Читать книгу Atemlos in Hannover - Thorsten Sueße - Страница 15

Оглавление

Kapitel 10

Mittwoch, 16. Mai

„Was ist denn das für eine Scheiße?!“, rutschte es Hauptkommissar Thomas Stelter heraus.

Er betrachtete das bedruckte weiße Blatt Papier auf seinem Schreibtisch, das er gerade mit Einmalhandschuhen aus dem ebenfalls weißen fensterlosen Umschlag im Format C5 gezogen hatte.

Außer Andrea Renner und Raffael Störtebecker standen die Oberkommissare Arif Kimil und Jan Schuster um ihn herum, die ebenfalls der Mordkommission Dr. Odem angehörten.

„Ach, jetzt wird’s aber irre“, kommentierte der dunkelhaarige Arif, ein mittelgroßer Mann um die vierzig mit türkischen Wurzeln, der schon jahrelang zum Kommissariat 1 gehörte.

„Das sieht nach einer Nachricht des tatsächlichen Täters aus“, kommentierte Jan, ein drahtiger Typ Mitte dreißig. „Die Formulierung auf dem Umschlag war ja schon ein kleiner Hinweis auf einen außergewöhnlichen Inhalt.“

Der verschlossene Umschlag war ganz regulär mit der Post verschickt worden und heute angekommen. Die aufgedruckte Adresse, vermutlich von einem Tintenstrahldrucker, lautete:

An die Mordkommission,

die sich mit Nadine Odem beschäftigt

Waterloostr. 9

30169 Hannover

Rechts oberhalb der Anschrift befand sich eine Automatenbriefmarke, die gestern mit einem Stempel des Briefzentrums Hannover entwertet worden war.

Ein Absender war nicht auf dem Umschlag vermerkt.

Thomas hatte das Kuvert vorsichtig geöffnet, das genau dieses eine in der Mitte gefaltete Blatt enthielt.

Auf die obere Blatthälfte war mit großen fetten Buchstaben ein Satz in der Schriftart Arial gedruckt worden: „Ich habe ihr den Atem genommen“.

Auf der unteren Blatthälfte dokumentierte der Verfasser unmissverständlich, um wen es ihm ging. Thomas und alle Anwesenden starrten gleichermaßen auf das gedruckte Farbfoto, welches die auf dem Bauch liegende Nadine Odem zeigte. Das Gesicht der Frau war im Profil erkennbar, wobei der Kragen der weinroten Windjacke ihren Hals verdeckte. Die Frau lag im Wald, neben ihr waren ein Kugelschreiber, ein Smartphone und eine Tupperdose mit einer kleinen Spielzeugfigur zu sehen.

„Das kann keine makabre Fotomontage sein“, äußerte Andrea mit gedämpfter Stimme. „Das ist direkt am Tatort fotografiert worden, wahrscheinlich kurz nachdem das Opfer getötet worden ist.“

„Dass jemand den Leichnam noch vor den beiden Geocachern gefunden hat und sich jetzt mit dieser geschmacklosen Nummer wichtigmachen will, kann man natürlich nicht ausschließen“, warf Arif ein.

„Das stimmt“, erklärte Raffael und hob etwas oberlehrerhaft den rechten Zeigefinger. „Aber die Chance, dass wir es hier mit einer Botschaft des Täters zu tun haben, erscheint mir sehr groß. Schließlich haben wir solche Tatortfotos nicht an die Öffentlichkeit gegeben.“

„Und was ist die Botschaft?“, grunzte Thomas.

„Der Verfasser hat Humor …“, äußerte Raffael spontan, der angesichts des irritierten Gesichtsausdruckes seiner Kollegen ergänzte: „Ich meine, er hat offenbar eine spezielle Art von schwarzem Humor. Er verknüpft in einem Wortspiel den Namen des Mordopfers, also die alte dichterische Bezeichnung für Atem, mit der vollzogenen Tötung, die Nadine Odem schließlich den Atem nimmt.“

Thomas und Arif guckten weiterhin irritiert.

„Ich bin gespannt“, meinte Andrea, „ob er dieses dürftige ‚Bekennerschreiben‘ auch an andere Stellen schickt, wie beispielsweise die Presse.“

„Wenn uns der Täter schon ein Bekennerschreiben zukommen lässt“, sagte Jan in einem gespielt klagenden Tonfall, „hätte er sich wenigstens noch die Zeit nehmen sollen, es ordnungsgemäß mit seinem Absender zu versehen.“

„Da er das aber nicht getan hat“, warf Andrea ein, „untersuchen wir eben Umschlag und Blatt auf die typischen Druckerspuren, mögliche Fingerabdrücke oder Hautpartikel.“ Ihre Stimme bekam einen optimistischen Tonfall. „Vielleicht wissen wir bald mehr über den Absender, weil der Typ der irrigen Auffassung war, dass man auf Papier keine verräterischen Spuren hinterlässt.“

Thomas zuckte mit den Schultern.

„Ich frage mich, aus welcher Motivation heraus er das Foto mit dem Einzeiler an die zuständige Mordkommission versendet“, brummte er. „Um sich aufzuspielen in dem Glauben, ihr kriegt mich doch nicht …? Ich denke, jetzt ist der richtige Moment, Mark Seifert anzurufen.“

Dr. Mark Seifert leitete als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie mit forensischer Erfahrung den Sozialpsychiatrischen Dienst der Region Hannover. Thomas Stelter hatte den Psychiater aufgrund seines kriminalistischen Spürsinns in den vergangenen Jahren öfters bei Mordermittlungen zur Erstellung eines psychologischen Täterprofils erfolgreich hinzugezogen.

Atemlos in Hannover

Подняться наверх