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Von den Anfängen Israels bis zur hellenistischen Zeit

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Die Geschichte Israels und Judas spielt sich geographisch vor allem in der Levante ab, die den heutigen Ländern Israel/Palästina, Jordanien, Libanon und Syrien entspricht. Dieses Gebiet wurde in seiner gesamten Geschichte immer wieder von den umliegenden Großreichen begehrt und kontrolliert, im 2. Jt. zunächst von Ägypten, im 1. Jt. dann von den Assyrern, den Babyloniern, den Persern, den Griechen und schließlich den Römern. Geographisch und politisch gesehen ist die Geschichte der Levante eng mit der Geschichte des „Fruchtbaren Halbmondes“ verbunden, wie die regenreichen und fruchtbaren Gebiete, die sich von Mesopotamien (den heutigen Ländern Irak und Iran) bis nach Ägypten erstrecken und dabei das Gebiet um Euphrat und Tigris und die Levante miteinschließen, bezeichnet werden.

Interessanterweise unternimmt der Patriarch Abraham schon ganz am Anfang seiner Geschichte eine lange Reise, die ihn durch den gesamten Fruchtbaren Halbmond führt. Seine Familie bricht von der Stadt Ur (Tell el-Muqejjir) auf und lässt sich in Harran, in Syrien, nieder; von dort aus zieht er durch das Land Kanaan, macht an strategisch wichtigen Orten wie Sichem und Bethel Halt, steigt dann in die Wüste Negev im Süden hinab und geht von dort nach Ägypten (Gen 11–12). Geographisch deckt diese Reise den gesamten Fruchtbaren Halbmond ab; historisch gesehen sind die Gebiete, durch die Abraham zieht, Regionen, in denen in persischer Zeit (5.–4. Jh.) Israeliten und Judäer im Exil oder in der Emigration lebten. Dieses Beispiel zeigt noch einmal, dass man die Texte des Pentateuchs nicht als historische Berichte lesen darf; sie sind lange nach der Zeit, die sie schildern, niedergeschrieben worden.

Blättert man in den Büchern zur Geschichte Israels, die sich an ein akademisches oder gebildetes Publikum wenden, so stellt man fest, dass fast alle diese Werke der Chronologie der Bibel folgen: die Zeit der Patriarchen, Mose und der Exodus, die Landnahme, die Richterzeit, das vereinigte Königreich unter David und Salomo, die beiden Königreiche Israel und Juda bis zum Fall Samarias im Jahr 722 v.u.Z., das Königreich Juda bis zur Zerstörung Jerusalems 587 v.u.Z. und schließlich der Wiederaufbau Jerusalems und Judas in persischer Zeit. In der heutigen Forschung wird jedoch nicht mehr bezweifelt, dass die Erzählungen über die Patriarchen, den Auszug aus Ägypten und die Landnahme sowie über die Zeit der Richter keine aufeinander folgenden und datierbaren Ereignisse widerspiegeln. Es handelt sich vielmehr um Legenden oder Ursprungsmythen, die erst im Nachhinein in eine chronologische Abfolge gebracht worden sind. Um die Geschichte Israels und Judas zu rekonstruieren, muss man – insbesondere für die Frühzeit – auf alle verfügbaren Quellen zurückgreifen, nicht zuletzt auf die archäologischen.


Karte 1: Der Alte Orient.

Die archäologische Erschließung der Levante hat in den letzten fünfzig Jahren enorme Fortschritte gemacht. Vor allem hat sie sich von dem Joch eines konservativen biblizistischen Milieus emanzipiert, das von der „biblischen Archäologie“ den Beweis erwartete, dass die Bibel die Wahrheit sagt. Die Archäologie in Israel/Palästina, wie sie von einer neuen Forschergeneration – Israel Finkelstein, Oded Lipschits, Aren Maeir10 und vielen anderen – vertreten wird, betont die Autonomie der Archäologie, die keine bloße Hilfswissenschaft sei, die nur herangezogen wird, um diese oder jene religiöse oder politische Option zu rechtfertigen. Dank der Archäologie besitzen wir heute eine bedeutende Zahl an Inschriften und anderen Textquellen sowie ikonographischen Zeugnissen (Siegel, Statuetten, Ostraka, usw.), die für den Historiker von großer Bedeutung sind.

Was die Frage betrifft, ob die Bibel als Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte Israels und Judas herangezogen werden kann, so ist schon seit einigen Jahrzehnten eine Polemik zwischen „Maximalisten“, für die die Bibel bis zum endgültigen Beweis des Gegenteils ein glaubwürdiges historisches Dokument ist, und „Minimalisten“ zu beobachten. Für letztere ist die Bibel keine vertrauenswürdige Quelle für die Rekonstruktion der Geschichte Israels und der Levante vom Ende des 2. bis zum Ende des 1. Jt. v.u.Z.; sie erlaube es höchsten, die ideologischen Positionen einiger Strömungen innerhalb des Judentums vom Ende der persischen oder Anfang der hellenistischen Zeit besser zu verstehen. Beide Positionen sind nur schwer zu halten: Die maximalistische Position widerspricht dem Ethos des Historikers, die minimalistische Position leugnet dagegen die Tatsache, dass die biblischen Texte, so ideologisch geprägt sie auch sein mögen, dennoch Spuren historischer Ereignisse und alter Traditionen enthalten können11.

Archäologisch entsprechen die Anfänge der Geschichte Israels im 13. Jh. v.u.Z. dem Übergang von der Spätbronze- in die Eisenzeit12. Um die Mitte des 2. Jt. wird die Levante von Ägypten kontrolliert. Politisch besteht sie aus Stadtstaaten, deren Kleinkönige Vasallen des Pharaos sind. Daneben finden sich wenig integrierte Einheiten, wie eben die ʿapiru, Gruppen am Rand des politischen Systems, oft in Konflikt mit den Kleinkönigen Kanaans oder zu Frondiensten bei den Ägyptern verpflichtet. Einige ägyptische Texte erwähnen auch Schasu-Nomaden (šȝśw), von denen einige Gruppen mit dem Zusatz Jhw(ȝ) charakterisiert werden. Dabei handelt es sich wahrscheinlich um ein Toponym, das man oft mit dem Namen Jahwe (Jahua?) in Verbindung gebracht hat, welcher später zum Gott Israels wird. Diese Nomaden leben vor allem in den Wüstenregionen zwischen Ägypten und Kanaan.

Das Ende des 13. Jh. wird von Umwälzungen bestimmt, die den Untergang der Stadtstaaten zur Folge haben. Neue Bevölkerungsgruppen, die aus der Ägäis oder Anatolien stammenden „Seevölker“, die Philister, lassen sich an der Südküste Kanaans in Städten wie Gaza, Aschdod, Aschkelon oder Ekron nieder. Sie haben eine andere materielle Kultur als die anderen Bewohner des Landes, aber sie assimilieren sich ziemlich schnell13. Während der größte Teil der spätbronzezeitlichen Städte mehr und mehr an Bevölkerung verliert, erlebt die ephraimitische Gebirgsregion ein deutliches Bevölkerungswachstum. Hier finden sich wohl die ersten Spuren der Geburt jenes Israel, das ca. 1210 auf der Siegesstele des Pharaos Merenptah erwähnt wird. Dieses „Israel“ muss eine recht bedeutende Gruppierung gewesen sein, denn der ägyptische König hält es einer Nennung unter den von ihm besiegten Bevölkerungsgruppen für würdig. Während der Pharao sich rühmt, Israel ausgelöscht zu haben, beginnt die Entwicklung dieser Einheit eigentlich gerade erst. Ihre Ursprünge gehen, anders als das biblische Buch Josua behauptet, nicht auf eine militärische Eroberung durch ein von außen kommendes Volk zurück; es handelt sich eher um einen allmählichen, diffusen Prozess innerhalb globalerer Umwälzungen am Ende der Spätbronzezeit. „Israel“ entsteht also aus den autochthonen Bevölkerungsgruppen. Der biblische Gegensatz zwischen Israeliten und Kanaanitern ist keinesfalls ein ethnischer Gegensatz, sondern ein ideologisches Konstrukt biblischer Autoren im Dienst einer segregationistischen Ideologie. Die Gruppierung namens „Israel“ ist zunächst eine Art Clan- oder Stammesgemeinschaft, die Gruppen vereint, die sich wahrscheinlich schon einer bestimmten ethnischen Gemeinschaft zugehörig fühlten. Dies wird zum Beispiel durch das fast vollständige Fehlen der Schweinezucht und eine sich von anderen klar unterscheidende materielle Kultur nahegelegt. Dass Israel vor der Königsherrschaft aus zwölf Stämmen bestanden haben soll, ist eine Erfindung der Verfasser der Bibel in persischer oder hellenistischer Zeit, als diese Vorstellung wichtig war, um die religiöse Einheit Judäas, Samarias und Galiläas zu bekräftigen.

Zu Beginn des 1. Jt. setzt sich in der Levante eine stärker auf Warenaustausch fußende Wirtschaft durch, die die Subsistenzwirtschaft ersetzt. Diese Entwicklung geht einher mit einer politischen Neuordnung hin zur Monarchie; dieses Phänomen lässt sich auch östlich des Jordan beobachten, wo die Königreiche Moab und Ammon entstehen. Die biblische Erzählung verbindet in den Samuelbüchern die Entstehung der Monarchie mit den drei exemplarischen Figuren Saul, David und Salomo. Hier handelt es sich in weiten Teilen um Legenden, die aber einige historisch wohl korrekte Erinnerungen bewahren. Saul, der als erster König Israels dargestellt wird, gelingt es, der Dominanz der Philister Widerstand zu leisten, und er errichtet im Gebiet Benjamins und in den Bergen Ephraims eine Art Staat, zu dessen Oberhaupt er wird. Sein Konkurrent und Nachfolger David ist offensichtlich ein Vasall der Philister, die vielleicht seinen Kampf gegen Saul unterstützen und die Gründung eines konkurrierenden Königreichs in Judäa, zunächst in Hebron, dann in Jerusalem dulden. Folgt man den Erzählungen in den Samuel- und Königsbüchern, die teilweise in den Chronikbüchern wiederaufgegriffen und neu interpretiert werden, so hätten David und sein Sohn Salomo über ein „geeintes Königreich“ riesigen Ausmaßes regiert, „von Ägypten bis zum Euphrat“. Dieser Gedanke entspringt eher den ideologischen Vorstellungen der biblischen Redaktoren, die die Geschichte so darstellen wollten, dass Israel (der Norden) und Judäa (der Süden) zu Beginn in ein und demselben Königreich vereint waren. Die großen Bauten in Megiddo, Hazor und anderen Orten, die man aufgrund der entsprechenden Bibelerzählungen dem König Salomo hat zuschreiben wollen, sind wahrscheinlich ein Jahrhundert jünger und das Werk des Nordreichkönigs Omri.

Im Norden entsteht im 9. Jh. v.u.Z. ein durchaus gewichtiger Staat, zu dessen Hauptstadt unter Omri Samaria wird, während der Süden eine eher bescheidene politische Einheit darstellt (man schätzt seine Bevölkerung auf zehn Prozent der Bevölkerung des Nordens). Und Jerusalem ist zu dieser Zeit eine kleine Siedlung, die der Pharao Scheschonq während seines Feldzuges um 930 v.u.Z. für zu unbedeutend hält, um sie in der Liste seiner militärischen Eroberungen zu erwähnen. Mehr als zwei Jahrhunderte lang lebt Judäa im Schatten Israels und ist wahrscheinlich häufig auch dessen Vasall.

Die biblische Historiographie wird aber – vor allem in den Samuel- und Königsbüchern – aus südlicher Perspektive geschrieben und stellt den Norden und seine Könige sehr negativ dar. Sie werden beschuldigt, andere Götter als den Gott Israels verehrt und andere Heiligtümer in Konkurrenz zum Jerusalemer Tempel errichtet zu haben.

Unter der Dynastie der Omriden14 im 9. Jh. v.u.Z. wird Israel zu einem mächtigen Königtum im Konzert der Königreiche der Levante. Davon zeugen zahlreiche Bauten und vor allem die Errichtung der Stadt Samaria. Die Vorherrschaft der Omriden reicht bis nach Transjordanien, was zum Konflikt mit dem Königreich Moab führt, wie die Mescha-Stele bezeugt, die den Konflikt zwischen Israel und Moab aus der Sicht des moabitischen Königs schildert. Omri und seine Nachfolger verfolgten eine Politik der Annäherung gegenüber Phönizien. Deshalb beschuldigen die Redaktoren der Königsbücher sie, eine Gottheit mir Namen „Baal“ verehrt zu haben; dieses religiöse Vergehen wird – aus biblischer Sicht – der Omriden-Dynastie ein Ende bereiten. Laut einer in Tel Dan (das an den Quellen des Jordan liegt) gefundenen Stele mit einer aramäischen Inschrift soll Hasael, der König von Damaskus und Auftraggeber der Inschrift, über eine israelitisch-judäische Koalition triumphiert und Israel und das „Haus Davids“15 besiegt haben.

Die Königsbücher stellen das Ende der Omridendynastie als Ergebnis einer Revolution des Generals Jehu dar, dem religiöse Motive unterstellt werden: Als glühender Verehrer des Gottes Israels habe er den Baal-Kult bekämpfen wollen. Historisch gesehen war Jehu eher ein schwacher König. Seine Niederlagen gegen die Aramäer wurden von den biblischen Autoren seinem Vorgänger Joram zugeschrieben. Jehu wird im Übrigen Vasall der Assyrer, die von der 2. Hälfte des 9. Jh. an die Kontrolle über die Levante anstreben. 853 v.u.Z. gelingt es einer Koalition aus Israel und dem aramäischen Königreich Damaskus noch, den assyrischen König Salmanassar III. in der Schlacht von Qarqar zurückzudrängen, aber die folgenden Jahrzehnte werden ebenso wie das 8. Jh. von der Hegemonie Assyriens geprägt sein, die im Übrigen in der Bibel zahlreiche Spuren hinterlassen wird. Ein Obelisk des assyrischen Königs Salmanassar III. enthält eine Darstellung eines vor Salmanassar zu Boden liegenden Königs mit der Inschrift „Tribut Jehus, Sohn Omris16“.

Das Königreich Israel erlebt unter der Herrschaft Jerobeams II. (787–74717) eine Zeit des Wohlstands, da dieser die assyrische Vorherrschaft akzeptiert und sich als ergebener Vasall zeigt. Der Wohlstand der begüterten Schichten wächst dank der positiven Entwicklung der Olivenölproduktion. Diese Art des Proto-Kapitalismus geht mit einer Verarmung der einfacheren Schichten einher. Propheten wie Hosea und Amos verurteilen diese Entwicklungen; Hosea polemisiert außerdem gegen die „Kälber“ in Samaria und Bethel – die Schutzgottheit Israels wurde dort also offensichtlich in Stiergestalt verehrt. Möglicherweise sind unter Jerobeam II. im Heiligtum von Bethel einige biblische Überlieferungen wie die Geschichte von Jakob, der zum Ahnherrn Israels wird, oder die Überlieferung vom Auszug aus Ägypten zum ersten Mal niedergeschrieben worden18.


Karte 2: Die Königreiche Israel und Juda.

Nach der Regierungszeit Jerobeams beginnt der Niedergang des Königreichs Israel. Um 734 v.u.Z. will eine von Damaskus und Israel angeführte Koalition aus verschiedenen Königreichen der Levante den judäischen König Ahas zu einer Teilnahme am Aufstand gegen die Assyrer zwingen. Dieses Ereignis hat Spuren in zahlreichen biblischen Texten hinterlassen. Ahas sucht auf den Rat des Propheten Jesaja hin den Schutz des assyrischen Königs Tiglat-Pileser II., dessen Vasall er wird. Dieser König siegt ohne größere Probleme über die Aramäer und die Israeliten und verkleinert ihre Königreiche drastisch. 727 sucht der letzte König Israels, Hoschea, Unterstützung bei Ägypten und provoziert so einen Feldzug Salmanassars V. gegen Israel, der zum Fall Samarias im Jahr 722 v.u.Z. führt. Das Königreich Israel wird in vier assyrische Provinzen aufgeteilt. Es kommt zu Deportationen (ungefähr 10–20% der Gesamtbevölkerung), und neue Bevölkerungsgruppen werden auf dem Gebiet des ehemaligen Königreichs angesiedelt. Diese Mischbevölkerung ist der ferne Vorfahr der Gemeinschaft der Samaritaner. Wir wissen fast nichts über die politische und religiöse Situation in dieser Region bis zur persischen Zeit, außer dass die Verehrung des Gottes Israels im ehemaligen Nordreich weitergeht19.

Für das Königreich Juda, das als Vasall Assyriens überdauert, bedeutet der Fall Samarias einen Aufstieg. Dies betrifft vor allem Jerusalem, das bis dahin nur eine bescheidene Ortschaft war, die jetzt, gegen Ende des 8. Jh. v.u.Z., stark wächst und zu einer wahrhaften Hauptstadt wird. Dieses Wachstum verdankt sich zumindest teilweise den aus den Gebieten des ehemaligen Königreichs Israel zuziehenden Flüchtlingen. In dieser Zeit gelangen auch Überlieferungen aus dem Norden nach Juda (Jakob, Exodus, Hosea, einige Erzählungen über die Propheten Elia, Elischa und andere). Hier erfahren sie eine Überarbeitung aus judäischer Perspektive. Der Aufstieg Jerusalems beginnt unter dem König Hiskija, dem in der Bibel zahlreiche Bauarbeiten zugeschrieben werden20, die auch archäologisch belegt sind, wie der berühmte Tunnel von Siloah, in dem sich die älteste bisher bekannte judäische Monumentalinschrift findet – was auch auf eine beginnende literarische Tätigkeit hindeutet21. Hiskija betreibt eine waghalsige Politik gegenüber den Assyrern, die am Ende zu einem Feldzug Sanheribs gegen das Königreich Juda führt. Lachisch, die zweitgrößte Stadt Judas, wird eingenommen und zerstört und das Königreich Juda massiv beschnitten. Aber im Jahr 701 ziehen sich die Assyrer aus ziemlich unklaren Gründen von einer Belagerung Jerusalems zurück. Nach der kollektiven Erinnerung gilt Zion, der Tempelberg in Jerusalem, seit diesem Ereignis als unverwundbar. Die Bewohner Jerusalems sahen darin den Beweis, dass der Gott Israels seine Stadt gegen alle Feinde verteidigt.

Unter Manasse, einem treuen Vasall der Assyrer, findet Juda zu seinem Wohlstand und seiner territorialen Größe zurück. Obwohl seine Herrschaft mehr als fünfzig Jahre dauerte (ca. 698–642 v.u.Z.), widmen ihm die Verfasser der Königsbücher nur einige Zeilen, die vor allem seine Gottlosigkeit und die Verehrung anderer Götter kritisieren. Er scheint nichtsdestotrotz klug regiert und Juda so eine letzte Phase der Stabilität ermöglicht zu haben.

Als König Joschija (640–609) den Thron besteigt, laut biblischer Erzählung im Alter von acht Jahren, beginnt das durch die Babylonier geschwächte assyrische Reich sich aus der Levante zurückzuziehen. Die zweite Hälfte der Regierungszeit Joschijas ist daher von einem gewissen Machtvakuum geprägt. Dieses nutzen der König und seine Berater, um eine Politik der Zentralisierung in die Wege zu leiten, die auch dem neuen Status Jerusalems entspricht. Der Tempel von Jerusalem wird zum einzigen legitimen Heiligtum des Gottes Israels erklärt. Nach 2Könige 22–23, dessen Historizität nicht von vornherein als gegeben angesehen werden kann, soll Joschija alle religiösen Gegenstände der Assyrer aus dem Jerusalemer Tempel entfernt haben, auch soll er das Symbol der Aschera, einer Göttin, die mit dem Schutzgott Judas verbunden war, zerstört und einen Teil des ehemaligen Königreichs Israel annektiert haben.

Nach der Erzählung der Königsbücher soll diese Politik einer politisch-religiösen Erneuerung durch die Entdeckung eines Buches ausgelöst worden sein. Obwohl es sich hierbei vielleicht um ein literarisches Motiv handelt, ist es durchaus möglich, dass das Deuteronomium, mit dem man dieses Buch häufig gleichgesetzt hat, in seiner ursprünglichen Form tatsächlich geschrieben wurde, um die Politik der Zentralisierung und der Monolatrie, der exklusiven Verehrung des Gottes Judas und Israels, zu legitimieren. Der Zentralisierungsgedanke bereitet in der Tat eine der Säulen des zukünftigen Judentums vor: die zentrale Stellung Jerusalems und seines Tempels. Auch andere Texte sind in der Regierungszeit Joschijas entstanden, wie die Eroberungserzählungen im ersten Teil des Buches Josua, welche die Expansionspolitik Joschijas legitimieren. Die Schreiber dieses Königs haben auch eine Geschichte der zwei Königreiche verfasst, in der sie Joschija als eine Art „neuen David“ darstellen. Wahrscheinlich haben sie auch eine „Biographie“ des Mose niedergeschrieben und noch andere ursprünglich mündliche Überlieferungen verschriftlicht.

Der Ursprung eines großen Teils der Literatur, die später in die Bibel eingehen sollte, geht also auf die assyrische Zeit zurück. Die meisten dieser Schriften waren in ihrer Bedeutung auf ein intellektuelles Milieu beschränkt, das heißt, auf den Palast und den Tempel. Auf dem judäischen Land im Süden, im Heiligtum von Hebron, erzählte man sich die Episoden aus dem Leben des Patriarchen Abraham wahrscheinlich aus einer ganz anderen theologischen Perspektive als der, die im Palast von Jerusalem vorherrschte. Die Geschichte Abrahams propagiert keine segregationistische Ideologie, sondern betont, dass der Stammvater Israels auch ein Verwandter Lots, des Ahnherrn der Moabiter und der Ammoniter, ist und auch der Vater Ismaels, des Ahnherrn von Halbnomaden, die die Wüste im Südosten von Juda bevölkern.

Joschija stirbt 609 v.u.Z., er wird vom König Ägyptens getötet, der für eine kurze Zeit wieder die Levante kontrolliert. Damit beginnt der Niedergang des Königreichs Juda, das unter den Schlägen der Babylonier, die ab 605 zu den neuen Herren im Alten Orient werden, endgültig fallen wird. Mehrere Aufstände der judäischen Könige führen 597 zur ersten Einnahme Jerusalems. Der König Jojachin verhindert eine Zerstörung der Stadt, indem er deren Tore öffnet. Er wird samt seinem Hof nach Babylon verschleppt, ebenso werden die hohen Beamten und Handwerker deportiert. Eine babylonische Tontafel erwähnt Lebensmittelrationen für den König Jojachin, den Gefangenen des Königs von Babylon. Der König Nebukadnezar II. setzt Zidkija als Nachfolger ein, der sich am Ende jedoch ebenfalls einer anti-babylonischen Koalition anschließt. Das Buch Jeremia enthält Erzählungen und Orakel, welche die chaotische Situation in Jerusalem in den Jahren vor seinem Fall widerspiegeln.

Im Jahr 587 v.u.Z. bemächtigen sich die Babylonier Jerusalems, zerstören die Stadt und den Tempel und führen eine zweite Deportation durch. Sie setzen Gedalja als Statthalter in der in Benjamin gelegenen Stadt Mizpa ein. Archäologische Feldstudien zeigen Spuren einer gewaltigen Zerstörung auf dem Gebiet von Juda sowie einen deutlichen Bevölkerungsrückgang. Dagegen scheint das Gebiet von Benjamin weniger gelitten zu haben. 582 wird Gedalja von einer Gruppe anti-babylonischer Rebellen ermordet. Dieses Ereignis löst nach dem Buch Jeremia eine dritte Deportationswelle aus sowie die Flucht eines Teils der im Land verbliebenen Judäer nach Ägypten. So gibt es gegen Ende des 6. Jh. v.u.Z. drei Zentren judäischen Lebens: die Gebiete Benjamin und Juda sowie Babylonien und Ägypten (vor allem das Delta und die Insel Elephantine). Anders als die Assyrer beließen die Babylonier die Exulanten in gemeinsamen Kolonien.

Die aus der judäischen Elite stammenden Exulanten in Babylonien und Ägypten spielten eine wichtige Rolle bei der Abfassung einiger Schriftrollen, welche die Ursprünge des Pentateuchs und der prophetischen Schriften bilden. Die Zerstörung Jerusalems und seines Tempels durch die Babylonier im Jahr 587 v.u.Z. hatte bei diesen Intellektuellen eine ideologische Krise hervorgerufen. Die identitätsstiftenden Symbole eines altorientalischen Volkes – König, Tempel des Nationalgottes und Land – waren zerstört und außer Kraft gesetzt. Man musste also neue Fundamente legen, um die Identität eines seiner traditionellen Institutionen beraubten Volkes zu stiften. Eine der unterschiedlichen Antworten auf diese Krise war das „Deuteronomistische Geschichtswerk“, das die Bücher vom Deuteronomium bis zum 2. Königsbuch umfasst. Diese Geschichtsdarstellung will aufzeigen, dass die Zerstörung Jerusalems und die Deportation eines Teils der Bevölkerung nicht auf die Schwäche des Gottes Israels gegenüber den babylonischen Gottheiten zurückzuführen ist; ganz im Gegenteil: er selbst habe sich der Babylonier bedient, um sein Volk und dessen Könige dafür zu bestrafen, dass sie die Vereinbarungen seines „Bundes“, die im Deuteronomium niedergelegt sind, missachtet haben. Eine Gruppe von Priestern verfasst ihrerseits eine Geschichte von den Ursprüngen (oft „Priesterschrift“ genannt), die in die Bücher Genesis, Exodus und Levitikus eingegangen ist und die besonders hervorhebt, dass alle wichtigen Rituale und Institutionen bereits vor dem Einzug in das gelobte Land und vor dem Königtum offenbart wurden – letzteres ist also nicht unabdingbar. Für die Verfasser der Priesterschrift werden alle Bräuche, über die sich das Judentum in persischer und hellenistischer Zeit definiert (Beschneidung, Pessach, Speiserituale und -vorschriften), von Mose in der Wüste in Abwesenheit einer politischen Struktur eingesetzt. Diese beiden Textgruppen (das „Deuteronomistische Geschichtswerk“ und die „Priesterschrift“) bereiten in gewisser Weise den Weg zum Monotheismus, denn auf unterschiedliche Weise betonen beide die Einzigartigkeit des Gottes Israels.

Im Jahr 539 v.u.Z. bemächtigt sich der persische König Kyros der Stadt Babylon und macht dem babylonischen Reich ein Ende. Seine Religionspolitik ist „liberal“, er lässt zerstörte Tempel wiederaufbauen und erlaubt den Deportierten, in ihre jeweilige Heimat zurückzukehren. Im „Deuterojesaja“22, einer Sammlung von Texten, die der Jesaja-Schriftrolle hinzugefügt wurde, wird Kyros als vom Gott Israels gesandter „Messias“ gefeiert. Die Perser gestehen der judäischen Gemeinschaft, wie anderen in ihr Reich integrierten Völkern, kulturelle und religiöse Autonomie zu. Und unter dem Einfluss der Golah23, der nach Judäa zurückgekehrten Exiljudäer, entsteht eine quasi-theokratische Organisation, deren Zentrum der Tempel in Jerusalem ist, der Ende des 6. oder Anfang des 5. Jh. v.u.Z. wiederaufgebaut wird. Ein Teil der Exulanten zieht es allerdings vor, in Babylon zu bleiben, und einige dort gefundene Schriftstücke zeigen, dass diese Judäer Teil der wohlhabenderen und gut integrierten Schichten waren. Bis zur Ankunft des Islam bleibt Babylon, wie auch die Existenz des Babylonischen Talmuds zeigt, ein intellektuelles Zentrum des Judentums. Aber auch in Ägypten geht die starke Präsenz der Judäer keinesfalls zurück. So ist das Judentum von Anfang an eine Diaspora-Religion, die sich in hellenistischer Zeit rund um das Mittelmeer weiter entwickeln wird.

Zwischen 400 und 350 werden verschiedene Schriften der Priester, der Deuteronomisten und anderer Gruppen zu einem Proto-Pentateuch zusammengefasst, der zur grundlegenden Schrift des neu entstehenden Judentums wird, aber auch der Samaritaner, deren zentrales Heiligtum sich ab dem 5. Jh. auf dem Berg Garizim befindet. Die biblischen Erzählungen, welche diese Konsolidierung der Schriften zu einer „Tora“ widerspiegeln, finden sich in den Büchern Esra und Nehemia. Diese Bücher konstruieren eine übertriebene Feindschaft zwischen Judäern und Samaritanern und heben das Wohlwollen der Perser gegenüber der Verbreitung des mosaischen Gesetzes besonders stark hervor.

332 v.u.Z. wird Palästina von Alexander dem Großen eingenommen, der die persische Herrschaft beendet. Nach seinem Tod bricht ein Krieg unter seinen Nachfolgern aus, und Palästina fällt zunächst unter die Kontrolle der Ptolemäer (oder Lagiden), die über Ägypten herrschen, während die Seleukiden über Syrien regieren. Diese politischen Veränderungen betreffen die Juden zunächst kaum. Im 3. Jh. erlebt Judäa einen gewissen wirtschaftlichen Aufschwung, von dem die Aristokratie Jerusalems und eine wohlhabende städtische Schicht profitieren. In diese Zeit fallen auch die ersten Kontakte zwischen Griechen und Juden, und die in Ägypten lebenden Juden nehmen die griechische Sprache an.

Wohl in der 2. Hälfte des dritten Jh. v.u.Z. wird der Pentateuch ins Griechische übersetzt, und zu derselben Zeit entsteht eine reiche Literatur; einige dieser Texte werden Teil des biblischen Kanons (Hohelied, Kohelet, Ester etc.), andere nicht (wie das Buch Henoch).

Die Erfindung Gottes

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