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Maxim Pietrov
Оглавление04.09.2018 – Morgen
Morrison Memorial, Klassenzimmer erster Jahrgang
Gemeinsam mit seiner neuen Bekanntschaft begab Max sich zu den Unterrichtsräumen in den ersten Stock. Begeistert stellte er bei einem Blick auf das Schild neben der Tür fest, dass sie angekommen waren, ohne sich zu verlaufen. Seine Mitschülerin schritt unbeirrt voran, doch Max brauchte noch einen Moment, um sich zu sammeln. Mit einem tiefen Durchatmen versuchte er seine Aufregung zu unterdrücken und sie hinter einem munteren Lächeln zu verbergen.
Mit dem Gong zum Unterricht würde der Ernst des Lebens nach wochenlanger Freizeit losgehen. Man verdrängte ihn in den Sommerferien, als stopfe man eine dicke Winterjacke während der warmen Monate ganz nach hinten in den Kleiderschrank. Sie war noch da, aber wurde erst wieder herausgeholt, wenn es schon bitterkalt war.
Die vor Eifer funkelnden Augen des blonden Schülers betrachteten jeden Winkel des neuen Klassenraums, als er sich nach dem Glattstreichen seines Hemdes endlich einzutreten wagte. Die Schuluniform war noch ungewohnt für Maxim und saß etwas steif am Körper.
Es roch nach frischer Farbe, die sich mit dem Hauch mehrerer Parfüms und Deodorants vermischte. Unbewusst nahm er einen geräuschlosen Atemzug und bestaunte die zart violette Wandfarbe des Zimmers, die offenbar erst vor kurzem neu aufgetragen worden war.
Ein kleines Bücherregal stand hinter dem grauen Lehrerpult, auf dem verschiedene Geräte ihren Platz fanden. Neben dem Laptop und einem Drucker war ein Tageslichtprojektor am Ende des Tisches integriert. Einen häufigen Nutzen schrieb Maxim ihm allerdings nicht mehr zu. Neben der Tafel war ein moderner Monitor angebracht, der mit mehreren Kabeln mit dem Notebook verbunden war. Die Tafel war so, wie er es kannte: Zu Anfang des Schuljahres sauber gewischt und die Kreide lag ordentlich in den Behältern am unteren rechten Ende der Fläche.
An der Türseite erstreckte sich eine riesige Landkarte, die mit verschiedenen Markierungen gespickt war. Neugierig trat Max näher und stellte fest, dass eingezeichnet wurde, aus welchen Nationen die Schüler der Klasse stammten. Wie er feststellte, waren Felix und er die einzigen aus Deutschland kommenden Internatsbesucher des ersten Jahrgangs.
„Wow! Echt der Wahnsinn aus wievielen verschiedenen Ländern wir alle kommen.“
Die Vorfreude auf viele neue Erfahrungen drückte er in einem höflichen Morgengruß an seine anwesenden Mitschüler aus, die teilweise in Gespräche vertieft waren. Trotzdem erhielt er von den meisten eine positive Rückmeldung und erwiderte zufrieden jedes einzelne Lächeln.
„Das nennst du der Wahnsinn? Sieh dir nur an, wie neu und modern hier alles ist. Sogar die Vorhänge passen zu der Wandfarbe.“ Lilly fasste begeistert nach einer der langen Gardinen. „In meiner alten Schule gab es eine Zeit lang nicht mal Fenster, die nicht ständig geklemmt haben und nur mit Gewalt aufzukriegen waren. Im Sommer die pure Zumutung.“
Lillys Schule war ein altes Gemäuer, das dringend renoviert werden musste. Zumindest hatte sie es Maxim bei ihrem Ausflug in den Internatsgarten so geschildert. Im Vergleich musste ihr die Morrison Memorial School wie ein Schloss vorkommen.
„Ganz so schlimm war es bei uns in München nicht, aber so schön wie hier sah es in keinem Zimmer aus“, entgegnete Maxim.
Auf seinem Weg zu der großzügigen Fensterfront begrüßte er mit einem dezenten Lächeln die ungleichen Schwestern aus Amerika. Auch heute waren sie nicht redefreudiger und ignorierten die anderen Mitschüler weitgehend. Ihm war gestern schon aufgefallen, dass die beiden gerne unter sich waren, weswegen er sie auch jetzt nicht ansprach und sich lieber dem Ausblick zum Internatsgarten widmete.
Die Fenster waren so groß und breit, dass der Raum vom Sonnenlicht geflutet wurde. Max blinzelte in das schmeichelnde Licht und genoss den sachten Luftzug, die Unterarme nebeneinander auf die Fensterbank abstützend.
„Hier braucht sich niemand darüber den Kopf zu zerbrechen, durch die Schule zu wenig Tageslicht abzubekommen“, kommentierte er den Luxus an Sonneneinstrahlung.
„Du möchtest bestimmt einen Fensterplatz, oder?“
Der Vermutung weder zustimmend noch verneinend, drehte Max sich um, den Rücken an die Fensterbank gelehnt. Es gab noch viele freie Plätze, unter anderem den neben Felix, der ganz hinten in der Fensterreihe versuchte, sich möglichst vor den Lehrern zu verstecken. Jeder andere Platz wäre auch untypisch für ihn gewesen.
Max zögerte merklich zu ihm zu gehen und versuchte Blickkontakt aufzunehmen. Das Lächeln, das durchweg sein Gesicht geschmückt hatte, erstarb langsam, als Felix sogar den Kopf zur Seite drehte. Das war also seine Antwort und deutlich war sie noch dazu.
„Willst du dich neben ihn setzen?“, fragte Lilly nach, weswegen sein Blick zu seiner neuen Bekanntschaft glitt.
„Nein“, lehnte Maxim ab, „Er legt sowieso nicht viel Wert auf meine Anwesenheit.“ Den traurigen Unterton konnte er nicht verbergen.
Max lächelte seine Mitschülerin dankbar an, als diese ihm tröstend über den Arm strich und auf zwei freie Bänke in der zweiten Reihe deutete. „Setzen wir uns da hin.“
Ein schlechtes Gefühl plagte ihn dennoch, seinen besten Freund allein sitzen zu lassen. Während er sich auf seinen Platz neben Lilly niederließ, beobachtete er, wie zwei seiner Mitschülerinnen an ihm vorbeigingen und auf Felix zusteuerten. Das lenkte ihn derart ab, dass er Lilly nur mit halbem Ohr zuhörte und den größten Teil seiner Aufmerksamkeit gespannt an Felix klammerte. Zu dem Glückspilz gesellten sich statt nur einer Banknachbarin gleich zwei hübsche Mädchen.
Max verfolgte staunend, wie sie zwei Tische aneinander rückten und die Blonde der beiden Mädchen sich elegant neben den Deutschen setzte. Ihre dunkelhaarige Freundin hingegen machte einen zurückhaltenderen Eindruck.
Ob Felix die beiden schon vom letzten Jahr kannte und sie sich deshalb zu ihm gesetzt hatten? Oder war aus ihm etwa ein kleiner Frauenheld geworden?
Breit grinsend hob Max seinen Daumen und erwartete Begeisterung. Stattdessen bemerkte er, wie Felix genervt mit den Augen rollte, als seine Banknachbarin ihm etwas zuflüsterte. Bis eben hatte Max noch gedacht, sein schlechtes Gewissen problemlos loswerden zu können, doch jetzt wurde der leidige Gedanke, seinen besten Freund im Stich gelassen zu haben, aufdringlicher. Er hätte genauso gut drei Tische zusammenstellen können, ohne auf Lilly verzichten zu müssen.
Mit einem schweren Seufzen wollte er dem gedanklichen Tadel ein Ende bereiten und räumte zur Ablenkung seine Schreibunterlagen aus der Tasche, um sie vor sich auf den Tisch auszubreiten.
Die leeren Plätze wurden mittlerweile von den anderen Mitschülern besetzt und auch Mr. Serra betrat das Klassenzimmer. Nach und nach verstummte das Getuschel in den hintersten Bänken.
Maxims Augen lagen voller Erwartung auf dem Lehrer. Voll Anspannung und Nervosität zupfte er mit seinen Fingern am oberen Rand seines Schreibblocks. Er hatte dem Moment des Unterrichtsbeginns die ganzen Sommerferien über entgegengefiebert, jetzt hatte er das Gefühl, er war viel zu schnell gekommen.
Die freundliche Lehrkraft stellte ihre schwarze Tasche auf das Lehrerpult und trat dann in die Mitte des Raumes vor die Tafel, um mit einem Blick alle Schüler in seine Ansprache einzubeziehen. Maxim konnte das Interesse regelrecht spüren, das er an dem neuen Jahrgang hegte, was ihm ein besseres Gefühl verschaffte. Trotz seiner großen Begeisterung suchten auch ihn Sorgen und Ängste heim. Gedanken, die ihm durch den Kopf wanderten, er könne dem Stipendium gerecht werden und der großen Distanz zu seiner Familie nicht standhalten. Umso erleichterter war er, dass er einen netten Klassenlehrer bekommen hatte und nicht wie Lewis und Zac unter dem strengen Regiment von Mr. Payne zu leiden hatte. Ein kurzes Schmunzeln huschte ihm wegen seiner bedauernswerten Mitbewohner über die Lippen.
„Hab ich etwas Lustiges verpasst?“, sprach Lilly ihn flüsternd auf seine Belustigung an. Wegen Mr. Serras Anwesenheit verschob er die Erklärung auf später.
„Ich wünsche euch allen einen schönen guten Morgen und freue mich, euch zum ersten Schultag begrüßen zu dürfen. Mr. Barnheim hat mich zwar gestern bereits vorgestellt, aber der Form halber: Mein Name ist Vincent Serra und ich unterrichte Informatik, Wirtschaftswissenschaften und Sport.“
Ein kurzes Räuspern folgte der Information, bevor er mit seiner Rede fortfuhr. „Für die nächsten drei Jahre werde ich die Leitung eurer Klasse übernehmen. Deshalb strebe ich einen offenen, respektvollen Umgang an.“
Als wäre es eine Frage gewesen, nickte Maxim zur Bekräftigung dieses Wunsches. Es sollte im Interesse aller liegen, das Schuljahr so gut wie möglich hinter sich zu bringen, auch wenn Max bei dem knappen Linsen zu den hinteren Bänken einen berechtigten Grund zur Annahme hatte, dass es turbulenter zugehen könnte.
„Wir haben dasselbe Ziel. Niemand kommt voran und wird sich entfalten können, wenn nur auf seinen Schwächen herumgeritten wird. Wir sind an euren Stärken interessiert, an denen wir gemeinsam mit euch feilen möchten“, fasste er das Ziel des englischen Internats zusammen, womit auch in der Broschüre über die Schule geworben wurde.
Maxim wertete es als positiv, dass Mr. Serra dieses Anliegen so wichtig war, dass er es in der ersten Unterrichtsstunde vortrug. Er schien seinen Schülern die Angst nehmen zu wollen und sie zu ermutigen, dass die Lehrer auf ihrer Seite waren.
„So weit, so gut“, sagte Mr. Serra und legte eine Hand in die andere, den Blick zu den Unterlagen gewandt, die auf den Bänken der Schüler in der ersten Reihe lagen. „Eure Stundenpläne habt ihr bereits alle bei der Anreise erhalten, aber ich werde mich darum kümmern, dass ein Exemplar auch am Sideboard aushängt.“
Der Vertrauenslehrer verwies auf eine kleine Nische in der Wand, die von einer Glasfront geschützt wurde und nur mit einem Schlüssel geöffnet werden konnte.
„Dort werde ich auch alle wichtigen Termine aushängen. Beispielsweise die Abgabedaten für Projektaufgaben, Zeiten der Prüfungen oder andere wichtige Informationen, die für einen reibungslosen Ablauf nötig sind. Damit wären wir auch gleich bei einem weiteren Thema.“ Er holte aus seiner Tasche einige Unterlagen heraus, die er im gemütlichen Tempo an seine Schüler verteilte.
Maxim hatte bei der Erwähnung des Stundenplans seinen Ordner aufgeschlagen und flüchtig einen Blick über die Fächerverteilung schweifen lassen. Anders als bei seiner alten Schule gab es auf der Morrison Memorial School kein großes Lehrerkollegium, dafür aber viel weniger Schüler, die es zu unterrichten galt.
„An jedem Donnerstag in der letzten Stunde gibt es die sogenannte Klassenlehrerzeit. Diese Stunde möchte ich gemeinsam mit euch gestalten. Es gibt keinen Lehrplan und keine Tests. Ihr könnt Probleme ansprechen, seien es persönliche innerhalb der Klasse oder schulische, weswegen ihr diese Zeit auch für das Lernen oder das Erledigen eurer Aufgaben nutzen könnt. Andernfalls wird es sicher den ein oder anderen Tag geben, an dem ich euch etwas Neues zu berichten habe, was ich von Mr. Barnheim an euch weiterleiten soll.“
Als Mr. Serra mit dem Stapel an Papieren vor ihm und Lilly stand, zeigte Max mit einem Lächeln, wie begeistert er bisher von der Schule war. Er war überzeugt davon, dass sich das nie ändern würde. Selbst die Stunden beim gefürchteten Mr. Payne würde er mit seiner Klasse schon überstehen!
„Ihr werdet als Klasse alle Pflichtstunden miteinander verbringen, ausgenommen den Sportunterricht, für den Mädchen und Jungen getrennt unterrichtet werden.“
„Dann sind wir ja total wenige“, stellte Max fest. Trotz des Flüsterns hat Mr. Serra ihn gehört und reagierte auf seine Bemerkung: „Nicht ganz. Ihr werdet mit dem zweiten Jahrgang zusammengewürfelt.“
Max reagierte überrascht über die Einteilung, freute sich aber darauf mit seinen Zimmergenossen gemeinsamen Unterricht zu haben. Das würde die leidigen Sportstunden bestimmt erträglicher machen.
„Mister Coleman wird den Sportunterricht der Mädchen betreuen und ich nehme mich der Jungs an.“ Mr. Serra machte eine kurze Pause und sah in die Runde, nachdem er alle Unterlagen ausgeteilt hatte. „Solltet ihr am Sport- oder Schwimmunterricht nicht teilnehmen können, möchte ich euch bitten, rechtzeitig entweder mit uns Lehrern oder mit eurer Erzieherin Miss Kensington zu sprechen.“
Maxims Blick wanderte hinüber zu den blonden Zwillingen. Sie tuschelten nach Mr. Serras Worten kurz und Nellie erschien ihm ein wenig beunruhigt, aber verstehen konnte er nicht, was sie sagte.
„Hast du dir schon überlegt, welche Fächer du belegen willst?“, fragte Lilly ihn flüsternd und beugte sich ein Stück zu ihm, um auf seine Liste zu lugen. „Die Auswahl ist so groß, ich kann mich kaum entscheiden.“
Max kannte das Entscheidungsproblem zu gut. Am liebsten würde er überall ein Kreuzchen setzen, um nichts von den vielen Aktivitäten zu verpassen. Lediglich die Sportkurse würde er auslassen, da ihm der Schulsport ausreichte.
„Es empfiehlt sich zumindest ein Wahlfach zu belegen, aber letztlich liegt die Entscheidung, wie gut ihr euch einbringen wollt, allein bei euch. Für diejenigen, die am Schuljahresende erfolgreich an einem oder mehreren Wahlfächern teilgenommen haben, gibt es selbstverständlich eine Zeugnisbemerkung und auf Wunsch auch einen Empfehlungstext“, äußerte sich Mr. Serra zu der Wahl der Fächer.
Maxim richtete seine Augen wieder nach vorne und wog ab, in welchen Kursen er mehr Spaß und Eifer entwickeln würde.
„Und wenn man sich nicht entscheiden kann?“, murmelte er, stützte seinen Kopf geradezu verzweifelt auf seine Hand.
Sein Dilemma war ihm ungewollt lauter als geplant über die Lippen gekommen. Daraufhin spürte er mehrere Blicke auf sich und richtete ein verlegenes „Entschuldigung“ an die Anwesenden. Seinen Kopf hat er einsichtig geduckt.
Mr. Serra nahm die unbewusste Störung locker. „Für die Unentschlossenen unter euch ist es möglich, ein oder zwei Wahlfächer erst zu testen, bevor ihr euch fest in den Kurs einschreibt. Gebt den Zettel mit eurer Auswahl bis spätestens neunzehn Uhr im Sekretariat ab.“
Bedeutend gelassener betrachtete Max die Auswahlmöglichkeit erneut. Die Kugelschreiberspitze übers Papier führend, vertraute er seinem ersten Gefühl und setzte einen Haken bei Theater. Lilly grinste ihn an und tat es ihm gleich.