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4. Wiederaufgreifen i.w.S
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Nach dem eingangs Gesagten kommt ein Wiederaufgreifen auch außerhalb des § 51 auf Grundlage der §§ 48 f in Betracht. Denn die Befugnis zur Aufhebung in der Sache enthält a maiore ad minus die Befugnis, das vorgelagerte Verfahren wieder zu eröffnen (s.o. Rn 661). Während die Zulässigkeit und Begründetheit eines Antrags auf Wiederaufgreifen des Verfahrens i.e.S. in § 51 detailliert durchnormiert sind, steht das Wiederaufgreifen i.w.S. im pflichtgemäßen Ermessen der zuständigen Behörde. Deswegen greift etwa die Ausschlussfrist des § 51 Abs. 3 (s.o. Rn 666) beim Wiederaufgreifen iwS nicht ein[161]. Die Behörde hat hier eine sachgerechte Abwägung zwischen der Beständigkeit des VA und damit der Rechtssicherheit einerseits und der Richtigkeit des VA vorzunehmen[162].
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Nach allgemeinen Grundsätzen kann sich jedoch auch hier das Ermessen verdichten zu einer Pflicht zum Wiederaufgreifen (zur Ermessensreduzierung auf Null s.o. Rn 218). Die Rechtsprechung ist hier zurückhaltend und nimmt grundsätzlich nur dann eine Ermessensreduzierung auf Null an, wenn anderenfalls schlechthin unerträgliche Ergebnisse erzielt würden[163]. Insbes. bei einem Spannungsverhältnis zum Unionsrecht kann sich jedoch auch hier das (Verfahrens-)Ermessen auf Null reduzieren (s.o. Rn 654)[164]. Auch hier ist die Frage der Ermessensreduzierung streng zu unterscheiden von der Frage, ob ein Anspruch auf Wiederaufgreifen besteht: Im Falle eines belastenden VA hat der Betroffene grundsätzlich einen Anspruch auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens[165]. Zu einem Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens verdichtet sich dieses Recht aber nur dann, wenn darüber hinaus auch das Ermessen auf Null reduziert ist (s.o. Rn 218).
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Ebenso wie beim Wiederaufgreifen i.e.S. stellt sich die Anschlussfrage, ob die erneute Sachentscheidung am einschlägigen Fachrecht oder an §§ 48, 49 zu bemessen ist. Bedenkt man, dass bereits die Entscheidung über das Wiederaufgreifen auf §§ 48, 49 gestützt wird, wäre es eigentlich konsequent, auch die Sachentscheidung nach diesen Vorschriften zu bemessen[166]. Demgegenüber orientiert sich die Rechtsprechung auch beim Wiederaufgreifen i.w.S. am jeweiligen Fachrecht[167]. Für die letztere Ansicht spricht die konsequente Ausrichtung am Gedanken der Wiederherstellung.
Ausbildungsliteratur:
Britz/Richter, Die Aufhebung eines gemeinschaftsrechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, JuS 2005, 198; Ehlers/Kallerhoff, Die Rücknahme von Verwaltungsakten, JURA 2009, 823; Ehlers/Schröder, Der Widerruf von Verwaltungsakten, JURA 2010, 503 und 824; Finck/Gurlit, Die Rückabwicklung formell unionsrechtswidriger Beihilfen, JURA 2011, 87; Hilbert, Die reformierte europäische Beihilfeaufsicht, JuS 2017, 1150; Krausnick, Grundfälle zu §§ 48, 49 VwVfG, JuS 2010, 594; 681, 778; Martini, Vertrauensschutz bei der Rücknahme, JA 2016, 830; ders., Die Aufhebung von Verwaltungsakten nach §§ 48 ff VwVfG – Rücknahmefrist (§ 48 IV VwVfG), JA 2017, 838; Müller, Nie sollst Du mich befragen (Referendarsexamensklausur zur Aufhebung von Verwaltungsakten), JuS 2020, 1055; Sasse, Das Wiederaufgreifen des Verfahrens nach § 51 VwVfG, JURA 2009, 493; Voßkuhle/Kaufhold, Rücknahme und Widerruf von Verwaltungsakten, JuS 2014, 695; Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht: Rücknahme und Rückforderung im Erbfall, JuS 2019, 191; ders., Allgemeines Verwaltungsrecht: Jahresfrist bei der Aufhebung von Subventionsbescheiden, JuS 2019, 1135; Windoffer, Die Bestandskraft von Verwaltungsakten und ihre Überwindung durch Betroffene, JURA 2017, 1274; Winter-Peter, Widerruf einer Genehmigung, JURA 2018, 508 (Fallbearbeitung zu § 49 Abs. 2 VwVfG).