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2.2.4 Konzeptbildung

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Der nächste Kritikpunkt Jaspers’ gegenüber der Psychoanalyse richtet sich darauf, dass Freud meint, durch Verstehen zu einer Theorie gelangen zu können. Er habe unrichtigerweise angenommen, »daß alles im Seelenleben […] verständlich (sinnvolldeterminiert)« sei (allerdings auf »als-ob«-hafte Weise), und noch dazu »aus verständlichen Zusammenhängen Theorien über die Ursachen des gesamten seelischen Ablaufs« gemacht, »während Verstehen seinem Wesen nach nie zu Theorien führen kann« (a. a. O., S. 452). In der Psychoanalyse würden daher aus Sicht Jaspers’ »verständliche Zusammenhänge mit kausalen Erklärungen verwechselt«, wenn »aus verständlichen Zusammenhängen Theorien konstruiert« würden (Jäger 2016, S. 37; vgl. Heinz 2002, S. 40; Bormuth 2018, S. 54ff.). Auch die Kritik Grünbaums (1984) hebt Freuds Verwechslung von Verstehen und Kausalität hervor, vor allem demonstriert an der vermeintlichen Verbindung zwischen Paranoia und verdrängter Homosexualität ( Kap. 3.1.2).

Freud ging es immer wieder um eine Abgrenzung von ihm als spekulativ erscheinender Philosophie. Stattdessen versuchte er, die Psychoanalyse und ihre Erkenntnisse sprachlich (und professionspolitisch) in die Nähe von Naturwissenschaftlichkeit zu bringen. Habermas (1968, S. 301) hat das als »szientistisches Selbstmissverständnis« bezeichnet. Das Ringen zwischen der Novellenartigkeit der Falldarstellungen (Freud 1895d, S. 227), dem klinisch-verstehenden Vorgehen und dem Anspruch auf Naturwissenschaftlichkeit hat Freud selbst nicht in einer erkenntnistheoretisch schlüssigen Sicht auf die Psychoanalyse auflösen können. Andere haben später das Zusammenwirken von »Kraft« und »Sinn« oder von »Verstehen« und »Erklären« unterstrichen (Ricœur 1965; Lorenzer 1986; Warsitz 1997).

Nimmt man die methodischen und methodologischen Bemerkungen ernst, dann gewinnt die Analytikerin Erkenntnisse durch ein reflektierendes In-Beziehung-Stehen zur Analysandin. Die Erkenntnismethode ist dabei angewiesen auf die relationale Beziehungserfahrung – die Psychoanalyse nimmt also den Ausgang vom Einzelfall einer Beziehung. Darin findet das Verstehen im oben beschriebenen Sinn statt, aber es geschieht noch mehr: Es wird auf Konzepte rekurriert (und diese gelegentlich modifiziert), um Phänomene im Zusammenhang des Einzelfalls begreiflich zu machen. Das findet sich in der Freud’schen Theoriebildung, etwa zur unbewussten Fantasie oder zur Übertragung, beides sind ja konzeptbildende Antworten auf Vorgänge in einzelnen Behandlungen gewesen. Es geschieht keine Verallgemeinerung oder Prognose für viele andere genügend ähnliche Fälle, sondern die Verallgemeinerung liegt auf der Ebene der Konzeptbildung. Es wird nicht, um eine Formulierung Zepfs (Zepf 2006, S. 263) aufzugreifen, theoretisch gesagt, wie Behandlungen (und Erkrankungen) allgemein verlaufen, sondern es wird theoretisch allgemein gesagt, wie besondere Behandlungen (und Erkrankungen) verlaufen. Es wird dabei also ein klinisches Phänomen methodisch geleitet auf den Begriff gebracht. Zum Verstehen tritt ein Begreifen hinzu (Zepf & S. Hartmann 1989), und auf diese Weise geschieht eine Art von Modellbildung, die dabei helfen kann, weitere Einzelfälle und die Phänomene darin zu verstehen.

Psychoanalytische Konzepte in der Psychosenbehandlung

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