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Maxim Pietrov
Оглавление02.09.2018 – früher Nachmittag
Morrison Memorial, Jungentrakt
Das alles fühlte sich wie ein Traum an. Wie einer dieser Träume, in denen man sich an magischen Orten befand und eine fremde Welt entdeckte. Oder in jenen, in denen man endlich ein lang ersehntes Ziel vor Augen hatte und seine geheimen Wünsche ausleben durfte. Trotz all der Freude oder Aufregung, die man dabei verspürte, wusste das Herz tief im Inneren immer, dass es nur Träume waren und man von einer Sekunde auf die andere in seiner bekannten Umgebung aufwachen würde.
Aber das hier war anders, so schwer es Maxim fiel, es zu realisieren. Noch vor vier Stunden war er in Deutschland gewesen und konnte sich am Flughafen kaum vor den tränenreichen Abschiedsküssen und Umarmungen seiner Mutter retten, während seine Geschwister darum wetteten, wie lange er es alleine in einem fremden Land aushalten würde. Der Mindesteinsatz waren zwei Wochen, während seine ältere Schwester ihm zumindest einen ganzen Monat zutraute.
Ein Hauch von Wehmut mischte sich in das breite Grinsen, das der Junge seit seiner Ankunft auf dem Schulgelände trug. Er war noch nie länger als eine Klassenfahrt lang von seiner Familie getrennt gewesen und er würde lügen, würde er sagen, dass er nicht bereits etwas Heimweh verspürte. Dennoch war das hier eine unglaubliche Gelegenheit, die nur wenigen Personen ermöglicht wurde. Es war eine Ehre für ihn unter den Auserwählten des Stipendiums und nun Teil einer der bekanntesten Eliteschulen der Welt zu sein. Ein gewisser Leistungsdruck machte sich bemerkbar, den er zuvor nie verspürt hat, doch Maxim war optimistisch, dass er sein Bestes geben würde.
Außerdem war er gar nicht allein, selbst wenn er viele hundert Kilometer von Zuhause entfernt war. Als wäre sein Glück nicht bereits groß genug, dass er an der Morrison Memorial School angenommen wurde, waren zwei seiner Freunde ebenfalls hier. Sie würden schon aufeinander aufpassen.
Maxim konnte die Freude, die drohte aus ihm herauszuplatzen, kaum bei sich halten und dass sein Grinsen von einem Ohr zum anderen reichte, genügte ebenfalls nicht, um das ganze Ausmaß zu erfassen. Ein letztes Mal blickte er auf das Namensschild, das neben der Zimmertür hing, hinter der er gerade seine Koffer verstaut hat. Neben den drei bekannten Namen war noch ein Fremder dabei, doch der Blondschopf hatte keine Zweifel daran, dass er sich auch mit seinem neuen Zimmergenossen gut verstehen würde.
Voller Tatendrang und unfähig seine Energie noch weiter zurückzuhalten wollte Maxim sich das Schulgelände ansehen, das in den nächsten drei Jahren sein zweites Zuhause sein würde. Am liebsten hätte er sich dafür seinen besten Freund geschnappt, der sich hier bereits auskannte, aber ihre Wege würden sich schon früh genug kreuzen.
Trotz all der Glücksgefühle, die er verspürte, entfloh ein leises Seufzen seinen Lippen. Er hatte Felix schon seit über eineinhalb Jahren nicht gesehen, da dieser plötzlich begonnen hatte sich zu distanzieren und jeden Annäherungsversuch beharrlich abzuwimmeln. Anrufe wurden weggedrückt, Nachrichten nicht beantwortet. Im Grunde war das ein deutliches Zeichen dafür, dass die Freundschaft nur noch einseitig war, aber das konnte Maxim nicht ohne eine Erklärung akzeptieren. Felix’ älterer Bruder hat ihn ermutigt, nicht aufzugeben und dem störrischen Esel ein wenig Zeit zu schenken. Das hat Maxim getan und endlich war die Zeit gekommen, dass die beiden Freunde wieder von Angesicht zu Angesicht miteinander reden konnten. Felix würde ihn nicht mehr abweisen oder die Tür verschließen können, da sie das gleiche Zimmer teilten. Es würde nun viele Gelegenheiten geben, die verlorene Zeit wieder aufzuholen.
Eine gewisse Nervosität wurde deswegen in dem gebürtigen Russen wach, weil er fürchtete, ihr Wiedersehen könnte anders verlaufen, als er es sich vorgestellt hatte, aber er wollte sich nicht die gute Stimmung ruinieren lassen und schob jegliche Bedenken vorerst zur Seite. Jetzt gab es schließlich eine neue Welt zu erkunden!
Maxims Erkundungsreise wurde jedoch schon kurz nach Beginn unterbrochen, als er den Trakt mit den Jungenschlafzimmern verließ. Fasziniert lag der Blick der leuchtenden Augen auf dem Flyer in seiner Hand, der deutlich benutzt aussah. Er hat ihn den ganzen Flug über wie einen Glücksbringer in Händen gehalten und so oft durchgelesen, dass er jedes Wort darauf auswendig konnte. Dennoch konnte sich der Blondschopf nicht an den aufgedruckten Bildern sattsehen und überlegte bereits, welchen dieser noch unbekannten Orte er zuerst aufsuchen sollte. Da spürte er bereits ein Hindernis, bevor er die Türschwelle hinter sich lassen konnte.
Erschrocken richteten sich die Pupillen auf sein Gegenüber. Kaum setzte er zu einer Entschuldigung an, wurde ihm bereits heftig ins Wort gefallen. „Bist du blind?!“
Erstaunt über diese offensichtliche Feindseligkeit, verstummte Maxim und kam nicht umhin den kleineren Jungen vor sich schweigend anzublinzeln. Die Kapuze des dunklen Hoodies verbarg einen Teil des Gesichts, sodass er sich ein wenig vorbeugen musste, um dem anderen in die Augen sehen zu können. Der stechende Blick der haselnussbraunen Iris gab ihm das Gefühl, dass er diese Begegnung lieber nicht hätte machen sollen. Aber Maxim vermutete, dass er den Kleineren nur auf dem falschen Fuß erwischt hatte. Wer wurde schon gerne angerempelt?
„Tut mir leid, manchmal bin ich wirklich blind“, setzte er wieder ein munteres Grinsen auf und streckte dem Fremden eine Hand entgegen. „Ich bin Maxim, aber aber alle nennen mich Max.“
„Interessiert mich nicht.“
Barsch wurde der Blondschopf erneut unterbrochen und grob zur Seite geschoben, damit er den Eingang zum Jungentrakt nicht mehr versperrte.
Mit leisem Schnauben sah Max dem unhöflichen Kerl noch nach, während die Tür erneut ins Schloss fiel. Vermutlich gab es sogar auf Eliteinternaten Schüler, die nicht zu der sozialen Sorte gehörten und denen man lieber aus dem Weg gehen sollte. Max hoffte zwar insgeheim, dass das nicht sein unbekannter Zimmergenosse war, doch beeindrucken ließ er sich davon nicht. Er war mürrische Gesellschaft gewohnt und würde es schon irgendwie schaffen, diese unfreundliche Fassade zu durchbrechen. Manche brauchten Zeit, um aufzutauen. Nichts, wovon er sich abschrecken ließ.
Diese unerfreuliche Begegnung bereits verdaut, machte er sich wieder auf den Weg seine Erkundungstour fortzusetzen. Sein erstes Ziel war das Hauptgebäude, dessen spitzes Dach mit der antik wirkenden Uhr von jedem Ort des Geländes zu sehen war. Vorhin war Max bereits dort gewesen, um sich im Sekretariat anzumelden, doch viel außer den Gängen und ein paar Türen hatte er nicht sehen können.
Die öffentlichen Räume, die für jeden Schüler zugänglich waren, befanden sich im Erdgeschoss. Ein Schild verwies bereits auf eine Mensa, in der die Schüler laut Flyer täglich frische Mahlzeiten serviert bekamen. Da die Lernenden aus aller Welt anreisten, wechselte das wöchentliche Angebot internationaler Speisen. So war für jeden Geschmack etwas dabei.
Neben einer Bibliothek mit einer stattlichen Auswahl an Büchern sowie einem Gemeinschaftsraum wurden noch einige andere Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung und Lernentwicklung angepriesen. Die einzelnen AGs planten themenbezogene Ausflüge und über das Jahr verteilt starteten Lehrer frei auswählbare Unternehmungen mit Schülern, um das Vertrauen in sie als Bezugspersonen zu stärken. Es sollte das Gefühl entstehen, dass die Morrison Memorial School nicht nur eine Schule war, sondern ein zweites Zuhause.
Max konnte es kaum erwarten alle Ecken des Schulgebäudes zu erkunden und malte sich bereits aus, wie es sein würde, in diesen frisch renovierten Gemäuern zu leben. Obwohl sowohl das Hauptgebäude, als auch beide Schlaftrakte nach außen hin alt wirkten und einen nostalgischen Eindruck machten, war die Inneneinrichtung modern und gemütlich. Es wurde darauf geachtet, dass die Schüler sich wohlfühlten. Einzig die Eingangshalle, die nicht nur wegweisende Schilder, sondern auch ein schwarzes Brett sowie viele Aushänge bereithielt, zeigte mit den hohen Decken und dem bunten Kachelboden, wie das Internat noch vor vielen Jahren ausgesehen haben musste. Dennoch fügte es sich gut zu einem Gesamtbild, wie Max fand. Der Unterschied zu deutschen Schulen war enorm und der hohe Standard kristallisierte sich schon nach kurzer Zeit heraus. Noch immer war es für den 17-Jährigen schwer zu begreifen, dass er tatsächlich für drei Jahre an diesem fantastischen Ort leben und lernen würde dürfen.
„Entschuldigung?“
Es fiel Max schwer seinen staunenden Blick von der Eingangshalle zu reißen, obwohl er bereits Minuten damit verbracht hat, diesen Wandel zu begreifen. Dennoch wandte er sich der Quelle der weiblichen Stimme zu und sah direkt in das Gesicht eines Mädchens, deren große braunen Augen ihn neugierig musterten.
„Bist du zufällig auch neu hier?“, fragte sie und deutete mit einem Nicken auf den Flyer in Maxims Händen, ehe sie den gleichen – bloß in besserer Verfassung – anhob und verlegen grinste. „Hast du Lust dir die Schule gemeinsam anzusehen? Ich habe einen schrecklichen Orientierungssinn und werde mich sicher im Garten verirren, wenn niemand auf mich aufpasst.“
Max unterdrückte ein Schmunzeln und nickte stattdessen erfreut. Nach dem ungemütlichen Treffen mit dem Hoodie-Jungen war er erleichtert, dass es neben ihm auch noch weitere Schüler gab, die offen auf andere zugehen konnten. Daher zögerte er auch nicht zu antworten: „Gerne! Ich war eh auf der Suche nach Gesellschaft.“
Das Mädchen, das sich als Lilly vorstellte, begann sogleich zu strahlen und schien froh darüber zu sein, jemanden gefunden zu haben, der sie davon abhielt für immer in den Tiefen des Gartens verloren zu gehen. Er konnte zwar nicht versprechen, dass er sich problemlos zurechtfand, aber was könnte ihnen hier schon geschehen, außer dass sie das Abendessen verpassten?