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Kapitel 3

Mittwoch, 9. Mai

Die Versetzung von Kriminaloberkommissar Raffael Störtebecker von Hamburg nach Hannover lag jetzt gut eine Woche zurück. Andrea Renner wusste, dass er in Hamburg ebenfalls mit der Aufklärung von Tötungsdelikten zu tun gehabt hatte. Ansonsten waren sie über sein Privatleben noch nicht groß ins Gespräch gekommen. Das würde sich heute Abend vielleicht ändern.

Andreas junge Kollegin Emma Falkenberg hatte ihr kürzlich im Vertrauen zugeraunt: „Wenn ich nicht gerade einen festen Freund hätte, wäre dieser unverschämt gut aussehende Kerl auch etwas für mich gewesen. Ich beneide dich um die enge Zusammenarbeit mit ihm.“

Raffael und Andrea verließen gemeinsam den großen Gebäudekomplex der Polizeidirektion an der Waterloostraße 9 im zentralen hannoverschen Stadtteil Calenberger Neustadt. Im vierten Stockwerk eines weißen fünfstöckigen Gebäudes befanden sich die Diensträume ihres Kommissariates. Von hier aus waren es nur ein paar Minuten zu Fuß bis zum Biergarten am Maschsee. Andrea hatte Raffael dort zum Feierabendbier eingeladen, um „ein wenig das Eis zu brechen“.

Raffael war freundlich und sympathisch. Gerne würde Andrea das eine oder andere mehr über ihn erfahren.

Sie schlenderten nebeneinander die Waterloostraße entlang, eine Allee, an deren Ende sie die HDI-Arena sehen konnten.

Inzwischen waren sie, wie im Kommissariat üblich, beim „Du“ gelandet. Besonders beschäftigt hatte Andrea Raffaels merklich hörbarer hanseatischer Akzent. Anstelle der inzwischen allgemein üblichen süddeutschen Aussprache Sch-t und Sch-p sagte er konsequent S-t und S-p. Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt, die Schauspielerin Heidi Kabel oder Käpt’n Blaubär aus dem Kinderfernsehen hatten so gesprochen. Aber bei Andreas letzten Besuchen in Hamburg hatte sie niemanden mehr so reden hören, außer vielleicht sehr alte Leute. Und Raffael war erst Mitte dreißig, also ähnlich alt wie sie.

Sehr behutsam sprach sie ihn darauf an.

„Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel“, begann sie vorsichtig, „aber woher kommt deine markante hanseatische Aussprache? Ich kenne niemanden mehr, der so spricht.“

Er blickte im Gehen kurz zu ihr herüber, dann antwortete er: „Ich war als Kind häufig bei meiner Oma, zu der ich eine enge Bindung hatte. Und ich habe früher viele Jahre bei meiner Tante verbracht. Beide haben so gesprochen, und ich habe es geliebt.“

„Und deine Eltern?“

„Meine Mutter ist Hamburgerin, Jahrgang 1962. Sie hat den Akzent gehasst. Und mein Vater, zwei Jahre älter, ist Italiener.“

„Störtebecker ist demnach nicht der Name deines Vaters?“, setzte Andrea nach.

„Nein.“

„Folglich heißt du wie deine Mutter …“

„Meine Eltern waren nicht verheiratet, wenn du das wissen willst“, sagte er forsch. „Ist doch nicht schlimm, oder?“

Seine Stimmung schien zu kippen.

„Ist absolut okay“, äußerte Andrea beschwichtigend.

„Meine Eltern haben aber viele Jahre zusammengewohnt“, brummelte er.

Andrea verkniff sich eine weitere persönliche Frage.

Zwischen ihnen trat eine merkwürdige Stille ein, die Raffael unvermittelt unterbrach: „Hattest du das auch schon mal? Du rufst im Beerdigungsinstitut an – sind alle Leitungen tot.“ Er lachte.

„Wie …?“, murmelte Andrea erstaunt. „Was soll das denn?“

„Kleiner Scherz“, strahlte ihr Gegenüber.

Der Kollege hat eine merkwürdige Art von Humor.

Sie erreichten die Robert-Enke-Straße und die HDI-Arena. Raffael wollte einiges zu Hannover 96 wissen.

Am Nordwestufer des Maschsees setzten sie sich in der Nähe des Courtyard Hotels in einen Biergarten, der schon gut besucht war. Andrea hatte für sie zwei Gläser Bier besorgt. Sie saßen sich gegenüber, die Gäste auf der Bank neben ihnen waren in ihre eigenen Gespräche vertieft.

„Störtebeker zapfen sie hier leider nicht“, grinste Andrea, und Raffael lächelte zurück.

„Ist eh nicht meine Marke.“

Andrea hatte einige Sätze zu ihrer eigenen privaten Situation erzählt. Sie lebte allein in einer Mietwohnung eines Mehrfamilienhauses, hatte noch zwei Geschwister und Eltern, die alle in der Region Hannover wohnten. Das Verhältnis zu ihnen war weitgehend „okay“, wobei sich der Kontakt in Grenzen hielt.

Sie lenkte das Gespräch mit einem unverfänglichen Thema wieder in Raffaels Richtung: „Du kommst aus einer tollen Stadt wie Hamburg. Was reizt dich an Hannover, dass du dich hast hierher versetzen lassen?“

„Niemand aus meiner Familie lebt mehr in Hamburg.“ Er machte eine kurze Pause. „Hamburg ist mir auch zu groß und unübersichtlich. Und nennenswerte Kontakte, die mich halten würden, hatte ich dort nie.“

„Deine Familie ist auch aus Hamburg weggezogen?“

„Mein Vater ist nach Italien zurückgekehrt, seine Heimat Südtirol. Meine Tante ist nach Lüneburg umgezogen. Großeltern habe ich nicht mehr.“

„Und deine Mutter?“

„Die hat Hamburg ebenfalls vor Jahren verlassen.“ Er schaute betrübt. „Sie lebt in der Schweiz.“

„Bist du nie verheiratet gewesen?“

„Doch, früher.“ Er umfasste mit beiden Händen sein Bierglas und wechselte freudestrahlend das Thema: „Ich finde es toll, wie ich hier in Hannover aufgenommen worden bin. Die Arbeitsatmosphäre ist super, und du hast die letzte Woche viel dazu beigetragen. Die Kollegen sind sehr nett. Ich bin total zufrieden.“

Andrea war überrascht von diesem positiven Statement. Nach ihrer Einschätzung hatte es noch gar nicht so viele persönliche Berührungspunkte zwischen Raffael und den anderen Kolleginnen und Kollegen gegeben.

Aber ist ja prima, wenn er sich bei uns wohlfühlt.

„Und warum hast du dich ausgerechnet nach Hannover versetzen lassen?“

„Ich habe mich ganz bewusst dafür entschieden, in Hannover zu wohnen und zu arbeiten“, erklärte er mit fester Stimme. „Ein Cousin von mir lebt schon seit Langem in der Region Hannover und hat oft davon geschwärmt, was Hannover alles landschaftlich und kulturell zu bieten hat.“

Andrea grinste erneut: „So, so, und du hast die Schwärmereien deines Cousins für bare Münze genommen …? Hoffentlich bist du hinterher nicht enttäuscht.“

„Du wirst es nicht glauben“, sagte Raffael freundlich lächelnd, „aber ich habe mich bereits seit Längerem intensiv mit der Region Hannover beschäftigt. Vereinzelt hab ich in Hamburg sogar schon die Hannoverschen Nachrichten gelesen. Ihr habt hier viel zu bieten, was ich sehr schätze.“

„Finde ich klasse, wenn sich ‚Auswärtige‘ für Hannover begeistern. Das sind wir hier gar nicht gewohnt. Aber du hast recht. Was interessiert dich denn besonders?“

Er musste kurz überlegen, dann erklärte er: „Burg Dankwarderode. Davon habe ich zum Beispiel gelesen.“

Andrea musste schlucken: „Burg Dankwarderode liegt nicht in der Region Hannover, sondern in Braunschweig.“

„Sorry, ich hab mich versprochen“, meinte er kopfschüttelnd. „Ich meinte natürlich die andere Burg bei Hannover.“

„Schloss Marienburg …?“

„Genau.“

„Davor kann ich dich nur warnen“, meinte Andrea mit gespielter Ernsthaftigkeit. „Du solltest hier nie Hannover mit Braunschweig verwechseln.“

„Schon klar, war nur ein Versehen.“ Er lachte. „Und mit deiner Hilfe werde ich hier schon schnell Fuß fassen.“

Atemlos in Hannover

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