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Kapitel 15

Pfingstmontag, 21. Mai

Auf den Höhenflug der letzten Tage folgte der brutale Absturz.

Das kann doch nicht sein! Da ist was schiefgelaufen! Bis eben war ich so glücklich wie lange nicht mehr, das kann unmöglich ein fataler Irrtum gewesen sein!

Lara war um 14:50 Uhr überpünktlich am vereinbarten Treffpunkt gewesen, dem Haupteingang zum Tiergarten. Aber Sven war einfach nicht aufgetaucht.

Ist ihm auf dem Weg hierher etwas passiert? Hat er das falsche Datum im Kopf? Glaubt er, wir treffen uns an einem der Nebeneingänge? Diese Fragen waren ihr als Erstes durch den Kopf gegangen.

Der Tiergarten, ein umzäuntes Park- und Waldgelände mit freilaufenden Damhirschen, hatte eine Größe von mehr als einem Quadratkilometer.

Dann übermannten sie Verzweiflung und Wut.

Hat er den Termin vergessen? Hat er’s sich anders überlegt? Oder wollte er von Anfang an nicht kommen?

Sie kannte weder seine Handynummer noch seine Mailadresse. Natürlich war sie auch zu dem anderen Eingang, der ebenfalls an der Tiergartenstraße lag, gelaufen. Aber Sven war nirgendwo zu sehen.

Sie wählte mehrfach seine Festnetznummer, niemand ging an den Apparat. Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie bekam auf einmal schwer Luft.

Ist er nicht zu Hause, oder geht er nicht dran?

Sie verspürte einen enormen Bewegungsdrang, hetzte mit starrem Blick planlos über die Wege, ignorierte dabei das Wildschweingehege ebenso wie entgegenkommende Besucher. Zuletzt setzte sie sich auf eine Bank.

Soll ich zu ihm in die Südstadt fahren? Falls er da ist, lässt er mich eh nicht rein. Wie am Freitag. … Und Timo wäre das überhaupt nicht recht. Der Spaziergang heute hat sich so oder so erledigt.

Sie wischte sich mit beiden Händen die Tränen aus dem Gesicht.

Vielleicht gibt es für alles eine harmlose Erklärung. Nicht gleich den Kopf verlieren und alles hinschmeißen.

Sie schüttelte den Kopf.

Soll ich jetzt hoffen, dass er einen Unfall hatte und deswegen nicht aufgekreuzt ist?! Egal, ich gebe uns noch eine Chance.

Wahrscheinlich taucht er morgen zwischen siebzehn und achtzehn Uhr im Fitnessstudio auf. Ich kann da unmöglich entspannt meine Übungen neben ihm machen. Also fahre ich zu einer Zeit dorthin, wenn er schon mit großer Wahrscheinlichkeit beim Training ist. Ich will einfach nur mit ihm reden. Diesmal muss ich mich beherrschen und ruhig bleiben. Nicht wieder ausrasten! Verdammt, ich weiß, dass ich schnell in alte aggressive Muster verfalle.

Auf einmal verspürte sie den starken Wunsch, ihren Frust mit Alkohol zu betäuben.

Nur das nicht! Soll ich Petra anrufen?

*

Genau um 15:17 Uhr klingelte das Festnetztelefon zum ersten Mal. Sven zuckte leicht zusammen, obwohl er jede Minute mit dem Anruf gerechnet hatte.

Eine ihm nicht bekannte Handynummer! Heute am Pfingstmontag um diese Uhrzeit konnte das nur Lara sein. Er blieb standhaft und nahm das Gespräch nicht an. Timo war nicht zu Hause.

Ein Treffen mit Lara, wenn sie denn mehr als nur gelegentliche Telefonate und einen Spaziergang wollte, passte nicht in seine Zukunftspläne.

Seit ihrem Gespräch im Auto war einiges passiert. Seinen Termin gestern Abend konnte er schon nicht genießen, weil ihm die Sache mit Lara immer im Kopf herumspukte.

Timo setzt mich massiv unter Druck. Ich verstehe ihn. Er hat auch Angst um mich, dass sich die schlimmen Szenen wiederholen. Ich habe vor seinen Augen Schläge eingesteckt, mich immer bewusst zurückgehalten. Als Kind hatte ich es auch nicht einfach und konnte Lara teilweise verstehen. Nur einmal hab ich ihren körperlichen Angriff mit Gegengewalt abgewehrt und heftig zugeschlagen. Schrecklich, dass Timo das live miterlebt hat. Aber er hat das nur seiner Mutter vorgeworfen.

Paradoxerweise klammerte sich Sven an das Fünkchen Hoffnung, Lara hätte sich im Griff und könnte wieder ein halbwegs normales Verhältnis zu ihrem Sohn aufbauen.

Aber bei der Vorgeschichte ist das wahrscheinlich unmöglich. Ich muss die Entscheidung vor allem für Timo treffen. Ich beende das kurze Intermezzo mit Lara. Besser ein Ende mit Schrecken …

Natürlich wäre es korrekt gewesen, Lara am Vormittag anzurufen, um den Spaziergang und alles andere abzusagen.

Aber ich kenn mich. Dann lasse ich mich bequatschen. Und ich werde mich hüten, ihr eine Mail zu schicken und damit meine Adresse zu verraten.

In Gedanken hatte er Laras Reaktion mehrfach durchgespielt.

Das abrupte Ende wird ihr sehr wehtun, sodass sie die Lust an weiteren Kontakten mit uns verliert. Dann haben wir Ruhe. Oder flippt sie total aus und will sich rächen?

Das Telefon klingelte erneut siebenmal hintereinander.

Durchhalten! Nicht schwach werden!

Für zehn Minuten war Ruhe. Dann setzte das Klingeln wieder ein. Schon nach dem fünften Mal war Schluss.

Ich hoffe, sie gibt damit auf. Jetzt muss ich konsequent bleiben.

Sven rang sich dazu durch, Laras Festnetz- und Handynummer zu sperren.

Durch unsere wöchentlichen Telefonate habe ich sie nur angelockt.

Da er befürchtete, sie könnte sich mit unterdrückter Nummer melden, erweiterte er die Sperrung auf anonyme Anrufer.

Da war kein Triumph, er fühlte sich einfach nur schlecht.

Diesmal bin ich das Schwein.

Er verließ das Haus, stieg in seinen Rover Mini und fuhr los, irgendwohin …

Atemlos in Hannover

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