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Zacharias Hohenfels

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02.09.2018 – Nachmittag

Morrison Memorial, Jungentrakt


Nachdem er aufgegeben hatte, sich seinem kleinen Bruder aufzudrängen, hat Zac das Schulgelände auf eigene Faust erkundet. Es war bei weitem nicht so höllisch, wie Felix es seiner Familie bei den wenigen Telefonaten weismachen wollte. Viel mehr hatte Zac ein Auge auf die schönen Plätze des Internats geworfen, von denen es bestimmt noch einige weitere zu entdecken gab. Sicherlich würde sein Freund Max am Abend einiges zu erzählen haben und ihm noch von anderen Orten berichten, die es zu bestaunen gab. Die Gartenanlage war einer davon, den Zac bereits besucht hatte, und er war schon jetzt davon überzeugt, dass sich der angrenzende Wald optimal zum Joggen eignete.

Womöglich konnte er Felix doch noch davon überzeugen, gemeinsame Zeit zu verbringen und ihm Gesellschaft zu leisten – zumindest hatte er das beim Telefonat mit ihrem Vater schönzureden versucht und kein Wort darüber verloren, wie distanziert und geradezu eisig die Begegnung mit seinem Bruder abgelaufen war. Von seinem Treffen mit dem Hausmeister berichtete Zac ebenfalls und versicherte seinem Vater Johann, dass Mr. Reid ein Auge auf das Nesthäkchen hatte.

Ein verstohlenes Lächeln zuckte über Zacs Züge, während er seine Zimmertür mithilfe des Zahlencodes öffnete. Dank seines ausgeprägten Gehörs als Parcatis konnte er schon von Weitem sagen, wo Felix sich befand und dass er nicht alleine war. Der dezente Hinweis von Mr. Reid, der knapp in Richtung des Oldtimers genickt hat, war daher nicht nötig gewesen. Dennoch hatte er es dankbar als freundliche Hilfestellung angenommen, durch die er bewusst verlauten lassen konnte, dass er von dem Versteck wusste.

Ein wenig erleichterte es Zac, dass sich manche Eigenheiten von Felix trotz der langen Zeit nicht geändert hatten. Schon als Kind hatte der jüngste Spross der Familie sich Verstecke gesucht, wenn er unangenehmen Gesprächen aus dem Weg gehen wollte oder wütend auf seinen großen Bruder war und sich jedem weiteren Kontakt verweigerte. Schon damals war es Zac leicht gefallen, diese verzweifelten Schutzorte zu finden, selbst als er noch über ein gewöhnliches Gehör verfügt hatte. Aber sie waren keine Kinder mehr und irgendwann würde Felix sich damit arrangieren müssen, dass sie sich nicht ewig aus dem Weg gehen konnten. Vor allem nicht, nachdem sie sich ein Zimmer teilten.

Es war eine gute Nachricht für ihre Eltern gewesen, dass der Direktor den Wunsch berücksichtigt hat, die Brüder nicht zu trennen. Auch Max dürfte sich unbändig freuen mit seinen beiden Kindheitsfreunden untergebracht zu werden. Felix‘ erzürnte Reaktion konnte er sich dagegen hervorragend vorstellen, dafür musste er nicht erst von der Beschwerde bei Mr. Barnheim erfahren. Die nächsten Wochen, vielleicht sogar Monate, könnten schwierig werden, aber Zac nahm sich vor, sich davon nicht entmutigen zu lassen. Jetzt, wo er hier war, würde sich schon alles zum Guten wenden.

Der Koffer, den Zac vor wenigen Stunden eilig abgestellt hatte, stand noch immer unberührt neben dem Eingang und wartete darauf ausgepackt zu werden. Dies nahm sich der neue Internatsschüler vor und schnappte sich sein Gepäck, um damit eins der freien Betten in Beschlag zu nehmen. Als er erfahren hatte, dass er in ein Zimmer mit drei anderen Jungs einzog, hatte er sich innerlich bereits auf enge Räumlichkeiten und eine kuschelige Gesellschaft eingestellt. Aber es war unbestreitbar, dass es genug Platz für jeden gab, sogar genug, um seinen persönlichen Freiraum um sein Bett herum einzufordern.

Das helle freundlich wirkende Grün an den gegenüberliegenden Wänden, an denen jeweils zwei Betten standen, ließ das Zimmer zusätzlich größer und offener wirken. Ebenso die großen Fenster, die einen Blick zum Schulgebäude und dem anliegenden Garten boten und Tageslicht einließen. Der weiche Teppich, der in einem schlichten dunklen Grün gewebt war, federte jeden seiner Schritte ab, wodurch man sich nicht übers Trampeln der Mitbewohner beschweren konnte.

Im Vorbeigehen zum freien Bett am Fenster fiel Zac die bekannte Reisetasche auf, die den Eindruck machte, ruppig auf die Matratze geworfen worden zu sein. Lautlos stieß der 19-Jährige Luft durch die Nase aus und stellte seinen Koffer ab, um zum danebenliegenden Bett zurückzugehen. Der Reißverschluss der Tasche war nur zur Hälfte geschlossen, wodurch ein paar Kleidungsstücke auf die weiße Decke gekullert waren. Es wirkte so, als hätte Felix alle seine Sachen schnell reingequetscht, als er von seinem neuen Zimmer erfahren hat.

„So chaotisch wie immer“, murmelte Zac zu sich selbst und nahm den Riemen in die Hand, um die Reisetasche in eine gerade Position zu bringen.

Er konnte sich noch sehr gut daran erinnern, wie er geholfen hatte, das Gepäck für die ungewollte Reise zu packen. Im Grunde hatte er es ganz allein getan, da sein kleiner Bruder nicht eingesehen hatte auch noch mitzuhelfen, wenn sie ihn schon rausschmissen. Diese Vorwürfe zu hören war alles andere als angenehm, aber Felix den wahren Grund für seine Anmeldung im Internat zu verraten, hätte nur folgenschwere Konsequenzen mit sich gebracht. Zumindest war das die Befürchtung ihrer Eltern gewesen und auch Zac kam nicht umhin, sich vor der Reaktion zu fürchten, sollte Felix je die Wahrheit erfahren.

Der Gedanke an sein Zuhause löste Wehmut in Zac aus. Obwohl er, anders als sein Bruder, einverstanden damit war, für die nächsten zwei Jahre in diesem Internat zu leben, wollte ein Teil von ihm schnellstmöglich wieder nach Hause. Die andere Seite hingegen war froh darüber, diese Chance eines internationalen Abschlusses zu erhalten und für Felix da sein zu können. Egal wie frostig ihr Verhältnis durch ihre andersartigen Unterschiede geworden sein mochte, es war bereits eine Erleichterung zu wissen, dass der kleine Esel in erreichbarer Nähe war.

Dieses Gefühl verstärkte sich noch, als er durch die Öffnung der Tasche etwas Vertrautes erkannte. Obwohl er sich bereits das Geschimpfe ausmalen konnte, dass er sich an seinen eigenen Sachen vergreifen sollte, konnte Zac nicht anders, als nach dem schwarzen, plüschigen Schweif zu fassen und einen Stoffesel aus dem Chaos zu fischen. Da er seinen kleinen Bruder nicht ohne einen Vertrauten in die weite Welt entlassen konnte, hatte Zac klammheimlich das alte Kuscheltier, das Felix bereits seit seiner frühen Kindheit besaß, in den Tiefen der Tasche verstaut. Bei der Wut, mit der das Nesthäkchen die Familie verlassen hatte, hatte Zac schon befürchtet, dass das heimliche Mitbringsel im nächsten Mülleimer landen würde, aber anscheinend hat Felix es nicht übers Herz gebracht.

Mit einem zärtlichen Lächeln ließ Zac seine Finger über die flauschige Mähne fahren, die schon bessere Zeiten gesehen hatte. Da die Sturheit bei ihm schon als Kind besonders ausgeprägt war, wurde Felix liebevoll als Esel bezeichnet, weswegen er das Stofftier auszeichnend als Geburtstags- und Weihnachtsgeschenk bekommen hatte.

So in alten Erinnerungen versunken, beachtete er das verräterische Piepsen nicht, das außerhalb der Tür erklang und einen Neuankömmling ankündigte. Erst als sich die Tür öffnete und er mit einem munteren „Hey, Zac“ begrüßt wurde, zuckte der Angesprochene ertappt zusammen. Dennoch konnte er erleichtert ausatmen, da es bloß Max war, der eingetreten war und das Kuscheltier anblinzelte.

„Cool, Fridolin ist auch da“, freute sich auch der Blondschopf über das vertraute Tierchen, ehe er zu dem gegenüberliegenden Bett ging, in dem er sich offenbar einquartiert hatte.

Da die Jungs sich bereits seit dem Kindergarten kannten, war es nicht verwunderlich, dass Esel Fridolin auch bei Max ein fester Bestandteil der gemeinsamen Erinnerungen war.

Amüsiert sah Zac dabei zu, wie der Jüngere sich geräuschvoll auf der Matratze fallen und ein leises „Man, war das ein Tag!“ verlauten ließ.

Sorgsam wurde das Stofftier wieder in der Tasche versteckt, damit Zac sich um sein eigenes Gepäck kümmern konnte. Dabei sagte er grinsend: „Na los, erzähl schon. Sonst platzt du mir noch.“

„Das ist der Hammer hier!“, stieß Max sogleich aus, als hätte er bloß auf ein Startsignal gewartet, „Das Gelände ist riesig und das für so wenige Schüler. Erinnerst du dich noch daran, wie eng der Pausenhof des Gymnasiums manchmal war?“

„Ja“, antwortete Zac mit einem leisen Lachen und sortierte seine Shirts vorsorglich auf dem Bett, „Ich war erst vor wenigen Monaten noch dort und wir haben uns gemeinsam durchgequetscht.“

Max fiel beschämt ins Lachen ein. „Stimmt. Manchmal vergesse ich, dass das gar nicht so lange her ist.“

Er fing davon an, wie er sich mit jemand anderem im Garten verlaufen und erst gefühlte Stunden später wieder die Freiheit gefunden hat. Zac wunderte sich gar nicht erst darüber, denn wenn sich einer auf kleinem Gelände verlaufen konnte, dann eindeutig Maxim.

Bevor die Erzählung jedoch weiter ging, wurde die Tür erneut geöffnet und ein ihnen fremder, dunkelblonder Junge trat ein. Das musste dann wohl der unbekannte Zimmergenosse sein. Mit einem „Hi“ blieb er in der Nähe der Tür stehen und sah sich erst im Zimmer um, als suche er nach etwas Bestimmten. Zac tat es damit ab, dass er den letzten freien Platz ausspähte, da er sich auch sogleich darauf zubewegte. Trotzdem meinte er eine gewisse Erleichterung in dessen Gesicht zu erkennen, die er sich nicht recht erklären konnte.

Da Max sich bereits vorstellte, tat Zac es ihm gleich und fügte noch die Frage hinzu: „Stimmt etwas nicht? Du hast dich gerade so auffällig umgesehen.“

Der Junge, der sich Lewis nannte, antwortete prompt darauf: „Nein, es ist alles in Ordnung.“ Zögerlich warf er einen Blick in Richtung von Felix’ Bett. „Ich wollte nur vermeiden, direkt auf unseren letzten Mitbewohner zu stoßen, das ist alles.“

Überrascht tauschten Max und Zac Blicke aus, ehe Letzterer nachhakte: „Warum das?“

„Wir waren letztes Jahr in einer Klasse und man könnte sagen, dass wir uns nicht gut verstanden haben“, antwortete Lewis, während auch er sich um seinen Koffer kümmerte. „So wie der drauf ist, wundert es mich nicht, wenn niemand mit ihm befreundet sein will. Der Einzige, mit dem er nicht aneinander geraten ist, war sein ehemaliger Mitbewohner, der auch nicht besser ist.“

„Ich kenne jemanden, der mit Felix befreundet ist“, meinte Max mit einem schiefen Grinsen und fügte auf Lewis’ fragenden Blick hinzu: „Ich bin sein bester Freund.“

„Und ich bin sein Bruder“, löste Zac auch das Familienverhältnis auf und musste bei den entgleisten Zügen seines neuen Mitbewohners leise schmunzeln.

„Großartig“, murmelte Lewis seufzend und betrachtete die beiden abschätzig, „Erinnert mich daran, das nächste Mal vorher nach irgendwelchen Bekanntschaften zu fragen, bevor ich jemanden kritisiere. Noch irgendwelche Cousinen zweiten Grades, von denen ich wissen sollte und über die ich besser nichts sage?“

Beide verneinten amüsiert, doch Zac wandte sich unter dem Vorwand, seine Kleidung im Schrank zu verstauen, ab. Er wusste bereits, dass es um Felix’ Sozialkompetenz an der Schule schlecht stand, aber es nun von jemandem persönlich zu hören, war etwas anderes. Es war das Beste, dass Felix wieder jemanden hatte, der wusste, wie er wirklich war. Wie er vor der Verwandlung zum Impater gewesen ist. Und wie er hoffentlich wieder sein konnte.

In Between Two Worlds

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