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Kapitel 1

Viele Jahre später …

Mittwoch, 2. Mai

Der zweite Schreibtisch im Raum war komplett leergeräumt.

Die sportlich wirkende Frau mit den langen braunen Haaren lehnte allein am Fensterbrett ihres Büros und starrte auf den Drehstuhl, an dem ihr über Jahre Kriminalhauptkommissar Thomas Stelter gegenübergesessen hatte. Ab heute würde dort jemand anderes sitzen. Wie oft hatten sie in diesem Raum gemeinsam über einem komplizierten Fall gebrütet, dabei ganz unterschiedliche Ansätze verfolgt und sich dennoch ohne viele Worte gut aufeinander abgestimmt.

Fast wie ein altes Ehepaar. … Wobei: ich und Ehe, wohl eher nicht.

Kriminaloberkommissarin Andrea Renner arbeitete wie ihr Kollege Thomas in der Polizeidirektion Hannover, speziell im 1. Kommissariat der Kriminalfachinspektion 1: Straftaten gegen das Leben. Thomas, um einiges älter als sie, war verwitwet und inzwischen wieder fest liiert. Bei Andrea hatte es nie mit einer wirklich festen Partnerschaft geklappt.

Wie werde ich die Tage gemeinsam in einem Büro mit diesem nüchternen, brummigen und wortkargen Typen vermissen!

Andrea schüttelte den Kopf. In was für eine idiotische selbstmitleidige Stimmung manövrierte sie sich gerade?

Thomas war weder tot noch im Ruhestand noch in München tätig. Er war lediglich in ein Büro am anderen Ende des Flurs umgezogen.

Scheiße, ich bin ein Gewohnheitstier. Außerhalb der Arbeit läuft bei mir momentan nicht viel.

Ein neuer Kollege würde heute seinen Dienst in ihrem Kommissariat 1 beginnen. Er kam aus Hamburg, hatte quasi seinen Arbeitsplatz getauscht mit Markus, der zeitgleich von Hannover nach Hamburg wechselte.

Aus diesem Anlass hatte Thomas Stelter dafür gesorgt, die Belegung einiger Abteilungsbüros zu verändern. Er hatte Andrea mit der Aufgabe betraut, den neuen Hamburger Kollegen „an die Hand zu nehmen“ und in die Gepflogenheiten der hannoverschen Dienststelle einzuarbeiten. Andrea ging davon aus, später nicht wieder in ein gemeinsames Büro mit Thomas zurückzukehren. Thomas war weiterhin in der Nähe, aber die Zusammenarbeit würde vermutlich nie mehr so eng sein wie früher.

Die letzten Tage hatte sich Andrea viel mit Schreib­arbeiten beschäftigt und fast keinen Gedanken an den heutigen Tag verloren.

Mit dem Neuen würde sie die nächsten Wochen und Monate zwangsläufig eng kooperieren. Für die Arbeitszufriedenheit war es schon entscheidend, ob der Kollege ein sympathischer Kumpel oder ein arrogantes Arschloch war.

Kollegen fühlten sich an wie Familie. Man konnte sie sich nicht aussuchen und verbrachte viel Zeit miteinander, ob man wollte oder nicht.

Bisher wusste sie nichts über ihn, außer seinem Namen. Und der rief gleich klischeehafte Assoziationen hervor: Norden, Küste, blonder Hüne mit Bart …

Nach einem angedeuteten Klopfen wurde die Bürotür geöffnet. Hauptkommissar Hayo Baumann, braune Haare, Mitte vierzig, betrat das Zimmer.

„Ist dein neuer Partner noch nicht eingetroffen?“, sagte Hayo mit einem Grinsen. Dabei konnte sie sich mit seiner etwas spöttisch klingenden Betonung des Wortes Partner nicht wirklich anfreunden.

„Siehst du ihn hier etwa?!“, antwortete sie schroff.

„Du wirkst angespannt“, entgegnete er ruhig. „Du wirst schon klarkommen mit dem Neuen.“

Auf dem Flur waren Schritte zu hören. Und die Stimme von Thomas, die sagte: „Und das hier ist Ihr Büro.“

Ein zur Korpulenz neigender Mann mit schütteren grauen Haaren kam herein – Thomas Stelter.

Andrea und Hayo blickten an ihm vorbei auf den Mann neben ihm, der im Türrahmen stehen geblieben war und etwas verlegen wirkte. Er war kein Hüne, eher von durchschnittlicher Größe, dabei weder bärtig noch blond. Stattdessen schaute ein glatt rasierter Mann mit lockigen schwarzen Haaren in die Runde und verkündete: „Mein Name ist Störtebecker.“

„Ach, wie der Klaus?“, entfuhr es Hayo.

Der Angesprochene schüttelte den Kopf: „Nein, mit c.“

„Ach, Claus mit C …“

„Nein, Störtebecker mit ck.“

Die Sätze gingen ihm flott über die Lippen. Offenbar hatte er sie nicht zum ersten Mal zum Besten gegeben. Andrea fiel sofort auf, dass er das St nicht wie einen Sch-Laut sondern wie S-t aussprach.

Ein angedeutetes, fast spitzbübisches Lächeln war auf seinem Gesicht erkennbar, bevor er erklärte: „Mit dem Piraten oder dem Stralsunder Bier, ohne c, bin ich nach dem jetzigen Stand der Familienforschung weder verwandt noch verschwägert. Ich heiße Raffael Störtebecker.“

Atemlos in Hannover

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