Читать книгу Atemlos in Hannover - Thorsten Sueße - Страница 5

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Prolog

Schweiß strömte seinen Rücken herunter, schon seit einigen Minuten, unaufhörlich. Er spürte die Angst im ganzen Körper.

Ich muss mich verstecken. Sonst ist alles aus.

Die Substanz, die er absonderte, brannte fürchterlich auf der Haut. Sein schwarzes T-Shirt war völlig durchnässt, klebte am Oberkörper wie eine mit Kleister bestrichene Tapete.

Wir dürfen uns auf keinen Fall begegnen. Ich kann nicht hierbleiben.

Sein Herz vollführte einen lauten Trommelwirbel. Der erbärmliche Zustand, in dem er sich befand, war ihm nur zu gut vertraut. Er durchlebte derartige Situationen nicht zum ersten Mal. Den Park, in dem er sich aufhielt, kannte er in- und auswendig.

Vor sich auf einer Rasenfläche sah er eine Gruppe von Menschen, die sich unterhielten und lachten. Noch hatten sie ihn nicht bemerkt.

Wenn einer mich dabei beobachtet, wie ich es tue, ist mein Leben vorbei.

Er verkroch sich ins Gebüsch, welches den Park von der Zufahrtsstraße abgrenzte. Von hier aus sah er das Haus, welches unmittelbar an den Park grenzte. Es war weiß gestrichen und hatte vier Stockwerke. Es wirkte freundlich von außen, anders als das fünfstöckige Haus, in dem der Tod lauerte.

Das Stechen an den Armen und Beinen wurde unerträglich. Das Gebüsch war voller Stechfliegen, die ihn gnadenlos zu quälen begannen.

Ich muss in das weiße Haus, ohne dass mich jemand bemerkt. Vielleicht habe ich Glück, und heute passiert nichts Schlimmes.

Er duckte sich und rannte los. Der Eingang des Hauses lag vor ihm.

Ich bin viel zu langsam. Meine Kraft ist am Ende. Ich bewege mich wie in Zeitlupe.

Nach einer Ewigkeit erreichte er den Hauseingang. Keiner der lachenden Typen hatte zu ihm herübergeschaut. Die Erleichterung, das sichere Versteck erreicht zu haben, währte nicht lange. Hier im Erdgeschoss nahm er zunehmend einen beißenden Geruch wahr, der sein Atmen erschwerte. Unter diesen Bedingungen konnte er unmöglich die Treppe benutzen, um nach oben zu gelangen. Er blickte sich um, sah die Tür zum Fahrstuhl.

In welchem Stockwerk bin ich am sichersten? Ganz oben, im vierten Stock.

Plötzlich hörte er eine weibliche Stimme.

Oh nein! Ist sie es?

Die Fahrstuhltür öffnete sich. Er sprang in die Kabine und drückte auf den Knopf für die oberste Etage.

Hat sie mich doch gefunden? Es darf nicht sein!

Der Fahrstuhl war erstaunlich schnell. Mit einem Ruck kam er zum Stehen. Die Tür ging auf, er huschte hinaus, und die Tür schloss sich sofort hinter ihm. Er drehte sich um und sah auf das Schild: 5. Etage.

Das ist unmöglich. Das Haus hat nur vier Etagen. Ich bin im falschen Gebäude. Im bin im Todeshaus!

Er wollte zurück in den Fahrstuhl. Aber der war bereits wieder auf dem Weg nach unten.

Die Treppe!

Im Treppenhaus war dieser fürchterliche Geruch.

Steigt da Gas nach oben?

Der Weg über die Treppe war ihm ebenfalls verstellt. Er hatte nichts mehr zu verlieren. Hastig rannte er den Flur der fünften Etage entlang. Die Appartements waren verschlossen, aber am Ende des Ganges erkannte er eine geöffnete Tür. Der Geruch verfolgte ihn, Umdrehen war nicht mehr möglich.

Er betrat das Appartement, drückte mit beiden Händen die Tür hinter sich zu.

Zum Glück ist niemand da. Sie darf hier nicht rein.

Er zog sich einen Stuhl heran, mit dessen Lehne er die Türklinke blockieren wollte. Aber die Lehne war zu kurz. Er legte das Ohr an die Appartementtür, vernahm jedoch keinerlei Schritte.

Da hörte er hinter sich ein leises Lachen. Er sprang herum, sein Blick suchte jeden Winkel der Wohnung ab.

Kein Mensch zu sehen. Habe ich mich getäuscht?!

Ein Wechselbad von Erleichterung und Angst erfasste ihn. Der Schrank, die Regale, der Tisch und die Stühle … alles war ihm sofort vertraut. Und das versetzte ihn in Panik.

Wieder dieses Lachen. Diesmal lauter als vorhin. Er ahnte, wer sich in unmittelbarer Nähe aufhielt. Das Lachen kam von draußen. Um jeden Preis musste er verhindern, dass sie ihn erwischte. Trotzdem schaffte er es nicht, das Appartement zu verlassen.

Das Lachen breitete sich in seinem Gehirn aus. Er wollte flüchten, aber es zog ihn an wie eine Motte das todbringende Licht.

Schritt für Schritt näherte er sich dem Balkon. Er erkannte ihre Silhouette. Natürlich gehörte das Lachen ihr. Keine andere Person als sie hatte er an diesem Ort erwartet.

Sie saß auf der Brüstung des Balkons, drehte ihm den Rücken zu und schaute in den Park. Zwischendurch lachte sie wieder.

Hoffentlich schaut keiner zu uns herauf!

Er konnte nicht anders. Von hinten trat er an sie heran. Ahnte sie wirklich nichts? Er stieß seine Hände mit aller Kraft nach vorn. Sie konnte sich nicht halten, stürzte mit einem gellenden Schrei in den Abgrund. Im gleichen Moment ließ er sich auf den Boden fallen, um nicht von einem Zeugen erkannt zu werden. Ein vernichtender Schmerz durchfuhr seinen Körper, und er schrie sich die Seele aus dem Hals.

Der Ort um ihn herum veränderte sich nach und nach. Es war dunkel, mitten in der Nacht. Das konnte nicht mehr der Balkon im Todeshaus sein. Er hörte auf zu schreien, fing an zu japsen.

Wo bin ich? Ich krieg kaum Luft.

Sein Körper zitterte, die Kleidung war durchgeschwitzt, er atmete rasch und tief.

Ist das wirklich passiert?

Die Zimmertür wurde aufgerissen, Licht flutete in den Raum. In diesem Moment wusste er, wo er war. Sein Zimmer im Haus seiner Eltern.

„Alles gut, ich bin bei dir“, sagte eine tiefe Stimme. Sein Vater stand im Türrahmen. Mit schnellen Schritten trat er an das Bett seines Sohnes.

„Hattest du wieder diesen Albtraum?!“, hörte er seinen Vater sagen, der sich zu ihm auf die Bettkante setzte und seine Hand ergriff. Vaters Worte waren keine Frage, sondern eine Feststellung. Es war immer sein Vater, der zu ihm kam, wenn er diesen Traum hatte und im Schlaf zu schreien begann. Mutter hielt sich zurück, als bemerke sie nichts.

„Hast du wieder diese schreckliche Szene gesehen?“, fragte sein Vater als Nächstes.

„Ja.“

„Ich kann verstehen, dass dich das alles belastet.“ Vater versuchte beruhigend zu klingen. „Du hast schlimme Dinge gesehen. Die Gespräche mit dem Psychologen werden dir helfen, dass dich das Ganze nicht mehr so belastet. Du hast doch keine Schuld. Wichtig ist, dass du etwas Geduld hast.“

„Ich weiß“, antwortete er rasch. „Ich habe nichts Böses gemacht.“

Sein Vater sorgte dafür, dass er seinen Schlafanzug wechselte, und blieb noch eine Weile bei ihm.

Er meint es gut mit mir und will mir helfen.

„Geht es wieder?“, sagte sein Vater schließlich. „Willst du das Licht anlassen?“

„Alles klar, du kannst wieder gehen. Und das Licht muss nicht an sein.“

Vater drückte fest seine Hand und verließ langsam das Zimmer.

Wenn ich schlafe, hilft mir auch das Licht nicht.

Er wälzte sich im Bett hin und her.

Papa kennt einige meiner Probleme, aber von den meisten hat er überhaupt keine Ahnung.

Sofort waren die Bilder wieder da.

Doch, ich habe etwas Schlimmes getan. Einen Mord habe ich nicht begangen. Aber ich habe einen Menschen getötet. Das darf niemals jemand erfahren. Nie im Leben.

Die Gedanken schossen ihm weiterhin durch den Kopf. An Schlafen war nicht zu denken. Er wusste aber, dass er irgendwann vor Erschöpfung einschlafen würde. Dabei hatte er in den vergangenen Wochen die Erfahrung gemacht, dass sich meistens, wenn ihn sein Vater in der Nacht getröstet hatte, sein Albtraum in derselben Nacht nicht wiederholte.

Wenn ich erwachsen bin, muss ich auf jeden Fall Polizist werden, um wiedergutzumachen, was ich getan habe. Ich sorge mit aller Kraft für Gerechtigkeit. Böse Menschen, die andere unterdrücken und ausbeuten, werden meine Macht zu spüren bekommen.

Kurze Zeit später war er eingeschlafen.

Atemlos in Hannover

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