Читать книгу Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche - Tobias Faix - Страница 12

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Durch die gesellschaftlichen Veränderungen der letzten Jahre ist eine neue global und digital geprägte Generation herangewachsen, die ein ganz eigenes Profil entwickelt hat. Diese wurde in den letzten Jahren vielfach etikettiert und empirisch genauestens untersucht. Jugendsoziologische Studien erforschten vor allem die Lebenswelten von Jugendlichen im Allgemeinen. Religiosität wird in diesen Studien jedoch lediglich als eines von vielen Merkmalen relevant. Jugendliche, in deren Lebenswelt der christliche Glaube eine zentrale Rolle spielt, kommen darin allerdings kaum oder nur am Rande vor. Auch die Frage, wie ihr Glaube mit anderen Merkmalen zusammenhängt, wie zum Beispiel ihrer sozialen Herkunft, wird nicht untersucht.

Oft herrscht das Bild vor, dass es kaum noch Jugendliche in Deutschland gibt, in ­deren Lebenswelt der Glaube eine zentrale Rolle spielt. Der aktuelle Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung zeigt aber, dass über 20 Prozent der Menschen im Alter von 16 bis 29 Jahren in Deutschland „hochreligiös“ sind.1 Der Religionsmonitor der Bertelsmann Stiftung aus dem Jahr 2007 definiert Hochreligiöse dabei als Menschen, für die religiöse Inhalte, Deutungsmuster und Praktiken besonders relevant sind und „einen strukturierenden Einfluss auf das gesamte Erleben und Verhalten“ ­haben, wie zum Beispiel durch tägliches Gebet.2

Die Gruppe der hochreligiösen Jugendlichen ist in sich sehr heterogen und umfasst muslimische, christlich-orthodoxe, katholische sowie evangelische Jugendliche. Selbst die Untergruppe evangelisch-hochreligiöser Jugendlicher hat sehr unterschiedliche Ausprägungen. Sie reichen vom Engagement in einer evangelischen ­Kirche über Freikirchen bis zu selbstorganisierten Hauskreisen.

Kleine Landkarte des evangelischen Glaubens

Diese Pluralität und Heterogenität zeigt sich auch in der evangelischen Jugendarbeit. Das wird unter anderem deutlich, wenn wir einen kurzen Blick auf die „Zahlen und Fakten zum kirchlichen Leben“ werfen. 12.017 Jugendgruppen mit 120.994 teilnehmenden ­Jugendlichen zählen wir in Deutschland.3 Hinzu kommt die Konfirmandenarbeit mit ca. 205.000 Jugendlichen als zentraler Einstiegspunkt in die kirchliche Jugend­arbeit. Allerdings gibt es auch Bereiche, die schnell übersehen werden, wenn wir von Jugendarbeit sprechen, wie beispielsweise die 8.048 Kinder- und Jugend­chöre oder Instrumentalkreise (Kirchenmusik) mit 95.957 Teilnehmenden oder die 467 Schulen in evangelischer Trägerschaft. Laut dem Jahresbericht 2017 der Arbeitsgemeinschaft der Evangelischen Jugend in Deutschland (aej) gibt es neben der ­Jugendarbeit ­mittlerweile rund 200 Jugendkirchen in Deutschland (zu je einem ­Drittel ­Jugendliche der Katholischen und Evangelischen Kirche, sowie der verschiedenen Freikirchen). So unterschiedlich diese auch sind, haben sie alle ­eines gemeinsam: Sie wollen eigenständige „Orte des Glaubens“ für Jugendliche sein. Wenn wir Gemeinsamkeiten und Unterschiede feststellen wollen, dann vielleicht in unterschiedlichen Graden der Verbundenheit. Da gibt es auf der einen Seite die eher lose verbundenen Jugendlichen in offenen Arbeiten wie in Jugendzentren, evangelischen Schulen, Freizeiten, Musikarbeit etc. und auf der anderen Seite die eher hoch verbundenen ­Jugendlichen in klassischer und/oder missionarischer Jugendarbeit wie in ­Jugendkreisen oder Jugendgottesdiensten. Dazu kommen teilweise verschiedene ­Jugendverbände (CVJM, EC …) und Jugend- und Teenagerarbeit im Bund freier ­Evangelischer Gemeinden (FeG) und Gemeindejugendwerk Deutschland (GJW) mit ca. 1.500 regelmäßigen Jugendgruppen).

Bereits 2013 machten wir uns zusammen mit dem Amt für Jugendarbeit der Evangelischen Kirche von Westfalen auf den Weg, in einer größeren Studie die Spiritualität von Jugendlichen in ihrer ganzen Breite und Heterogenität zu vermessen, und befragten 1.330 Jugendliche aus den Bereichen „offene Jugendarbeit“, „evangelische Schulen“ und „evangelische Freizeitarbeit“. Die Ergebnisse dieser Studie („Spiritualität von Jugendlichen“) können eingesehen werden und wurden vielfach diskutiert.4 ­Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Jugendliche, die sich eher am Rande der evangelischen Kirche bewegen, d. h. an ihren Angeboten partizipieren, sich mit Kirche aber nicht identifizieren, durch die großen gesellschaftlichen Veränderungsprozesse zwischen Traditionsabbruch und individualistischer Spiritualität geprägt sind. Das heißt, die untersuchten Jugendlichen haben ein grundsätzliches Interesse an Spiritualität oder stehen dieser mindestens gleichgültig gegenüber. Dabei lässt sich diese Spiritualität allerdings nicht mehr in die klassischen evangelischen Kategorien einordnen, weshalb es immer weniger gelingt, mit Jugendlichen über ihren Glauben zu sprechen. Der Theologe Elmhorst verweist in diesem Zusammenhang auf eine „semantische Leerstelle“.5 Denn weder Jugendmitarbeitende noch viele Jugendliche selbst haben eine Sprache, auf die sie zurückgreifen können, um das zu beschreiben, was sie glauben. Es scheint daher nicht zu hoch gegriffen, von einer „religiösen Sprachkrise“ zu sprechen. Dies lässt sich an drei wesentlichen Punkten festmachen:

a) kaum Anbindung an die traditionelle, konfessionelle Glaubenssprache der ­Kirchen,

b) kaum Anbindung an die institutionellen Organisationen/Kirchen, die tradi­tionell für diese Glaubenssprache verantwortlich sind,

c) kaum Anbindung an semantische Verständnisse theologischer Grundbegriffe des Glaubens (dogmatische Grundaussagen).

Der Wegfall der konfessionellen Grenzen erinnert an den Wegfall der Grenzen Europas durch das „Schengener Abkommen“. Ein Beispiel dafür stellt in unserer Studie Mike dar, der anmerkt: „Ich fühle mich vom Glauben her eher den Baptisten zugehörig, bin aber Landeskirchler.“ Viele Jugendliche besuchen die Angebote, die ihnen dabei helfen, mit ihrem Glauben anzudocken, und wo sie sich ernst genommen fühlen, unabhängig von ihrem konfessionellen Hintergrund. Im evangelischen Kontext sind sie zwar formal Mitglieder der Kirche, doch genau dies sagt nichts mehr über ihre Bindung zur Kirche aus. Wir fanden die Ergebnisse sehr spannend, wurden aber immer wieder auf die Frage gestoßen, wie Jugendliche im Zentrum der evangelischen Landeskirchen glauben. Der Frage sind wir nun in dieser Studie nachgegangen.

Es war eine spannende Reise.

Die vergessene Gruppe

Die wenigen Studien, die bisher diesen zentralen Bereich bzw. Hochreligiöse erforschen, fokussieren nicht das gesamte Spektrum, sondern beschäftigen sich meist ausschließlich mit Jugendlichen in freikirchlichen Gemeinden.6 Jugendliche mit Anbindung an evangelische Kirchen oder solche ohne Bezug zu den traditionellen Insitutionen werden darin nicht in den Blick genommen, denn es gibt unter freikirchlich organisierten Jugendlichen religiöse Inhalte, die sich stark von der inhaltlichen Ausrichtung anderer hochreligiöser Jugendlicher unterscheiden. Darüber hinaus bieten die vorliegenden Studien auch in Bezug auf hochreligiöse Jugendliche, die Mitglied in freikirchlichen Gemeinden sind, kein differenziertes Bild ihrer ­Lebensrealität an.

Kirchensoziologische Studien hingegen befassen sich meist mit der Bedeutung von Kirche für Jugendliche und stellen einen Trend zur Individualisierung von Religiosität fest, der sich empirisch in Form eines „Bastelglaubens“ ausgestaltet. Sie geben jedoch kaum Aufschluss darüber, ob sich diese Individualisierung des Glaubens auch bei hochreligiösen Jugendlichen wiederfindet und inwiefern sie einen Einfluss auf ihre Lebenswelt hat. Viele Studien, wie beispielsweise die Shell Jugendstudie 2015, behandeln das Thema Glaube und Religion eher marginal. Die letzten großen Studien, die sich mit Glaubensinhalten beschäftigt haben, waren die deutschlandweite „Konfirmandenstudie“7 (2012–2017, Schweitzer, Ilg u. a.) sowie die beiden in Baden-Württemberg verorteten Studien „Jugend gefragt“ (2016, Schweitzer/Ilg) oder „Glaube – Wertebildung – Interreligiosität“ (2018, Schweitzer, Wissner, Bohner u. a.), die einen sehr hilfreichen Ein- und Überblick bieten, wie Jugendliche, die am ­Religions- und Ethikunterricht teilnehmen, heute über Glauben denken. Diese Studien richten ihren Fokus aber auch nicht auf hochreligiöse Jugendliche.

Es fehlen somit belastbare Erkenntnisse über das breite Spektrum hochreligiöser Jugendlicher aus dem Kontext freikirchlicher Gemeinden, in Anbindung an evangelische Kirchen oder solcher ohne Gemeindebezug. Die bisherigen Studien weisen allerdings darauf hin, dass Jugendliche aus freikirchlichen Gemeinden einen nicht zu vernachlässigenden Teil des zu untersuchenden Felds der hochreligiösen Jugendlichen ausmachen. Kurzum: Wir fanden, es war an der Zeit, sich ein genaues Bild von hochreligiösen Jugendlichen zu machen.

In der Vorbereitung zu unserer Studie sprachen wir mit vielen Verantwortlichen aus unterschiedlichen Kirchen und Gemeinden und stellten dabei oftmals große Ratlosigkeit fest, wenn es um eine neue christliche Jugendbiografie ging. Für viele ist sie nicht richtig fassbar. Obwohl sie die nächste Generation derer bilden, die sich maßgeblich in den kirchlichen Gemeinden und Strukturen engagieren und auch die nächste Generation an Hauptamtlichen bilden werden, wissen wir also wenig über evangelisch hochreligiöse Jugendliche. Es ist fast unbekannt, was und wie diese glauben und wie sich der Glaube in ihrem Alltag zeigt. Diese Forschungslücke wollten wir schließen. Dazu haben wir uns unter anderem folgende Fragen gestellt:

Wie leben hochreligiöse Jugendliche ihren Glauben konkret? Welche Bedeutung hat beispielsweise die Bibel noch für sie?

Wie identitätsstiftend ist der Glaube für hochreligiöse Jugendliche? Wie stark prägt er ihren Alltag, zum Beispiel ihre Beziehung zu Gleichaltrigen?

Wie urteilen sie in ethischen Fragen? Welche Grundwerte und Überzeugungen haben sie?

Inwiefern und wie ausschlaggebend wird der Glaube hochreligiöser Jugendlicher durch ihr soziales Umfeld (Familie und Freunde) geprägt?

Welche Erfahrungen mit und Erwartungen an Gemeinde und Kirche haben diese Jugendlichen?

Wo und wie engagieren sie sich? Inwiefern können sie sich vorstellen, später in der Kirche mitzuarbeiten?


In diesem Buch werden wir die wichtigsten Ergebnisse vorstellen, sie einbetten in die Ergebnisse vieler anderer Forschungen und weitere Erkenntnisse und Konsequenzen für Jugend- und Gemeindearbeit ziehen, auch im Hinblick auf die Nachwuchsgewinnung in den Kirchen. Denn die „Generation Lobpreis“, wie wir diese Generation evangelisch hochreligiöser Jugendlicher im Folgenden nennen werden, macht einen zentralen und kaum zu unterschätzenden Teil der Zukunft der Kirche aus.

Wenn wir in diesem Buch von evangelischen Jugendlichen sprechen, dann beziehen wir uns immer auf Jugendliche aus den evangelischen Landeskirchen, den unterschiedlichen Freikirchen, den Gemeinschafts- und den evangelischen Jugend­verbänden. Wenn hingegen die Rede ist von Jugendlichen, die sich der Kirche oder den evangelischen Kirchen zugehörig fühlen, dann beziehen wir uns hier auf alle Jugendlichen, die nicht freikirchlich sind, auch wenn die Freikirchen zu den evangelischen Kirchen zählen. Wir wollten aber den sperrigen Terminus Landeskirche vermeiden, der innerkirchlich selten benutzt wird.

Warum „Generation Lobpreis“? Bei den Versuchen, die aktuelle Jugendgeneration zu beschreiben, gibt es bereits eine gewisse Inflation an Generationsbegrifflichkeiten. Nun fügen wir noch eine hinzu – „Generation Lobpreis“ – und dann auch noch für eine recht spezielle Untergruppe der Generation Y oder Z oder wie immer man sie nennen mag. Uns ist klar, dass ein solcher Versuch immer in der Gefahr steht Missverständnisse hervorzurufen oder zu pauschal zu sein und den Unterschieden in ­einer Gruppe nicht gerecht zu werden. Um dies zu vermeiden, differenzieren wir in dem Buch zwischen acht verschiedenen Typen von evangelisch hochreligiösen ­Jugendlichen (Kapitel 3). Für uns bringt der Begriff „Generation Lobpreis“ jedoch ­etwas zum Klingen, das sich durch fast alle Ergebnisse hindurchzieht und stimmig ist mit dem Gesamtbild, das wir aus der Vielzahl und Vielfalt der Ergebnisse gewonnen haben. Einerseits spielt ganz faktisch der Lobpreis eine wichtige Rolle. Uns war das vorher bewusst, jedoch hat uns überrascht, wie intensiv Lobpreis im Glauben der evangelisch hochreligiösen Jugendlichen verortet ist und welch tiefe und beispielhafte Bedeutung er für das eigene Glaubensleben hat. Dabei geht es nicht nur um Lobpreis als Musik, sondern es geht um das Lebens- und Glaubensgefühl, das Lobpreis vermittelt. Hierin zeigt sich auch das, was man eine Individualisierung, Emotionalisierung oder Subjektivierung des Glaubens nennen könnte. Dies gilt für das Gottesbild (höchster Wert: Gott liebt mich bedingungslos) wie für die Glaubens­praxis (Lobpreis ist eine wichtigere Quelle des Glaubens als Gebet und Bibellesen), für die Kirche (höchster Wert: Gemeinschaft) oder die Motivation zum Ehrenamt (höchster Wert: weil es Spaß macht).

Was genau bedeutet hochreligiös?

Im Verlauf der Studie und der ersten Präsentation einzelner Ergebnisse merkten

wir, dass der religionssoziologische Fachbegriff der „Hochreligiosität“ selbst von Fachleuten anderer Disziplinen schnell missverstanden wird. Er weckt sofort ­Assoziationen, die in Richtung Fundamentalismus, Radikalismus oder einer verstockten bzw. verengten Frömmigkeit gehen. Diese Assoziationen sind sehr missverständlich. Deswegen erläutern wir hier gleich zu Beginn des Buches, warum wir den Begriff der Hochreligiosität verwenden und was genau wir darunter verstehen.

Wie man sich leicht vorstellen kann, ist etwas so wenig Greifbares und Gegenständliches wie Glaube bzw. Religiosität eines Menschen schwierig wissenschaftlich zu erfassen. In verschiedenen Religionen sind sehr unterschiedliche Dinge wichtig.

In ihrem Zentrum steht beispielsweise ein heiliger Text, bei anderen spielen Texte eine viel geringere Rolle. Und selbst innerhalb einer Religion gibt es große Unterschiede. So ist für viele Katholiken der Besuch der Beichte für den Glauben existenziell wichtig, für Pfingstler hingegen die Geisttaufe oder die Zungenrede. Hinzu kommen noch die persönlich-charakterlichen Unterschiede jedes Menschen (jeder bzw. jedes Gläubigen). Jedoch gibt es mittlerweile eine mehr als 100-jährige Tradition empirischer Religionsforschung, die hier bewährte Instrumente, Verfahren und Messmodelle entwickelte. Eines der bislang wohl elaboriertesten und anerkanntesten Verfahren zur Messung von Religiosität stammt vom Religionssoziologen Stefan Huber. Dieses wurde bereits in mehr als 100 Studien in 25 verschiedenen Ländern eingesetzt. Die bekannteste und umfangreichste davon ist der Religionsmonitor. Dieser ist eine der größten Studien zum Thema Religion weltweit, bei der zuletzt 2013 ca. 14.000 Menschen aus 13 Ländern befragt wurden.8 Das Messverfahren von Huber hat sich in vielen Studien bewährt und bestätigt. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass es eine hohe Korrelation mit der religiösen Selbsteinschätzung einer Person gibt.9 Mit diesem Modell haben wir daher auch in der empirica Jugendstudie gearbeitet.

Huber versucht mit seinem Messmodell vor allem zu untersuchen und vergleichbar zu machen, wie intensiv Menschen gläubig sind bzw. wie zentral dieser Glaube in ihrem Leben verankert ist oder auf das Leben ausstrahlt. Mit anderen Worten: Es wird erfasst, wie stark Wahrnehmung, Denken und Verhalten einer Person durch ­deren Glauben beeinflusst wird. Um diese Intensität oder Zentralität der Religiosität zu messen, werden sechs verschiedene religiöse Dimensionen erfasst, die (in unterschiedlicher Ausprägung) in jeder Religion eine Rolle spielen. Diese sind:

Glaubensinhalte: Woran glauben hochreligiöse Jugendliche? Welches Gottesbild haben sie?

Private Glaubenspraxis: Wie praktizieren sie ihren Glauben im privaten Raum? Welche Rolle spielen persönliches Gebet und Bibellesen im Alltag der Jugend­lichen?

Öffentliche Glaubenspraxis: Wie praktizieren sie ihren Glauben im öffentlichen Raum? Inwiefern besuchen sie Veranstaltungen wie Gottesdienste, Jugend­kreise etc.?

Erfahrung: Welche Erfahrungen machen die Jugendlichen mit ihrem Glauben? Erleben sie Gottes Nähe?

Intellekt: Wie denken Jugendliche über ihren Glauben nach? Wie beurteilen sie ihr Wissen und ihre Auskunftsfähigkeit über den Glauben?

Konsequenz: Wie wirkt sich der Glaube in ihrem Alltag aus? In welcher Form wirken die Jugendlichen im Kirchen- und Gemeindeleben mit?


Um ein differenziertes und genaues Bild des Glaubens der untersuchten Jugend­lichen zu geben, haben wir alle sechs Dimensionen bei unserer Erhebung berücksichtigt. Denn von der Ausprägung einer Dimension kann nicht hinreichend auf die Ausprägung einer anderen geschlossen werden.

Mit dem Modell von Huber kann man letztlich die Religiosität eines Menschen messen und mittels des Durchschnittswertes aller sechs Dimensionen zwischen hochreligiösen, religiösen und nichtreligiösen Personen unterscheiden. Der Unterschied in der Intensität bzw. Zentralität des Glaubens ist dabei nicht nur graduell, sondern auch in qualitativer Hinsicht gegeben.10 Bei Hochreligiösen befindet sich der Glaube quasi im Zentrum ihrer Persönlichkeit und übt von dort einen starken Einfluss auf alle anderen Aspekte der Person und deren Leben aus. Deutlich wird dies vor allem darin, dass auch für Bereiche wie zum Beispiel politische Einstellungen und Handlungsweisen der Glaube eine zentrale Rolle spielt und darauf Einfluss hat, während nichtreligiöse und religiöse Menschen politische Einstellungen üblicherweise eher unabhängig von ihren Glaubensüberzeugungen entwickeln.

Wen wir befragt haben und wie wir dabei vorgegangen sind

Untersucht haben wir hochreligiöse, evangelische Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 29 Jahren. Die Beschränkung auf evangelische Jugendliche ergab sich aus dem Umstand, dass katholische Jugendliche und deren Glaube regelmäßig auf dem Weltjugendtag der Katholiken untersucht werden und man über sie vergleichsweise gut Bescheid weiß. Da, wie bereits erläutert, die Gruppe evangelischer Jugendlicher in sich sehr heterogen ist und wir hier unterschiedliche Zugangswege wählen mussten, haben wir uns für die Fokussierung auf evangelisch hochreligiöse Jugendliche entschieden. Unter „evangelisch“ verstehen wir hierbei Jugendliche, die sich ihrem subjektiven Empfinden nach der evangelischen Kirche, der evangelischen Gemeinschaftsbewegung oder einer evangelischen Freikirche zugehörig fühlen. Zwar erhoben wir auch die formale Mitgliedschaft, es zeigte sich jedoch bereits im Pretest, dass es oft Unterschiede zwischen der formalen Mitgliedschaft und einer subjektiven Zugehörigkeit gab und für die Jugendlichen Letztere bedeutungsvoller war.

Weil wir also evangelische, hochreligiöse Jugendliche untersuchen wollten und dabei schon eine recht spezifische Gruppe im Blick hatten, suchten wir Zugangswege, bei denen zum einen die Wahrscheinlichkeit groß war, dass wir diese spezielle Gruppe erreichen konnten und bei der diese Gruppe in ihrer Unterschiedlichkeit auch genügend zum Zuge kommen konnte. Dazu haben wir unterschiedliche Zugangswege gewählt.

Ein erster und wichtiger Zugangsweg war das Christival, eine mehrtägige Veranstaltung, die sich vornehmlich an christliche Jugendliche richtet und die unter anderem Konzerte, Gottesdienste und Seminare umfasst. Seit dem ersten Christival 1976 in Essen gab es fünf weitere Veranstaltungen. Das Christival 2016 fand vom 4.–8. Mai 2016 in Karlsruhe statt und wurde von über 13.000 Jugendlichen besucht. Es schien uns für die Zielgruppe der Studie sehr geeignet. Bereits andere Studien (Weltjugendtag der Katholiken) zeigten,11 dass Großereignisse sich heute besonders für Studien eignen, da sie einen großen Querschnitt an Jugendlichen anziehen. Für das Christival hatten wir zudem Statistiken vorliegen, nach denen die Teilnehmer*innen aus einem breiten evangelischen Hintergrund kamen, wobei über 50 Prozent aus einer der evangelischen Landeskirchen kamen und der Rest sich auf verschiedene Frei­kirchen sowie landeskirchliche Gemeinschaften aufteilte.

Entsprechend machten wir uns mit einem Team nach Karlsruhe zum Christival 2016 auf. Im Gepäck hatten wir 100 Tablets, die speziell für unsere Befragung programmiert wurden. Mithilfe von ca. 40 ehrenamtlichen Interviewer*innen, die wir ­sowohl schriftlich als auch mündlich in ihre Aufgabe einwiesen, konnten wir innerhalb von wenigen Tagen sehr viele Jugendliche befragen. Die Interviewer*innen hatten hierbei vor allem die Aufgabe, Jugendliche anzusprechen und kurz zu erläutern, worum es in der Befragung ging. Teilnahmewillige Jugendliche konnten ­anschließend selbstständig den Fragebogen über den Touchscreen der Tablets ­ausfüllen. Auf ­diesem Weg konnten mit einer begrenzten Zahl von Interviewer*innen relativ viele ­Befragungen gleichzeitig durchgeführt werden. Als Anreiz zur ­Teilnahme an der ­Befragung konnten sich Jugendliche, welche den Bogen vollständig ausgefüllt hatten, in ein Gewinnspiel eintragen, bei dem es fünf Tablets zu ­gewinnen gab. Die Bereitschaft zur Teilnahme war erstaunlich hoch. Wir befürchteten zunächst, dass sich viele Jugendliche nicht auf eine Befragung einlassen würden, da sie ­zumeist in Gruppen zu dem Festival kamen, welches mit einem sehr vollen und abwechslungsreichen Programm lockte. Zudem dauerte das Beantworten der Fragen (mithilfe des Tablets) bis zu einer halben Stunde. Wir hatten ganz subjektiv jedoch den Eindruck, dass viele Jugendliche froh waren, als kleine Erholung für ­kurze Zeit einzeln vor einem Bildschirm zu sitzen.

Neben dem Christival führten wir auch auf dem Jugendkirchentag 2016 der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) eine ähnliche Erhebung durch, um ­einen klassischeren kirchlichen Kontext mit einzubeziehen.

Zusätzlich zu diesen beiden Offline-Erhebungen kam eine Online-Version des Fragebogens zum Einsatz, auf den über folgende Wege aufmerksam gemacht wurde:

Christival: Hinweis in der Begrüßungstüte, welche alle Teilnehmenden am ­Eingang erhielten, plus Verteilen von Flyern auf dem Festivalgelände.

Jugendkirchentag: Hinweis auf der Homepage, Verteilen von Flyern auf dem ­Festivalgelände etc.

Websites und Blogs: z. B. evangelisch.de, jesus.de, aej.de, aej Newsletter, JAT ­Kinder- und Jugendwerk der Methodisten, CVJM-Blog, GJW oder Jugend der FeG etc.

Soziale Netzwerke: Facebook, Twitter, „Start in den Tag“-App des Neukirchener Verlags etc.

Anschreiben an Institutionen und Schlüsselpersonen, die in der Jugendarbeit ­tätig sind (diese verteilten den Link zum Fragebogen dann weiter), zum Beispiel: aej information, cvjm Newsletter etc.


Auf diese Weise konnten wir insgesamt 3.187 evangelische Jugendliche untersuchen. Ziemlich genau drei Viertel (75 Prozent bzw. 2.386) von ihnen konnten wir als hochreligiös identifizieren. Diese hochreligiösen evangelischen Jugendlichen bilden die Kernstichprobe, auf die wir uns im Folgenden beziehen, sofern wir es nicht anders benennen. An vielen Stellen werden aber die religiösen Jugendlichen aus unserer Studie als Vergleichsgruppe herangezogen. Weitere Vergleichsgruppen wurden aus dem Zensus, dem ALLBUS 2012 und 2014, V. KMU, sowie den Daten der Shell Jugendstudie 2015 entnommen.12


Die untersuchten hochreligiösen Jugendlichen fühlen sich knapp zur Hälfte (48 Prozent) der evangelischen Kirche zugehörig. Die restlichen Fälle verteilen sich auf ­landeskirchliche Gemeinschaften, verschiedene Freikirchen und sonstige Angaben. Damit ist der Anteil der Freikirchler*innen unter den Hochreligiösen sehr groß.

In Grafik 1 wird deutlich, dass mit der Religiosität auch der Anteil von Jugendlichen mit freikirchlicher Zugehörigkeit steigt. Der hohe Anteil von Freikirchler*innen ist daher vermutlich keine Verzerrung der Stichprobe, sondern tendenziell eine Eigenart der Grundgesamtheit hochreligiöser Jugendlicher und junger Erwachsener mit evangelischer Zugehörigkeit. Umgekehrt erlebten wir, dass in kirchlichen Kreisen hochreligiöse Jugendliche ausschließlich mit freikirchlichen jungen Menschen ­assoziiert wurden. Wie sich zeigt, stimmt dies aber nicht, da in unserer Stichprobe knapp die Hälfte der Jugendlichen eine kirchliche Zugehörigkeit aufweist. Auch wenn in der kirchlichen Jugendarbeit die Hochreligiösen eine vergleichsweise ­geringere Rolle spielen, so ist es doch ein Kurzschluss, Hochreligiosität mit Freikirchlichkeit gleichzusetzen. Zudem ist, wie sich noch genauer zeigen wird, die Gruppe der Hochreligiösen besonders in der kirchlichen Mitarbeit und für zukünftige haupt­amtliche Tätigkeiten zentral. Gerade innerhalb evangelischer Kirchen sollte man diese Gruppe also nicht aus den Augen verlieren oder gar ihre Existenz leugnen, bloß weil sie nicht den eigenen Denkschemata entspricht. Da sich bereits bei früheren Studien gezeigt hat, dass diejenigen, die aus einer landeskirchlichen Gemeinschaft kommen, eher den Freikirchlern ähneln als denjenigen aus einer evangelischen ­Kirche, haben wir dort, wo wir kirchliche und freikirchliche Jugendliche mitei­nander vergleichen, die ­Jugendlichen, die zu einer landeskirchlichen Gemeinschaft ­gehören, zu den Freikirchen gerechnet.

Zusätzlich zu diesem quantitativen Teil der Studie wollten wir auch qualitative Daten gewinnen. Wir wollten die Jugendlichen ausführlich zu Wort kommen lassen und hören, wie sie die Dinge in ihrer eigenen Sprache formulieren. Insgesamt führten wir daher 62 ausführliche Einzelinterviews. Die Erhebung der qualitativen Daten fand in drei Phasen statt. In einem ersten Teil wurden parallel zur quantitativen Erhebung mittels der Tablets auf dem Christival und dem Jugendkirchentag 30 Face-to-face-Interviews durchgeführt. In einer zweiten Phase vertieften wir die bisherigen qualitativen Ergebnisse durch zusätzliche Fragen an haupt- und ehrenamtliche Experten des Handlungsfeldes evangelischer Jugendarbeit (21 Interviews). Eine dritte Phase führten wir durch, nachdem wir die knapp 3.200 Jugendlichen aus der quantitativen Studie mittels einer statistischen Analyse in acht Typen einteilten. Mithilfe einer Nachbefragung ermittelten wir Vertreter*innen dieser Typen und führten mit ihnen ein Interview durch, um jeden Typus durch ein qualitatives Fallbeispiel portraitieren zu können. Die 62 qualitativen Interviews wurden in einem aufwendigen Verfahren transkribiert, codiert und interpretiert. Die Ergebnisse davon geben einen wichtigen Einblick in das Innenleben des Glaubens der Jugendlichen, den die statistisch ­erhobenen Daten so nicht geben können. Außerdem war uns wichtig, dass die ­Jugendlichen selbst zu Wort kommen und in ihrer Sprache die Themen ansprechen können, die sie für wichtig halten. Wer sich für die Methodik, das Vorgehen und die quantitativen und qualitativen Gesamtergebnisse interessiert, wird in unserem über 300-seitigen Forschungsbericht fündig, der unter www.institut-empirica.de einge­sehen werden kann.

Da der Schwerpunkt der Studie auf hochreligiösen Jugendlichen aus dem evange­lischen Raum liegt und es für diese Gruppe keine gesicherten Gesamtdaten

(Größe, Zusammensetzung etc.) gibt, war es nicht möglich, eine im statistischen

Sinn repräsentative Studie durchzuführen. Wir haben aber durch ein aufwendiges Verfahren versucht, Ergebnisse zu erzielen, die mit einer guten Wahrscheinlichkeit trotzdem für diesen Bereich verallgemeinerbar sind. Wer sich für methodische ­Hintergründe und einen Überblick über alle Ergebnisse interessiert, dem sei der ­bereits erwähnte über 300-seitige Forschungsbericht ans Herz gelegt. Hier findet sich auch der theoretische Rahmen der Studie und alle weiteren wissenschaftlichen ­Hintergründe. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit werden wir im Folgenden nicht immer von evangelisch hochreligiösen Jugendlichen reden, sondern teils auch einfach von hochreligiösen Jugendlichen, Hochreligiösen oder einfach auch Jugend­lichen. Wenn nicht anders gekennzeichnet, beziehen sich unsere Ergebnisse auf ­diese Gruppe.


Generation Lobpreis und die Zukunft der Kirche

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