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Die Hebräische Bibel: ein kurzer Überblick
ОглавлениеDie Hebräische Bibel gliedert sich in drei große Teile: die Tora oder den Pentateuch (der griechische Name bezieht sich auf die fünf Bücher, aus denen er besteht), die Propheten (Nebiim im Hebräischen) und die Schriften (Ketubim)4. Innerhalb der Tora kann man zwei große Texteinheiten erkennen. Die erste, das Buch Genesis, handelt von den Ursprüngen: Gott erschafft dort die Welt und die Menschen (Gen 1–3), aber er ist auch Urheber der Gewalt (Kain und Abel, die Sintflut – Gen 4–9) und verantwortlich für die Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen und Kulturen (Gen 10–11). Es folgt die Erzählung von den Patriarchen Abraham (Gen 12–25) und Isaak (Gen 26) sowie Jakob (Gen 27–36) und seinem Sohn Josef (Gen 37–50), den Stammvätern Israels, aber nicht nur Israels: Abraham und Isaak sind auch die Vorfahren der meisten Nachbarn Israels. Der zweite große Teil des Pentateuchs erzählt die Geschichte des Mose, der Befreiung Israels aus der Knechtschaft Ägyptens und seines Aufenthalts in der Wüste auf dem Weg in das gelobte Land. Dieser zweite Teil beginnt mit der Geburt des Mose und endet mit seinem Tod; er besteht aus den vier Büchern Exodus, Levitikus, Numeri und Deuteronomium. Von Anfang an wird in dieser Erzählung der besondere Status des Mose hervorgehoben: In zwei Erzählungen ist er Adressat der Offenbarungen Gottes, die unter anderem den Namen des Gottes betreffen, der ihn beruft, sowie die Bedeutung dieses Namens.
Die Geschichte von den Patriarchen und die von Mose und dem Auszug aus Ägypten präsentieren dem Leser zwei unterschiedliche Identitätsmodelle. Nach den Erzählungen der Genesis beruht die jüdische Identität auf der Abstammung: Man ist Jude, weil man Abraham, Isaak und Jakob als Vorfahren hat, deshalb finden sich im Buch Genesis zahlreiche Genealogien. Kommt man zur Geschichte des Mose, findet man keine Ahnenlisten mehr. Die Identität des Volkes Jahwes beruht nicht auf der Abstammung, sondern auf der Zugehörigkeit zum Bund zwischen Gott und Israel, zu dessen Mittler Mose wird. Dieser Bund wird nach der Befreiung aus Ägypten geschlossen: Er gründet auf göttlichen Satzungen, die in den verschiedenen Gesetzessammlungen des Pentateuchs niedergelegt sind, die sich immer wieder in den Erzählungen vom Aufenthalt der Hebräer in der Wüste finden. Der Unterschied zwischen der Genesis und den nachfolgenden Büchern lässt sich auch an der Art feststellen, wie die Gottheit beschrieben wird. Im ersten Teil des Buches Genesis sprechen zahlreiche Texte von einem „universellen“ Gott, Erschaffer der Welt, der in der Josefsgeschichte dann auch als Gott der Hebräer und der Ägypter erscheint. In den Erzählungen über die Patriarchen dagegen begegnet man oft einem Stammesgott. Er wird der Gott Abrahams, Isaaks oder Jakobs genannt, aber auch der Gott Ismaels und Esaus und ihrer Nachkommen. In der Erzählung von Mose und dem Bund am Sinai treffen wir auf einen kriegerischen Gott, der sich in Sturm, Gewitter und Erdbeben offenbart, einen Vertrag mit seinem Volk schließt und ein zu eroberndes Land verspricht. Diese Eroberung, die unter der Ägide eines gewaltsamen Gottes stattfindet, wird im Buch Josua geschildert. Obwohl Jahwe Mose schon bei seiner Berufung angekündigt hat, er werde das Volk in das Land führen, „in dem Milch und Honig fließen“, stirbt Mose am Ende des Pentateuchs außerhalb des gelobten Landes. Der Pentateuch endet also mit der Nicht-Erfüllung einer Verheißung.
Der zweite Teil der Hebräischen Bibel, die „Propheten“, knüpft hier an und erzählt zu Beginn, in den Büchern Josua, Richter, Samuel und Könige, die Geschichte Israels: von der militärischen Eroberung des Landes unter Josua, der von der Gottheit als militärischer Führer eingesetzt wird, über die Errichtung des Königtums unter Saul, David und Salomo bis zum Untergang des judäischen Königreichs und der Zerstörung Jerusalems im Jahr 587 v.u.Z. Auf diese Bücher, die mit dem Zusammenbruch des Königtums und seiner politischen Institutionen enden, folgt die Sammlung der eigentlichen Prophetenbücher5. Sie versuchen, die Ursachen für diese Katastrophe zu erklären, die nach den prophetischen Unheilsansagen daraus folgt, dass das Volk und seine Verantwortlichen die göttlichen Forderungen nach Gerechtigkeit und ausschließlicher Verehrung Jahwes nicht befolgt haben. Der Gott Israels selbst hat also die militärischen Niederlagen seines Volkes herbeigeführt, um es samt seinen Königen dafür zu bestrafen, dass es seine Befehle missachtet hat. Gleichzeitig enthalten diese Bücher auch Versprechen eines Neuanfangs, sei es einer Wiederherstellung des davidischen Königtums, sei es allgemein einer kommenden Heilszeit.
Die „Schriften“, der dritte Teil der Hebräischen Bibel, vereinen Bücher unterschiedlicher literarischer Gattungen, vor allem Überlegungen zur conditio humana und zur oft schwierigen Beziehung zwischen Gott und dem Menschen. Das Psalmenbuch, das in den meisten hebräischen Handschriften diese Sammlung eröffnet, enthält Lobgesänge, aber auch und vor allem individuelle und kollektive Klagen, wie sie sich auch im Buch der Klagelieder finden, das die Zerstörung Jerusalems zum Thema hat. Aber man findet in den Schriften auch das Hohelied, eine Sammlung von erotischer Poesie. Zwei Bücher haben Frauen als Heldinnen: Das Buch Rut erzählt die Geschichte einer Ausländerin aus dem Land Moab, die einen der Vorfahren des Königs David heiratet; im Buch Ester tritt eine junge Judäerin auf, die vor den persischen König tritt, um ihren Onkel und ihr Volk vor falschen Anschuldigungen zu bewahren. Das Buch Ijob beschreibt einen reichen Grundbesitzer, der sich gegen einen Gott auflehnt, den er als unverständlich empfindet. Denn er stellt fest, dass die Lehre von der Vergeltung, die in einigen Passagen des Buches Sprüche vertreten wird (der Böse wird bestraft, der Gerechte wird im Glück leben), so nicht funktioniert. Dieser Feststellung pflichtet Kohelet (der „Prediger“) bei, der erste Philosoph des Judentums. Er hebt die Unnahbarkeit der Gottheit hervor und fordert den Menschen auf, seine Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren. Aber man findet in den Schriften auch das Buch Daniel, das ein Jüngstes Gericht Gottes am Ende der Zeiten schildert. Die Chronikbücher präsentieren dagegen eine neue Version der Geschichte des Königtums, die bereits in den Samuel- und Königsbüchern erzählt wurde. Die Bücher Esra und das Nehemia setzen die Geschichte dann fort. Sie berichten vom Wiederaufbau Judas und Jerusalems in persischer Zeit und von der Einführung des göttlichen Gesetzes in Jerusalem. In den meisten Handschriften wird diese Chronologie nicht respektiert, und die Chronikbücher werden an den Schluss der Schriften gestellt. Somit endet die Hebräische Bibel mit dem Appell des persischen Königs an alle im Exil lebenden Judäer, nach Jerusalem zurückzukehren und das „neue Jerusalem“ aufzubauen6.
Man sagt oft, die Bibel sei eine Bibliothek. Das Wort „Bibel“ ist in der Tat von einem griechischen Plural abgeleitet: biblia – Bücher. Die Verschriftlichung sowie die Überarbeitung und die Zusammenstellung der verschiedenen Bücher, aus denen die drei Teile der Hebräischen Bibel bestehen, geschah in einem langen Prozess, der sich über mehr als fünfhundert Jahre erstreckte. Die verschiedenen biblischen Texte sind in Reaktion auf bestimmte historische Kontexte entstanden; trotzdem können sie auch Erinnerungen an ältere Überlieferungen bewahren.
Wir werden hier nicht im Detail auf die komplexe und komplizierte Frage nach der Datierung der biblischen Texte eingehen. Wir weisen nur darauf hin, dass wir uns, wie die meisten europäischen Spezialisten, nicht mehr auf die „Urkundenhypothese“ stützen, die die Entstehung des Pentateuchs als Abfolge und Kompilation von vier Dokumenten erklärt7, von denen das älteste aus der Zeit Salomos stammen soll, das jüngste aus den Anfängen der persischen Zeit. Bedauerlicherweise findet diese Hypothese in populäreren Veröffentlichungen immer noch weite Verbreitung. Das neuere Modell von der Entstehung des Pentateuchs, das hier vertreten wird, lässt von der alten Urkundenhypothese das Entstehungsdatum des Deuteronomiums gegen 620 v.u.Z. sowie die Existenz einer „Priesterschrift“, eines von Priestern redigierten Dokuments, gelten. Möglicherweise sind die ersten mündlichen Überlieferungen des Pentateuchs (Jakob und die Exodustradition) um das 8. Jh. v.u.Z. verschriftlicht worden.
Führen wir uns nochmals vor Augen, dass kein biblisches Buch, oder genauer: keine biblische Schriftrolle, in einem Zug geschrieben worden ist. Die Schriftrollen aus Papyrus oder Ziegen- bzw. Kuhhaut hatten eine begrenzte Lebensdauer, und ihr Inhalt musste nach einigen Jahrzehnten auf neue Rollen abgeschrieben werden. Jede Abschrift bot dabei immer auch die Gelegenheit, etwas hinzuzufügen oder etwas wegzulassen oder auch Veränderungen anzubringen. Ein Text wie die Deuteronomiumrolle zum Beispiel erfuhr vom Ende des 7. Jh. bis zum 5. Jh. eine Reihe neuer Ausgaben. Auch die Prophetenbücher haben eine komplexe Redaktionsgeschichte durchlaufen, und viele darin enthaltene Texte stammen nicht von den „historischen“ Propheten, sondern von jüngeren Redaktoren. Ihre gegenwärtige Form haben sie erst in hellenistischer Zeit erhalten. Dasselbe gilt für die Psalmen und andere Texte. Unsere Untersuchung berücksichtigt die jüngeren Forschungsergebnisse zur Entstehung der biblischen Texte, ohne diese Diskussion im Detail aufzurollen. Wir werden aber versuchen, den Leserinnen und Lesern alle Informationen zu geben, die nötig sind, um zu verstehen, wie und warum wir diese Texte heranziehen, um verschiedene historische Situationen zu rekonstruieren und den Weg des Gottes Jahwe herauszuarbeiten.
Um das Verständnis zu erleichtern, sollen jetzt einige terminologische Fragen geklärt sowie die wichtigsten Marksteine der Geschichte der Levante vom Ende des 2. Jt. bis in hellenistische Zeit8 vermittelt werden.