Читать книгу 10 bewegende Romane Sommer 2021: Roman Paket Liebe und Schicksale 7/2021 - Thomas West - Страница 24
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Das Krankenzimmer hatte vier Betten. Dieser Raum, in dem Roswitha lag, war für Frauen bestimmt. Außerdem gab es noch zwei Räume. Der eine hatte sechs Betten, der andere fünf. Drei dieser fünf Betten waren bereits wieder belegt. Der Hofer Bauer lag in einem davon.
Kreuzbechner kümmerte sich um seine männlichen Patienten. Aber ab und zu half ihm Schwester Waltraud, die mit Roswitha nun doch nicht mehr so sehr ausgelastet war, zumal seit mehr als einer Stunde Timo Veith an ihrem Bett saß. Dr. Dammeier hatte nichts dagegen und Timo nur das Versprechen abgenommen, den Raum zu verlassen, wenn er spürte, dass es Roswitha zu viel wurde.
An und ab schaute Dr. Meindl nach Roswitha. Die war jetzt diejenige, die als Internistin am besten beurteilen konnte, wie es um Roswitha stand. Und es stand gut. Das jedenfalls berichtete Erika Meindl dem Leiter der Station Dr. Dammeier, als der gerade mit der Behandlung der ambulanten Patienten fertig war. Sein letzter Fall war ein eingequetschter Finger gewesen.
Dr. Dammeier band sich die Schürze ab und sagte launig zu Erika Meindl: „So, das hätten wir. Und wie schaut’s mit der Roswitha aus?“
„Erstaunlich gut. Die Temperatur ist leicht erhöht, aber das ist ja nach einer solchen Operation normal. Alles andere den Umständen entsprechend. Ich habe sogar den Blasentkatheter entfernt.“
„Aber um Himmels willen, keine heftigen Bewegungen“, mahnte Dr. Dammeier.
Erika Meindl lachte. „Trauen Sie Ihren Nähten nichts zu?“
„Doch, schon, aber Sie wissen doch ...“ Er ließ offen, was er damit meinte, aber Erika Meindl verstand ihn auch so.
„Was denkst“, fragte Dammeier, „kommst mit dem Timo gut aus?“
„Ich neige fast zu der Überzeugung, dass du recht gehabt hast mit deiner Prophezeiung. Ich will damit sagen, dass es nicht nur eine Freundschaft ist. Er hat mehr für sie übrig. Vielleicht spielst du hier ein wenig Schicksal, Ferdl. Aber wenn es so ist, dann ziemlich erfolgreich, möchte ich sagen.“
Um von dem Thema abzulenken, sagte er: „Und wie schaut’s mit dem Kreislauf aus? Ich meine, der Kollaps von heute Nachmittag.“
Erika Meindl nickte: „Ich weiß, der Kranführer. Er hat Kaffee getrunken heute Morgen. Der Sonntagabend ist ihm wohl nicht richtig bekommen. Und deshalb hat er sich den starken Kaffee gemacht. Etwas zu viel und etwas zu stark, möchte ich sagen. Schlecht ist ihm geworden. Ich glaube, den können wir morgen wieder gehen lassen. Es ist schon viel besser mit ihm.“
„Mit dem Bauleiter muss ich auch noch reden. Es gibt mir einfach zu viele Unfälle“, sagte Dr. Dammeier, „bei den Bohrarbeiten. Zwölf Prellungen, Hautaufschürfungen, Quetschungen. Da muss doch irgendwas dahinterstecken.“
„Der Wepperl hat mir das auch schon gesagt“, erwiderte Erika.
„Und Jürgen Fellau hat mit ihm einen kräftigen Krach gehabt deshalb. Schon am Freitag.“
Da erschien Timo Veith plötzlich vor der Baracke. Er trug noch den weißen Kittel, den ihm Dammeier gegeben hatte.
Sein Gesicht wirkte entspannt. Er lächelte. „Sie schläft“, sagte er leise, als könnte Roswitha das von hier aus hören.
„Gut, dass du sie allein gelassen hast“, meinte Ferdl Dammeier. „Na, habt ihr euch ausgesprochen?“
„Sie hat net allzu viel gesagt. Ich wollt’ net, dass sie sich anstrengt. Ich glaub, Ferdl, und auch was Sie gesagt habn, Frau Doktor, dass es gut war, wenn ich ihr nichts von Sabrina erzählt hab. Sie denkt, dass ich allein bin und ein Dutzend Jahr auf sie gewart’ hab.“
„Hast doch auch“, meinte Dammeier. „Sei doch ehrlich mit dir!“
Timo Veith schüttelte lächelnd den Kopf. „Grad so ist’s aber net. Das willst mir einreden, gell?“
„Nein, einreden möcht ich dir’s net. Ich will nur, dass du’s selber siehst, dass du in dich hineinschaust. Da wirst schon eine Antwort hören.“
„Glaubst?“, fragte Timo Veith zweifelnd. Dann fuhr er sich mit der Rechten durchs bürstige blonde Haar, schaute zu Erika Meindl hinüber und fügte grinsend hinzu:
„Der Ferdl, das war früher schon ein Schlawiner. Reinlegen möcht er mich. Aber ich pass schon auf.“
„Ich werd’ mal nach ihr schauen“, sagte Erika Meindl, nickte den beiden Männern zu und verschwand in der Baracke.
„Wär’ das net ein Madl für dich?“, wandte sich Timo an Ferdl.
Der lachte. „Die hat doch einen Freund in Wien.“
„Aber weit her scheint es mit der Lieb nicht zu sein“, stellte Timo Veith fest.
„Woher willst das wissen? Vielleicht hast recht, vielleicht auch net. Dem Jürgen gefällt die Erika auch.“
Timo Veith sagte zunächst nichts. Aber nach einer Weile setzte er sich auf die Bank an der Veranda, brütete vor sich hin und murmelte dann: „Wenn man wüsst, was wird? Wenn man das wüsst.“
„Wie soll ich das verstehn? Was meinst damit?“, fragte Dammeier.
„Ach nix. Es war nur laut gedacht. Ich glaub’, ich muss jetzt zurück auf den Hof, zurück zum Gut, verstehst?“
„Zu Sabrina. Oder?“
„Nein, ich hab ein Gespräch mit dem Grafen, morgen in der Früh muss ich mit ihm reden.“
„Dann hätt’ es doch noch Zeit? Könntest dich mit mir unterhalten. Jetzt, wo es endlich etwas ruhiger ist.“
„Ach nein, ich werde jetzt fahren.“
„Aber zieh vorher meinen Kittel und meine weißen Hosen aus.“
„Ja ja, schon gut. Ich schau nur noch mal kurz zu ihr.“
Er kam aber schnell wieder zurück, ging dann in den Schlafraum seines Freundes und zog sich dort um. Wenig später kam er heraus, verabschiedete sich von seinem Freund Dammeier und fuhr weg. Über Roswitha hatten sie kein Wort mehr gesprochen.
Kreuzbechner kam später und erklärte: „Der Pfarrer hat schon mehrmals angerufen. Er lässt die Patientin grüßen. Besuchen hat er sie wollen. Aber ich hab ihm gesagt, dass es net geht, noch net. Und seine Haushälterin wollt’ kommen. Hochwürden hat das Auto von Frau Lienzer zu sich auf den Pfarrhof schaffen lassen, damit's net noch von einem Fremden gestohlen wird.“
„Sehr rücksichtsvoll vom Herrn Pfarrer“, meinte Dammeier. „Was gibt’s sonst Neues? Du bist doch im Dorf gewesen, Kreuzbechner.“
Der Baustellensanitäter lachte. „Den Brandauer Gustl hab ich im Schafskopf geschlagen.“
„Den Bürgermeister?“
Kreuzbechner griff in die Tasche, brachte ein paar klimpernde Schillingstücke hervor und sagte: „Fünfzehn Schilling hat er verlorn’ an mich.“
„Da hat’s keinen Armen getroffen“, meinte Dr. Dammeier.
Das Fenster von der Baracke wurde geöffnet, beide Männer schauten hinüber. Es war Dr. Erika Meindl, die herausschaute und sagte: „Ferdl, kommst einmal herein?“
„Schlimm?“, fragte Dammeier nur, als er sich in Bewegung setzte.
„Nein. Sie möchte dir etwas sagen. Sie ist wach ...“
Als Dr. Dammeier das Krankenzimmer betrat, hatte Erika Meindl das Fenster wieder geschlossen, lehnte aber mit dem Rücken dagegen. Die Lampe im Raum brannte, und der Lichtschein fiel auf Roswithas Gesicht. Es war nicht mehr so blass wie noch vor Stunden. Sie lächelte. Auch das Rot ihrer Lippen hatte fast wieder die normale Färbung erreicht.
Die Frische ihres Gesichtes war für Dr. Dammeier ein angenehmer Anblick. Deutete er doch darauf hin, dass es um Roswitha wieder besser zu stehen schien. Mit einem Blick überflog der Arzt die Anzeige der Instrumente, die mit Roswithas Kreislauf verbunden waren. Auch die letzten Eintragungen, die Dr. Erika Meindl gemacht hatte und die sich Dr. Dammeier kurz anschaute, deuteten auf eine deutliche Verbesserung des Allgemeinzustandes hin. Die Temperatur allerdings war noch immer leicht erhöht, aber das konnte fast als normal bezeichnet werden, auf alle Fälle nach einer solchen Operation. Stieg sie an, musste mit einer Infektion gerechnet werden. Und davor fürchtete sich Ferdl Dammeier am meisten.
Der Stuhl stand immer noch neben dem Bett, und Ferdl ließ sich darauf nieder, fühlte dann nach der Stirn der Patientin, aber das war mehr eine gewohnheitsmäßige Bewegung. Gleichzeitig sah er ganz deutlich, wie beruhigend das auf Roswitha wirkte.
„Es geht dir besser, seh’ ich“, sagte er.
„Timo ist hier gewesen, weißt du ja. Wir haben viel gesprochen. Er jedenfalls. Ich net gar so viel. Aber es war schön, dass er da war“, sagte sie und sah ihn ganz verklärt an.
„Es wird ihm mindestens so viel Freud gemacht haben wie dir“, stellte Ferdl Dammeier fest.
„Ich hoff’s“, meinte sie, schien aber nicht ganz sicher zu sein.
„Das ist so. Das brauchst net nur hoffen“, behauptete Dr. Dammeier.
Erika Meindl entfernte sich leise. Als die Tür zuklappte und Roswitha das hörte, sagte sie in leichter Erregung: „Ferdl, was ist wirklich mit mir? Sag mir’s! Sag mir die Wahrheit! Ich bestehe drauf!“
„Ich hab dir alles erzählt. Das war die Wahrheit.“
„Werd ich gesund oder net?“ Sie sah ihn mit flammendem Blick an.
„Wenn keine Komplikationen eintreten, wirst du gesund. Wenn Komplikationen eintreten, kann es länger dauern. Aber ich hoff’, dass du auch dann gesund wirst.“
„O Gott, Ferdl, wenn du wüsstest. Ich hab ihn gar so lieb. Und nun, wo alles wieder gut werden könnte. Jetzt möcht’ ich ihn. Ich möcht seine Frau werden.“
„Und er möcht’ das auch, dass du seine Frau wirst.“
Die Behauptung fiel Ferdl leicht, obgleich er nicht absolut sicher sein konnte, hier keinem Wunschdenken zu unterliegen. Er kannte den Timo gut, aber er konnte ihm auch nur bis vor die Stirn schauen. Was dahinter vorging, war nicht zu erraten. Sollte Timo sich am Ende doch mehr an den Reichtum Sabrinas klammern, in der Hoffnung, ein sorgenloses Leben fuhren zu können? Wer konnte das wissen?
Vielleicht, überlegte Ferdl Dammeier weiter, ist es sehr leichtfertig von mir, Roswitha Hoffnungen zu machen. Aber im Augenblick war das eine Medizin für sie. Eine Enttäuschung konnte sie in ihrem jetzigen Zustand nicht verkraften. Später hatte sie sicherlich die notwendige Energie dazu. Aber am schönsten, sagte sich Ferdl, würde es sein, wenn es zu dieser Enttäuschung gar nicht erst kommen würde.
„Bist ganz sicher, dass er mich so lieb hat wie ich ihn?“
Der bange Blick, den ihm Roswitha zuwarf, rührte Ferdl. Er versuchte mit ganz fester Stimme, aus der kein Zweifel herauszuhören war, zu antworten. „Aber Roswitha, das spürst doch selbst“, sagte er.
Sie nickte kaum merklich. „Ja, ich spür's. Ich glaub, dass ich’s spür. Manchmal denk ich, dass ich’s spür, und manchmal denk ich, dass er nur barmherzig ist, nur Mitleid hat, verstehst?“
„Das darfst nicht denken. Es wird schon gut, glaub mir. Schlafen solltest du.“
„Allweil schlafen“, meinte sie.
„Ja“, sagte er, „allweil schlafen. Es ist spät.“
„Du schaust aus, als müsstest du noch mehr schlafen als ich“, meinte sie.
„Vielleicht hast recht.“ Er erhob sich. „Und was den Timo angeht, das wird schon so, wie du es dir erträumst. Ich bin sicher, dass es so wird.“
Was er in diesem Augenblick dachte und wie sehr er von Zweifeln geplagt war, das bemerkte sie nicht. Sie spürte es auch nicht. Vor allen Dingen entging ihr, wie sehr er sich um sie selbst sorgte. Die nächsten drei, vier Tage waren ganz entscheidend. Wenn es ihr auch jetzt besser ging, so konnte das morgen oder übermorgen schon viel schlechter stehen. Denn wenn eine Infektion raumgriff, dann machte sich das morgen Nachmittag bemerkbar, vielleicht sogar erst übermorgen. Und dann ging es ums Ganze ...