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Kapitel 14

Samstag, 19. Mai

Auf einmal trat eine weitere Frau in sein Leben …

Er kümmerte sich heute, am Samstag vor Pfingsten, um die Rückgabe des Leerguts.

Im vorderen Bereich des Supermarktes, außerhalb der Einkaufszone, befanden sich nebeneinander zwei Automaten zur Leergutannahme. Ausgerechnet heute war der rechte Automat defekt. Ein Techniker hantierte an dem Gerät herum. Dementsprechend hatte sich eine kleine Schlange von Kunden vor dem linken Automaten gebildet.

Mist, warum streikt das blöde Teil gerade heute?

Er stand mit seinem Einkaufswagen, darin Kisten mit leeren Bier- und Wasserflaschen, auf Platz drei der Schlange. Direkt hinter ihm wartete eine Blondine, in deren Wagen sich das Leergut stapelte. Zwei Kistentürme mit leeren Plastikflaschen ragten nebeneinander in die Höhe.

Meine Güte, was für ’ne Sammlung. Wahrscheinlich ist Blondie zu faul, häufiger ihr Leergut wegzubringen.

Zum ersten Mal trug er die Brille außerhalb seiner vier Wände, um sie für den Einsatz zu testen.

Gute Entscheidung von mir, den Zeitstempel für alle Aufnahmen auszuschalten. Der verunziert nur die Ästhetik des Bildes. Ich will die Videos später in ihrer zeitlosen Schönheit betrachten.

Unauffällig betätigte er den Aufnahmeknopf, dann blickte er in die Runde, wie zufällig auch zu Blondie, gab sich bewusst geistesabwesend.

Ein Mann hatte seine gesammelten Werke dem Automaten anvertraut. Den Leergutbon in der Hand, räumte er mit seinem Einkaufswagen das Feld.

Platz zwei. Die Alte vor mir ist auch nicht die Schnellste. Das kann dauern.

Er filmte die Frau um die siebzig, wie sie einzelne kleine Plastikflaschen in die Maschine einführte.

Dadurch bekam er nicht rechtzeitig mit, dass der Techniker seine Arbeit beendet und den rechten Rückgabeautomaten wieder freigegeben hatte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die Blondine mit ihrem Einkaufswagen neben ihm auftauchte und auf den rechten Automaten zustrebte.

He, erst bin ich dran!

Er packte den Griff seines Wagens und versuchte mit einer blitzschnellen Bewegung noch vor der Frau am rechten Leergutautomaten zu sein.

Oh, Scheiße!

Die Frau war bereits an ihm vorbei, und sein Wagen rammte ihren von der Seite mit voller Wucht. Der Schwung brachte die Zwillingstürme ins Kippen. Zwei ihrer Kisten wurden aus dem Wagen geschleudert und fielen zu Boden.

Blondie verzog ärgerlich das Gesicht: „Kannste nicht aufpassen?!“

Ihre Formulierung ermunterte ihn, bei seiner Antwort das „Sie“ zu überspringen und sie ebenfalls zu duzen: „Du kannst dich nicht einfach vordrängeln! Ich warte schon länger.“

Nach dem Zusammenstoß standen die beiden für alle anderen Kunden sofort im Mittelpunkt des Interesses.

„Da du keine Anstalten gemacht hast, dachte ich, du lässt mir den Vortritt.“ Ihr ärgerlicher Gesichtsausdruck verschwand. „Tut mir leid, ich wollte dich nicht ärgern.“

„Ich bin nicht ärgerlich“, brummte er, schob seinen Wagen zur Seite und half ihr dabei, die Kisten aufzuheben und die verstreuten Plastikflaschen einzusortieren. „Gehen Sie bitte vor“, sagte er Richtung Warteschlange, wo sich bisher niemand getraut hatte, auf die rechte Spur zu wechseln.

Plötzlich kam ihm seine Hauruck-Aktion von eben kindisch vor. In einem versöhnlichen Tonfall sagte er: „Entschuldige, dass ich dich angerempelt hab.“

Die Blondine machte einem nachrückenden Kunden Platz und lächelte ihren „Unfallgegner“ freundlich an: „Schon vergessen. Bist du immer so forsch?“

„Liegt in meinem Naturell“, antwortete er mit dem Anflug eines Lächelns.

Blondie machte keine Anstalten, sich wieder in die Warteschlange einzufädeln.

Die ist verdammt sympathisch, schoss es ihm durch den Kopf. Kein Ring am Finger. Und zu seinem eigenen Erstaunen fragte er: „Verrätst du mir deinen Namen? Vielleicht hat unser Zusammenstoß ja Folgen.“

Mann, was red ich fürn Scheiß. Peinlich! Aber auf die Schnelle fällt mir nichts ein.

Er befürchtete schon, die unerwünschte Quittung für seine wenig geistreiche Anmache zu bekommen.

Vielleicht ist sie liiert und droht mir den Besuch ihres Freundes an.

Aber sie grinste nur und sagte: „Ich heiße Elena – und du?“

Elena, dieser Name! Das passt perfekt!

Etwas ließ ihn zögern, dann antwortete er aus einer plötzlichen Laune heraus: „Ich bin Zorro.“

Sie lachte laut: „Der maskierte Kinoheld?“

„Ja. Aber verrat’s nicht weiter.“

„Von dir hat man ja schon Jahre nichts mehr gesehen“, meinte sie mit gespieltem Erstaunen.

„Glaub mir, das ändert sich wieder.“

„Na, da bin ich mal gespannt.“

Gleich wird sich unser Wortgefecht erschöpfen. Ich will, dass wir uns wiedersehen. Wie krieg ich das hin?

„Ich hab was wiedergutzumachen“, behauptete er und zeigte auf ihre Flaschenkisten. „Kann ich dich zum Getränk einladen?“

Ihr Lachen schwächte sich ab.

„Ist total nett“, erklärte sie. „Aber momentan hab ich echt viel zu tun. Vielleicht später.“

„Was heißt später? Ich weiß ja nicht, wo du wohnst.“

Sie legte den Kopf zur Seite: „Da du Zorro bist, warte ich ab, bis du dich wieder in der Öffentlichkeit zeigst. Und dann entscheide ich, ob ich mich bei dir melde.“

Dämliches Gequatsche. Erst flirtet sie mit mir, dann lässt sie mich auflaufen.

Sie lachte wieder: „Also, mach’s gut, Zorro!“

Du willst mich verarschen, du blödes Miststück. Nur weil du gut aussiehst, musst du nicht glauben, dass du so mit mir umspringen kannst! Wenn du wüsstest, ich kann auch ganz anders. Vielleicht wirst du Nummer drei oder vier auf meiner Todesliste.

Inzwischen hatten sich die Warteschlangen vor den Leergutautomaten nahezu aufgelöst. Gleichzeitig schoben die beiden nebeneinander ihre Flaschenkisten in die Maschinen.

Elena winkte ihm zu und entschwand danach in den Einkaufsbereich.

Elena, die Geliebte des Zorro. Ein Wink des Schicksals! Ich muss sie unbedingt im Blick behalten.

Er verfolgte sie im Sicherheitsabstand mit seinem Einkaufswagen durch die Gänge des Supermarktes. Offensichtlich hatte sie eine längere Einkaufsliste dabei, kaufte unter anderem Lebensmittel ein, die schnell wieder zu Hause in den Kühlschrank mussten.

Dann fährt sie bestimmt vom Supermarkt direkt nach Hause. Ich muss herausfinden, wo sie wohnt. Wenn sie vor mir an der Kasse ist, könnte sie mir entwischen.

Er überlegte kurz, dann stoppte er seine Verfolgung und lud im Eiltempo die wichtigsten Einkäufe in seinen Wagen, die er zwingend benötigte. Danach ging er zum Kassenbereich und schaute sich um. Elena war noch nicht zu sehen.

Geschafft!

Als er bezahlt hatte, entdeckte er Elena mit vollem Einkaufswagen in der Warteschlange der letzten Kasse vorm Ausgang.

Das dauert, bis sie da rauskommt.

Er packte die Einkäufe in sein Auto, brachte den leeren Einkaufswagen zurück und beobachtete dabei den Ausgang.

Da ist sie!

Er hielt sich im Hintergrund. Sie sollte nicht mitbekommen, dass er ihr nachspionierte.

Ihr Auto ist der dunkelblaue Ford Fiesta. Kennzeichen hab ich mir gemerkt.

In seinem eigenen Wagen wartete er so lange, bis sie mit ihrem Ford vom Parkplatz fuhr. Dann folgte er ihr.

Fühlt sich geil an. Wie im Film. Aber das hier ist real. Bin ich der Held oder der Terminator?

Nach fünf Minuten Fahrt hatten sie ihr Ziel erreicht. Ein Wohngebiet mit vierstöckigen Mietshäusern, ein Kiosk an der Ecke, am Straßenrand einzelne Bäume, die Gehwege mit Autos zugeparkt. Sie hatte Glück, erwischte gerade noch eine Lücke, in der sie ihren Wagen abstellen konnte. Er parkte in einiger Entfernung in zweiter Reihe und konnte erkennen, in welches der Gebäude sie die Taschen mit ihren Einkäufen brachte.

Jetzt weiß ich, wo ich dich finde. Führt dein Weg zu mir oder in die Hölle?

Atemlos in Hannover

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