott in sich eine Vielheit von Göttern barg?
In der zweiten Erzählung des Buches Genesis, die anders als die erste ausschließlich die Erschaffung des ersten Menschenpaares und der Tiere schildert, schlagen die Übersetzungen andere Bezeichnungen für die Gottheit vor: In den meisten christlichen Bibeln liest man „der Herr“, in jüdischen Bibeln „der Ewige“. Obwohl dies in den Übersetzungen nicht deutlich wird, geben diese beiden Bezeichnungen tatsächlich einen Eigennamen wieder, dessen genaue Aussprache uns unbekannt ist. Warum?
Als man angefangen hat, die Texte zu verschriftlichen, die später in der Bibel zusammengeführt worden sind, schrieb man nur Konsonanten, wie das auch heute noch im modernen Hebräisch oder im Arabischen der Fall ist, Sprachen, deren Alphabete konsonantisch sind. In konsonantischer Schreibweise wird der Eigenname des Gottes, der in Kapitel 2 der Genesis und danach sehr häufig auftritt, J-h-w-h geschrieben, und diese vier Buchstaben haben zu dem Terminus „Tetragramm“ geführt, mit dem heute der Name des Gottes Israels bezeichnet wird. Erst viel später, zwischen dem 3. und dem 10. Jh. nach Christus, haben jüdische Gelehrte, die Masoreten – ein aramäisches Wort, das „Wächter“ bedeutet –, um die richtige Aussprache der heiligen Texte sicherzustellen, mehrere Vokalisierungssysteme erarbeitet. Eines von diesen, das System der Familie Ben Ascher, setzte sich schließlich durch.
Somit verfügten die Schreiber über ein ziemlich gut ausgearbeitetes System, um Texte zu vokalisieren, die fast ausschließlich Konsonanten enthielten1. Um diese Vorgehensweise zu illustrieren, nehmen wir das Wort Grtn. Man errät schnell, dass es sich um Garten handelt und kann das Hinzufügen von Vokalen durch die Masoreten so darstellen: Garten. Eine Form wie Grn kann auf wenigstens zwei Arten vokalisiert werden: Garn oder Gerne. In derartigen Fällen mussten die Masoreten eine Entscheidung über die Bedeutung treffen, die sie einem Wort, ja sogar einem ganzen Satz geben wollten. Was den Eigennamen des Gottes Israels betraf, so standen sie vor einem Problem: Schon ab dem 3. Jh. v.u.Z. hatte das Judentum damit begonnen, ihn nicht mehr auszusprechen. Diese Tabuisierung zeigt sich bereits in der griechischen Übersetzung des Pentateuchs, der ersten fünf Bücher der Bibel, in denen man statt des Tetragramms Jhwh entweder theós („Gott“) oder in den meisten Fällen kýrios („Herr“) findet.
Die Gründe für diese Nichtaussprache sind vielfältig. Im Rahmen einer monotheistischen Konzeption ist es unpassend, dass der einzige Gott einen Eigennamen trägt, da man einen solchen ja nur braucht, um eine Gottheit von anderen zu unterscheiden. Zudem wollte man wahrscheinlich auch magische Verwendungen des göttlichen Namens unterbinden. Eines der zehn Gebote fordert in der Tat: „Du sollst den Namen deines Gottes nicht für Sinnloses missbrauchen“, was man als Verbot einer magischen Anrufung interpretieren kann.
Das Verbot, den Namen Jhwhs auszusprechen, hat sich wahrscheinlich schrittweise durchgesetzt. In der Mischna, einer Sammlung rabbinischer Interpretationen des 1. und 2. Jh. nach Christus, findet sich der Gedanke, dass der Hohepriester am Versöhnungstag (Jom Kippur) im Allerheiligsten des Tempels den göttlichen Namen aussprechen darf (Traktat Joma 6,2). Dies spiegelt vielleicht eine Praxis während der letzten Jahrzehnte vor der Zerstörung des Tempels von Jerusalem im Jahr 70 wider. Bei den Samaritanern gibt es eine Überlieferung, wonach der Hohepriester die Aussprache heimlich seinem Nachfolger weitergibt2.
Was den göttlichen Namen anging, standen die Masoreten vor einem Problem. Sie konnten die Konsonanten Jhwh nicht ändern, denn der konsonantische Text galt als heilig und unantastbar. Aber sie konnten auch keine Vokale einfügen, die es erlaubt hätten, den göttlichen Namen auszusprechen; das hätte gegen die theologische Grundentscheidung des Judentums verstoßen. Daher haben sie eine Unterscheidung zwischen dem Kĕtîb („das, was geschrieben ist“) und dem Qĕrê („das, was man lesen soll“) eingeführt. So haben sie das Tetragramm Jhwh mit den Vokalen von ʾădōnāj, „mein Herr“ (tatsächlich vielleicht eine Pluralform), ergänzt und so signalisiert, dass man „adonaj“ aussprechen muss, wenn man Jhwh liest. Je nach Manuskript konnte man dies als Jĕhwah oder als Jĕh°wah darstellen3. Die Wiedergabe von Jhwh durch kýrios („Herr“) in der griechischen Bibel entspricht dieser Substitution.
Der daraus folgende irrtümliche Versuch, Jhwh mithilfe der Ersatzvokale von ʾădōnāj auszusprechen, mit welchen die Masoreten das Tetragramm ergänzt haben, hat zu einer Aussprache geführt, die der Dominikaner Raimundus Marti im 13. Jh. mit jĕh(o)wāh widergegeben hat. Diese Form hat in einigen Bibelübersetzungen bis hin zu den „Zeugen Jehovas“ Verbreitung gefunden.
Neben der Lesart „adonaj“ findet man im Judentum auch die Substitution haš-šem, „der Name“, die auch von den Samaritanern gebraucht wird. Deshalb haben einige Forscher die Meinung geäußert, dass die Vokale, mit deren Hilfe man ein Substitut für Jhwh gebildet hat, die des aramäischen šĕmāʾ (der Name) seien. Aus verschiedenen Gründen ist diese Lösung wenig plausibel4.
Es ist also wahrscheinlich, dass das erste Substitut in der Tat ʾădōnāj war und dass einige jüdische Gelehrte aus Misstrauen gegenüber der Septuaginta (der griechischen Übersetzung) und wegen der Übernahme des Titels kýrios als Bezeichnung für Jesus durch die Christen im Neuen Testament als Ersatz die Lösung „der Name“ gewählt haben. Erinnern wir uns daran, dass in den griechischen Manuskripten manchmal statt kýrios theós („Gott“) steht. Das könnte darauf hinweisen, dass es auch die Absicht gab, das Tetragramm durch ʾĕlōhîm zu ersetzen. Es scheint also anfangs verschiedene Methoden gegeben zu haben, das Tetragramm in der Aussprache durch eine andere Bezeichnung zu ersetzen.
Nachdem wir den Aspekt der Substitution von Jhwh durch „der Herr“ oder „der Name“ untersucht haben, stellt sich jetzt die Frage nach der originären Aussprache des Eigennamens des Gottes Israel und die nach seiner Bedeutung.