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Nancy Taylor
Оглавление02.09.2018 – später Nachmittag
Morrison Memorial, Parkplatz
Nachdem die Zwillinge das gemeinsame Zimmer gefunden hatten, besichtigten sie zusammen mit ihrem Vater das Internat. Der Umweg über die Mensa hatte unverhofft länger gedauert, da zur Begrüßung der neuen Schüler ein großes Blech Erdbeerkuchen angeboten wurde, den sich ihre Schwester nicht entgehen lassen wollte. Da Nancy, anders als Nellie, auf Süßes verzichten konnte, hatte sie ihr kurzerhand ihr Stück überlassen.
Auch danach schwärmte Nellie noch immer munter von der Köstlichkeit und schien dabei zu vergessen, dass sie sich auf den Parkplatz zubewegten, um ihren Vater für eine lange Zeit zu verabschieden. Erst als sie vor dem Auto standen, hielt Nellie den Atem an und verstummte bestürzt. Nancy war gefasster, denn sie hatte sich die ganze Zeit über gedanklich mit dem Abschied beschäftigt. Die ersten Tage würde es sich befremdlich anfühlen, zu wissen, dass ihre Eltern viele Tausend Kilometer entfernt waren. Nancy sah schweigend mit an, wie Henry das Auto entriegelte und sich seiner Jacke entledigte, die er achtlos auf den Beifahrersitz warf. Erst dann drehte er sich nach einem tiefen Durchatmen zu ihnen um. „Ihr werdet eurer Mutter und mir sehr fehlen.“
„Ihr uns auch“, antwortete Nellie kleinlaut und Nancy glaubte, ein schwaches Wimmern herauszuhören.
Mit einem aufbauenden Lächeln schloss ihr Vater Nellie in seine Arme und strich ihr dabei zärtlich über ihren Haarschopf, bevor er einen Kuss auf ihre Stirn setzte. Der wimmernde Laut wurde zu einem herzzerreißenden Schluchzen und die Umarmung war so fest, als wolle sie nie wieder gelöst werden.
„Wenn irgendetwas ist, meldet euch. Wir sind Tag und Nacht für euch erreichbar.“
„Machen wir, Dad.“
Sanft legte Nancy ihrer Schwester die Hand auf die Schulter, damit sie sich langsam von ihrem Vater löste. Sie versuchte ihr zu vermitteln, dass sie nicht allein war und solange Nancy bei ihr war, sie sich vor nichts fürchten musste. Henry suchte dankbar ihren Blick, dann zog er auch sie in eine feste Umarmung.
„Vergiss nicht, ein bisschen Spaß zu haben“, flüsterte er ihr lieb gemeint zu.
Statt darauf zu antworten, nickte Nancy nur und genoss den kurzen Moment, in dem ihr Vater noch in greifbarer Nähe war. So selbstständig sie auch mit steigendem Alter geworden war, fühlte sie sich in seiner Nähe wohl, wenngleich diese Umarmung ein eigenartiges Gefühl in ihr weckte, das sie schon lange hinter sich geglaubt hatte. In solchen Augenblicken wie diesen durfte sie Nancy das Kind und die Tochter sein, und nicht nur die Schwester, die stark und verantwortungsvoll sein musste. Mit der Zeit hatte sie es gelernt zu verabscheuen, Schwäche zu zeigen und hatte sich ganz ihrer Pflicht verschrieben, auf Nellie aufzupassen. Die Zeit war längst vorbei, in der sie nur ein schwaches Mädchen und auf die Hilfe ihrer Eltern angewiesen war.
Die vertraute Kälte hüllte sie bestätigend wie ein Mantel ein, als sie die Umarmung beendete und mit gemischten Gefühlen einen Schritt zurücktrat. Ihrem Vater schenkte sie ein gefasstes Lächeln.
„Passt auf euch auf.“ Beherzt griff er nach den Händen seiner Töchter und drückte sie kräftig, bevor seine Finger von ihrer kalten Haut glitten und sich auf die geöffnete Fahrertür legten. Doch vorher schien er noch etwas loswerden zu wollen: „Wenn ihr mal Anrufe bekommt und ihr jemanden in den Hörer schluchzen hört, ist das nur euer Onkel, der euch sehr vermisst.“
Nellie entkam ein kurzes Lachen, das von einer zarten Träne begleitet wurde, die Henry sorgsam beseitigte.
„Kleiner Sicherheitshinweis, damit ihr euch nicht erschreckt und lange rumrätseln müsst.“ Trotz des belustigten Zwinkerns erkannte Nancy die schwach glänzenden Tränen in seinen Augen, die er mit einer zügigen Bewegung davon befreite.
Als er ins Auto stieg und die Tür hinter sich schloss, hinterließ er eine augenblickliche Leere, die nur die Zeit und die Gewohnheit allmählich füllen würde. Nancy legte den Arm um die bebenden Schultern ihrer Schwester und zog sie näher zu sich, den Blick nachdenklich und ernst auf das sich entfernende Auto gerichtet. Durch das verbesserte Sehvermögen war es für sie noch gut erkennbar.
„Das Wichtigste ist, dass wir nicht getrennt sind. Zusammen können wir alles überstehen.“