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Kapitel 1.8.

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Den ersten Versuch wagte er im Hauptbahnhof von Darmstadt. Dort traf er schon früh ein, gegen sechs Uhr betrat er in Iriel´scher Dienstkleidung und einer Sporttasche, in der sich sein mittlerweile liebevoll genannter zerlegter "Scheißer" befand, um die dortige Bahnhofstoilette Abteilung Sitzaborte, Herren aufzusuchen. Natürlich waren um diese Zeit viele Kabinen frei, er beschloss, die letzte zu wählen, mit einer festen Wand. So konnte er an der freien Trennwand agieren.

Er war gerade fertig mit dem Scheißer aufbauen, als er ein Duett von lautstarkem weiblichem Geprappel in einer fremdländischen Sprache hörte vermischt mit dem Geklappere von Putzutensilien. Rigoros und ohne jede Vorwarnung wurde auch die Tür der Abteilung "Sitzaborte" aufgestoßen und an jeder einzelnen Abort-Tür gedrückt, ob die entsprechende Kabine frei war. In einer Kabine weiter hinten stießen die Putzfrauen auf Widerstand, es wurde der offensichtlich eingeübte, stark türkisch gefärbte Ruf gebrüllt "Färtigmachä, Putzä!". Man hörte ein müdes, genervtes, brummelndes "Ja, ja" aus der Kabine. Nur Sekunden später rüttelte es auch an seiner Tür "Färtigmachä, Putzä!" und wie zum Beweis kam auch ein Wischmob durch den Türschlitz gesaust. Pfarrer Gustav stand hierbei etwas im Weg, aber als er dem Wischmob auswich wie der Westernpianist im Kugelhagel, stieg er mit dem anderen Stöckel genau auf den Wischmob. "Hä. Hä!" maulte die Putzfrau, um gleich darauf in hysterisches Kreischen auszubrechen. Denn um zu sehen, woran der Wischmob nun hängenblieb, lugte die gute Putzfrau natürlich unter den Türschlitz, und was sie sah, ließ sie das heilige islamische Blut in Adern gefrieren:

Knackige, knallrote Pumps vor dem korrekt sitzenden Scheißer in schwarzen Schuhen.

Das Geschrei war groß, auch die andere Putzfrau warf alles weg und verließ den Ort des Schreckens, während man aus der Kabine weiter vorn ein Gebrabbel hörte "Wasn jetz los?" und entsprechende Vorbereitungen wie Papierrascheln zum Beendigen des Geschäfts vernehmen konnte. Währenddessen verlor Pfarrer Gustav keine Zeit: Sofort warf er den Scheißer in seine Sporttasche, die noch auf dem Klo stand, sperrte auf und verließ den Ort.

Draußen standen die beiden gedrungenen Türkinnen bewaffnet mit Ersatzwischmobs und Kübeln, eine schaute sich dauern um, offensichtlich war die Bahnpolizei schon verständigt, beide hatten jedoch unter den Kopftüchern den Blick, der signalisierte: „Wir sind zum äußersten bereit, wir kämpfen um jeden Eimer!“ Doch als Pfarrer Gustav die Tür öffnete, wichen Sie respektvoll zurück. Pfarrer Gustav nutzte den Überraschungseffekt, wünschte freundlich und ruhig "Guten Morgen" und schritt gemessenen Schrittes (auch den konnte er mittlerweile auf den High Heels) von dannen.

Allerdings konnte er es nur schwer unterdrücken, dass der Schritt immer schneller wurde mit steigender Entfernung, auch hatte er Mühe, dem Zwang sich umzudrehen eben nicht nachzugehen. So marschierte er stracks, immer wieder auf die Uhr guckend, um die Eile, die er an den Tag legte, einigermaßen gestisch zu begründen. In einiger Entfernung war dann in der Mitte des Bahnsteiges ein Kiosk, den er wählte, um die Szene am Toiletteneingang zu beobachten. Er kaufte sich ein belegtes Brötchen und beobachtete aus sicherer Deckung durch die Glasscheiben des Kiosks indurch den Sitzabort-Ausgang, an dem sich die türkischen Putzfrauen nach wie vor wie die grauen Wölfe mit Eimern und Besen postiert hatten.

Es kam, wie es kommen musste: Irgendwann stolperte der Unglückliche aus der anderen Kabine heraus, ein zerfleddertes Kind der Nacht, stark betrunken, mittelschwer verwahrlost, und so wurde der sofort das Opfer der "Kampftruppe Graue Wölfe, Legion weiblicher Bahnhofsputzdienst". Sie attackierten den Armen, der gar nicht wusste, wie ihm geschah, und drängten ihn mit Hilfe von Putzutensilien wie Eimer und Besen wieder zurück. Ganz wie die großen internationalen Vorbilder nützten sie auch chemische Kampfstoffe, in dem eine von ihnen dem Armen ein industrielles Putzmittel aus der Sprühflasche in Gesicht sprühte. Der Unglückliche torkelte zurück, worauf die Heldinnen die Toilettentür energisch schlossen und diese auch mit werwölfschen Kräften zuhielten und bewachten. Sogleich kam auch die Bahnpolizei in Form von zwei männlichen, uniformierten Beamten, die dann in die Gefahrenzone eindrangen. Die Tür fiel zu, Pfarrer Gustav konnte nichts mehr sehen außer die Wachtruppe Abteilung buntes Kopftuch, die sich heftig, aber nicht unzufrieden unterhielten. Es dauerte einige Zeit, als die Wachmänner den Delinquenten heraus führten, unter den Schultern eingehängt, er schlurfte und torkelte, er blickte nur zu Boden als könnte er nichts sehen, vielleicht schämte er sich auch, Pfarrer Gustav hatte den Eindruck, als ob dieser arme Mensch weinte.

Sehr betroffen blickte Pfarrer Gustav zu Boden, er hatte Mühe, nicht auch zu weinen. Immerhin hatte er diesen wehrlosen Menschen nun zum Opfer seiner Eskapaden gemacht. Aber schnell hatte er sich wieder unter Kontrolle. Es war zwar fehlgeschlagen, aber immerhin hatte er sich aus dieser prekären Lage meisterlich und unentdeckt heraus manövriert - wie es eben Jesus Bond wahrscheinlich auch getan hätte. Tragische, aber unvermeidliche Verluste gab es immer. Er überlegte, ob die Truppe da oben dafür auch das Wort „Kollateralschaden“ benutzten.

Kollateralschäden hießen diese Schäden ja. Seit der Scharping, damals Verteidigungsminister, dieses Wort vom Schwarzenegger, damals Schauspieler gelernt hatte. Heute ist der Zweitgenannte Gouverneur von Kalifornien und der Erstgenannte Präsident der Radfahrer und benutzt diesen Begriff ausschließlich im Zusammenhang mit Doping. Und so beschloss Pfarrer Gustav einfach, seinen persönlichen Kollateralschaden ebenso wie die Weltpolitik abzuhaken. Wie all die anderen Kollateralschäden weltweit ja auch einfach abgehakt wurden, was ja quasi üblich war. Was soll man mit einem Kollateralschaden auch anders tun?

Trotzdem war das, was er da machte, brandgefährlich. Er begann, nachzudenken: Darmstadt war auch viel zu nah für derartige Experimente, viele kannte er aus Darmstadt, und zudem eine viel zu kleine Stadt. Für den nächsten Versuch musste es ein Bahnhof viel weiter weg in einer viel größeren Stadt sein.

Drei Möglichkeiten gab es: Hamburg, Berlin und München.

Noch am Kiosk wählte er München für den nächsten Versuch.

Pfarrer Gustav und das Inferno von Mainz

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