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Der Abend

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Dorfler drückte auf den Schlüssel seines Wagens und der Volkswagen blinkte auf um anzuzeigen, dass er nun geöffnet war. Dorfler öffnete die Fahrertür und wuchtete seinen massigen Körper auf den Sitz. Nachdem er den Motor gestartet hatte, drückte er auf einen Knopf, um die Klimaanlage einzuschalten: „Scheiße“, schimpfte er. Ihm war dauernd warm.

Die Beifahrertür wurde geöffnet.

„Hey, was soll die Scheiße?“, schimpfte Dorfler. Ein Mann in maßgeschneidertem Anzug setzte sich auf den Beifahrersitz und schloss die Tür. „Fahren Sie los, Dorfler!“, befahl er.

„Einen Scheiß werde ich. Verpissen Sie sich aus meinem Wagen oder ich stecke Sie in den Knast!“ Dorfler musterte den Mann: Der Wagen stand in der Tiefgarage des Polizeireviers. Wie kam dieses Arschloch hier herein? Er kannte den Kerl nicht - der ihn aber offensichtlich schon. Eine Tatsache, die Dorfler als sehr bedenklich empfand.

„Wenn Sie mich anpacken, stecke ich Sie ganz woanders hin.“ Der Mann griff in seine Manteltasche. Dorfler zuckte zusammen: Jeder Muskel in seinem Körper spannte sich an.

„Ganz ruhig“, stellte der Mann klar und hielt ihm einen Ausweis unter die Nase, allerdings nicht lang genug, um den Namen lesen zu können. Dann steckte er ihn wieder ein.

„Jetzt fahren Sie schon“, wiederholte der Mann seine ursprüngliche Forderung. Dorfler legte den Rückwärtsgang ein und fuhr vorsichtig nach hinten.

„Was wollen Sie von mir?“, fragte er.

„Gleich. Fahren wir erstmal ein bisschen Spazieren.“

„Ich will nicht blöde durch die Gegend fahren!“, maulte Dorfler.

„Egal was Sie tun: Blöde machen Sie es sowieso. Also können Sie auch fahren.“

Dorfler stand der Mund offen: Das war doch ungeheuerlich! Er erreichte die Ausfahrt und fuhr eine steile Rampe hoch. Der Wagen passierte eine Lichtschranke und das Tor glitt nach oben.

Dorfler fädelte in den Verkehr ein: „Wohin?“, fragte er.

„Mir egal.“

Dorfler schwamm im Verkehr mit. Es dauerte eine Weile, dann sagte der Mann: „Ich bin hier, um Ihnen eine Botschaft zu überbringen.“

Wie dramatisch!

„Wir möchten, dass Sie Ihre Ermittlungen gegen Bernd und Friedrich Kammers einstellen.“

„Ich soll was?“ Dorfler hätte fast den Wagen verrissen, als er den Mann entgeistert anstarrte.

„Schauen Sie nach vorne.“

Dorfler versuchte sich wieder auf den Verkehr zu konzentrieren: „Was geht es Sie an, gegen wen ich ermittle?“

„Egal wie die Aktenlage ist: Kammers ist unschuldig.“

Dorflers Denkapparat lief auf Hochtouren: Warum schützten die ihn? Was hatten sie für ein Interesse an einem alten kriminellen Rentner und seinem Enkel?

„Ich kann die Ermittlungen nicht stoppen, selbst wenn ich es wollen würde - was ich nicht will. Die Beweise sprechen gegen Kammers.“

„Sie wissen genau, wie man eine Ermittlung verschleppt. Ob beabsichtigt oder nicht - Sie haben in der Vergangenheit schon oft genug eine Ermittlung so geführt, dass sie versandet ist. Nutzen Sie dieses Talent.“

Dorfler kochte: „Sie sind ein scheiß beleidigender Mistkerl!“

Der Mann starrte aus dem Fenster: „Es ist lustig, wenn sich jemand über schlechtes Benehmen beschwert und dabei mehr Schimpfwörter benutzt als ein Obdachloser unter einer Brücke im Vollsuff.“

Dorfler atmete tief ein und ließ die Luft langsam wieder aus seiner Lunge entweichen.

„Lassen Sie mich hier raus.“

Dorfler schaute zur Seite: Sie befanden sich mitten auf der Aachener Straße.

„Hier?“, fragte er. „Sicher?“

„Hätte ich Sie sonst darum gebeten?“

Dorfler schaltete das Warnblinklicht ein und brachte den Wagen langsam zum Stehen. Ein Auto hinter ihm hupte.

„Fahr doch vorbei!“, schimpfte Dorfler und gestikulierte mit den Armen. Der Wagen fuhr an ihm vorbei. Der junge Mann am Steuer zeigte Dorfler den Mittelfinger.

„Wichser“, nuschelte Dorfler.

„Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kammers in Ruhe lassen. Wenn Sie sich an meine Anweisungen nicht halten, komme ich wieder. Aber dann bitte ich nicht mehr so freundlich darum.“ Er stieg aus. Hinter Dorflers Wagen hielt ein schwarzer Mercedes. Der Mann stieg auf der Beifahrerseite ein und der Wagen fuhr sofort wieder an. Als der Wagen an Dorfler vorbeifuhr, versuchte dieser etwas zu erkennen: Ohne Erfolg. Die Scheiben waren verspiegelt.

„Oh Mann“, stöhnte Dorfler und schloss die Augen. „Was soll das denn alles bedeuten?“ Er kratzte sich am Kopf: Warum bedrohte ihn der Nachrichtendienst, nur um diesen Penner zu schützen?

***

„Wir hätte die Bahn nehmen sollen“, nörgelte Bernd, während Friedrich und er sich langsam durch den dichten Verkehr schoben. „Das wäre sehr viel schneller gegangen.“

„Wir wissen doch gar nicht, was auf uns zukommt, wenn ich das richtig verstanden habe. Da sollte man flexibel sein.“

Sie hatten einen Schlachtplan erstellt, dann war Friedrich mit der Bahn nach Hause gefahren, hatte seinen Wagen geholt und war wieder zu seinem Opa gefahren.

„Sehr flexibel.“ Bernd starrte auf das Meer der Bremslichter vor ihnen. „Ich fahre immer mit der Bahn!“

„Ja, und jetzt mit dem Auto! Wenn es dir nicht passt, kannst du aussteigen und zu Fuß laufen.“

„Ich habe schonbmal gesagt, du sollst nicht so frech sein. Ansonsten war es das mit dem DU.“

„Mir egal.“

„So, das war es: Wir siezen uns wieder. Bitte, machen Sie doch die Heizung etwas wärmer.“

Friedrich warf seinem Opa einen genervten Blick zu, dann drehte er an einem Regler: „Das mache ich doch gerne für DICH.“

„Für SIE.“

„Das ist doch lächerlich. Ich werde dich duzen.

„Ich werde Sie siezen. Ich lasse mir das DU doch nicht aufzwängen.“

Friedrich schaltete das Radio ein und drehte die Musik laut.

„Es ist mir egal, wenn Sie die Musik so laut machen“, sagte Bernd. Er fummelte an seinem Ohr: „Ich mache jetzt mein Hörgerät aus. Für mich ist dieser Krach dann normale Lautstärke. Sie aber haben spätestens in zehn Minuten Kopfschmerzen und bei dem Verkehr brauchen wir bestimmt noch eine Stunde.“

Friedrich drehte die Musik ein Stückchen lauter.

Eine Stunde später hatten sie ihr Ziel erreicht. Friedrich schaltete den Motor ab. Es wurde ruhig im Wagen: „Sicher, dass wir hier richtig sind?“, fragte er.

Bernd fragte: „Was?“

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“

„Was?“ Bernd fummelte an seinem Ohr: „Was?“

„Bist du sicher, dass wir hier richtig sind?“ Friedrich bemühte sich, ruhig zu bleiben.

„Ja, wir sind richtig. Gleich kommt, mein Kontakt. Wir müssen kurz warten.“ Bernd zog eine Taschenuhr aus der Hosentasche und warf einen Blick darauf: „Gleich zehn Uhr. Er ist immer pünktlich.“

„Du trägst eine Taschenuhr?“, fragte Friedrich belustigt.

„Was dagegen?“

„Nein.“

„Der kann wenigstens nicht der Saft ausgehen.“

Friedrich schaute aus dem Fenster: Sie standen in einer ruhigen Straße. Die Häuser waren groß, die Grundstücke meistens von hohen Zäunen oder Mauern umgeben.

Ein Transporter fuhr in die Straße und parkte hinter Friedrichs Wagen.

„Na also“, sagte Bernd zufrieden und öffnete die Beifahrertür. Friedrich folgte ihm.

Der Transporter wirkte, als wäre er direkt von einer Baustelle hierher gefahren. Dreckig und verbeult wirkte er eher wie ein großer Haufen Schrott und nicht wie ein fahrbarer Untersatz.

Bernd ging am Wagen vorbei und klopfte hinten an die Wagentür: „Hallo?“, rief er. Die Tür öffnete sich. Bernd kletterte in den Wagen. Das Ganze wirkte etwas unsicher, aber der Mann war ja auch schon verdammt alt. Friedrich blieb unsicher stehen: Sollte er auch in den Wagen klettern? Er wirkte nicht gerade vertrauenserweckend. Bernds Kopf erschien in der Wagentür: „Brauchen Sie eine Extraeinladung?“

Friedrich schüttelte den Kopf und kletterte ebenfalls in den Wagen. In seinem Inneren brannte kein Licht. Schwaches Licht fiel von der Straße auf den Boden.

„Mach die Tür zu“, zischte eine Stimme. Friedrich gehorchte und schloss die Tür. Kurz darauf flammte Licht auf.

Das Innere des Vans war mit Technik vollgestopft. „Ach du Scheiße“, entfuhr es Friedrich. „Was ist das denn?“

Vor einem riesigen Bildschirm saß ein Mann, der noch älter als Opa Bernd war. Er drückte auf verschiedenen Tasten und Knöpfen herum und der Bildschirm vor ihm schaltete sich ein.

„Hallo Gustav“, sagte Bernd und gab dem Alten die Hand. „Das ist mein Enkel. Was macht die Pumpe?“

„Der geht es besser als dem Rest, bei den ganzen Ersatzteilen, die die inzwischen verbaut haben. Warum machst du so einen Stress?“

Bernd wurde ernst: „Ich würde dich nicht so hetzen, wenn es nicht sein müsste.“

Friedrich hatte seine Sprache wiedergefunden: „Wer sind Sie?“

Gustav wandte sich an Friedrich: „Hab schon gehört, dass du was langsam da oben bist.“ Er tippte sich an die Stirn. „Nenn mich Gustav, mehr musst du nicht wissen.“

„Haben Sie... Der Wagen...“ Friedrich war verwirrt.

„Du meinst, wie der Wagen gefahren ist? Das ist mein großes Geheimnis. Geht dich nichts an.“ Gustav deutete auf eine Kiste, die am Boden stand: „Verkabelt euch.“

„Was...?“, fragte Friedrich.

Gustav wandte sich an Bernd: „Du hast gesagt, dein Enkel wäre etwas dämlich, aber ich glaube, du hast mich belogen.“ Er drückte auf einen Knopf: „Komm doch mal bitte rüber und hilf mir hier.“

Friedrich hörte, wie die Fahrertür sich öffnete und wieder geschlossen wurde. Dann öffnete sich die rückwärtige Tür kurz, um ebenfalls schnell wieder geschlossen zu werden.

„Hallo!“ Friedrich starrte eine junge Frau an, die offensichtlich asiatische Züge hatte. Ihre mittellangen Haare waren schwarz. Sie lächelte sanft.

„Mein Name ist Yu“, sagte sie freundlich.

„Das muss er nicht wissen“, schnauzte Gustav. „Hilf dem Idioten und Bernd lieber beim Funk.“

Yu wandte sich an Friedrich: „Sie dürfen ihm nicht böse sein. Er meint es nicht so.“ Friedrich hatte den Eindruck, dass ihm in letzter Zeit dauernd Frauen sagten, dass die alten Männer sich zwar ätzend benahmen, es aber gar nicht so meinten. Yu ging zur Kiste und holte einen Haufen Technik hervor. Dann begann sie, zunächst Bernd zu verkabeln.

„Was ist das alles?“, wollte dieser wissen.

„Ach, nichts Besonderes“, sagte Yu. „Das auf ihrem Kopf ist eine kleine, aber sehr gute Kamera, sodass wir hier im Wagen alles sehen, was Sie auch sehen. Dann bekommen Sie noch einen Kopfhörer und ein Mikrofon, damit wir miteinander sprechen können.“

Friedrich verstand absolut gar nichts mehr: „Wofür brauchen wir das alles denn? Ich dachte, wir treffen einen deiner Kontakte und bekommen neue Informationen.“

Bernd warf seinem Freund einen entschuldigenden Blick zu: „Tja“, sagte er an seinen Enkel gewandt, „das ist etwas verkürzt: Wir haben gerade meinen Kontakt getroffen und wir bekommen auch neue Informationen. Aber die Informationen bekommen wir nicht von dem Kontakt, sondern der hilft uns nur, sie uns selbst zu besorgen.“

„Und wo sollen wir die herbekommen?“

„Aus dem Atelier von Grenadier.“

„Aus dem Atelier?“

Gustav warf ein: „Junge, du wirkst ohnehin schon wie ein Idiot. Wenn du wiederholst, was andere sagen, machst du es nur schlimmer. Das meine ich echt nicht böse, aber manchmal hilft ja eine Rückmeldung von einem Außenstehenden.“ Sein höhnisches Grinsen deutete darauf hin, dass sein Kommentar nicht ganz so freundlich gemeint war, wie er versuchte zu suggerieren.

Friedrich sagte verärgert: „Halten Sie sich da raus.“ Er schaute seinen Opa an: „Du willst da einbrechen?“

„Ich würde es nicht so ausdrücken, aber wenn Sie so wollen...“

„Moment mal“, warf Yu ein. „Das ist Ihr Enkel, oder? Warum siezen Sie ihn?“

Friedrich kam Bernd zuvor: „Er meinte, ich wäre zu frech gewesen.“

„Er ignoriert meinen Wunsch aber vollkommen“, gab Bernd empört zurück.

„Jaja, ihr seid beides Idioten“, sagte Gustav genervt. „Scheint also genetisch bedingt zu sein. Ich wusste schon immer, dass die Ärzte und Psychologen sich irren, wenn sie was über schwere Kindheiten oder so quasseln. Das würde ja auch bedeuten, dass die Kriegsgeneration komplett verkorkst sein müsste bei der Kindheit.“ Er verdrehte die Augen: „Jetzt kommt her, ich muss euch einweisen, bevor es losgeht.“

Sie stellten sich hinter Gustav und schauten auf den Computer.

„Wir befinden uns hier vorne auf der Straße“, begann Gustav. „Das Haus wird durch einen großen Zaun gesichert. Es gibt aber eine Pförtnerloge. Dort ist ein Zahlenschloss. Das ist kein Problem.“

„Nein?“, fragte Friedrich.

„Nein. Heute verbinden alle Leute ihre Home-Systeme mit dem Internet. Das sind so Idioten wie du. Das wird kein Problem sein. Von dort müsst ihr durch den Garten, einmal ums Haus. Dort ist der Kellereingang.“

„Ich habe noch eine Frage“, unterbrach Friedrich ihn. Gustav atmete hörbar aus. Friedrich ignorierte ihn und wandte sich an seinen Opa: „Was erhoffen wir uns davon? Ich meine, ich verstehe, warum wir hier sind. Wegen des Umschlags mit dem Bild und der Staffelei. Aber was sollen wir hier finden? Die Polizei hat das Bild ja auch gesehen und ist bestimmt auch zu dem Schluss gekommen, sich das Atelier genauer anzusehen. Was sollten wir dann finden, was die nicht gefunden haben?“

„Die Frage ist nicht mal so dumm“, stimmte Gustav ihm zu. „Ich finde deinen Plan auch dämlich, Bernd. Aber mir war langweilig, also ist es für mich in Ordnung. Für euch besteht aber ein gewisses Restrisiko, das meiner Einschätzung nach in keinem Verhältnis zum Nutzen steht, wenn ich das so höre.“

„Das ist ganz einfach“, sagte Bernd. „Die Polizei sucht nur nach Spuren, die Friedrich oder mich irgendwie belasten. Dorfler leitet keine neutrale Ermittlung. Wir gleichen das jetzt aus, indem wir nicht einseitig Spuren suchen, die uns belasten, sondern auch Spuren akzeptieren, die uns entlasten, indem sie uns zu dem wirklichen Täter führen. Außerdem muss es ja irgendeinen Sinn haben, dass er das Foto der Polizei zuspielt.“

„Apropos Polizei“, warf Friedrich ein. „Könnte es nicht sein, dass die Polizei das Haus hier überwachen lässt?“

„Tut sie auch“, antwortete Gustav. „Das Haus hat zwei Zugänge. Das hier ist der hintere. Die Bullen stehen vorne an der Straße, sodass es nicht auffällt. Meinen sie zumindest.“

Friedrich war entsetzt: „Wir brechen also in ein Haus ein, das unter Polizeischutz steht?“

„Ja, genau.“ Bernd grinste: „Ist doch spannend, oder?“

„Wenn die uns kriegen...“

„Wenn die uns kriegen, haben wir absolut gar keine Ausrede, warum wir dort sind. Wir wandern direkt in Untersuchungshaft.“

Friedrich ließ die Schultern hängen: „Gibt es keinen anderen Weg?“

„Schiss?“, fragte Gustav schadenfroh.

Friedrich fixierte ihn: „Nein. Ich suche nach einer Alternative, die weniger riskant ist. Das hat nichts mit Schiss, sondern mit Intelligenz zu tun.“

„Große Worte für einen kleinen Idioten. So, und jetzt Mund halten. Ich bin noch nicht fertig.“ Damit deutete Gustav wieder auf den Bildschirm und fuhr mit seinen Instruktionen fort.

Die skurrile Verwandtschaft des Friedrich K.

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