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Kapitel 8

Montag, 14. Mai

Kriminalhauptkommissar Thomas Stelter leitete als Ermittlungsführer die neu gebildete Mordkommission Dr. Odem. Am frühen Morgen hatte er das zusammengestellte Ermittlerteam, das aus einer größeren Anzahl von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bestand, in den Konferenzraum des Kommissariats 1 im vierten Stockwerk ihres Dienstgebäudes gebeten.

Die bisher vorliegenden Ergebnisse im Mordfall Nadine Odem wurden vorgestellt.

Der Leichnam der Frau war kurz vor fünfzehn Uhr von den beiden Geocachern gefunden worden. Die Route, die die Frau ab kurz nach zwölf Uhr zwischen Kirchrode und ihrem Tötungsort zurückgelegt hatte, war rekonstruierbar mithilfe der Auswertung der Funkverbindung ihres Smartphones, ihrer digitalen Einträge in die Logdatei der Geocaching-App und ihrer handschriftlichen Vermerke in den Logbüchern der gefundenen Geocaches. Die Daten der Smartwatch, nach denen der Tod gegen 12:45 Uhr eingetreten war, passten vom Zeitverlauf her genau zu der von Nadine Odem bis dahin zurückgelegten Strecke.

Bei der Tötungsart zogen die Ermittler vorrangig einen männlichen Täter in Betracht, aber eine Frau konnte nicht sicher ausgeschlossen werden.

Spuren, die eindeutig dem Täter zugeordnet werden konnten, gab es bisher nicht.

Das Motiv der Tat war völlig unklar.

War Nadine Odem im Wald zufällig auf einen psychopathischen Killer gestoßen? Gab es vorher keine persönliche Verbindung zwischen Täter und Opfer, und die Frau war tragischerweise zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort gewesen? Oder hatte ihr jemand gezielt aufgelauert oder war ihr gefolgt, mit der Absicht, sie zu töten? Und wer kam dafür infrage? Eine Person aus ihrem privaten oder beruflichen Kontext? Ein Auftragskiller?

„Wir müssen auf jeden Fall in alle Richtungen ermitteln“, bekräftigte Thomas Stelter.

*

Andrea Renner ließ ihren Blick langsam durch den weit­räumigen und imposanten Empfangsbereich schweifen. Zwei Kunden saßen auf einem der bequem aussehenden Sessel im Wartebereich und guckten zu ihr herüber. Zusammen mit Raffael Störtebecker stand sie am zentralen Empfangstresen im Erdgeschoss des Bankhauses Berlinger.

Bei der Nennung seines Familienamens hatte Raffael den Nachsatz hinterhergeschoben: „Nicht wie der Pirat oder das Bier, sondern ein -becker mit ck.“ Was wirklich niemanden interessierte, wie Andrea im Stillen vermutete. Zumindest der Mitarbeiter am Empfang hatte lediglich ohne Kommentar die Stirn gerunzelt.

Die Privatbank befand sich direkt in der hannoverschen City, in unmittelbarer Nähe vom Kröpcke.

Andrea und Raffael warteten darauf, zu einem Mitglied des Vorstandes gebracht zu werden, nachdem der zuvorkommende Mitarbeiter hinter dem Tresen mit dem Vorstandssekretariat telefoniert hatte.

Eine Frau Mitte dreißig in einem dunkelblauen Kostüm kam auf sie zu, begrüßte die beiden und geleitete sie ins erste Stockwerk. Die Frau hieß Simone Bechtel und gehörte zum Sekretärinnen-Pool der Vorstands­etage. Ihr Gesichtsausdruck, der eine tiefe Betroffenheit ausdrückte, ließ vermuten, dass sie bereits durch die Medien über den Mord an der Vorstandssprecherin ihrer Bank informiert war.

Simone führte die Besucher durch einen breiten langen Flur, an dessen Wand die Bilder eines modernen Künstlers hingen. Das Bankhaus war für die Kunstausstellungen in seinen Räumlichkeiten bekannt. Vor Jahren hatte der Sohn von Thomas Stelter hier seine Gemälde aushängen dürfen.

Die letzte Tür auf dem Flur gehörte zum Büro von Lothar Pannier, der Andrea und Raffael mit einem kräftigen Händedruck empfing und dann an den Besprechungstisch seines großzügigen Arbeitszimmers bat, nachdem Andrea den Grund ihres Kommens genannt hatte. Simone blieb stumm auf dem Flur stehen und zog die Tür hinter sich zu.

„Schrecklich, einfach schrecklich“, äußerte Lothar Pannier. „Ich hab es in der Zeitung gelesen und im Radio gehört. Wer tut so etwas?“ Sein Gesichtsausdruck deutete an, dass er darauf zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Antwort erwartete.

Er mochte Ende vierzig sein, hatte volles braunes Haar mit grauen Strähnen und trug zur blauen Krawatte einen grauen Anzug, der seine schlanke Figur vorteilhaft betonte.

Bei der Befragung durch die beiden Mitglieder der Mordkommission hatte sein Ton durchgängig eine ernste und sachliche, aber zugewandte Note.

„Der jeweils für fünf Jahre berufene Vorstand besteht immer aus drei Mitgliedern. Ich bin für die Bereiche Recht und Risiko zuständig, wirke also nach innen, während Frau Doktor Odem als Vorstandssprecherin die Bereiche Markt und Strategie zugeordnet sind. Sie ist somit das Aushängeschild der Bank.“

Auf Raffaels Frage, wer denn vor Nadine Odem diesen Posten bekleidet hatte, nannte Pannier den Namen des Mannes und dass dieser aus Altersgründen nicht mehr dafür zur Verfügung gestanden habe.

„Hätte Sie der Posten des Vorstandssprechers nicht auch gereizt?“, setzte Raffael nach.

Der Befragte runzelte die Stirn, dann schüttelte er den Kopf.

„Die Aufgaben eines Vorstandssprechers unseres Bankhauses sind eine reizvolle Herausforderung. Aber Frau Doktor Odem war aufgrund ihrer konstanten Verdienste für die Bank die erste Wahl für diesen Posten. Das hat der Aufsichtsrat zu Recht so entschieden. Ich bin mit meinem Aufgabenbereich sehr zufrieden.“

Ich glaube, er wäre auch gern das Aushängeschild der Bank, mutmaßte Andrea. Aber dass er deswegen seine Kollegin ermordet, kann ich mir nicht vorstellen.

„Und wer ist das dritte Vorstandsmitglied?“

„Herr Rosenberger, der genau wie ich schon zum Vorstand davor gehörte, kümmert sich um die Bereiche Personal und IT. Er ist seit zwei Wochen in Kanada … im Urlaub. Aber wegen der Ermordung von Frau Doktor Odem wird er seinen Urlaub vorzeitig abbrechen und nach Hannover kommen.“

Womit Herr Rosenberger ein bombensicheres Alibi hat.

„Was waren denn das für Verdienste, mit denen sich Frau Doktor Odem für den Posten als Vorstandssprecherin empfohlen hat?“, erkundigte sich Andrea Renner.

„Die erfolgreiche Leitung der Kreditabteilung für einige Jahre, eine Tätigkeit als Führungskraft auf der zweiten Ebene unter dem Vorstand.“

„War sie beliebt?“

„Allemal.“ Er überlegte kurz. „Sie hatte eine sympathische und authentische Ausstrahlung, das kam bei Mitarbeitern und Kunden gut an.“

Andreas Frage nach nennenswerten Konflikten in der Vergangenheit, beispielsweise gravierendem Ärger mit unzufriedenen Kunden der Kreditabteilung, verneinte Pannier.

Dann erkundigte sie sich, mit welchem Personenkreis die Ermordete zuletzt beruflich zu tun hatte.

„Mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit hat sie außerhalb der Bank verbracht. Um neue Geschäfte zu vermitteln, hat sie sich mit Vertretern mittelständischer und größerer Betriebe getroffen, wie Mäntelhaus Kaiser, I.G. von der Linde, Bahlsen oder Conti.“

„Welche Bedeutung hatte es für die Bank und deren Kunden, dass Nadine Odem in einer lesbischen Beziehung lebte?“, mischte sich Raffael ein.

„Dass das Bankhaus für Kontinuität und traditionelle Werte steht, heißt nicht, dass wir uns gegenüber bestimmten Formen sexueller Orientierung unserer Mitarbeitenden intolerant zeigen – im Gegenteil“, betonte Pannier mit kräftiger Stimme. „Und unsere Kunden wussten selbstverständlich nichts über das Privatleben von Frau Doktor Odem.“

„Bis vor zwei Wochen“, ergänzte Raffael, „als es in der Zeitung stand.“

*

Am Ende ihres Gesprächs erkundigte sich Raffael Störtebecker bei Lothar Pannier, wo sich dieser gestern im Tatzeitraum aufgehalten hatte.

„Zählen Sie mich ernsthaft zum Kreis der Tatverdächtigen?“, äußerte das Vorstandsmitglied.

„Nein, verstehen Sie das bitte nicht falsch“, lächelte Andrea. „Das ist eine reine Routinefrage.“

Bereitwillig führte Pannier aus, zu dieser Zeit einen Bekannten im Stadtteil Zoo besucht und anschließend mit diesem einen Spaziergang durch den Stadtwald Eilenriede gemacht zu haben.

Danach führte er Andrea und Raffael auf deren Wunsch durch Nadine Odems Büro, welches auf demselben Flur zwei Türen entfernt lag.

Wirkt genauso aufgeräumt wie ihr Arbeitszimmer in Kirchrode, dachte Andrea.

Das Büro zwischen Nadine Odem und Lothar Pannier war das Vorstandssekretariat. Hier sprachen die beiden, nachdem sie sich von Pannier verabschiedet hatten, mit der Sekretärin Simone Bechtel.

„Frau Doktor Odem war eine selbstbewusste und zielstrebige Frau“, bekundete Simone Bechtel, „aber auf keinen Fall ein Ellbogentyp. Ich mochte sie sehr. Auf der ersten Führungsetage von Bankhäusern ist es absolut unüblich, dass eine Frau einen solchen Posten bekleidet.“

„Hatte sie Neider?“, wollte Andrea wissen.

„Das ist mir nicht aufgefallen.“

Und wenn doch, würden Sie es mir nicht sagen, vermutete Andrea und fragte: „Haben Sie eine Idee, wer nach dem Tod von Frau Odem zum Vorstandssprecher berufen wird?“

„Dafür ist es noch zu früh. Ich habe keine Vorstellung, wie der Aufsichtsrat auf diese schreckliche neue Situation reagieren wird.“

„Wissen Sie, wie Externe, also Geschäftspartner und Kunden, darauf reagiert haben, dass auf einmal eine Frau das Aushängeschild der Bank war?“

„Schwer zu sagen.“ Die Sekretärin zuckte mit den Schultern. Nach einigen Sekunden Pause erzählte sie: „Eine Frau Jordan von den Hannoverschen Nachrichten hatte angerufen, um gleich einen Interview-Termin für einen längeren Zeitungsartikel zu vereinbaren. Kurze Zeit später hatte sich der Chefredakteur der Ihme News … Namen habe ich vergessen … gemeldet und wollte ebenfalls ein Interview mit Frau Doktor Odem führen.“

Bei den Ihme News handelte es sich um eine reine Online-Zeitung für Hannover.

„Den Artikel in den Hannoverschen Nachrichten kennen wir“, erklärte Andrea.

„Ja, wertschätzend geschrieben. Frau Doktor Odem war zufrieden damit. Sie hat lange Zeit hier im Büro mit der Journalistin über alles gesprochen. Wobei ich keine Einzelheiten kenne. Ich habe den beiden lediglich einmal eine Tasse Kaffee ins Büro gebracht.“

„Und ist das Interview mit den Ihme News zustande gekommen?“

„Ich glaube nicht.“

Atemlos in Hannover

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