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Kapitel 9

Dienstag, 15. Mai

Seit ungefähr zwei Tagen lief jetzt die Ermittlungstätigkeit der Mordkommission Dr. Odem auf vollen Touren. Der Mord an der Vorstandssprecherin des hannoverschen Bankhauses Berlinger stieß erwartungsgemäß auf großes Interesse bei den Medien, was Ansporn und vor allem Erfolgsdruck für Hauptkommissar Thomas Stelter und sein Team bedeutete.

Seit gestern lag der endgültige Obduktionsbefund aus der Rechtsmedizin der Medizinischen Hochschule vor. Der Schnitt am Hals verlief fast horizontal, hatte neben den großen Arterien und Venen beidseits auch gleichzeitig die Luft- und Speiseröhre mit durchtrennt. Das Opfer war an den Folgen des massiven Blutverlustes und einer Luftembolie schnell verstorben. Ulrich Lindhoff war sich sicher, dass das Opfer nicht mehr in der Lage gewesen war zu schreien. Es hatte definitiv keine Vergewaltigung und keinen Abwehrkampf gegeben. Der Mörder (das Wort „Mörderin“ verwendete in diesem Fall momentan niemand im Team) musste sein ahnungsloses Opfer von hinten überrascht haben. So wie es aussah, war die Frau gerade mit dem Eintrag in das Logbuch des gefundenen Geocaches beschäftigt gewesen.

Das rekonstruierte Szenario implizierte die folgenden Überlegungen: Hatte Nadine Odem den Täter für einen harmlosen Geocacher gehalten? War der Täter einfach zufällig vor Ort, oder hatte sie ihn womöglich auf dem Waldweg getroffen und war mit ihm ein Stück gemeinsam zum späteren Tatort gefahren? Kannte das Opfer seinen Mörder?

Auf der Route von Kirchrode zum Misburger Wald gab es keine polizeilichen Überwachungskameras, die die Frau und einen eventuellen Verfolger aufgezeichnet haben könnten.

Die Polizei hatte die Medien für einen Aufruf an die Bevölkerung genutzt. Gesucht wurden Zeugen, die Nadine Odem am Sonntag auf dem Weg zum Tatort gesehen hatten. Für die Mordkommission konnten Hinweise auf eine zweite Person, die Nadine beispielsweise mit dem Fahrrad begleitet hatte oder direkt hinter ihr hergefahren war, möglicherweise richtungsweisend sein. Tatsächlich hatte ein Spaziergänger Nadine Odem auf ihrem Fahrrad gesehen, wobei die Frau allein gewesen wäre. Der Mann konnte sich an weitere einzelne Radfahrer mit Schutzhelm und Trikot auf Rennrädern erinnern, denen er später begegnet war, ohne Angaben zum Gesicht oder zum Alter der Personen machen zu können.

Den Hinweisen von Mareike Keppler über den vermeintlichen Geocacher an ihrem Gartenzaun waren die polizeilichen Ermittler recht zügig nachgegangen. Ihre Recherchen ergaben, dass der Cache im Gullydeckel tatsächlich an dem Freitag, an dem Nadine dem Mann den Tipp gegeben hatte, noch im Internet geloggt worden war – von einem Geocacher aus Hannover mit dem Nickname Hahn Solo 6. Mit dem Namen hatte sich der Geocacher auch auf der winzigen Papierrolle dieses Nano-Caches am 11. Mai handschriftlich eingetragen. Davor war der Cache zuletzt am 8. Mai von einer Frau gefunden und geloggt worden.

Im wahren Leben hieß Hahn Solo 6 Ingo Hauser und arbeitete als Angestellter in einer IT-Firma. Er hatte sein Smartphone fürs Geocaching in Kirchrode verwendet, war seit zwei Jahren registriertes Premium-Mitglied der offiziellen Geocache-Datenbank im Internet und hatte dort als Kommentar zu seinem Log geschrieben: „Nach einer gründlichen Inspektion des mugglefreien Umfeldes konnte der Cache recht schnell gehoben werden.“ Für die Mordkommission war es nicht sonderlich schwierig, den Mann ausfindig zu machen. Bei seiner Befragung berichtete er, am 11. Mai mit dem Auto zum Geocaching gefahren zu sein. Er habe niemanden im Garten von Nadine Odem gesehen und mit niemandem gesprochen. Zur Tatzeit wäre er mit seiner Freundin am Maschsee gewesen, was diese bestätigt hatte.

Aber wer war der Mann, der am 11. Mai kurz mit Nadine Odem an ihrem Grundstück geredet und womöglich ihre Planung für den Sonntag mitbekommen hatte? In das Logbuch des Geocaches im Gullydeckel hatte er sich nicht eingetragen, folglich auch nicht in der Online-Datenbank von Geocaching.com. Entweder hatte er den Nano-Cache trotz Nadines Hilfestellung nicht gefunden (angesichts des Schweregrades nicht völlig unwahrscheinlich), oder der Cache hatte ihn überhaupt nicht interessiert. Zumindest ließ sich ihm bisher kein eingeschaltetes Smartphone zuordnen, wobei Geocacher natürlich auch GPS-Handgeräte verwendeten, die nicht aktiv Signale senden und deshalb an Dritte keine Informationen über den eigenen Standort verraten.

Bei der Befragung der Nachbarschaft von Nadine Odem kam heraus, dass eine ältere Frau, die einige Häuser weiter wohnte, den Mann mit dem Fahrradhelm neben dem Gartenzaun der Ermordeten gesehen hatte. Die Zeugin war dort am frühen Abend mit ihrem kleinen Hund spazieren gegangen und hatte bereits eine größere Entfernung vom besagten Eckgrundstück zurückgelegt, als der angeleinte Hund in die entgegengesetzte Richtung wollte. Die Frau hatte sich für einen kurzen Moment umgedreht und einen Mann wahrgenommen, der in den Garten von Nadine Odem schaute. Nach ihrer Beschreibung hatte der Mann – neben dem schwarz-weißen Schutzhelm – eine helle Jacke und Blue Jeans getragen. Die Angaben der Zeugin resultierten aus einer Beobachtung, die ein paar Sekunden angedauert hatte und aus größerem räumlichem Abstand erfolgt war. Die Frau war sich dennoch sicher, dass der Mann keinen Bart und keine Brille hatte. Der Fahrradhelm habe sämtliche Haare verdeckt. Insofern konnte es sich um eine Kurzhaarfrisur oder eine Glatze handeln. An weitere Details zum Gesicht des Mannes konnte sie sich nicht erinnern. Das Alter des fraglichen Geocachers grenzte die Zeugin mit „jung bis mittleres Alter“ ein. Den Mann hatte sie zuvor noch nie gesehen.

Thomas Stelter war inzwischen darüber informiert, dass es in der jüngeren Vergangenheit keinen ähnlich gelagerten und bisher ungeklärten Mordfall wie diesen in anderen Städten und Bundesländern gegeben hatte.

Die Auswertung der Handydaten des Opfers unterstrich die Einschätzung ihrer Ehepartnerin, dass Nadine Odem wenig mit Freunden, Bekannten und Familie kommuniziert und stattdessen für ihre Arbeit und ihre Hobbys gelebt hatte.

Thomas Stelter konnte sich mit dem bisherigen Bild über das Opfer, dass es in Nadines Privat- und Berufsleben keine nennenswerten Konflikte gab, immer noch nicht anfreunden. Andrea Renner hatte gestern die Interviewanfragen der Hannoverschen Nachrichten und der Ihme News erwähnt. Thomas beauftragte Hauptkommissar Hayo Baumann, diesbezüglich mit beiden Zeitungen Kontakt aufzunehmen. Hayo sollte insbesondere die Journalistin, die vor ungefähr drei Wochen für die Hannoverschen Nachrichten in der Bank dieses längere Interview mit der Vorstandssprecherin geführt hatte, über Nadine Odem befragen. Solveig Jordan war bekannt als erfahrene Journalistin. Es war immerhin möglich, dass sie über interessantes Insiderwissen bezüglich der Vorstandsetage des Bankhauses verfügte oder im Interview Konflikte herausgehört oder gespürt hatte.

Hayos Bericht über sein persönliches Gespräch mit Solveig Jordan bestätigte ansatzweise die Vermutung von Thomas Stelter. Die Journalistin war sehr angetan von ihrer toughen Interviewpartnerin und wollte herausgehört haben, dass ein anderer Kollege in der Bank durchaus scharf auf den Posten des Vorstandssprechers gewesen wäre. Allerdings würde er sich seine eventuelle Enttäuschung nicht anmerken lassen.

Daraufhin hatte Hayo Baumann noch den Chefredakteur der Ihme News angerufen, aber der hatte ihm mitgeteilt, dass Nadine Odem keine Zeit für ein weiteres Interview mit ihm gehabt hätte, sodass ein persönliches Gespräch mit ihr nicht zustande gekommen wäre.

„Ich glaube“, murmelte Thomas Stelter allein an seinem Schreibtisch vor sich hin, „die Aufklärung des Falles entwickelt sich zu einer harten Nuss.“

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